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Autor Thema: Im Auge der Hindin  (Gelesen 5076 mal)

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Sintram

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Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #15 am: 06 Februar 2017, 09:22:42 »


Muschelblume und Massaw


Sarah Winnemucca, meiner Frau ein leuchtendes Vorbild, liegt im Sterben, oben im östlichen Idaho an der Grenze zu Montana fern ihrer Heimat. Die Schwindsucht hat ihr in den letzten Jahren schwer zugesetzt, es dürfte bald zu Ende gehen mit der großen Paiuti, all ihre Mühen scheinen vergebens, ihr unermüdlicher Kampf für die Rechte ihres Volkes verloren.

Nicht bei allen Shoshone, Paiute und Ute erfreut sich diese bemerkenswerte Frau derselben Beliebtheit, manche bezeichnen sie gar abschätzig als „Apfel-Indianerin“, sprich außen rot und innen weiß. Für andere wiederum ist sie die Pocahontas der Gegenwart. Die Skepsis ihrer Person gegenüber hängt sicher auch mit ihrer Herkunft und Kindheit zusammen. Ihr Großvater hab ihn selig war den Weißen immer sehr wohlgesonnen, führte die Armee der Blauröcke gutgläubig über die Sierras, um die verlogene „Öffnung des Westens“ mitzugestalten und einzuleiten. So kam es, dass Tocmetone, die „Muschelblume“ wie sie eigentlich heißt, ab ihrem zehnten Lebensjahr bei aufgeschlossenen weißen Familien in Kalifornien erzogen wurde, sicher auch als Haushaltshilfe eingesetzt, und als junges Mädchen im San-Joaquin-Tal eine katholische Schule besuchte.

Dort begegnete der selbstbewussten Häuptlingstochter zum ersten Mal die hässliche Fratze des Rassismus, empörte Eltern beschwerten sich darüber, dass ihre wohlerzogenen Kinder neben einem wilden Indianermädchen sitzen und mit ihr den Klassenraum teilen müssten. Das war erst der Anfang einer endlosen Kette ähnlicher Erfahrungen, die der jungen und lernbegierigen Frau tagtäglich und überall in der behüteten und abgeschirmten Welt der Weißen widerfahren würden. Diese schmerzliche Feuertaufe war es wohl, die Winnemuccas kritischen Verstand weckte und sie Verantwortung für ihr unterdrücktes Volk übernehmen ließ, nichts brachte ihre zornig erhobene Stimme mehr zum Verstummen, die im ganzen Land zu hören war in zahllosen Vorträgen und Gesprächen mit allerlei Zeitungsgrößen. Nichts außer der Sichel des nahenden Todes. Einer todbringenden Krankheit, die sicher auch Erschöpfung und Enttäuschung gezollt ist.

Ihr Mitte der achtziger Jahre veröffentlichtes Buch Titels „Life among the Piutes“, in dem sie neben einer spannenden Lebensbeschreibung in aller Entschiedenheit für die Bürgerrechte der Indianer Partei ergreift, änderte nichts an deren auswegloser Situation. Über dreihundert Vorträge hielt sie in diesen Tagen entlang der Ostküste, vor breitem und aufmerksamem Publikum, dem sie in klaren Worten - sie spricht fließend Englisch - Not und Anliegen ihres Volkes unterbreitete, außer ein paar Spenden kam nichts Wesentliches heraus dabei.

Mit zwanzig Jahren hatte Winnemucca gelernt, vor weißem Publikum aufzutreten und es für sich zu gewinnen, als sie mit Vater und Schwester unter anderem in San Francisco auf der Bühne stand mit der Darbietung der „Tableaux Vivants aus dem Indianerleben“, bei der die Schausteller in einer Fantasielandschaft Szenen aus dem indianischen Alltag vorführten. Ihr eigentliches Problem war vermutlich, ständig von wohlmeinenden Leuten umgeben zu sein, die ihr Mut machten und Hoffnung, wo es längst keine mehr gab. Diese führten die kämpferische Squaw gegen erbitterten Widerstand in die gehobene Gesellschaft der Bleichgesichter ein und öffneten ihr die Tür zu den Schaltstellen der Macht, ebneten ihrem Licht den Weg ins Herz der Dunkelheit, dessen Finsternis sie letzten Endes verschlang.

Immerhin verdankt meine Frau Hózhó als Mädchen Datsolali ihre Bildung der Gründung einer Schule für Paiute und Shoshonekinder, in der diese zweisprachig unterrichtet wurden und erstaunlich viel in erstaunlich kurzer Zeit lernten. Winnemuca hatte die Unterrichtsstätten mit der Unterstützung zweier einflussreicher und vermögender Schwestern ins Leben gerufen, eine davon die bekannte Schulreformerin Elizabeth Peabody. Vor vier Jahren wurden ihre Niederlassungen geschlossen, als mit dem sogenannten „General Allotment Act“ das Verbot unabhängiger, von Indianern unterrichteter Schulen erging. Winnemucca hatte sich sogar noch für diesen stark gemacht vor dem Unterausschuss des Senats, weil sie sich davon die Eingliederung indianischer Kinder in die Schulen der Weißen erhoffte, die sie für erstrebenswerter hielt und die ihr als Gegenleistung für ihr Einlenken versprochen und zugesagt wurde. Eine böse Falle, wie man sich denken kann und schamloser Betrug dazu, niemand zeigte sich in der Folge daran interessiert, dass die Bälger der primitiven Bewohner des großen Beckens lesen und schreiben erlernen und gemeinsam mit ihren verwöhnten Fratzen die Schulbank drücken.

An diesem hinterhältigen Verrat ist die mutige Frau und Kämpferin wohl endgültig zerbrochen. Durchgemacht hatte Sarah bis dahin reichlich genug, um den Lebensmut verlieren zu können. Anfang der Sechziger wurden ihre Mutter, eine Schwester und ein Bruder in den blutigen Nachwehen des Paiutekrieges ermordet. Aber anstatt aufzugeben, nahm sie entschlossen den Kampf gegen die Skrupellosigkeit und Habgier der korrupten Angestellten in den Indianerbüros auf.

„Wenn dies die Zivilisation ist, die uns dort erwartet, gebe Gott, dass wir nie in eine Reservation gehen müssen“, sagte sie seinerzeit prophetisch. Gott musste wohl eingeschlafen sein oder grade weggeschaut haben, die Northern Paiute wanderten ins Reservat nach Oregon mit dem sinnigen Namen „Malheur Reservation“, das böse Omen bestätigte sich, der besonders skrupellose Agent vor Ort beschlagnahmte nicht nur die dürftigen Erträge ihrer jungen Landwirtschaft, er verhökerte und verschacherte zudem ohne ihr Wissen ihr bestes Land an weiße Farmer. Winnemucca bot dem Schurken tapfer die gescheite Stirn, als sich aber die wütenden Paiute mit den Bannock zusammentaten und den Aufstand wagten, geriet sie in einen gewaltigen Interessenskonflikt, da sich ihr geliebter Vater Old Winnemucca unter den Aufständischen befand.

In ihrer Funktion als Dolmetscherin der US Army gelang es ihr zwar, denselben vor der sicheren Hinrichtung zu bewahren, zum Verlassen seines Versteckes zu überreden und zur Aufgabe zu bewegen, die Verbannung ihrer Verwandtschaft nach Washington in die Yakima Reservation konnte sie jedoch nicht verhindern. Ins Gesicht wurde der inzwischen geachteten und sprachführenden Vermittlerin vom Innenminister die Rückkehr ihres Volkes in ihre Heimat zugesagt, hinter ihrem Rücken aus Washington gleichzeitig die Order erteilt, die Paiute unter gar keinen Umständen freizulassen.

Winnemucas öffentliche Kritik, ihre Redegewandtheit und ihr scharfer Verstand waren inzwischen gefürchtet bei den Mächtigen nicht nur in Washington, das Büro für indianische Angelegenheiten versäumte keine Gelegenheit, die lästige Querulantin als wüste Trinkerin, rauflustige Spielsüchtige und enthemmte Schlampe hinzustellen und zu brandmarken, ihre vier gescheiterten und unglücklichen Ehen lieferten den Verleumdern ebenso die Handhabe für ihren Rufmord als auch ihr Hang zum Glücksspiel. Bei den Stämmen des großen Beckens ist die Spielleidenschaft allgemein üblich und verbreitet, etwa das traditionelle Handspiel, Indianer spielen eben nun mal für ihr Leben gern. Nichtsdestotrotz ist Winnemuccas Einflussnahme auf die Indianerpolitik ihrer Zeit außerordentlich, keiner Rothaut sonst musste derart viel öffentlicher Raum gelassen werden für nicht zu überhörende harsche Kritik, keinem noch so mächtigen Häuptling wurde diese Unerhörtheit jemals zugestanden. Unerhört geblieben ist ihr unermüdlicher Streit für die uneingeschränkten Bürgerrechte der Indianer, ihre Eingliederung in die Gesellschaft und ihre Anerkennung als vollwertige und mitbestimmende Mitglieder eines freien Landes dennoch, wie nicht anders zu erwarten.

„Es ist wahr“, schreibt sie zum Ende ihrer Lebenserinnerungen, „dass mir meine Leute manchmal misstrauen, aber das liegt daran, dass man mir Worte in den Mund gelegt hat, die sich als leerer Wind herausgestellt haben. Man hat mir an höherer Stelle Versprechungen gemacht, ohne sie zu halten, und ich musste dafür mit dem Vertrauensverlust meines Volkes büßen. Meine Leute haben keine Kenntnisse von dieser Welt, aber sie wissen, was Liebe meint und was Wahrheit bedeutet. Sie kennen die Weltgeschichte nicht im Geringsten, aber sie können den Geist-Vater in allem sehen.“

Diese Stelle in dem ersten der bislang verschwindend wenigen Bücher aus indianischer Feder mag ich besonders, hier sagt uns die gute Sarah Winnemucca recht unverblümt durch die Muschelblume, dass die Paiute ungebildet sein mögen, aber deshalb noch lange nicht blöde. Dass sie sehr wohl in der Lage sind, Recht von Unrecht, Wahrheit von Lüge und Aufrichtigkeit von Betrug zu unterscheiden. Dass in der weltklugen und gewissenlosen Politik des weißen Mannes nichts zu entdecken ist vom väterlichen Geist, den die Paiute kennen und ehren. Die Erklärung ihrer Niederlage ist das offene Eingeständnis des Scheiterns einer desillusionierten Diplomatin, ohne Zweifel, aber eines, die sich gewaschen hat und voll ins Schwarze trifft. Ebenso gut hätte sie schreiben können: „Meine geliebten Paiute, lasst euch nicht kleiner machen als ihr seid, ihr seid gute Leute und schwer in Ordnung, die überheblichen Weißen taugen allesamt nichts, glaubt ihren wohlgesetzten Worten nicht, sie lügen sowie sie den Mund aufmachen.“ Kein Wunder also, dass die Regierung keinerlei Interesse hat an der Lesefertigkeit der Paiute.

Bewundernswert, in der fremden Welt der Bleichgesichter aufgewachsen und die meiste Zeit ihres Lebens in ihrer Gesellschaft unterwegs, ist sich Winnemucca im Sumpfmorast und Dschungeldickicht weißer Politik im Herzen treu und Paiuti geblieben, also keineswegs Apfelindianerin, sondern Paiute durch und durch, außen weiß und innen rot. Und jetzt kehrt sie zu ihrem Volk zurück, auch fern von der Heimat.

Ich habe kein Volk mehr, zu dem ich zurückkehren könnte, wozu auch?

Zu denen, die für meine Herkunft verantwortlich zeitigen, gehörte ich nie. Zu denen man mich gehörig zählt, will ich nicht gehören. Zu denen ich gehörte aus freier Wahl, die gibt es nicht mehr oder sie sind mir fremd geworden. Zu denen ich gehören musste, die hab ich hinter mir gelassen. Zu denen ich gehören wollte, werde ich nie ganz gehören können. Hózhó und unsere Tiere, das ist nun mein Volk. Ein kleines und bedeutungsloses, aber ein gutes.

Längst ist der Indianersommer vorbei, der Winter naht, das letzte Abendlicht verglimmt, die Nacht bricht herein. An der Schwelle zum letzten Lebensabschnitt des gebrechlichen Alters habe ich endlich Ruhe und Zeit in der trauten Zweisamkeit unseres schlichten Heimes, auf mein Leben zurückzublicken. Die Erinnerungen kommen und gehen nach Belieben, springen hin und her, überschneiden sich und purzeln wild durcheinander. In der Tat, ein weiter Ritt liegt hinter mir, und es war ein einsamer Ritt. Auch wenn mein Sattel auf dem Balken ruhte und ich meine Tage an der Seite oder im Kreis von diesen und jenen fristete, blieb ich allein und unverstanden, ja einsamer als ich es mit mir allein je hätte sein können. Und glaubte ich etwas gefunden zu haben, war es verloren, noch ehe ich es als das meine und mich darin hätte erkennen können.

Ein Fremder war ich auf Erden zeitlebens und bin es noch, doch nun bin ich es nicht mehr alleine. 

Der kleine Colorado bildet die Grenze zwischen Apache im Westen und Hopi im Osten.

In den angenehm kühlen Räumen der Pueblos lauschen die Kinder andächtig einer Geschichte, die sich auch unter den Erwachsenen großer Beliebtheit erfreut. Ich glaube sie von woanders her zu kennen, meines Wissens ist sie sehr viel älteren Ursprungs und biblischen Alters- aber spielt das irgend eine Rolle? In der aufgefrischten Version der Hopi jedenfalls handelt sie in der Zeit der spanischen Kolonialherrschaft, was ja nun auch schon wieder ein ganzes Weilchen her ist, und erzählt von dem bärenstarken indianischen Riesen Massaw mit Haaren bis zu den Kniekehlen, der in den zerklüfteten Bergen, Höhlen und Klüften der Wüste haust. Der soll so stark gewesen sein, dass er einem angriffslustigen Berglöwen ins Maul gefasst, die Kiefer auseinander gestemmt und die arme Katze der Länge nach entzwei gerissen haben soll. Später, als er hungrig an der Stelle vorbeikommt, sieht er, dass wilde Bienen ihre Waben in den Kadaver gebaut haben, die randvoll mit süßem Honig gefüllt sind. Daher kommt das Sprichwort vom Honig aus dem besiegten Löwen schöpfen.

Der langzottelige Hüne läuft regelmäßig rum in den protzigen Hochburgen der spanischen Konquistadoren, Kirchenfürsten und Senóres und verkündet mit schallend kraftvoller Stimme, dass ihre Herrschaft vorüber und ihre Tage längst ausgezählt sind, sie haben es nur noch nicht begriffen und nichts davon bemerkt. Dass ihre Welt längst untergegangen ist, sie haben’s nur verschlafen in ihren goldenen Himmelbetten und ihren Niedergang runter gefressen an ihren reich gedeckten Silbertafeln. Dass sie längst in Schimpf und Schande, mit Schmach und Spott aus ihren Palästen und Tempeln vertrieben worden sind und nur noch als lebende Tote darin residieren, die ihr eigenes Sterben versäumt haben. Das schmeckt den Konquistadores, Kolonialherren und Damen nicht so besonders, den Bischöfen noch weniger, es stößt ihnen gallig auf und beschert ihnen arges Sodbrennen, mancher erstickt gar an einer Gräte. Und so schicken sie immer wieder Truppen in die Berge, gerüstete und schwerbewaffnete kampferprobte Soldaten, um den lästigen Unruhestifter und unerträglichen Miesmacher aufzustöbern, festzusetzen oder wenn nötig auszuschalten sprich abzustechen. Sie haben Glück, wenn wenigstens einer von ihren Kämpfern zurückkommt, um ihnen erzählen zu können, was sich im Gebirge abgespielt hat. Dass der schreckliche Kraftprotz fünf Mann mit einem einzigen Schlag seiner gewaltigen Fäuste zu Tode gebracht hat und zehn der Stärksten mit einem einzigen Fußtritt das Rückgrat gebrochen.

Nun, der Fex kennt das Gebirge wie die Westentasche seines Fellumhangs, weiß wo man seine Verfolger am besten in einen Hinterhalt locken kann und ihnen eine Falle stellen, da genügt unter Umständen ein ausgelöster Steinschlag an unausweichlicher Stelle, der geduldig abgewartete Einbruch der Nacht auf dem schmalen Grat, die Unterstützung durch einen Wolkenbruch und Wetterumschwung an einer Steilwand oder in einer trockenen Ranft, eine unsichtbar unauffindbar gemachte Quelle oder eine gut verborgene Felsspalte, es gibt unzählige Möglichkeiten im Fels den Tod zu finden, allemal genug für eine der örtlichen Besonderheiten unkundige Kompanie. Und wenn’s wirklich mal eng wird, beherrscht Massaw Steinschleuder und Speerwurf, kann mit der Keule umgehen und hat ob seiner naturgegebenen Bevorzugung sicher wenig Mühe, ein paar vorpreschende Angreifer mit reiner Körperkraft abzuschmettern und todbringend niederzustrecken oder einfach in den gähnenden Abgrund hinab zu schleudern, dazu genügt ein leichtes unerwartetes Schubsen. Aber welcher überlebende Soldat ist so blöd zu verraten, nach Strich und Faden an der Nase herumgeführt, für dumm verkauft und verbraten worden zu sein, wenn er seinen unzufriedenen Vorgesetzten Bericht erstatten muss? Der Wilde hat eben übermenschliche Kräfte und dem ist nicht beizukommen, trotz heldenhaften Kampfes konnte er nicht bezwungen werden, klingt wesentlich besser und einleuchtender, bringt ihm vor allem keine zusätzlichen Scherereien ein, froh noch am Leben zu sein wie er ist.

Davor, den Unbesiegbaren in der Stadt festzunehmen, scheuen die Herrschaften zurück aus Angst und Muffelsausen vor der brodelnden Volksseele der Puebloleute, die ihren Helden verehren und lieben, wie man sich unschwer denken kann. Deshalb beschließen sie, ihn in eine hinterhältige Falle zu locken in Gestalt –man höre und staune - eines Weibes, das sie nicht zu übersehen und entsprechend ansprechend vor dem Stadttor postieren. Unerfahren in den Gefilden der Liebe, geht der mal wieder nach dem Rechten schauende Bursche der feschen Hure prompt auf den Leim und verschwindet für längere Zeit in ihrem Gemach, wo sich die beiden vermutlich nicht mit Würfeln die Zeit vertreiben.

Zum ausgemachten Termin wartet die indianische Dirne, die schon als junges Mädchen zur käuflichen Liebe verknechtet wurde und allen Glauben verloren hat, bis der liebesdurstige Riese satt und zufrieden weg geschlummert ist, schleicht zur Tür und öffnet sie für das lauernde einsatzbereite Kommando spanischer Soldaten. Um keinen Verdacht bei ihrem Liebhaber zu erregen, warnt sie diesen noch sicherheitshalber mit einem schrillen Schrei, die Spanier kommen, der Hüne fährt aus dem Schlaf hoch und schickt die Meuchelmörder zur Hölle. Als beim nächsten Versuch doppelt soviel Attentäter auftauchen, ergeht es ihnen nicht anders, und auch die dreifache Menge schützt ihre Knochen nicht vor der naturgemäßen Zerbrechlichkeit. Allmählich werden die Auftraggeber ungeduldig, die verräterische Hure fürchtet um ihr Kopfgeld, und so geht sie mit der Raffinesse all ihrer erworbenen Talente eifrig daran, dem arglosen Naturburschen das Geheimnis seiner ungeheuren Kraft aus der Nase ähem zu ziehen. Der einfältig gutmütige Kerl ist gutgläubig und vertrauensselig genug, es seiner Angebeteten unter dem Versprechen absoluter Verschwiegenheit zu verraten.

Meine Kraft, gesteht Massaw der Durchtriebenen, steckt in meinen Haaren.

Und beim nächsten Mal, als der Hopihüne schläft wie ein Murmeltier, schnappt sich das Weibstück die Schafschere und schnippelt ihm vorsichtig die lange Mähne auf Höhe der Ohren ab, bis sich ein großer Haarberg neben dem Lager häuft, öffnet dem Stoßtrupp die Tür, ruft wie gehabt "Wach auf, die Spanier kommen!" und wird Zeugin, wie sich die Bande im Pulk auf den Überraschten stürzt und den Überwältigten mit der Masse ihrer Leiber unter sich begräbt, während zwei Hinzueilende dem Tobenden mit einer Fackel und glühenden Eisen die Augen aus den Höhlen brennen. Das geht ihr dann doch ein wenig zu weit und ziemlich nahe, am liebsten würde sie auf ihre Dublonen verzichten und dafür ihren Bären behalten, aber dafür ist es nun zu spät, selber schuld.

Die Obrigkeit von Kaisers Gnaden wirft den Geblendeten erst mal ins Loch und lässt ihn eine ganze Weile schmoren, genauer gesagt bei lebendigem Leib verfaulen, irgendwann aber kommt ihnen der glorreiche Gedanke, den Gemarterten zur Abschreckung und als Beweis ihrer ungebrochenen Stärke und uneingeschränkten Macht öffentlich zur Schau zu stellen, bevor er ihnen noch wegstirbt, sie fesseln ihn zu diesem Zwecke und für das Volk der unzivilisierten Rothäute gut sichtbar mit dicken Ketten an den gespreizten Armen zwischen zwei Säulen des Gouverneurspalastes, eines hochherrschaftlichen Herrenhauses höchster Güteklasse und von klassizistisch imposanter Bauweise, während die Stadtoberen alles im weiten Umkreis was Rang und Namen, Einfluss, Reichtum und Land besitzt zu einem rauschenden Ball im Innern der hellen und bombastischen Prunksäle laden.

Da steht der Ärmste nun mit seinen blinden Augen, der gefallene große Held der unterdrückten und gebeutelten  Pueblostämme, völlig verdreckt und abgemagert, verfilzt und verlaust, macht einen erbärmlichen Eindruck und liefert einen mitleiderregenden Anblick. Was aber keinem aufgefallen ist und wem niemand Beachtung geschenkt hat, sind seine Haare. Die nämlich sind in den langen Monaten seiner Dunkel- und Einzelhaft emsig  nachgewachsen, hängen ihm in langen Zotteln und fettig strähniger Mähne über die herabgesunkenen Schultern und bedecken die eingefallene Brust und den gebeugten Rücken.

Irgendwann scheint die zwar in Mitleidenschaft gezogene aber üppig vorhandene Pracht ihrem hoffnungslosen Träger bewusst zu werden, vielleicht glaubt er im empörten Gemurmel der versammelten Menge das herzzerreißende Schluchzen seiner reuigen Flamme vernommen zu haben, wer weiß, jedenfalls hebt Massaw plötzlich den Kopf und atmet entschlossen und tief durch. Auf einmal beginnt der gebundene und gedemütigte Hüne wild an seinen Ketten zu zerren mit aller Kraft, seine beachtlichen Muskelberge spannen und wölben sich, die Adern seines Halses quellen hervor wie Flussläufe, der Schweiß rinnt ihm in Strömen bis an die Zehen, und siehe da, die mächtigen Säulen beginnen Risse zu bekommen, zu knirschen und ächzen, schließlich zu zittern und krachen, schwanken und wanken, neigen sich langsam dem Todgeweihten zu und stürzen schließlich über ihm zusammen mit lautem Getöse, und mit ihnen das ganze prächtige Gebäude, das sich, seiner tragenden Stützen entledigt, erst knirschend verschiebt, dann mit haarsträubendem Kreischen, krachendem Poltern und brüllendem Bersten von oben nach unten auseinanderreißt und in einer gigantischen Staubwolke in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus.

Dabei erschlägt und verschüttet die noble Hütte die ganze versammelte und in Feierlaune völlig ahnungslos heitere Gesellschaft in ihrem bescheidenen Innern, sprich die gesamte Obrigkeit und Herrschaft des Landes unter spanischer Gewalt, Bischöfe wie Generäle, Großgrundbesitzer wie kaiserliche Beamte, Adlige wie Neureiche, alle ehrenwerten Damen und Herren der kaiserlichen Macht finden sich entmachtet unter Schutt und Balken wieder und anständig begraben. Bedauerlicherweise auch ihr indianisches Gesinde samt mexikanischer Dienerschaft, aber man kann nicht immer alles berücksichtigen, wenn es um einen vernichtenden Schlag geht. Als das sprachlose Volk der Pueblos nach überstandenem Schrecken beginnt, die Leichen aus dem wirren und grässlichen Trümmerhaufen zu graben und notdürftig aufzubahren, übertrifft die Anzahl ihrer entseelten Leiber die aller jemals in den unwirtlichen Bergen gebliebenen spanischen Soldaten. Und außerdem, würd’ ich mal sagen, tut den Espanos das jähe Ableben ihrer Führungs- und Oberschicht im Gegensatz zu dem des gemeinen Fußvolkes richtig schlimm weh, weil so ein Rumpf ohne Kopf nun mal seiner Tauglichkeit mit folgenschwerster Gründlichkeit beraubt ist.

Und nicht zuletzt haben sich dadurch die unheilvollen Prophezeiungen des langmähnigen Massaw auf - für die niedergeschlagenen Spanier - erdrückende Weise erfüllt.

Der Massaw ist ja nun genau so alt, wenn nicht sogar viel älter als die biblische Figur, deren Rolle er in der Version der Hopi offenherzig übernommen hat. Am Anfang der Zeit hat er den unterirdisch hausenden Ahnen bei ihrem Aufstieg in die heutige Welt entscheidend unter die Arme gegriffen, ihm gehört das Land, das er ihnen geschenkt und anvertraut hat. Er lehrte die Ahnen, das Feuer zu beherrschen und für sich nutzen und spendet ihren Feldern die nötige Wärme für die Fruchtbarkeit, er steht ihnen bei im Kampf gegen ihre Feinde und hilft tatkräftig mit, diese zu vernichten. Und weil er so wohlwollend mächtig ist und das Schicksal der Hopi seiner Gunst ausgeliefert, ist Massaw nicht nur Herr des Lichtes, sondern gleichermaßen Herrscher über die Totenwelt. Als ansehnlicher junger Mann mit wallend langen Haaren tritt er alle heiligen Zeiten in ihre Welt, gekleidet in ein prächtiges Gewand, mit herrlichem Türkisschmuck überall dort bestückt, wo derselbe was hermacht, vor dem Gesicht aber trägt er eine grauenerregende, blutverschmierte Maske, in seiner Faust schwingt er eine mächtige Keule, mit der er gerne auch mal droht. Im Grunde die ideale Besetzung für die biblische Gestalt des Simson, in deren Verkörperung er den Spaniern gehörig eins auswischen kann.

Massaw hat ganz offensichtlich keine Probleme, in die Glaubenswelt der Weißen einzudringen und kräftig darin mitzumischen, bei den Frömmlern und Missionaren derselben wirst du nirgendwo einen Pueblo-Indianer in einer biblischen Geschichte finden, Gott bewahre.

Gespeichert

Sintram

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #16 am: 13 Februar 2017, 09:26:02 »


Schlangentanz


Pueblo kommt aus dem Spanischen und bedeutet schlicht Dorf.

Die Puebloleute haben gute Gründe, ihre Tradition so gut es geht vor den Blicken neugieriger Fremdlinge zu verbergen, die bitteren Erfahrungen, die sie mit den Spaniern und ihrer Terrorherrschaft machen mussten, haben sie völlig zu Recht sehr misstrauisch werden lassen. Nicht nur dass die in der Wüste lebensuntüchtigen spanischen Soldaten von ihnen Lebensmittel, Vieh, Kleidung und Proviant aller Art erpressten und einforderten, sie drangsalierten und tyrannisierten die Hopi und andere Pueblobewohner außerdem mit Vergewaltigung, Totschlag, Mord und Folter frei nach Willkür und Belieben. Neben anderen Konquistadoren regierte ein gewisser Juan de Onate seine Kolonie mit entsetzlicher Grausamkeit und Härte, als in Acoma zwölf spanische Soldaten einem Angriff der Indianer zum Opfer fielen, ließ er das Pueblo bis auf die Grundmauern niederbrennen und seine achthundert Einwohner niedermetzeln, etwa fünfhundert Männer und dreihundert Frauen und Kinder, die Überlebenden verurteilte er zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit und ließ sicherheitshalber jedem Mann über Zwanzig ein Bein abhacken.

Unter anderem die gnadenlose Verfolgung ihrer Religion durch die katholische Kirche verursachte anno Sechzehnhundertachtzig einen großen Pueblo Aufstand, gut vorbereitet, organisiert und angeführt von einem Pueblo Priester namens Popé, was soviel wie „Reife Pflanzung“ bedeutet. Über die Hälfte aller spanischen Kolonisten fiel diesem Gegenschlag zum Opfer, und als die Spanier zwölf Jahre später nach dem Zerfall der Liga die Kolonien zurückerobern konnten, hatten sie kein brennendes Interesse mehr daran, sich in die religiösen Angelegenheiten der Pueblostämme einzumischen geschweige denn deren Rituale gewaltsam abzuschaffen, auch an der völligen Auslöschung der Pueblodörfer schien ihnen nicht mehr besonders viel zu liegen. Sie errichteten ihre Kirchen mit Vorliebe auf den Mesas der höher gelegenen Pueblos, pflanzten sie mitten hinein in die Dörfer und gaben sich damit zufrieden, wenn deren Bewohner in der Sonntagsmesse die hinteren Bankreihen füllten. Kontrolle hieß das neue Zauberwort, die Hopi arrangierten sich damit, nicht nur der Glaube der Invasoren ist allumfassend. Andrerseits lassen sie und sämtliche Pueblovölker sich nicht mehr in ihre Kivas gucken, ihre unterirdisch geheimnisvollen Ritualräume, in deren Mitte ein tiefes Loch das Heraufsteigen der Ahnengeister in die Menschenwelt symbolisiert oder vielmehr ermöglicht. Während die fremd gewordene Welt um sie her in Trümmern liegt und die drei majestätisch altehrwürdigen Mesas der Hopi auf den Plateaus der Berge vor langem verlassen und dem Verfall durch Wind und Wetter preisgegeben vor sich hin verwittern, finden die Pueblogemeinschaften der Täler Halt und Sicherheit in ihrer uralten Tradition und der Bewahrung ihrer religiösen Feste und Zeremonien.

Sehr zur Freude von Hano Chukuwaiupkia, gosh, howgh and uff.

„Der Eine, der alles enthält“ nennt sich der Weltenschöpfer bei den Pueblo-Indianern. Unsichtbar war er im Ursprung, von Finsternis umhüllt und von Leere verschlungen, ein waschechter Desperado könnte man sagen. Irgendwann war er derart umwölkt und benebelt, dass Bäche an ihm hinunter rauschten und aus ihm heraus flossen, er verflüssigte sich auf gewisse Weise und war durch und durch feucht. Da Awonawilona mit der Zeit ziemlich klamm wurde in seiner Nebelwolke und der Durchnässte empfindlich zu frösteln anfing, formte er mit bloßen Händen einen feurigen Ball, die liebe Sonne, die die Nebelwand mit ihren Strahlen durchdrang, zu Wolken ballte und zu Wassertropfen zusammenzog. Es rauschte ein gewaltiger Regen nieder, der sich in noch gewaltigeren Pfützen sammelte, die zu Ozeanen und Weltmeeren wurden.

Der Anblick des wogenden unendlichen Wasserspiegels ist zwar überwältigend, auf Dauer aber doch ein wenig langweilig, und so beschließt Awonawilona einen Samen in seinen Fluten zu versenken. Das Pflänzchen wächst ziemlich ungehemmt aus dem Meeresgrund und verbreitet sich rasend zu einer grünen Schicht, die alsbald die Meere völlig bedeckt, was „dem Einen“ dann doch etwas zu viel des Guten und Grünen ist, so dass er die Fläche in zwei Hälften teilt. Aus der einen Hälfte bildet er die Kontinente sprich Mutter Erde, aus der anderen das Firmament sprich Vater Himmel. Mutter Erde aber leidet unter verschleimtem Hals und Speichelfluss, spuckt erst mal kräftig ins Meer und rührt so lange und gründlich um, bis das Wasser zu schäumen beginnt und sich eine mächtige Schaumkrone bildet. Nach derlei ausgiebiger Schaumschlägerei ist Mutter Erde in ihrem Schaumbad offenbar sehr vergnügt und pustet mit voller und gereinigter Lunge in die Flockengebilde, bis diese abheben und sich in weiße und schwarze Wolken verwandeln, die über den Ozean dahinzuziehen beginnen. Vater Himmel gefallen die wandernden Gebirge, er haucht sie an, und sie beginnen ihre Tropfen auf die Erde herab zu regnen. Damit ist Väterchen Himmels Beitrag zur Schöpfung erfüllt und er zieht sich zufrieden in unerreichbare Höhen zurück.

Mutter Erde indessen ist eifrig dabei, Leben hervorzubringen und gebiert im Laufe der Zeit allerhand Wesen, zuerst riesige Schlangen, dann schreckliche Monster, und als sie einsehen muss, dass diese ihre Geschöpfe nicht unbedingt bereit sind, die Erde mit anderen Wesen zu teilen und sich recht tyrannisch aufführen, schenkt sie den heldenhaften Riesenzwillingen das Leben, die mit Blitz und Donner dreinfahren, tiefe Löcher und Gräben in die Erde reißen und der Schreckensherrschaft der Schlangen und Ungeheuer ein gründliches Ende bereiten. Anschließend wird den zwei Heroen ziemlich öde, sie haben nichts Gescheites mehr zu tun und hängen träge rum, bis sie den großartigen Einfall haben, aus Bäumen, Rebstöcken und Grashalmen eine lange Strickleiter zu knüpfen und in die tiefen Löcher hinunterzulassen, die sie mit ihren herab geschleuderten Blitzen ins Erdreich geschlagen hatten, um zu sehen, was da möglicher Weise in den Schlünden der unterirdischen Eingeweide so an Lebendigem rumwuselt und unter Umständen ans Tageslicht hochkommen will.

Und siehe da, eins nach dem andern kommen winzige braune Männchen und Weiblein nach oben gekraxelt, die von den staunenden Donnersöhnen als menschliche Wesen eingeordnet werden. Da die beiden Riesen bei ihren Entladungen kräftig umgepflügt haben, ist die Krume bereit für die erste Aussaat, was von den fleißigen Menschlein hurtig erledigt wird, die lange Kletterei hat die Zwerge ganz schön hungrig gemacht und ihre kleinen Mägen knurren gewaltig. Zufrieden gesättigt denken sie darüber nach, dass sie wohl ein Dach überm Kopf ganz gut gebrauchen könnten, schon wegen der stechenden Sonne, da sie ja aus der Dunkelheit emporgestiegen sind als etwas lichtempfindliche Schattenwesen. Sie bauen emsig Häuser aus Lehm, Steinen und Balken, um sich heimelig und unterirdisch genug zu fühlen, ohne Türen mit so wenig Fensterritzen wie möglich, und nur per Leiter über Dachluken zu erreichen. Weil sie sich ihrem Naturell entsprechend eifrig vermehren, türmen sie aus Platzgründen ein Haus auf das andere, bis regelrechte Burgen entstehen mit unzähligen Räumen, Kellergewölben und Dachterrassen, die Pueblodörfer sind geboren und ihre Bewohner als eigenes Volk gleich dazu.

Heute werden die Ureinwohner Anasazi genannt, infolge einer Zuwanderung fremder Stämme nennen sich die jetzigen Pueblobewohner Hopi, Keres und Zuni. Ein besonders prachtvolles Exemplar der Hopi heißt Tiyo, der schon als kleiner Junge über schier übermenschliche Kräfte verfügte und deswegen zum Einzelgänger wurde. Auf einem seiner Streifzüge durch die Wüste begegnet Tiyo der Erdgöttin, der neugierige Bursche bekniet die alte Weise so lange, bis sie ihm einen Ausflug in die Unterwelt gewährt und ihn in die Abgründe der Erde hinunterführt. Auf seinem Abstieg begegnet der furchtlose Held allerlei mythischen Wesen, aber keines davon kann ihn aufhalten, locker wird er mit den unheimlichen Gestalten fertig und gelangt schließlich zum geheimnisumwitterten Schlangenvolk. Bei denen ist der Abenteurer offenbar herzlich willkommen, kommt nicht alle Tage vor, dass sich einer aus der oberen Welt zu ihnen herunter verirrt, jedenfalls führen sie den Wissbegierigen offenherzig in die Geheimnisse des Regenzaubers ein, der Schlangenhäuptling gibt ihm zum Abschied sogar zwei jungfräuliche Bräute mit, aber, wo die Liebe hinfällt, eine der Beiden genügt ihm vollends zu seinem Glück, er nimmt sie sogleich zur Frau und schenkt ans Tageslicht heimgekehrt die andere seinem Zwillingsbruder Lenyatiyo, dem großen Flötenspieler und Ahnherren der Flötenbruderschaft.

Offenbar hat sich der wagemutige Tiyo nur recht oberflächlich mit den Gesetzen natürlicher Vererbung beschäftigt, auf alle Fälle gebiert ihm sein Schlangenweib Tshüamana ein wurlend wimmelndes Schlangennest, was auch sonst. Die Hopi sind zuerst nicht besonders begeistert von ihrem doch etwas aus der Art geschlagenen Zuwachs, aber die Schlangenmutter lehrt sie den rechten Umgang mit ihren schlängelnden Bälgern, ja mehr noch, wie sie, die Hopi es anstellen können, ihre Brut und alle Schlangen im allgemeinen freundlich zu stimmen und mit ihrer Hilfe den lebenspendenden Regen herabzurufen. Trotz alledem muss es wohl zu einem heftigen Ehekrach gekommen sein, jedenfalls packt die Schlangenfrau eines Tages ihr Schlangenbündel und zieht mit ihren geschlängelten Kindern von dannen in ein anderes Land. Die unersetzlich wertvolle Regenzeremonie aber lässt sie als versöhnliches Andenken zurück.

Die merkwürdigen Gestalten, die durch die Canyonwüste der gelbrot gestreiften Steine geistern, kommen mir merkwürdig vor, der ich mit Infini den kühlen Schatten eines Felsüberhangs aufgesucht habe und träge das berauschend schöne Hopiland unter mir betrachte.

Ihre nackten Oberkörper sind mit braunroten Längsstreifen bemalt, was ausgesprochen gut ins Landschaftsbild passt, außer einem weißen Schurz, mit grünen und roten Mustern bestickt, tragen sie nichts am Leibe, mit einer Hacke graben und stochern sie im Boden herum, besonders unter Steinen und Sträuchern, dann zeichnen sie mit einem Holzschaft Spuren in den Sand und ziehen gleichzeitig einen Ledersack mit der Öffnung in Richtung des befiederten Stockes durchs Gestein. Ganz offensichtlich handelt es sich bei der wundersamen Truppe um Schlangenfänger.

Bald treibt mich die Neugier aus meinem Siesta Quartier, langsam reite ich auf die Hopi zu, sie kennen meine Erscheinung und lassen sich nicht von ihrer eifrigen Suche ablenken. Beim Näherkommen kann ich die Bewegungen sich windender Schlangen in ihren Ledersäcken erkennen und lass es mir nach freundlicher Begrüßung natürlich nicht nehmen, höflich aber bestimmt um einen Blick auf das Gezücht zu bitten. Kornnatter, Schlanknatter, Wüstenkönigsnatter und die wunderschön gezeichnete Strumpfbandnatter bilden ein wildes Knäuel im ersten Sack, was mir sofort auffällt ist die fehlende Klapperschlange. Tagelang hätten sie gefastet und sich bestmöglich vorbereitet, erzählt mir einer der Bemalten, um die Schlangen für das große Fest des heiligen Schlangentanzes einzusammeln, heute sei schon der zweite Tag ihrer mühseligen Suche, aber die Klapperschlange scheint in diesem Jahr keine rechte Freude daran zu haben, mit ihnen zu tanzen und sei wie vom Erdboden verschluckt. Obwohl ich die Sprache der Hopi gut verstehe, macht es mir immer noch große Mühe, mit ihrer seltsamen Sprechweise zurecht zu kommen, aber mit der nötigen Zeichensprache mache ich der Gruppe verständlich, dass das überhaupt kein Problem sei, gerade an den Richtigen seien sie geraten, sie sollen mir einfach nur folgen. Die erfolglosen Männer willigen erfreut und sichtlich erleichtert ein.

Spätnachmittags haben wir den Gebirgsstock im Gebiet der Riesenkakteen erreicht, in dessen Höhlen sich die Schlafplätze der Diamantklapperschlange befinden, in deren Schutz sie sich in den Wintermonaten in Scharen flüchten, nicht selten an die zweihundert Exemplare. Aber auch in der brüllenden Hitze des Tages und in den frischen Sommernächten bevorzugen sie diesen Ort ob seiner kaum vorhandenen Temperaturschwankungen. Ich schnapp’ mir also drei leere Säcke und zwänge mich durch den engen Zugangsschacht, bald kehre ich mit den prallgefüllten Beuteln zurück, es machte keine große Mühe, die trägen und fast bewegungslosen Vipern aufzulesen, die sich im kühlen Grund ineinander verknotet und zusammengeschlängelt haben. Jubel und Freude sind groß, ich werde kurzerhand eingeladen, an ihrer Zeremonie teilzunehmen, ein außergewöhnlicher Ehrbezeig für ein Bleichgesicht, ihre Einladung abzulehnen käme einer tödlichen Beleidigung gleich, also ziehe ich ergeben mit ihnen los in Richtung Pueblo.

Dort angekommen ist ihr misstrauischer Schlangenhäuptling zuerst verwundert, weshalb die ausgeschickten Fänger den Geistermann angeschleppt haben, der seine Nakvakvosis auf dem Hut mit sich herumträgt und aussieht, als wäre er zwischen Manos und Metates geraten, ist aber schnell von meiner Eignung und Erwählung überzeugt, als er einen Blick auf das fette Bündel der etwa zwei Meter langen Schlangenkörper wirft. Diese werden behutsam in Körbe gesteckt. Aus dem Abzugsschlot eines Picuri steigt eine weiße Rauchfahne, der Häuptling verschwindet gemeinsam mit einer Gruppe von Priestern mit je einem Korb in Händen über eine Leiter in der Dachluke des Hauses, in dessen Keller sich offenbar der Sakralraum der Kiva befindet. Bald dringen eintönige Gesänge und jammerndes Flötenspiel nach oben, die Zeremonie beginnt mit den monotonen Liedern der Schlangenbesinger und den seltsamen Melodien der Flötenspieler, deren Klänge die Schlangenhäupter ganz offenkundig beruhigen und in die rechte Stimmung bringen sollen.

Sehr zu meiner Überraschung wird mir sogar ein Blick ins verborgene Heiligtum gestattet. Was ich da auf der Leiter stehend zu sehen bekomme, ist ein rechteckiger, sehr geräumiger, angenehm kühler und erstaunlich gut durchlüfteter Raum, zwei dicke Balken tragen eine rustikale Holzdecke, von einer kleinen Mauer umrahmt flackert ein kleines Feuer einem Rauchabzug entgegen, Lehmbänke schmiegen sich an die Wände, die sparsam mit Wolkengebilden, gezackten Blitzen und Regensymbolen bemalt sind, in der Mitte gähnt ein kleines Loch im Boden. Ein hölzerner Altar ist im schmalen Winkel des Rechtecks auszumachen, auf dem ordentlich aneinandergereiht allerlei sakrale und nicht genau zu unterscheidende Gegenstände liegen, ich glaube Antilopengeweihe zu erkennen. Ein Schamanenpriester steht davor, nur mit einem farbigen Bänder-behangenen Lendenschurz bekleidet, den nackten Oberkörper und die Arme mit weißen Strichen bemalt, Armreifen um den Bizeps, Muschelketten und Perlenschnüre um den Hals, ein Mondsichel-förmiges Amulett über dem Brustbein, einen gefärbten wilden Federschopf auf dem Scheitel, weiße Striche auf den Wangen, eine ehrfurchtgebietende Gestalt und geisterhafte Erscheinung. Aus dem Innern eines Beutels lässt er feinen Sand rieseln und zeichnet geheimnisvolle Zeichen und Bilder auf den Boden, dazu fächelt er mit zwei großen Adlerfedern in der andern Hand. Eine Gruppe von Flötenspielern sitzt in großem Bogen um die kreisförmig inmitten des Raumes aufgestellten Schlangenkörbe, die von ein paar ähnlich dem Priester gekleideten und gezierten Tänzern umtanzt und umsprungen werden.

Was hier genau geschieht, weiß ich nicht zu sagen, der Raum ist voller Magie und Mystik, die Tänzer halten Federn in Händen und lassen diese über den geöffneten Körben kreisen, aus denen sich mehrere Schlangenhälse nach oben winden und den Bewegungen der Feder folgen, ob das nun eine Art Beschwörung ist oder schlichte Dressur, ich habe das Gefühl, hier am falschen Ort zu sein und zu stören, so klettere ich wieder nach oben ans Tageslicht. Draußen wird mir von einem der Schlangenfänger erläutert, dass dieser Tanz sowohl mit der großen Antilope zusammenhängt als mit der Flötenbitte um Regen, zugleich Vorbereitung auf den letzten Tag und Höhepunkt der Zeremonie, den geheimnisumwitterten großen Schlangentanz auf der Plaza des Pueblo. Auf den Plateaus der Dächer sammeln sich allmählich die Leute des Dorfes, Männer, Frauen und Kinder, die leuchtenden Augen voll gespannter Erwartung, und auch ich als geladener Zaungast bin redlich aufgeregt. Wie lange kenne ich die Hopi jetzt schon, dreißig Jahre oder mehr, aber nie durfte ich diesem geheim gehaltenen geheimnisvollen Tanz beiwohnen, den ich nur vom Hörensagen kenne, eine Schlangengrube öffnete mir die verborgene Pforte.

„Es ist schwer, dir zu folgen, lieber Freund“, meint Chaíwa, die Frau neben mir, in ein prächtiges blaues Manta gekleidet, die sie mir zur Seite gestellt haben, weil sie des Englischen mächtig ist und der ich die Hucke voll labere, „deine Sätze sind so ermüdend lang und verschlungen, dass man am Ende oft nicht mehr weiß, worum es am Anfang ging“.

„Tochter der Hüterin des Tiponi", sag ich zu ihr, "grade du müsstest das doch wissen, wie unendlich lange so eine Klapperschlange braucht, um aus ihrem Winterquartier zu kriechen, steif wie ein Stock, wenn da endlich die Rassel zum Vorschein kommt, weiß die längst nicht mehr, dass da aus dem selben Schlupfloch der Kopf rausgekommen ist lange vor ihr, wenn's denn einen solchen gibt, nun, eine Eidechse kann ihren Schwanz abwerfen, ohne Schaden zu nehmen, die Schlange aber würd's umbringen, weil ihr Schwanz gleich hinterm Hals beginnt sozusagen, und so ein lebloses Schlangenhaupt, das buchstäblich aus dem Zusammenhang gerissen ist und nichts nach sich zieht, weil der Rest im Dunkeln der Höhle verborgen bleibt, gibt ja nun bestenfalls einen Happen ab für den Rennkuckuck. Die Häuptlinge der Weißen machen es so, da gibt’s immer nur tote und sterbende Schlangenköpfe mit Giftzähnen, die stecken sie dann aneinander und behaupten, dass die zweite Schlange die erste verschlungen habe und so weiter, will meinen ihre erste Idee von einer nachfolgenden vernascht wurde bis zur letzten, die dann leider dran erstickt ist, kurzum, dass sich bedauerlicherweise keiner ihrer Vorschläge hat verwirklichen lassen, so griffig ein jeder davon auch gewesen sein mag. Was nun mein Ding nicht ist, bei mir ist das 'ne ganze Schlange und eine lebendige dazu, die sich nicht erst verwirklichen lassen muss, ganz einfach weil sie wirklich ist, da sieht sich der hungrige Rennkuckuck dann schon vor die Entscheidung gestellt, ob er sich auf einen gefährlichen Kampf einlassen will, um mit der fertig werden zu können, ein atemberaubend offenes Duell wie du sicher weißt, mit servierten Häppchen ist da jedenfalls nichts.“

Inzwischen sind die Schlangen in ihren Gefäßen auf der Plaza in einem Verschlag aus Strohwänden untergebracht, einem seltsamen Gebilde mit belaubten Pappelzweigen als Dach, dem sogenannten Kisi. Dieses wird von einer Gruppe von Antilopentänzern umstanden, die weiße Schlangenlinien auf den Rücken gemalt tragen und eben ihren grazilen Antilopentanz getanzt haben bis an die Tuch-verhangene Öffnung der Schlangenhütte. Und dann kommen sie endlich aus dem Kiva geklettert und hintereinander in Schlangenlinien angetanzt, die unheimlich wirkenden beeindruckenden Schlangentänzer mit den Federbüscheln auf dem Kopf, Ketten-behangen, bemalt und in befransten Mokassins. Viermal umrunden sie den Verschlag im Gleichschritt, wobei sich ihre Körper mit geschmeidiger Anmut faszinierend Schlangen-ähnlich winden und die Tänzer zudem beschwörende Gesänge singen, bis hierhin ist alles unwirklich genug, was aber nun folgt, verschlägt mir regelrecht den Atem.

Die Schlangentänzer haben sich zur Rechten in einer Reihe gegenüber den Antilopentänzern vor dem Verschlag aufgestellt, wo sie ein Spalier bildend mit diesen gemeinsam ein Lied singen, ihre Körper dabei wiegen und mit den Armen gemeinsame Bewegungen ausführen in vollkommenem Einklang. Majestätisch tritt der Schlangenpriester und Wächter der Schlangen aus dem Kisi, mit weit ausgebreiteten Armen, in Händen eine große Klapperschlange, mit der Rechten hat er sie hinterm Kopf gepackt, aber keineswegs klammernd, mit der linken hält er ihren muskulösen Leib, das gut zu erkennende Rassel-Ende windet sich schlängelnd. Einem Tänzer nach dem andern übergibt er eine Schlange, aber nicht wie man glauben möchte in die Hände, sondern er steckt das Reptil behutsam ein gutes Stück hinterm Kopfansatz in dessen geöffneten Mund, wo die Diamantklapperschlange sich nach unten baumelnd und offenbar entspannt zu winden beginnt.

Mit den Schlangen im Mund beginnen die Tänzer den eigentlichen Tanz, erst mit einer gewissen Zurückhaltung und verständlichem Respekt, aber es scheint, als würden sie durch die Berührung ihrer Lippen an der trockenen warmen Schlangenhaut etwas von deren Wesen in sich aufnehmen. Ihre Bewegungen werden runder, geschmeidiger  und gelenkiger, fast möchte man meinen, sie haben keine Knochen mehr in Armen, Beinen und Hüften, es ist, als würden sich ihre Gliedmaßen ohne ihr Zutun bewegen und sie sich ohne deren Einsatz im Kreis herum wie eine Schlange, die auf dem Boden kriecht und sich vorwärts schlängelt. Ich kann dieses unglaubliche Schauspiel nicht anders beschreiben, die Tänzer werden zu Schlangen, dieselben hängen geradezu gelassen aus ihren Mündern herab, die sich windenden Menschenkörper wie eine Liane zierend, oft bis hinunter an den Boden reichend. Manchmal ringelt sich eins der Tiere zusammen und nach oben, ein andermal züngelt sein Kopf Richtung Ohr des Tänzers, aber dieselben sind vollkommen furchtlos und wie entrückt, sie wissen, dass ihnen keine der außergewöhnlichen Tanzpartnerinnen Leid und Schaden zufügen wird, und so ist es auch. Die hochgiftigen Wüstenvipern scheinen eine Beißhemmung zu haben oder keine Lust, ihr Gift zu verspritzen, fast möchte man glauben, sie würden sich im Rhythmus ihrer Tänzer mitbewegen, vielleicht tun sie es auch, mir sind die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum längst verschwommen.

Ich weiß nicht mehr, wie lange das überirdische Spektakel gedauert hat, irgendwann betritt der Priester den inneren Kreis der Tänzer, die sich längst in Trance befinden, und verteilt die mitgebrachten Nattern auf dem Boden, ein Tänzer nach dem andern nähert sich dem schlängelnden Häufchen, beugt sich immer noch tanzend so tief wie möglich nach vorn und lässt seine Tänzerin sanft zu Boden gleiten, die sich keineswegs eilig in den Schutz der Gemeinschaft der verwandten Nattern begibt, bis alle Klapperschlangen den Mund der Tänzer verlassen und ihre Erdung wiedergefunden haben. Die Tänzer ziehen sich erschöpft und schweißgebadet zurück, der Priester sammelt die Schlangenbrut in aller Seelenruhe ein, bündelweise hält er ihre Lianen in Händen, trägt die immer noch sehr ruhigen Vipern samt Nattern zu ihren Körben zurück und verstaut sie darin, um ihnen mit ein paar eifrigen Helfern meist kindlicher Statur die verdiente Freiheit zurückzugeben.

Es wird noch lange gesungen, getanzt und ausgelassen gefeiert, die Zeremonie als solche jedoch hat ihren Höhepunkt und ihr Ende erreicht, mich zieht es erschöpft und von den Eindrücken wie betäubt der heimatlichen Blockhütte zu. Auf Infinis Rücken schwebe ich durch die hereinbrechende Nacht und werde zur Klapperschlange, schlängle mich über den steinigen Wüstenboden mit magischer Geschmeidigkeit, bewege mich fort mit reiner Muskelkraft ohne einen Finger zu rühren dabei, von einer übernatürlichen Macht geführt winde ich mich lautlos wie aus mir selbst heraus dahin und komme mühelos gleitend voran. Ich schmecke den leisesten Windstoß an meiner Zungenspitze, rieche die Wüstenmäuse im Nachthauch und ihren süßlichen Kot, ihr Rascheln knistert durch die verfeinerten Nerven meiner Schuppenhaut wie das nächtliche Blätterrauschen der Pyramidenpappeln, ich spüre die tödliche Gewalt meines Giftes in den spitzen Schneidezähnen.

Wird es mir jemals gelingen, meine Erdung wiederzufinden?

Doch wozu hab ich schließlich meinen unirdischen Freund Fanda? Der behauptet nämlich steif und fest, dass Schlangen nicht hören können. Weil sie keine Ohren haben, nehmen sie Geräusche mit anderen Sinnen auf, ähnlich wie das Frösteln der Haut bei einem kalten Windstoß, das Plätschern der Wellen am Ufer der Seen oder ein leichtes Beben der Erde in Kalifornien.  Ich weiß nur, dass die Schlangenexperten diesbezüglich auch nichts wissen, vielleicht kommen sie irgendwann hinter das Geheimnis der tauben Hörenden, zum Schluss hat mein kleiner Naturforscher sogar recht mit seinen Fantastereien. Ansonsten ist der grüne Knirps völlig außer sich, seit er den Schlangentanz durchs Hutloch beobachten konnte. Wie nicht anders zu erwarten, hält er sich für einen großen Snake Charmer. Fast pausenlos windet und schlängelt er sich herum, wobei er Arme und Beine so eng wie möglich an das kugelrunde Bäuchlein presst und eifrig mit seinem Schwänzchen wedelt, um sich das Aussehen einer tanzenden Klapperschlange zu geben. Seine verblüffende Ähnlichkeit mit einer Kaulquappe hab ich ihm aus liebevoller Rücksichtnahme bisher verschwiegen.

Als die Schlange jedenfalls in meinem Kopf saß, hörte ich fein wie nie, freilich war es ein knisterndes und prickelndes Wahrnehmen, eher ein Erspüren als ein Lauschen, so gesehen kann ich als Ohrenträger nicht allzu viel dazu sagen, wer weiß schon, was in so einem kleinen Schlangenkopf vorgeht und ob die Klapperschlange nicht hörbar machen kann, was sie nur fühlt? Das klappernde Rasseln der Hornringe an ihrer Schwanzspitze ist jedenfalls für jeden Angreifer recht deutlich zu vernehmen, warum sollte sie mit einem warnenden Geräusch drohen und sich bemerkbar machen, das sie selbst nicht hören kann? Und warum, so frage ich, hört Schwester Klapperschlange unter meinem Sattelkopfkissen so lange nicht mit Rasseln auf, bis ich ihr die gewünschte Gute Nacht-Geschichte erzähle? Oder ein Gedicht aufsage.

Ich wand mich tastend aus der Tiefe
von Gruften meiner Winterhöhle
und reckte schwankend mich zum Licht,
erwacht aus kaltem Todesschlaf.

Und wusste nicht, ob ich noch schliefe,
ob noch am Leben meine Seele
oder mir träumte, wusst es nicht,
ob Wolf ich bin ob bin ich Schaf.

Wenn spitz der Zahn und voller Gift
mein Biss in deine Ferse trifft,
da du mir willst den Kopf zertreten,
werd züngeln ich: du sollst nicht töten.

Ich und die Rattle Snake, wir haben einiges gemeinsam.

Die arme Schlange genießt den schlechtesten Ruf unter den Gottesfürchtigen, den man sich denken kann: Den der biblischen Versucherin, die da auf dem Bauch durch den Staub zu kriechen verflucht ist seit dem Sündenfall, den die Menschen der List und Tücke ihrer Schläue verdanken. In Wahrheit sind sie es doch gewesen, die da noch schlauer sein wollten als die kluge Schlange, nämlich allwissend wie Gott, sie sind es doch, die immer schlauer sein wollen als der Desperado, der sich weder für besonders schlau hält noch allzu viel wissen will, weil ihm das, was er weiß, mehr als genügt, um in der zivilisierten Welt der Weißen überleben zu können. Sie sind es, die ihn dazu zwingen, sich züngelnd durch ihre Niederungen zu schlängeln, bei ihnen hat er gelernt, sich wenn nötig zu verkriechen und gegebenenfalls warnend zu rasseln, sie haben ihn gelehrt, sich regelmäßig aus seiner alten Haut zu schälen, damit sie ihn nicht zu fassen bekommen, und zuzubeißen, wenn er sich seines Lebens erwehren muss, all das haben sie ihm beigebracht, um ihm die Schuld geben zu können.
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Felidae

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #17 am: 17 Februar 2017, 10:54:01 »

Hallo sintram, darf ich dir hier darauf etwas antworten?

Also erstmal vielen Dank für diese Geschichte! Ich mag schlangen, es sind geschöpfe gottes und ich schaue sie mir in jedem zoo oder tierhandlung gerne an. Die schlange, also das tier an sich, kann nichts dafür, dass sie für eine lüge benutzt wurde.

So gegen Schluss zitierst du einen ganz berühmten text aus der Bibel, aus 1.mose 3:15 - satan, der teufel soll Jesus die ferse zermalmen und jesus soll satan den kopf zermalmen. In dem gedicht behauptet satan also sozusagen - momeeent, du gott hast selber das gebot gegeben du sollst nicht töten und jetzt willst du mich töten?? Lügner, du hältst ja nicht mal deine eigenen gesetze!"

Wenn man jetzt aber mal etwas genauer recherchiert, wie der urtext übersetzt wurde, sieht man, dass das wort in der übersetzung morden heißen muss, denn wenn man dazu auch noch 2. Mose 21:12-14 vergleicht, versucht satan mit seiner aussage nur von seiner eigenen schuld abzulenken, indem er gott schlechtmacht.

-nur meine eigene freie interpretation des gedichts-
Lg feli
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Sintram

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #18 am: 18 Februar 2017, 09:45:14 »

Hallo Felidae,

klar darfst Du mir hier antworten. (Die Kapitel sind eher als Leseprobe gedacht, wollte ich das gesamte Buch einstellen, würde sich das über Jahre hinziehen. Im Suchprogramm ist es leicht zu finden zum gratis runterladen, "Desperado" und "Federhut" genügen völlig. Auch als Vierteiler, Wüstensohn/Wanderer/Krieger/Ältester, weil's ja doch einen ordentlichen Umfang erreicht hat inzwischen.)

Eine interessante Interpretation des kleinen Gedichtes, dieser biblische Bezug. Ich hab nur an eine arme Schlange gedacht dabei, die noch halbstarr vom Winterschlaf ein leichtes Opfer des - weißen - Menschen werden kann, der sie unterschiedslos zu zertreten pflegt, ob Viper, Otter oder Natter. Weil er sie hasst, und da kommt eben auch der biblische Hintergrund zum Tragen, im Gegensatz zu den Hopi, für die sie quasi heilig ist. Dass sie zu Gott sprechen könnte, kam mir dabei gar nicht in den Sinn.

Sicher ist derdiedas Böse Meister im Finden von Ausreden und Schuldzuweisungen, um von der eigenen abzulenken. Der Desperado hat zwar immer wieder Grund, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu müssen, wobei er um keine Ausrede verlegen ist. Zu seiner Schuld indessen pflegt er zu stehen. Meistens jedenfalls. Und er mag Schlangen, weil er alle Tier mag... Stechmücken vielleicht nicht so besonders, aber die gibt es zum Glück nicht in der Wüste... :-)) Die geächtete Schlange ist eine Seelenverwandte, weil er auch zu den Geächteten gehört.

Ich mag freie Interpretationen, weil sei eine Bereicherung darstellen.

Liebe Grüße
Sintram
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Felidae

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #19 am: 04 März 2017, 09:26:49 »

Hallo Sintram,

vielen Dank für Deine Antwort! Von dieser Seite hatte ich es bisher auch noch nicht gesehen :)

Apropo arme Schlange, Viper, Natter, Kobra und co - in der Bibel, in Jesaja Kap. 11, Verse 6 bis 8 beschreibt Gott anschaulich, wie er es bald mal auf der Erde haben möchte, nämlich nicht nur Frieden zwischen Mensch und Mensch, sondern auch Frieden zwischen Mensch und Tier und Tier und Tier:

„Der Wolf wird tatsächlich eine Zeit lang bei dem männlichen Lamm weilen, und der Leopard wird bei dem Böckchen lagern, und das Kalb und der mähnige junge Löwe und das wohlgenährte Tier, alle beieinander; und ein noch kleiner Knabe wird sie führen. Und die Kuh und der Bär, sie werden weiden; zusammen werden ihre Jungen lagern. Und selbst der Löwe wird Stroh fressen so wie der Stier. Und der Säugling wird gewiss auf dem Loch der Kobra spielen; und auf die Lichtöffnung einer giftigen Schlange wird ein entwöhntes Kind tatsächlich seine Hand legen“ (Jesaja 11:6-8).

Liebe Grüße
feli
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Sintram

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #20 am: 05 März 2017, 10:53:28 »

Hallo Feli,

Und ruht das zarte Lamm beim großen Löwen irgendwann, mich selig schlummernd findet in der Schlangengrube dann.

Ist auch aus dem Federhut.

Liebe Grüße :-)
Sintram
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Felidae

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #21 am: 05 März 2017, 16:29:06 »

Ich werde es lesen, Sintram. :)

LG feli
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Felidae

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #22 am: 14 März 2017, 14:19:08 »

Hallo Sintram,

eigentlich ist es doch im Grunde unerheblich, ob Gott Dir durch das Auge einer toten Hirschkuh ins Herz gesehen hat oder durch ein totes Nilpferd, die Hauptsache ist doch, dass er es überhaupt gemacht hat. Und wenn wir uns jetzt einfach mal von dem Zielgedanken einer Ehe wieder etwas entfernen und uns nicht blindlings in die Liebe "flüchten", dann hätten wir unseren Kopf und unser Herz frei für die Gedanken Gottes, die er uns mitteilen möchte.

Liebe Grüße :-)
Feli
Gespeichert

Sintram

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #23 am: 23 März 2017, 09:19:35 »

Hallo Feli,

und ich dachte immer, Gott IST die Liebe. ;-)

Klar man sich in Beziehungen flüchten, um anstehenden Entscheidungen auszuweichen. Beobachtet man besonders bei Langzeitklinikaufenthalten nicht selten, ist in der Regel "kontraproduktiv" und wird von den Therapeuten nicht so gerne gesehen. Kann gut gehen, folgenlos bleiben oder die Dinge verschlimmern, je nachdem. Ob so eine "Fluchtliebschaft" einen von seiner Suche nach Gott abbringen kann, ist wohl eher für Zölibatäre gewichtig, und dafür zeichnet die Kirche verantwortlich und nicht das NT. Es sei denn, sie wollen einer Ordensgemeinschaft beitreten, diese Art der Daseinsbewältigung lässt Jesus als Option offen. So ganz verstehe ich Deine Zeilen nicht im Zusammenhang mit dem Federhut, im Allgemeinen aber ist es "nicht gut, dass der Mensch allein sei".

Was er freilich auch ohne Mitmenschen nicht ist...


Basilisk

„Ach Kinder, ich sag euch was, diese Menschen. Ein ewiges Rätsel.“

Wie jeden Abend füttere ich eine kleine Gruppe frecher Erdhörnchen mit trockenen Maisbrotresten. Geduldige Zuhörer für ein paar Krümelchen.

„Ihr kennt sicher nicht die Sache mit dem Sündenbock. Eine weit verbreitete Krankheit in ihren Reihen. Kommt ein Desperado in behäbigem Schritt ins Dorf geritten und wird um ein Haar von einer Lady über den Haufen gefahren, die in gestrecktem Galopp in ihrem Einspänner aus der Stadt jagt - warum auch immer - dann weiß er schon, dass er, nur er und er ganz allein schuld an ihrer Flucht ist, bevor er sich noch den Staub aus dem Mantel klopfen kann. Für so einen Sündenbock braucht man eben einen breiten Rücken, um ihm alles aufladen zu können, und ein alter Desperado ist sozusagen hochbegabt und vortrefflich geeignet für diese undankbare Rolle. Damit kann er gut leben, man gewöhnt sich dran, schneller als man denkt. Das Dumme daran ist nur, dass die ‚Schuldzuweisenden’ tatsächlich, wahrhaftig und eisern von seiner Schuld überzeugt sind, völlig egal, wie lange die Haare sind, an denen sie ihre ‚Anklagepunkte’ herbeiziehen müssen und wie löchrig und lächerlich die Konstruktionen ihrer Bezichtigungen auch sein mögen. Sie glauben wirklich daran, dahinter steckt nicht einmal Bosheit oder Missgunst, das ist... keine Ahnung. Da kommt schon einiges zusammen mit dem Sündenbock, und dagegen ist kein Kraut und kein Kaktus gewachsen.

Ach Kinder, ich sag euch was, nehmt euch in Acht vor den Menschen. Geht ihnen aus dem Weg wo und wie es nur geht. Traut ihnen nicht und glaubt ihnen kein Wort, hört ihr, kein einziges Wort. So, hab nichts mehr. Ab in eure Höhlen, Zeit zum Schlafengehen.“   

Der Bison hat seine Hörner und das weite Land seine Hörnchen. Sage und schreibe fünfzehn verschiedene Arten wimmeln im Gebüsch, klettern, springen und hüpfen durch die Uferwälder, sammeln, horten und bunkern an den bewaldeten Nordhängen der Berge, schlafen, säugen und wohnen in Erdhöhlen und flüchten bei drohender Gefahr in das Labyrinth unterirdischer Burgen.

König der Kobolde ist der Chipmunk, es gibt kaum einen Landstrich, den dieses längsgestreifte Backenhörnchen nicht bevölkert. Im Südwesten ist er gleich in drei Ausführungen vertreten, als Colorado-Chipmunk, Gebirgs-Chipmunk und last not least Kleiner Chipmunk, die sich auf kongeniale Weise ergänzen, wenn es darum geht, deine Satteltasche zu plündern und deine Vorräte im Gelände zu verteilen. Während der Wichtel durch die winzigste Lücke und Öffnung passt und schlüpft, verfügen Bergfex und Flussanrainer über das nötige Mundwerkzeug zwischen ihren Kiefern, jeden noch so gut verpackten Inhalt ins Freie und ans Licht der Welt zu befördern, gewissenhaft auseinander zu sortieren und je nach Bedarf auf Nimmerwiedersehen zu verschleppen, wobei ihrer ausgeprägten Sammelleidenschaft neben Essbarem alles brauchbar erscheint, was sie zwischen ihre zierlichen Fingerchen und ihre Nagezähne bekommen, von der Gewehrkugel bis zum Tabakbeutelchen, um zum Zwecke eingehender Untersuchung spurlos zu verschwinden.

Wer da nun glaubt, seinen Frieden zu haben und in Ruhe gelassen zu werden, wenn er sich in den Schatten einer alten Eiche bettet und seinen Proviant sicher und unzugänglich verpackt, wird sich alsbald unter zornigem Gegicker und Gezeter einem massiven Eichelbeschuss ausgesetzt finden. Jeder, der diese Schilderungen für schamlose Übertreibung und erheiternde Überspitzung hält, soll sich mal gemütlich für ein kleines Picknick unter einem beliebigen Baum niederlassen, er wird seine aufgetischten Köstlichkeiten alsbald von allen Seiten umzingelt finden, sich selbst im Belagerungszustand gefangen und beides gegen den unfassbar flinken Zugriff einer bedrängenden Rasselbande verteidigen müssen. Ich habe mir schon vor langem angewöhnt, die quirligen Wichte vor dem Einschlafen zu füttern - an manchen Lagerplätzen sind die frechen Schnorrer mehr oder weniger handzahm geworden - und einen Kreis aus Körnern und sonstigen Knabbereien um mein Quartier herum zu legen, um auf diese tierliebe Weise einigermaßen verschont zu sein von ihrer liebenswerten  Zudringlichkeit.

Sollten die Chipmunks aus irgend Gründen anderweitig unabkömmlich sein, erledigen die ebenso weit verbreiteten Grauhörnchen ihre Aufgabe mit deckungsgleich großer Gewissenhaftigkeit, Arizona-Grauhörnchen in diesem regionalen Falle, können durchaus auch mal Pinselohrhörnchen sein, Fuchshörnchen, San-Bernardino-Streifenhörnchen, die bis nach Kanada ausgedehnten Rothörnchen oder rosa gepunktete Lilahörnchen, möchte ich Fandas außerordentlich aufmerksamer Beobachtungsgabe Glauben schenken. Und sollten tatsächlich alle Stricke reißen und weit und breit kein Hörnchen verfügbar sein, springen jederzeit gern Goldmantelziesel, Geflecktes Ziesel, Rundschwanzziesel und/oder Felsenziesel ein, es huscht, hüpft und raschelt immerzu um deinen Ruheplatz, irgendwo wird stets hingebungsvoll geknabbert oder emsig fortgeschafft, fürwahr, die Wüste lebt.

Die Hörnchen der Wüstenregionen sind etwas kleiner geraten und kurzlebiger als ihre Verwandten in den tiefen Wäldern des Nordens, da sie sich ob mangelnder jahreszeitlicher Temperaturschwankungen kaum die erholsame Ruhe eines Winterschlafs gönnen, dafür aber umso gewitzter und verwegener, wenn es um die tägliche Nahrungsbeschaffung geht, da Essbares in weitaus geringerem Maße vorhanden und zu finden ist als im Schlaraffenland ihrer scheuen nördlichen Artgenossen. Infolgedessen ist ihr Vorkommen auch gebündelter und ihr Zusammenleben dringlicher durchorganisiert als das der meist einzelgängerisch zurückgezogen lebenden Nordlichter. Mach es dir zum Beispiel unter ein paar alleinstehenden Douglasfichten oder Tannen bequem und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Zapfenregen auf dich hernieder geprasselt kommt, der Artilleriebeschuss rührt vom gleichnamigen landesweit umtriebigen Douglashörnchen her und ist zugleich Ausdruck von Warnung und offen bekundeter Bettelei. Bei eingehender Betrachtung handelt es sich um nicht recht viel anderes als um einen räuberischen Überfall mit der unmissverständlichen Aufforderung, gefälligst etwas Essbares herüberwachsen zu lassen, schließlich wirst du weit und breit keinen anderen Herbergsvater finden, der dir ein kostenloses Schlafquartier anzubieten hat.

Es ist mir längst zur Gewohnheit geworden, in friedlicher Eintracht und trauter Geselligkeit mit den Hörnchenartigen zu speisen, ihre anmutig grazilen Essmanieren zu bewundern und mich an ihrer regen Fingerfertigkeit zu ergötzen, denn alles, was sie in die winzigen Pfoten bekommen, wird zuerst einmal in behänden Händchen um und umgedreht, ehe die drolligen Wichtel hingebungsvoll und selbstvergessen daran zu knuspern, knabbern, nagen und schlecken beginnen. Es macht schlicht und ergreifend unbezahlbar köstlichen Spaß, sein schlichtes Mal mit Hörnchen zu teilen. Gibt es mal keinen Schatten bergender Bäume, bietet das neugierige und zierliche Antilopen-Erdhörnchen eine gleichermaßen unterhaltsame Gesellschaft, ebenso der vorwitzig selbstbewusste Felsengebirgspräriehund oder in tieferen Lagen sein nächster Verwandter, der überaus lebhafte Mexikanische Präriehund, darf es hingegen mal etwas gemütlicher und bedächtiger zugehen, gewährleistet das Gelbbäuchige Murmeltier einen vortrefflichen Tischnachbarn. Sein rundlicher Vetter in den lichtdurchfluteten Wäldern, das Waldmurmeltier, verbreitet eine ähnlich entspannte Atmosphäre und ist bestens zum Schlafmittel geeignet, ein behäbiges Sandmännchen der ganz besonderen Art sozusagen.

Wer da jedenfalls geglaubt hat, in der Wildnis sei der Mensch mit sich allein, findet sich rasch eines Besseren belehrt. Liegt er ausgestreckt zwischen ein paar Baumriesen und betrachtet versonnen durch die Zweige das tiefe Blau des Himmelsgewölbes, ist er keineswegs einer Sinnestäuschung erlegen, wenn da ein Hörnchen durch sein Blickfeld geflogen kommt. Ob es sich dabei nun um das Nördliche oder Südliche Gleithörnchen handelt, lässt sich in der Artengrenzregion des Südwestens nicht mit verbindlicher Gewissheit bestimmen, auf alle Fälle nicht im schwebenden vorüber Gleiten. Kommt ein Hörnchen geflogen, setzt sich nieder in Reichweite etwaiger Leckerbissen und erklärt seinen Wunsch auf unüberhörbar putzig fordernde Weise, ist die Welt schön und die Wüste ein Ort wahrer stiller Freude. Da gibt es keine habgierig plündernde, mordende, raubende, quälende, betrügende und willkürlich zerstörende weißhäutige Rasse mehr nirgendwo, die all dem unbegreiflichen Wunder des Lebens überall den Garaus macht, wo immer sie die Bühne betritt. Sie kann dir gestohlen bleiben bis zum letzten Vertreter ihrer hirnrissigen Gattung.

Wer nun der vorurteilsbehafteten Vermutung erliegen mag, das Hörnchen hätte in der Rangordnung indianischer Schutzgeistertiere einen eher bescheidenen und niedrigen Stand, der irrt gewaltig. Als Verkörperung kluger Voraussicht, schier übernatürlicher Fähigkeiten - etwa ihrer dem Fassungsvermögen menschlicher Augen entzogenen Beweglichkeit und Schnelligkeit - und nicht zuletzt außerordentlichen Geschicks verkörpert die Spezies der Hörnchenartigen einen gefragten, begehrten und überaus beliebten Tiergeist, dessen sichtbares Zeichen Jedermann und -frau mit Stolz und Ehrfurcht im Bündel, Medizinbeutel, an Halskette, Federschmuck oder in Form eines Amuletts mit sich führt. Ganze Clans weihen sich dem Hörnchen und benennen sich selbstbewusst nach ihrem mächtigen Beschützer. Im Gegensatz zum hochmütig zu Selbstüberschätzung neigenden weißen Mann ist sich der rote Mann seiner kläglich jämmerlichen Unterlegenheit bewusst und weiß, mit wem er es da zu tun hat, nicht von ungefähr schreibt er dem Hörnchen große Zauberkraft zu. Auch für mich besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass Hörnchen Meister der Hexerei sind, die jede diesbezügliche, zwangsläufig notgedrungen stümperhafte Anstrengung des Menschen mit unverhohlen neckischem Spott betrachten und belegen. Es erfüllt mich mit Stolz, dass mir ihre mannigfaltigen Vertreter den nicht hoch genug zu schätzenden Gnadenerweis des Futterspenders bezeigen.

Fanda hält sie sowieso für die Abkömmlinge einer „intergalaktischen“ Besiedlungswelle, was auch immer das heißen mag.

Mein Freund, der alte Mescalero, erzählte mir mal seltsame Dinge von jener fernen Insel, die Seefahrer vor noch gar nicht allzu langer Zeit entdeckt haben, auf der es Riesenspringmäuse geben soll mit dem Kopf einer Hindin und Schlangenschwänzen, die ihre Jungen monatelang mit sich herumtragen wie die Squaws ihre Kinder, allerdings nicht auf den Rücken gebunden, sondern in einem Beutel am Bauch, und wenn die kleinen Hüpfer geboren werden, sind sie grade mal so groß wie ein halber Fingernagel. Dort sollen auch Biber in Bächen und Flüssen rumschwimmen mit Flossen und Entenschnabel, die Eier legen, ebenso tauchende Kühe mit der Gestalt von Seejungfrauen. Manchmal sagt er schon absonderliche Dinge. Wie alle Schamanen hat er einen gewissen Hang zu Fabelwesen, der gefürchtete Basilisk ist nur eine dieser Merkwürdigkeiten aus versunkenen Anasazi Tagen.   

Ein verhexter roter Hahn legt in einer Vollmondnacht ein Ei.

So fängt das Unheil an und nimmt seinen Lauf, sobald das Küken sich aus der Schale pellt. Weil sich der Tunichtgut nicht nur durch seine außernatürliche Herkunft von einem herkömmlichen Hühnervogel unterscheidet. Dass sein Hinterteil das einer Schlange ist, macht ihn nicht gefährlich, auch nicht sein befiederter Schnabelkopf. Sein mächtiges Gift steckt nicht in seinen langen Zähnen, sondern in den unwirklich glotzenden Augen. Die haben nämlich die Macht, jeden zu versteinern, der ihrem Blick begegnet. Der ist dann sozusagen absolutely stoned. Nur das Wesen, dass er als Erstes zu sehen bekommt, wird verschont. Wäre ja auch ziemlich blöd von ihm, seine Glucke zu versteinern. Könnte schwerwiegende Folgen für ihn haben, da er am Beginn seines Erdendaseins ziemlich mickrig daher gekrochen kommt und ohne weiteres zerdrückt werden könnte. Allerdings wächst er ziemlich schnell und macht sich erst mal aus dem Staub, und das obwohl er wie alle Schlangen im Staube kriecht, jedenfalls zur Hälfte, denn Hühnerkrallen hat der Schlingel auch. Ansonsten ist der Basilisk ein ziemlich übler Wicht, der seine besondere Begabung hemmungslos auslebt und zu diesem Zwecke einsamen Wanderern auflauert.

Wer nun besonders clever ist, Häuptling werden will, große Medizinfrau oder sonst einen der oberen Plätze in der Stammeshierarchie erobern, der engagiert erst mal eine Hexe, die den Hahnenvogel dahingehend verzaubert, wartet auf das Ei, schnappt es sich, brütet es unter seinem Gewand am Körper aus und spielt Geburtshelfer beim Schlüpfen, wichtig ist nur, dass der kleine Finsterling als erstes sein Pflegemenschlein zu Gesicht bekommt, und schon hat er - oder auch sie - ein wortwörtlich ungeheuerliches Instrument an Macht in Händen. Der Besitzer braucht es gar nicht einzusetzen, um Furcht und Schrecken unter seinen Stammesgeschwistern zu verbreiten, allein die Bekanntmachung, dass er ein solches besitzt und unterm Rock trägt, macht ihn zu einer gefürchteten Autorität. Wer legt schon Wert auf den sichtbaren Beweis in Gestalt eines statuierten Exempels, noch dazu wenn er stets Gefahr laufen kann, dasselbe dergestalt abzugeben?

Gewusst wie. Und so regierten die Hüter des Basilisken unangefochten eine ganze Reihe von Generationen lang, um den Hals ein funkelndes Amulett mit dem furchteinflößenden Abbild des Fabelwesens, das zusammen mit ihnen begraben wurde, an geheimen abgelegenen Plätzen, tief in der Erde versenkt und mit schweren Steinen zugedeckt, damit das Vieh nur ja nicht wieder ans Tageslicht zurück kommen kann. Und da war sozusagen der Hund begraben. Denn starb so ein Basiliskenhüter unerwartet und bevor erwählte Eingeweihte sein Begräbnis organisieren hatten können, war von seinem Haustier plötzlich nichts mehr zu entdecken. Und die Amulette erwiesen sich als wirkungslos und ungefährlich. Auf diesem überaus natürlichen Wege flog der Schwindel wohl eines Tages auf. Was die Pueblostämme keineswegs daran hindert, den Basilisken unvermindert zu fürchten. Allein wer seinen Namen ausspricht, ist schon verdächtig. Und wer gar wie ich einen als Amulett um den Hals trägt, muss ein großer Zauberer sein, vor dem man sich besser hütet.

Hab das Teil mal am Fuß eines abgerutschten Steinhangs gefunden, wusste gar nicht was das sein soll. Mein Freund, der alte Mescalero riet mir, es unbedingt unterm Hemd zu verstecken. Vor allem, bevor ich seine Höhle betrete. Noch lieber wäre es ihm, wenn ich das Ding vorher draußen unter einem großen Stein zwischenlagere. Versteh das wer will. Der Gute ist doch sowieso ständig absolutely stoned.

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Liebe Grüße :-)
Sintram
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Felidae

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #24 am: 25 März 2017, 20:39:14 »

Danke, Sintram. :)

lg
Feli
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Sintram

  • Gast
Re: Im Auge der Hindin
« Antwort #25 am: 08 April 2017, 08:32:47 »

Wofür? Bitte gern!  :-)

Wie schon gesagt, wer mehr davon will, findet es als Gesamtwälzer bei https://www.

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oder, schöner zu lesen, in sechs Bänden

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Es soll auch Allen Mut machen. Längst lebe ich mit der Gewissheit, meine Depression nie mehr los zu werden, brauche meine tägliche Dosis Chemie... Aber fürs Schreiben reicht es noch.

Liebe Grüße
Sintram
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