Bingo! (Liedtext)
Liebe Fee,
anfangs habe ich es ja vermieden, über die Verantwortungsfrage groß etwas zu schreiben, aber nach deinen Beiträgen juckt es doch in meinen Fingern...
Ja, sicher sollten Menschen, die beruflich anderen helfen, sich abgrenzen können.
Ja, sicher sollten sie die Verantwortung übernehmen, wenn sie merken, dass die Kundschaft das nicht kann/tut.
Ja, sicher sollten sie keine "Komm-her-Geh-weg-Spiele" mit ihrer Kundschaft spielen.
Ja, ich habe mir verzweifelt, unglücklich, auf Knien rutschend, demütig, wütend, aggressiv, hilflos, frustriert und kleinkindlich immer und immer wieder gewünscht, sie würde die Verantwortung übernehmen.
Und ich habe begriffen:
Diese Menschen sind in der Regel auch Menschen.
Diese Menschen haben oft dieselben Probleme wie ihre Kundschaft.
Diese Menschen sind oft verzweifelt, wütend, aggressiv, hilflos und frustriert angesichts der Situation und reagieren dementsprechend.
Ich habe es mehrfach in anderen Beiträgen schon geschrieben, was meine Lernerfahrung aus dieser Sache ist: Ich kann die Verantwortung, nicht verletzt zu werden, nicht an einen anderen Menschen abgeben. Ich bin kein Opfer. Ich bin Mitgestalterin der Situation - egal, wie (mehr oder weniger) krank ich bin.
Meine Trainerin schrieb: "Ich möchte keinen Kontakt zu dir und ... außerhalb des Trainings." Einen Monat später lud sie mich und ... auf einem Ball an ihren Tisch ein. Nein, sie hat nicht gesagt: "Ich reiße die gezogene Grenze total ein, komm und absorbiere mich komplett mit deinen Bedürfnissen, sauge mich in dein Leben - beruflich wie privat, versäume keine Gelegenheit, mich an deinem Leben teilhaben zu lassen und bitte beobachte mich über alle sozialen Netzwerke und kommentiere jede meiner Aktivitäten!" Nein, sie hat gesagt: "Ach, wir können es mit der Grenze doch vielleicht etwas lockerer nehmen und zwischen den Tänzen ein bisschen unverbindlichen Smalltalk machen."
Liebe Fee, ich danke dir für dein Mitgefühl. Das tut mir gut. Jede Form von Verständnis stärkt mich und dafür bin ich dankbar. Ich mag kaum spekulieren, wie du dich fühlst. Abhängig, süchtig, ausgeliefert. Und dabei doch nicht wichtig genommen?! Das sind schlimme Gefühle, das weiß ich. Vielleicht ist es auch notwendig und richtig, sauer auf die andere Person zu sein - ich weiß es nicht. Ich habe auch lange auf sie geschimpft, aber jetzt denke ich mir manchmal: Sie fand mich eine tolle Kundin, sie hat gerne mit mir gearbeitet, sie hat mich als Netzwerkerin geschätzt, ich war ihr oft eine Unterstützung. Sie hat sich vielleicht gewünscht, all das einfach so "nehmen" zu können, ohne dass ich ihr zusätzlich die Verantwortung für mein Leben und mein Wohlergehen aufhalse. Ihre Ambivalenz und der endgültige Bruch waren vielleicht auch nicht frei von Bedauern und Verlust?! Ich habe immer auch diese zutiefst unsichere Person gesehen, die meinte, alles im Leben nur durch Kampf zu erreichen.
Ich möchte lieber dankbar und mitfühlend an sie denken, als vorwurfsvoll und anklagend.
Herzlich und auch kraftspendend,
Freude
PS Aber was mich echt wahnsinnig macht: dass sie nie erfahren wird, was für ein guter, wohlwollender, reflektierter, starker und gerechter Mensch ich doch bin... ;o)