Hallo ...
... hallo ... hallo ... hört mich jemand? Oder muß ich sagen: Liest mich jemand? Ich bin fast 48 Jahre alt, doch ich habe nicht viel Erfahrung mit Foren. Ich war noch nie in einem Chat und habe noch nie ein Smiley verwendet. Ich habe einige Tage lang mit mir gekämpft, ob ich es wagen kann, hier zu schreiben, und ich weiß immer noch nicht, ob ich diesen Text nachher abschicken werde.
Warum es mir so schwer fällt? Naja, ich bin halt depressiv, das sind hier wohl (fast) alle. Ich bin es seit etwa 35 Jahren. Und angstkrank bin ich. Generalisierte Angststörung. Die wird schlimmer mit jedem Lebensjahr. Ist schlimmer geworden trotz Therapien (ambulant und stationär), Selbsthilfegruppe, Selbsthilfebüchern, Medikamenten.
Ich habe Angst vor Menschen. In den letzten Jahren sind all meine Kontakte zerbrochen. Ich spreche nur noch mit meinem Mann, und einmal in der Woche telefoniere ich mit meiner Mutter. Was mich daran erinnert, daß heute Muttertag ist. Das habe ich dieses Jahr verpennt. Ist mir noch nie passiert. Bisher habe ich immer Wochen vorher ein Geschenk besorgt, oder zumindest eine Karte - liebevoll oder pflichtbewußt - selbst gebastelt.
Ich habe Angst, sie anzurufen. Nicht, daß sie böse sein wird. Sie wird es verstehen. Sie weiß, wie es mir geht, sie litt ihr Leben lang immer wieder an Depressionen. Aber das Wissen, wie es mir geht, tut ihr weh. Also tue ich ihr weh. Ich habe also eine Entschuldigung, den Muttertag vergessen zu haben. Aber diese Entschuldigung vergrößert meine Schuld.
Außerdem wird vielleicht mein Bruder mit seiner Familie bei ihr sein, wenn ich heute anrufe. Das wäre peinlich. Denn ich habe seit etwa einem Jahrzehnt keinen Kontakt mehr mit meinen Verwandten.
Mein Bruder ist das, was ich, wenn keiner zuhört, bei mir einen 'richtigen Menschen' nenne. Ich gebrauche diese Wendung nur heimlich für mich, weil ich weiß, daß sie sich bekloppt anhört und jeden, der sie hört bestürzt und ratlos macht. Aber sie beschreibt, was ich fühle. Mein Bruder hat ein ganz normales Leben. Er hat einen Beruf, er hat Hobbies, soziale Kontakte. Er hat Kinder, und sie sind wohlgeraten. Natürlich hat er immer wieder mal Probleme, aber er kommt mit ihnen zurecht. Er ist so, wie ich auch gerne wäre: normal.
Ich würde meine Seele dafür verkaufen, normal zu sein.
Als wir Kinder waren, war er das Problemkind. Drogen, Suizidversuche, Schulverweise. Das hörte auf, als er über zwanzig war. Er wird auch nicht gerne daran erinnert.
Später, als wir uns noch gelegentlich sahen, waren wir höflich zueinander. Nicht mehr als das. Ich habe ihn immer sehr gern gehabt, aber das beruhte leider nicht auf Gegenseitigkeit. Ich kann's ihm auch nicht übelnehmen - aber irgendwann hatte ich es satt, ein- oder zweimal im Jahr bei Familienfeiern aufzutauchen und munter zu lächeln. Also bin ich weggeblieben. Jetzt bin ich ein Thema, über das nicht geredet wird. Und darum ist es peinlich, wenn ich meine Mutter anrufe, während er zu Besuch ist.
Aber wenn ich heute nicht anrufe, wird sie sich wirklich Sorgen machen.
Falls ich diesen Beitrag abschicke und falls jemand darauf antwortet, wird er sicher als erstes fragen, ob ich in Therapie bin. Und dann muß ich sagen: Ich mache im Moment keine Therapie. Ich kann es nicht. Aus verschiedenen Gründen. Auch sachlichen. Vielleicht irgendwann wieder. Aber dazu müßte ich mich erst wieder aus dem Haus trauen. Momentan schaffe ich es kaum, die Wohnung zu verlassen und den Hausflur zu betreten. Und eine meiner größten Ängste ist inzwischen die vor Ärzten.
Wenn ich mir vorstelle, daß ich mit jemandem spreche, denke ich gleich, daß er mir raten wird, in Therapie zu gehen. Dann werde ich sagen: Ich kann nicht, und er wird sich von mir abwenden. Oder ich sage nichts und wende mich ab.
In den letzten Tagen habe ich diesen Beitrag im Kopf mehrmals verfaßt. Jetzt ist er doch ganz anders geworden, als ich vorhatte, stelle ich fest, wenn ich ihn durchlese. Meine Worte klingen seltsam, kurz angebunden und nicht sehr nett, wenn ich ehrlich sein will. Zuviele Sätze fangen mit 'ich' an.
Ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst habe: davor, daß mir jemand antwortet, oder davor, daß mir niemand antwortet.
Ich sende Euch Grüße
Ezabeth