Hallo LeereSeele,
erstmal willkommen im Forum!
Mit "irre sein" hat das nichts zu tun und es hört sich auch nicht dämlich an. Ich glaube, wer sich über einen längeren Zeitraum mehr oder weniger regelmäßig bzw. häufig selbstverletzt (hat), wird das Gefühl, diesen Schmerz zu brauchen, nachempfinden können. Ich habe es damals jedenfalls ähnlich empfunden: Bis vor circa zehn Jahren habe ich mich auch selbstverletzt; phasenweise fast jeden Tag, dann wieder monatelang gar nicht. Auslöser waren Probleme, die (mir) unlösbar schienen, akute Belastungssituationen (z.B. wenn ich mich seelisch von jemandem verletzt gefühlt habe oder schwer enttäuscht wurde), sonstige Situationen, mit denen ich nicht umzugehen wusste oder die mir große Angst gemacht haben, oder andere Gründe, welche meine Depression verstärkt haben. Kurz gesagt: Situationen, die in meiner damaligen Verfassung "zu viel" für mich waren, mich überfordert haben und mir das Gefühl gaben, "das alles" nicht ertragen zu können.
Selbstverletzung war eine Form von Druckabbau, ein Reduzieren der inneren Anspannung und zum Teil sicher auch sowas wie "Selbstbestrafung", wenn ich mal wieder in Selbsthass versunken bin. Die pure Verzweiflung. Ich dachte, ich bräuchte diesen Schmerz, um nicht durchzudrehen. Skills haben mir nur bedingt geholfen (was mich noch zusätzlich verzweifeln ließ, da ich so oft von anderen gehört habe, dass sie ihnen eine große Hilfe seien!) oder haben irgendwann nicht mehr gereicht, da ich dem seelischen Druck und gewissen Anforderungen, die das Leben an mich gestellt hat, damals noch nicht gewachsen war. Ich war einfach nicht gefestigt genug und es mangelte enorm an Selbstvertrauen und -bewusstsein.
Mittlerweile brauche ich es nicht mehr. Waren es auch nicht die "typischen" Skills, ließen sich doch andere Methoden finden, mit Belastungssituationen, die zu Druck, Stress und Überforderung geführt haben, umzugehen. Zum einen war es die Musik: Ich habe mir den Schmerz "von der Seele gesungen" – für mich ein wahres "Wundermittel"! Mir wurde bewusst, dass es ganz wichtig ist, meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das habe ich nämlich lange Zeit nicht getan – und so war es eigentlich nicht verwunderlich, dass ich den Eindruck bzw. die Befürchtung hatte, ich könnte vor Schmerz und Überlastung jeden Moment platzen. Es hatte sich über Jahre vieles in mir aufgestaut und das musste dringend "raus"!
Ich habe mich ans Keyboard gesetzt und einfach drauflos gespielt, habe sehr persönliche Texte geschrieben und passende Melodien komponiert (auch mithilfe von Notensatz- und Musik-Programmen), die zu Liedern wurden, auf die ich stolz war, wenn sie fertig waren. Ich habe Gedichte und viel Tagebuch geschrieben, Bilder gemalt oder mich auf andere Weise künstlerisch betätigt – und alles war Ausruck dessen, was in mir vorging. Das Gute daran war (oder ist), dass es deutlich länger nachgewirkt hat, da ich etwas "in der Hand" hatte. Ein Gedicht z.B.: Das konnte ich auch später noch lesen, es schön finden und eventuell auch ein bisschen stolz darauf sein – oder es anderen zeigen und hören, was sie davon halten.
Darüber hinaus habe ich viel mit Menschen geredet, zu denen ich Vertrauen hatte. Menschen, die sich mit ähnlichen Problemen herumgeschlagen haben, mir in meiner Denkweise geähnelt haben oder aber Denkanstöße geben konnten, die mich wirklich zum Nachdenken angeregt und damit einiges in mir verändert haben. Menschen, die aufmerksam zugehört und mir Verständnis und ehrliches Interesse entgegengebracht haben. Menschen, an die ich mich auch in Krisen wenden konnte und die mich geschätzt haben, wie ich bin, und mich genauso angenommen haben, "obwohl" ich einen Haufen Probleme hatte und mit mir selbst nicht klargekommen bin. Ich "musste" mich vor ihnen nicht verstellen und sie haben mir nie das Gefühl gegeben, meine Traurigkeit sei "unerwünscht". Insbesondere hier im Forum habe ich viele dieser Menschen kennengelernt! Auch hierbei ging es also darum, meinen Schmerz nicht hinunterzuschlucken, sondern auszudrücken, in Worte zu fassen oder mich auf irgendeine andere Weise mitzuteilen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt: Man muss nicht alles mit sich selbst ausmachen!
Im Laufe der Zeit habe ich also festgestellt, dass es durchaus andere, bessere (!) Wege gibt, mit schwierigen Situationen umzugehen – und dass ich viel mehr aushalten kann, als ich damals glaubte. Zwar habe ich es nur noch selten gemacht, aber komplett frei von SVV bin ich dennoch erst seit ungefähr sechs Jahren. Letztlich war es die Liebe, die mir den (ernsthaften) Willen geschenkt hat, aufzuhören, und mir gezeigt hat, dass ich ganz viel Stärke in mir trage, die ich bis dahin weder erkannt, noch mir selbst zugetraut hatte.
Mein Liebster nimmt ich an, wie ich bin und liebt nicht nur meine Stärken und mein Lächeln. Er weiß um Teile meiner Vergangenheit, um meine Depressionen und Ängste. Weder verurteilt er mich dafür, noch reduziert er mich darauf – anstatt mir meine Schwächen und "Fehler" vorzuhalten, stellt er eher meine Talente und positiven Eigenschaften in den Vordergrund und zeigt mir dafür sehr viel Anerkennung. Seine Wertschätzung (meiner ganzen Person) hat mir damals sehr geholfen, mich selbst besser anzunehmen. Somit habe ich auch gelernt, mich als liebenswert zu betrachten – und jemandem, der es wert ist, geliebt zu werden, fügt man nicht absichtlich Schmerzen zu.
Und nachdem er irgendwann – ich glaube, da kannten wir uns noch nicht mal ein halbes Jahr – sehr deutlich sagte: „Ich will das nie wieder sehen!“, habe ich es nie wieder getan. Er konnte damit nicht umgehen, konnte es nicht ertragen, dass sich die Frau, die er liebt, während seiner Abwesenheit weh tut. Dass er das so gesagt hat, war für mich tatsächlich (mit) entscheidend und Grund genug, es nicht wieder zu tun. Schließlich will ich unter keinen Umständen negative Gefühle in ihm auslösen oder dass er Angst um mich hat! Da greife ich doch lieber auf die Methoden zurück, die im Grunde doch viel wirksamer sind, um mich sozusagen über Wasser zu halten. Mir wurde durch seine Worte außerdem einiges bewusst, was ich vorher nicht sehen konnte.
Nun werden bestimmt einige sagen: „Aber dann tust du es ja für ihn und nicht für dich!“. Ja, ganz sicher tue ich es auch (!) für ihn, in erster Linie aber doch für mich selbst. Das Wichtigste ist doch, dass es mich in meinem Handeln positiv beeinflusst. Für mich ist es zusammen mit den oben genannten Punkten ein guter Weg, der mich im Umgang mit mir selbst nachhaltig unterstützt, denn dadurch, dass ich nun seit Jahren ohne selberverletzendes Verhalten "ausgekommen" bin, weiß ich ohne jeden Zweifel, dass es eben auch anders geht und ich stark genug bin – und ich weiß ebenso sicher, dass ich auch zukünftig jederzeit auf andere Möglichkeiten zurückgreifen kann und werde.
Man muss sich wohl auch bewusst machen und eingestehen (!), dass SVV im Grunde überhaupt nicht effektiv ist. Es bringt nichts. In dem Moment selbst scheint es zu "helfen", da es Druck und Anspannung senkt und man die Situation besser erträgt. Aber dieses Gefühl verfliegt recht schnell und man hat den Drang, es erneut zu tun. Solche Situationen / Auslöser wird es aber immer wieder geben – und selbstverletzendes Verhalten kann daran nichts ändern. Die Probleme bleiben bestehen. Es ist so, als würde jemand, der aufgrund einer dauerhaften, schlechten Körperhaltung starke Rückenschmerzen hat, Schmerztabletten einnehmen, aber sonst nichts dagegen tun. Die Tabletten unterdrücken den Schmerz, aber er wird immer wiederkommen. Zuerst muss die Ursache erkannt werden; dann eine demgemäße Behandlung erfolgen.
Ich glaube, das Erkennen der Auslöser von SVV ist sehr wichtig. Denn so kann man am besten daran arbeiten und alternative Methoden und Strategien entwickeln, mit ebendiesen Auslösern und den daraus resultierenden Gefühlen umzugehen. Bei mir ist und war es, wie gesagt, zum einen das Annehmen meiner Selbst, zum anderen ein bewussterer Umgang mit mir und meinen Gedanken und Gefühlen, was sich als hilfreich erwiesen hat. Und ich muss ausdrücken, was in mir vorgeht und mich quält! Entweder nur für mich im stillen Kämmerlein (künstlerisches Schaffen usw.) oder durch Gespräche mit feinfühligen, verständnisvollen Menschen. Sicher würde das nicht jedem helfen – ich denke, da muss jeder etwas finden, was wirklich zu ihm passt.
Zudem bin ich mir mittlerweile recht sicher, dass es auch eine Frage der Einstellung ist: Wenn ich sage „Es gibt außer diesem Schmerz nichts, was mir hilft!“, kann ich nicht weiterkommen. Vonnöten ist die ernstliche Bereitschaft, die Dinge anders zu bewältigen – und dafür muss man meiner Meinung nach genau eruieren, wie / wann / warum es überhaupt zum selbstverletzenden Verhalten kommt und dementsprechend in die Tiefe gehen und an sich arbeiten. Das lässt sich auch auf viele andere (problematische) Bereiche des Lebens übertragen!
Lieben Gruß
Ina