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Autor Thema: Was erhoffe ich mir..?  (Gelesen 1184 mal)

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DerKleineTag

  • Gast
Was erhoffe ich mir..?
« am: 07 Januar 2018, 20:01:35 »

Eigentlich nichts so wirklich. Ich befinde mich derzeit in einer Lebensphase, die ich schon kenne und mehrfach durchlebt habe. Aber alleine damit sein, möchte ich auch nicht. Mit meinem Umfeld möchte ich nicht sprechen, sonst hätte ich einen Stempel, der nicht so einfach weg zu bekommen wäre. Außerdem: wie sollte ich so ein Gespräch beginnen?

Hallo. Ich bin 23 Jahre alt, befinde ich 6 Monate vor meinem Berufsabschluss und blicke demnach vor einer geregelten und positiven Zukunft. Ich lebe mit meinem Partner seit fast 2 Jahren zusammen und wir planen die nächsten Schritte zwar vage, aber mit einem guten Gefühl. Ich verdiene mir neben der Ausbildung mein Geld selbst, habe ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter und ausreichend Interessen, die mir Freude bereiten.
Und dann kam vor ein paar Monaten das große ABER.

Seit ich 13 Jahre alt war, habe ich mit Depressionen und emotionaler Instabilität zu kämpfen. Mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Ich war mehrere Jahre in Therapie und bis 2016 in einer Selbsthilfegruppe. Im Sommer 2016 fand ich, dass ich diese nicht mehr bräuchte. Ich war glücklich und hatte das Gefühl, mit Episoden meiner Depression bestens allein zurecht zu kommen. Seit etwa einem halben Jahr hält es mich jedoch wieder fest. Und mein Problem ist hierbei, dass so viele Verhaltensmuster zusammenspielen, dass ich nicht weiß wie ich mich einordnen sollte.
Ich bin extrem unausgeglichen. Damit beschreibe ich keine Abwesenheit eines Bedürfnisses oder Ähnlichem. Ich erfahre an den meisten Tagen nur zwei Gefühlslagen, extremes Glück, oder extreme Niedergeschlagenheit. Wenn ich mich im Zustand der Euphorie befinde, ist das zwar für meinen Arbeitsalltag okay, macht mir persönlich jedoch eine Scheißangst. Ich kenne mich selbst mittlerweile gut genug um zu wissen, dass ich nach einigen Stunden wieder in ein Loch fallen werde. Sobald ich an diesem Punkt stehe, habe ich Panikgefühle und Weinanfälle. Oft beginnen diese auf dem Weg von Job 1 zu Job 2. Wenn ich Ruhe habe und gezwungen bin, mich auf mich selbst zu konzentrieren. Mittlerweile habe ich Panik, sobald ein freier Tag in Aussicht steht. Solang ich kann, nehme ich mir sämtliche Arbeit, die ich bekommen kann und bin zum teil von 5 bis 23 Uhr beruflich gebunden. Unter diesem Pensum leidet natürlich die gemeinsame Zeit in der Beziehung.

Ich habe auch Probleme mit dem Essen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe es zu essen. Gutes Essen zeichnet für mich eine gewisse Lebensqualität aus. Jedoch, nachdem ich im letzten Jahr einiges an Gewicht verloren habe, beschäftige ich mich zwanghaft mit dem Gedanken des Zunehmens. Wenn ich in Gesellschaft esse, ist alles gut. Doch wenn ich mit mir selbst zuhause esse, fühle ich mich danach schrecklich. Das führt vermehrt dazu, dass ich mich nach den Mahlzeiten übergebe oder Sport treibe. Ich habe so oft versucht dies zu unterlassen, doch kann ich mich ohne diese Maßnahmen nicht mehr selbst ansehen. Mehrmals täglich checke ich mein Spiegelbild, um mich selbst auf Gewichtszunahme zu kontrollieren.

Als letztes Thema beschäftigt mich die Krankheit meines Vaters. Er ist seit Jahren alkoholkrank und nun sind die Folgen so drastisch, dass es lebensbedrohlich ist. Auch darüber kann ich mit niemandem (Ausnahme hierbei: mein Freund) sprechen, ohne mich entweder extrem weinerlich oder extrem kaltherzig anzuhören. Ich wechsle bei diesem Thema zwischen Verdrängung, hysterischer Depression und "Wird schon".

Mich nervt meine eigene Gefühlswelt. Zu einem Arzt zu gehen ist keine Option, da ich schlichtweg keine Zeit habe um krank zu sein. In den kommenden Monaten stehen Prüfungen, Facharbeiten und Bewerbungsgespräche an. Und nicht eine Sache davon will ich verpassen, da ich in den letzten 2,5 Jahren so viel Zeit in meine berufliche Selbstfindung gesteckt habe. So kurz vor dem Ziel geht das einfach nicht.
Ich weiß, dass es andere mit ähnlichen Spektren gibt und ich hoffe, sie hier zu finden. Und wenn nicht, hab mich zumindest meine Situation niedergeschrieben. Und das fühlt sich fast an, wie darüber zu sprechen. Vielleicht ist es eine Phase, vielleicht nicht. Fakt ist, ich will das nicht mehr. Und mich nervt außerdem, dass ich genug Fälle von Leuten kenne, denen es WIRKLICH schlecht geht -während ich mich in meiner Erste-Welt-Probleme Situation umher wälze.
Gespeichert

am Drücker

  • Gast
Re: Was erhoffe ich mir..?
« Antwort #1 am: 08 Januar 2018, 09:50:11 »

Hallo kleiner Tag,

willkommen beim Suchen und Finden.  Wer ich bin kannst Du bei Interesse in meinen anderen Beiträgen nachlesen. In jedem Fall gibt es genug Parallelen, die mich anspringen lassen. Ich übe mich noch in der Rolle des Rat- Schlägers, in der Hoffnung den Ball weich übers Netz zu bekommen. Wie so oft, scheint es leichter die Dinge bei anderen zu erkennen, mit denen man sich bei sich selbst schwer tut.
Daher fange ich mal bei dem Ende Deines Schreibens an, was mir auffällt:  Du hältst die Lage in der Du Dich befindest für gar nicht so schlimm? Ich verstehe gut, dass das nicht mehr sein soll, nach all der langen Zeit mit Therapie und Ergründung, es ging Dir so gut, wie Du schreibst und ich kenne den Frust auch, dann wieder die alten Probleme auftauchen zu sehen. Klar sind wir hier privilegiert, aber wir können uns oder anderen hier oder sonst wo auf der Welt nur nützen, wenn wir wissen, wie es geht, es uns gut geht und wir das (vor)leben können. 

Wenn momentan alles auf diese Prüfungen hinausläuft, die Dir bevorstehen und dabei Dein Stresslevel sich im Dauerhoch zu befinden scheint, durch 2 Jobs mit viel Arbeit und Ruhe Dir Angst macht, dann ist das wirklich eine gute Idee, Dich damit hier zu zeigen und darüber zu “reden“. Auch ohne Dein beschriebenes Essverhalten gehen bei mir die „Achtung“-Lampen an.  Das hört sich nach großem Druck an, der sich da in Dir staut, reden und bewegen (auch innerlich) könnte ihn abbauen helfen.

Das mit der Ruhe und der Angst wäre mein nächster Tipp. Ruhe könnte das nötige Gegengewicht zu all dem Stress darstellen. Wenn Du Dich da nicht selber ran traust, würde ich mir dafür Hilfe suchen, um die nächste Zeit gut über die Bühne zu bringen. Introvision  von Frau Dr. Wagner von der Uni Hamburg hat mir sehr geholfen den Ängsten auf ihren Ursprung  zu kommen und sie durch Konfrontierung zum Schmelzen zu bringen. Das kann man selber machen, oder sich anleiten lassen.

Soweit für erste, lieben Gruß
Am Drücker
Gespeichert

hardworking fool

  • Gast
Re: Was erhoffe ich mir..?
« Antwort #2 am: 12 Januar 2018, 14:44:14 »

Zu einem Arzt zu gehen ist keine Option, da ich schlichtweg keine Zeit habe um krank zu sein. .....

 Und mich nervt außerdem, dass ich genug Fälle von Leuten kenne, denen es WIRKLICH schlecht geht -während ich mich in meiner Erste-Welt-Probleme Situation umher wälze.

Hallo,

wenn ich das so lese, muss ich mir leider eingestehen, dass ich genau das selber geschrieben haben könnte. Damals war ich nur ein paar Jährchen älter als du. Auch mitten in den Prüfungen. Krank sein? Unmöglich. Wie du sagst, Nicht so kurz vor dem Ziel! Außerdem - und das kommt dir ja vielleicht auch bekannt vor - außerdem ging es mir ja gar nicht soooo schlecht. Okay, ich war ziemlich müde und erschöpft, aber das ist ja normal. Augen zu, Zähne zusammen beißen und durch.

Nun ja, langer Rede kurzer Sinn. Ich bin damals im wahrsten Sinne des Wortes zusammen gebrochen, der totale physische Kollaps. Es hat Monate gedauert bis ich wieder alleine einigermaßen geradeaus gehen konnte. Und das meine ich absolut wörtlich. Lange Zeit schaffte ich kaum die paar Meter zur Toilette ohne einen stützenden Arm der mich auffing. Und plötzlich hat fühlte sich das gar nicht mehr so sehr nach "1.Welt-Luxusprobleme" an. Da ging es plötzlich ums Überleben.

Lass dir von niemanden (vor allem nicht von dir selbst) einreden, dass deine Probleme nicht wichtig genug sind nur weil es anderen schlechter geht.
Dazu die Worte meiner Therapeutin als ich mich selbst dafür beschimpfte, dass ich anderen den Therapieplatz wegnahm: "Natürlich gibt es Menschen denen es schlechter geht und die dringend einen Therapieplatz brauchen. Aber warum sollten sie sich deswegen nicht behandeln lassen?"

Anders ausgedrückt: Wenn du dir den Fuß verstaucht hast gehst du doch sicher zum Orthopäden - und sei es auch nur um dich röntgen zu lassen. Der Fuß könnte ja auch gebrochen sein. Oder würdest du sagen, na ja, es gibt ja genug Patienten die wirklich schlimme Verletzungen haben, also lass ich das mit dem Krankenhaus?!

Denk mal darüber nach. Und viel Erfolg bei den Prüfungen!
Fool

Gespeichert
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