Und noch so was, um die Tragweite zu verdeutlichen...
Als ich vor sechs Jahren im Netz nach einem Depressionsforum suchte, landete ich erst mal in der Schweiz. Und weil ich da wirklich schon war und des öfteren und es mir recht gut gefallen hat, blieb ich mal drin, wies wir Desperados halt so tun.
Die Leute dort waren recht lustig und verwirrten mich immer wieder mal mit ihrem Schwyzerdytsch, aber sie fanden einen Bajuwaren unter ihren Reihen ganz originell, wir redeten auch über den Krieg unter Napoleon, wo´s mit den Rothosen gegen die Eidgenossen ging, und nachdem ich mein tiefstes Bedauern und meine Scham über diesen Bruderkrieg deutlich genug zum Ausdruck gebracht hatte, war ich in ihre Mitte aufgenommen.
Das geschah aber alles erst hinterher. Denn als ich die Seite wahllos aufschlug, war das Erste, was ich zu lesen bekam ein:
"Ich kann nicht mehr und ich mag nicht mehr."
Das kenne ich nur allzu gut, dachte ich, aber bald wurde mir anhand der verzweifelten und bittenden Postings, die von überall her eintrudelten klar, dass die -es war eine sie- das wortwörtlich meinte.
Und ich hab ihr einfach mal ein paar Zeilen geschrieben...
Tja, und da ich praktisch nagelneu und taufrisch war und alle andern eh schon längst Bescheid wussten und sie offensichtlich kein Verlangen hatte, mit ihnen auch nur noch ein überflüssiges Wort zu wechseln, antwortete sie mir relativ ausgiebig, ein wenig durcheinander -was wohl an den bereits zu wirken beginnenden Tabletten lag- aber im Ganzen verständlich.
Ein elendes Leben mit Scheißkindheit, traumatischen Erfahrungen, gescheiterten Katastrophenbeziehungen, verlorenen großen Lieben, verfahrenen Berufswegen, Verarmung und Klinikaufenthalten bis zum Abwinken, so die ganze übliche Palette eben.
Und jetzt hatte sie endgültig und unwiderruflich die Nase voll und sich auf den Weg gemacht...
Und ich hab geschrieben, mir die Fingerspitzen blutig gestoßen, hab Dinge gesagt, an die ich schon damals längst nicht mehr glaubte, hab sie beschworen, mit ihr gelitten, verstanden, getröstet und auf ihre Verantwortung gestoßen mit voller Wucht, sie angefleht und Gottes Beistand dazu...
und alle andern haben zwischendrin ein "recht hat er" und "hör auf ihn" eingeflochten und dazwischengerufen, von ihr aber kam immer nur ein immer leiser werdendes "bin schon noch da" oder "hör noch zu."
Und irgendwann schrieb sie:
"Ich mach jetzt aus. Der Bayer hat so schön geredet, so wunderbare Sachen gesagt, er hat mich soo schön in den Schlaf gewiegt..."
Das war schon eher zu erraten, ohne abgesetzte Wörter und mit ziemlich viel nicht vorhandenen Buchstaben.
Und weg war sie.
Das war mein Einstand in einem Depriforum. Eigentlich typisch.
Ob sie´s geschafft hat, wird nie jemand erfahren. Wenn ja, wars swieso für die Katz, und wenn nicht, hat uns keine Feuerwehr oder Polizei oder ModeratorIn drüber informiert. Es herrschte absolute Informationssperre und Ungewissheit.
In den Forumsregeln vertraglich angeordnetes Redeverbot.
Wenn sie gerettet werden konnte, wird sie bestenfalls mit anderm Namen auftauchen und kein Wort darüber verlieren vor Scham und Bedauern.
Und nach ein paar Tagen verhaltenen Gemurmels ging alles weiter wie gewohnt, sie machten genau da weiter -ich hab rückwärts gelesen- wo sie aufgehört hatten, als sei nichts geschehen.
Und weil es eh schon egal war, blieb ich einfach dabei. Hab einmal zaghaft nachgefragt, ohne Antwort zu erhalten.
Tja, so war das damals. Im Land der Berge. Und seitdem frag ich mich, weshalb nicht wenigstens ein:
"Immerhin haben wir alles versucht"
möglich war oder ein
"Wie konnte sie uns das nur antun?"
Aber da hat sich niemand getraut, und ich als Gast sowieso nicht...