Schweigen bedeutet die Zustimmung, so sagt man bei uns.
Also ich würde bestimmt gesperrt, aber ausgerechnet gestern rein zufäälig ich habe (nicht kostenlosen) den Artikel im Springer-Verlag gefunden. Schon im 2016 auf dem DGGPN-Kongress die führende Experten auf diesem Bereich onne wenn und aber hilten hier die Vorträge und sageten, dass diese Medikamten enorm schaden, die behandeln nichs, die machen alles nur schlimmer. Es sei einfach die moderne Barberei...
Ich kopiere hier den Text.
Diskussion
Psychopharmaka – mehr als nur eine
Schocktherapie?
Haben Psychopharmaka überhaupt eine krankheitsspezische Wir-
kung oder verändern sie einfach nur den Gehirnstatus? Und nützen
solche Veränderungen tatsächlich mehr, als sie schaden? Auf dem
DGPPN-Kongress im letzten Jahr wurden dazu kritische Stimmen laut.
Die Elektrokrampherapie (EKT) ist unbestritten noch immer die
wirksamste erapie bei schweren Depressionen. Sie beruht wohl im
Wesentlichen auf einer Disruption psy-
chopathologischer Prozesse: Der ausgelöste generalisierte Krampfanfall wirkt
oenbar wie ein reinigendes Gewitter
und bläst auch die trübsten Gedanken
weg. Beim anschließenden Neustart des
Gehirns gelangt das von diversen Neu-
rotransmittern geutete Organ häug in
einen weniger pathologischen Zustand.
Ob man sich die Wirkweise der EKT
nun so oder anders erklärt, Einigkeit
düre darin herrschen, dass die Methode eher brachial als spezisch ist.
Nachdem die vergangenen 90 Jahre an
psychopharmakologischer Forschung nichts hervorgebracht haben, das es mit
der antidepressiven Wirkung der EKT
aufnehmen kann, stellt sich die Frage,
wie spezisch und wirksam Antidepressiva im Besonderen und Psychopharmaka im Allgemeinen sind. Auf dem letzt-
jährigen DGPPN-Kongress gab es dazu
auch kritische Stimmen. So sind manche
Experten durchaus der Meinung, dass
viele der Medikamente in der Psychiat-
rie den Patienten langfristig mehr scha-
den als nutzen.
Nicht besser als Übungen an der
frischen Luft?
Zu den bekanntesten Antidepressiva-
kritikern zählt zweifellos der Psychologe
Professor Irvin Kirsch von der Harvard Medical School in Boston. Mit seinen
Metaanalysen legt er immer wieder den
Finger in eine schwärende Wunde: Die
Unterschiede zwischen Antidepressiva und Placebo sind in den meisten Studi-
en recht gering. Kirsch stellt zwar die si-
gnikant bessere Wirksamkeit der An-
tidepressiva gegenüber Placebo nicht infrage, hält sie aber für klinisch irrelevant.
Aufgrund möglicher Nebenwirkungen wie Magenblutungen, sexueller Dysfunktion und Insomnie sei ihr Einsatz
allenfalls bei schweren Depressionen gerechtfertigt. Patienten sollten seiner Ansicht nach lieber psychotherapeutisch
behandelt werden.
Auf dem DGPPN-Kongress 2016 in
Berlin legte Kirsch nun nach: Mehr als
80 % der Antidepressivawirksamkeit be-
ruhe auf dem Placeboeekt. Dies sei in-
zwischen auch durch eine ganze Reihe
von Metaanalysen anderer Arbeitsgruppen gezeigt worden. Keine davon habe
für Antidepressiva eine klinisch signi-
kante Wirksamkeit nach den britischen NICE-Kriterien nachweisen können.
Dafür ist eine Verum-Placebo-Dierenz
von 3 Punkten auf der Hamilton-De-
pressionsskala (HAM-D) nötig. Kirsch hatte in seinen Analysen aus den Jahren
2002 und 2008 lediglich eine Dierenz
Manche Experten sind durchaus der Meinung, dass viele der Medikamente in der
Psychiatrie den Patienten langfristig mehr schaden als nutzen. ©
lutter_97321 /
iStock
Siehe Interview mit Springer Medizin: https://
www.springermedizin.de/ansprechraten-das-
ist-schlechte-statistik/9282650?searchBackButt
on=true&fulltextView=true
6 DNP - Der Neurologe & Psychiater 2017; 18 (3)
von 1,8 Punkten gefunden. Genau der
Wert, den nun auch eine FDA-Analyse
zu über 23.000 einzelnen Patienten ergeben hat (Abb. 1). Kritik, das NICE-Kri-
terium sei willkürlich festgelegt, lässt
Kirsch nicht gelten: „Das gilt auch für
die Denition der Ansprechrate als mindestens 50 % Symptomreduktion oder
der statistischen Signikanz bei einem
p-Wert unter 0,05.“
Was, so der Psychologe, könnte ein
nicht willkürliches Eektivitätskriterium sein? Er versuchte es mit dem klini-
schen Gesamteindruck (CGI). Ein Un-
terschied von bis zu 3 HAM-D-Punkten
wird von Ärzten als „keine Veränderung
bewertet“. Nun ließ sich in machen Stu-
dien der HAM-D-Wert unter Antide-
pressiva um bis zu 14 Punkte senken,
was als „stark verbessert“ bewertet wird.
In der Regel hätten sich in solchen Stu-
dien jedoch auch die Placebopatienten
deutlich oder stark verbessert. Über den
klinischen Gesamteindruck lasse sich
ebenfalls keine klinisch bessere Wirk-
samkeit als unter Placebo herleiten. Kirsch bemängelte zudem, dass in Antidepressivastudien rund 80 % der Patienten ausgeschlossen würden, die in der
Praxis üblicherweise solche Medikamenten erhielten. Er verwies stattdessen auf die praxisnahe STAR*D(Sequenced
Treatment Alternatives to Relieve Dep-
ression)-Studie: Hier sei der HAM-D-
Wert im Mittel unter Antidepressiva nur
um 6,6 Punkte zurückgegangen, was lediglich einer geringen Verbesserung im CGI entspricht. Der Psychologe nannte
zudem eine Analyse aus dem Jahr 2012,
nach der eine Antidepressivabehandlung die Symptome nicht stärker reduziere als Psychotherapie, Akupunktur oder Übungen an der frischen Lu (Abb. 2).
Für besonders problematisch erachtet
Kirsch jedoch die erhöhte Rezidivrate
nach dem Absetzen von Antidepressiva:
In Studien wurden rund die Häle der
Teilnehmer unter SSRI in den ersten
sechs Monaten nach dem Absetzen er-
neut depressiv, nach dem Absetzen von
Placebo hingegen nur 20 – 30 % und
nach dem Ende einer Psychotherapie
etwa ein Drittel. In einer Untersuchung
aus dem Jahr 2000 lag die Rückfallrate
in einer Gruppe mit körperlichem Trai-
ning nach zehn Monaten nur bei 8 %,
hatten Patienten zu dem Training auch
noch einen SSRI erhalten, betrug sie 31%.
Kirsch vermutet, dass es nach dem Ab-
setzen von SSRI zu einem deutlichen Rebound-Eekt kommt.
Spezi sche Eekte – nur ein
Mythos?
Nicht weniger kritisch setzt sich die bri-
tische Psychiaterin Dr. Joanna Moncrie mit der Wirksamkeit von Antipsychoti-
ka und Antidepressiva auseinander. Sie
sieht keine ausreichende Evidenz für se-
rotonerge Störungen bei Depressionen
oder für dopaminerge Dysfunktionen bei Psychosen. In ihrem aktuellen Buch
„e Bitterest Pills“ bezweifelt sie, dass
Psychopharmaka überhaupt in spezi-
scher Weise ein gestörtes Transmitter-
gleichgewicht wieder herstellen. Antipsychotika fahren ihrer Ansicht nach lediglich Hirnsysteme herunter, die eben
auch für Psychosen benötigt werden.
Eine Disruption, ähnlich brachial wie
die EKT, nur eben medikamentös. Mon-
crie spricht hier von einer arzneimittelbasierten Wirksamkeit: Eine psychoak-
tive Substanz zeigt im Gehirn einen ge-
wissen Eekt, der sich eben auch auf die
Psyche auswirkt. Alkohol lindert auf-
grund seiner enthemmenden Wirkung soziale Ängste, es gibt aber keine spezi-
sche Wirkung von Alkohol auf diese
Abb. 1: Kirsch fand für Antidepressiva-Placebo in seinen Analysen 2002 und 2008 eine Differenz von 1,8 Punkten, wie auch eine aktuelle FDA-Analyse zu 23.000 einzelnen Patienten.
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Kirsch et al.
(2002,2008)
Fountoulakis
and Möller
(2010)
Fournier et al.
(2010)
Gibbons et al.
(2012)
Klinisch signifikante Wirksamkeit (NICE 2004)*
FDA
(2011)
FDA
(2015)
*Verum-Placebo-Differenz von 3 Punkten auf der Hamilton-Depressionsskala (HAM-D)
Hamilton-Depressionsskala
1,80
2,18 1,94
2,56 2,50
1,80
©Kirsch I
Abb. 2: Nach einer Analyse aus 2012, reduziert eine Antidepressivabehandlung die Symp-
tome nicht stärker als etwa Psychotherapie, Akupunktur oder körperliche Übungen.
60
50
40
30
20
10
0
46
38
13
36
47
52
47
52
Antidepressivum
Placebo WartelisteStandard-
behandlung
Psychotherapie
Psychotherapie
+
Antidepressivum
Körperliche
Übungen
Akkupunktur
Kahn, Faucett, Lichtenberg, Kirsch & Brown, 2012)
Symptomreduktion (%)
©Kahn et al 2012
DNP - Der Neurologe & Psychiater 2017; 18 (3) 7
In ähnlicher Weise kann ein
starkes Sedativum auch Psychosen lin-
dern, weil es eben auch Erregungszu-
stände dämp. Anders ausgedrückt:
Wer zentrale Funktionsbereiche ausschaltet, reduziert damit auch psychi-
sche Symptome. Dies sei jedoch meilen-
weit von einer spezischen Wirksamkeit
entfernt, wie sie etwa Insulin entfalte.
Die meisten psychoaktiven Substan-
zen ändern ihrer Auassung nach lediglich den normalen mentalen Status – mit
Auswirkungen auf die Psyche. Die Psy-
chiaterin erinnerte daran, dass die ers-
ten Antipsychotika wie Chlorpromazin
zunächst als spezielle Sedativa einge-
führt wurden, als „neurologische Inhi-
bitoren“, erst später erhielten sie die Be-
zeichnung „Antipsychotika“, was eine
spezische Wirkung bei Psychosen sug-
geriere. Tatsächlich hätten solche Medikamente ähnlich wie Alkohol eine gan-
ze Reihe von Eekten: Sie bremsen die
körperliche Aktivität, Aufmerksamkeit,
Reaktionszeit, Koordination, spontane Aktivität und lähmen das Gedächtnis,
sie sedieren, führen zu emotionaler Ver-
achung und Gleichgültigkeit. Der ur-
sprüngliche Begri „Neuroleptika“ sei
daher treender: Substanzen, die vegetative Reexe dämpfen und psychische
Spannungen lösen.
„Ein konstanter Nebel der Lethargie
und Gleichgültigkeit. Ich wollte einfach nur herumsitzen und essen“, zitierte
Moncrie einen Patienten unter einem
Atypikum. Nichtsdestotrotz würden viele Patienten einen solchen Zustand einer
Psychose vorziehen und seien froh, die
Medikamente zu haben.
Bei Dauertherapie mehr Schaden als Nutzen?
Moncrie gab zu bedenken, dass bei ei-
ner Dauertherapie der Schaden den Nutzen übertreen könne – auch bei den
atypischen Neuroleptika. In einer Lang-
zeitanalyse über 20 Jahre hinweg schnitten Patienten, die solche Medikamente
nicht dauerha einnahmen, beim sozialen Funktionsniveau deutlich besser ab
als solche mit Dauertherapie: Sie hatten häuger Jobs, seltener Rückfälle und öf-
ter symptomfreie Perioden. Dies lasse
sich nicht nur mit einem Selektionsbias
erklären. In einer randomisierten Studie
ging es Patienten mit Dauertherapie
nach sieben Jahren deutlich schlechter
als solchen, bei denen die Medikation
nach dem Ende der akuten Phase abge-
setzt oder reduziert wurde: (Abb. 3) Ihr
soziales Funktionsniveau war signi-
kant beeinträchtigt (wir berichteten³).
Interessanterweise war die Rezidivrate
nach dem Absetzen kurzfristig verdop-
pelt, langfristig aber nicht erhöht. Be-
trachte man dazu die Gefahr extrapyra-
midaler Störungen oder eines erhöhten
Hirnvolumenverlusts unter Antipsychotika, sei es sehr fraglich, ob sich die Me-
dikamente zur Dauertherapie eigneten, erläuterte Moncrie.
„Wie verzweifelt müssen
wir sein?“
Doch was sind die Alternativen? Hier sieht es oenbar düster aus. Professor Gerhard Gründer von der Universität in Aachen zeigte auf dem Kongress ein 100 Jahre altes Foto von psychisch Kranken in Eisbädern. Mit dieser Schocktherapie hatte man damals versucht, Depressiven zu helfen. Heute erhitzt man sie, sagte er und verwies auf eine aktuelle Publikation zur Hyperthermiebehandlung. „Was tun wir hier eigentlich? Wie verzweifelt müssen wir sein? Keiner glaubt doch ernstha, dass die Hyperthermie einen spezischen antidepressiven Effekt hat.“
Gründer nannte eine Reihe weiterer
Schockbehandlungen, die es in der Ver-
gangenheit zu zweifelhaem Ruhm ge-
bracht hatten, etwa die Insulinkomathe-
rapie oder die Lobotomie. „Wir stören
damit allenfalls die Hirnfunktion.“
Ähnlich kritisch sieht der Psychiater
Versuche mit Psilocybin und Ketamin.
„Ketamin ist doch das beste pharmako-
logische Modell für eine Schizophrenie, und ausgerechnet damit hoen wir, eine
bessere antidepressive Wirkung zu er-
zielen als mit den bisherigen Medika-
menten?“ In unserer Verzweiung, so Gründer, sei uns jedes Mittel recht, um die Hirn-
funktion zu stören und den Hamilton-
Score um einige Punkte nach unten zu
drücken. Jedoch könne niemand sagen,
wie lange die Wirkung anhalte und wel-
che Langzeitfolgen damit in Kauf ge-
nommen werden. Er forderte daher
Langzeitstudien und neue Endpunkte,
die auch die Lebensqualität und das psy-
chosoziale Funktionsniveau berücksichtigen. Nur so könnten wir feststellen, ob
wir über das Niveau von Schocktherapi-
en hinausgekommen sind.
Thomas Müller, Springer Medizin
Symposium HS-03 „Psychotropic drug treat-
ment – is the cure worse than the disease?“
DGPPN-Kongress, Berlin, 23. – 26.11.2016
Abb. 3: Patienten ging es mit Dauertherapie nach sieben Jahren schlechter als solchen,
bei denen die Medikation nach dem Ende der akuten Phase abgesetzt oder reduziert
wurde.
Dosisreduktion/Abbruch
Erhaltungstherapie
1,0