Hallo lost soul,
ja, ich verstehe das! Benzodiazepine wie Tavor machen leider wirklich schnell abhängig – die Erfahrung habe ich selbst machen müssen, zwar nicht mit Tavor (und auch nicht über Jahre), aber mit Diazepam (Valium). Ich habe es damals aufgrund von Panikattacken, Angstzuständen und starker innerer Unruhe verschrieben bekommen. Nach einigen Wochen oder Monaten habe ich es allerdings nicht mehr wegen des beruhigenden Effekts genommen: Aufgrund einer Toleranzentwicklung (weil ich es auch über einen längeren Zeitraum immer wieder verschrieben bekam) musste ich die Dosis nach einiger Zeit immer wieder erhöhen, um dieselbe Wirkung wie am Anfang zu erzielen. Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass mich das Medikament regelrecht "high" macht, wenn ich sehr viel bzw. deutlich mehr als "nötig" davon nehme. Ich fühlte mich meinem Leben damals nicht gewachsen, habe es nicht geschafft, mich meinen Problemen zu stellen und war zwar schon seit Jahren in therapeutischer Behandlung, aber noch nicht bereit, mich mit meiner Vergangenheit konfrontieren zu lassen und wirklich intensiv damit auseinanderzusetzen. Es war ein unerträglicher Zustand, der sich mehr und mehr verschlimmerte, und ich wollte nur noch vor meinen Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen fliehen – und ausgerechnet dann machte ich meine Erfahrungen mit Diazepam. Ich fühlte mich durch das Medikament geradezu befreit, da meine Ängste und Depressionen während des "Rauschs" nicht mehr so präsent waren und ich endlich wieder lachen und mich entspannen konnte. Diesen Zustand wollte ich natürlich wieder und wieder erleben, sodass ich es irgendwann nicht mehr sein lassen konnte / wollte. Es war eine Flucht – und zwar in die Sucht! Leider bin ich sowieso sehr anfällig, was Süchte betrifft. Als mir die Tabletten kein Arzt mehr verschreiben wollte, habe ich sie mir "auf anderem Wege" besorgt – war es anfangs doch nur als Bedarfsmedikament gedacht, entwickelte sich daraus ein Medikamentenmissbrauch und meine tägliche Dosis lag bei 60 - 80mg.
Anfang 2010 habe ich mich dazu entschlossen, in der Klinik einen Entzug zu machen. Es war eine ganz schlimme Erfahrung für mich und obwohl ich danach nochmal rückfällig wurde und auch heute immer wieder mal Suchtdruck habe, bin ich glücklich darüber, inzwischen seit drei Jahren frei von Diazepam zu sein. Das Thema Sucht / Abhängigkeit ist trotzdem immer wieder ein ganz zentraler Punkt in meinem Leben, aber ich schaffe es, zu widerstehen. Denn seitdem ich mich nicht mehr in "andere Welten" flüchte, hat sich meine Lebensqualität spürbar verbessert! Während meiner aktiven Sucht hätte ich das für absurd gehalten... Der Entzug war zwar eine Qual, die Sucht aber ebenso!
Was Deine Ärzte angeht: Natürlich ist es absolut unverantwortlich, dass man Dir das Medikament über einen so langen Zeitraum verschrieben hat – eigentlich darf das nicht sein. Im Grunde genommen ist es jetzt aber sinnlos, sich gegenseitig die "Schuld" für die entstandene Abhängigkeit zuzuweisen – dadurch löst sich das Problem schließlich auch nicht. Viel wichtiger ist doch, dass Du endlich wieder vom Tavor loskommst und lernst, auch ohne die Tabletten zurecht zu kommen. Während der aktiven Sucht ist man wohl immer davon überzeugt, dass es ohne nicht mehr geht. Ein Leben ohne das Medikament wird unvorstellbar.
Natürlich weiß ich nicht, wie weit die Abhängigkeit bei Dir geht und wie sie sich zeigt. Nimmst Du Tavor, um langfristig gesehen jeden Tag einigermaßen zu überstehen und weil es einfach "normal" geworden ist, so wie man ein Antidepressivum eben auch täglich einnimmt? Oder geht es Dir um die Einnahme als solches, weil Du einfach "Lust drauf" hast und meinst, dieses Bedürfnis unbedingt stillen zu müssen, weil Du sonst durchdrehst? Oder anders gefragt: Missbrauchst Du das Medikament und nimmst höhere Dosen als "nötig", um Dich damit "high" zu machen bzw. Deine Wahrnehmung zu verändern, weil Du Deinen Zustand sonst kaum erträgst? Was passiert, wenn Du es nicht nimmst? Hast Du neben körperlichen Entzugserscheinungen auch psychische? Bekommst Du Suchtdruck? Und allgemein auf Deine Situation bezogen: Hat sich durch den Tavor-Konsum etwas in Deinem Leben verändert?
Ich stelle Dir diese Fragen nicht ohne Grund. Eher möchte ich, dass Du Dir mit der Beantwortung dieser Fragen selbst vor Augen führst, dass es das Ganze sehr wohl wert ist, dagegen anzukämpfen! Bei mir war es damals so, dass ich durch die Tabletten das Gefühl hatte, "frei" zu sein. Mit der Zeit wurde mir allerdings mehr und mehr bewusst, dass es letzen Endes doch nichts mehr als eine Gefangenschaft war! Ja, ich habe mich in der Sucht gefangen gefühlt: Meine Gedanken drehten sich ständig um Diazepam und alles, was die Abhängigkeit mit sich bringt, z.B. wie ich schnellstmöglich wieder an neues komme, damit ich immer etwas da habe (ich weiß, bei Dir ist es anders, da Du es ja verschrieben bekommst). Teilweise richtete ich meinen gesamten Tagesablauf darauf aus. Es ging so weit, dass ich manchmal Verabredungen abgesagt habe, weil es mir wichtiger war, meine Sucht befriedigen zu können. Den Stellenwert, den ich dem Ganzen beigemessen habe, hatten früher die Dinge, die mich glücklich gemacht haben und über die ich mich wirklich freuen konnte (so eben auch Freundschaften, welche ich durch die Sucht dann aber vernachlässigt habe). Ich war davon überzeugt, dieses Medikament zu brauchen – allein der Gedanke daran, es irgendwann vielleicht nicht mehr zu bekommen, hat mir Angst gemacht.
Mein Leben aktiv in eine andere Richtung zu lenken, indem ich Veränderungen geschaffen, mich mit meinen Schwierigkeiten auseinander gesetzt und nach Lösungen gesucht habe, war mir erst möglich, als es nicht mehr von der Sucht bestimmt war. Ich weiß, wie schwierig es ist und dass man eventuell auch mehrere Anläufe braucht, um sich davon frei machen zu können, aber glaub mir: Es lohnt sich! Ich glaube nicht, dass man sein Leben wieder auf die Reihe kriegt, wenn man sich seiner Sucht ergibt, sondern indem man kämpft und sie besiegt, auch wenn es natürlich nicht von jetzt auch gleich so einfach funktioniert. Man selbst sollte es sich wert sein, aber das habe ich auch erst später verstanden. Übrigens hat es nach den Entzügen auch noch eine Weile gedauert, bis mir bewusst wurde, dass es ein viel besseres Gefühl ist, seine Probleme mit "klarem Kopf" in Angriff zu nehmen und irgendwann auch zu lösen, weil man an innerer Stärke, Willenskraft und Durchhaltevermögen gewonnen hat. Selbst wenn es einen manchmal an den Rand der Verzweiflung treibt und man glaubt, keine Kraft mehr zu haben! Letzten Endes steht man nämlich doch wieder auf und beweist sich damit, dass man sich selbst unterschätzt hat und sein Leben mit der Zeit doch in den Griff bekommen kann – und dass man dies vielleicht schon viel früher hätte schaffen können, hätte man sich eher von der Sucht verabschiedet.
Damit möchte ich nicht sagen, dass ich es falsch finde, in akuten Belastungssituationen und -phasen Bedarfsmedikamente einzunehmen – das habe ich in den letzten Jahren selbst auch immer wieder gebraucht! Genauso bin ich der Meinung, dass es nichts Verwerfliches ist, Antidepressiva über einen langen Zeitraum einzunehmen – warum auch, wenn es doch hilft? Wenn man aber wirklich etwas verändern möchte, muss man dafür nebenbei aber auch selbst etwas tun – Tabletten allein bringen niemanden weiter und lösen keine Probleme. Was ich damit ausdrücken möchte ist, dass man nicht versuchen sollte, sich auf seiner Sucht "auszuruhen" und sich irgendwie mit ihr zu arrangieren, weil es "ja doch nicht ohne geht". Natürlich ist man davon überzeugt, wenn man schon seit Jahren auf diesem Stand ist. Aber wenn man sich diesem Zustand unterwirft, nimmt man sich selbst damit die Chance, wieder EIGENE Kraft zu entwickeln und sein Leben positiver zu gestalten und seinen persönlichen Vorstellungen und Wünschen anzupassen.
Wahrscheinlich kann ich das alles nur sagen, weil ich es zwar selbst erlebt, aber bereits HINTER mir habe. Dennoch verstehe ich Deine hoffnungslosen Gedanken, lost soul!
Jetzt habe ich Dir hauptsächlich von meinen eigenen Erfahrungen erzählt, aber vielleicht findest Du Dich in einigen Dingen wieder und betrachtest das Thema einmal von einer anderen Seite. Auch wenn ich vermute, dass unsere "Geschichten" wohl nur im Ansatz miteinander vergleichbar sind und sich die "Form" der Sucht deutlich voneinander unterscheidet, da ich die Medikamente ab einem gewissen Zeitpunkt bewusst missbraucht habe. Bei Dir hingegen scheint es eher so zu sein, dass Du die Tabletten nicht deshalb immer noch nimmst, weil Du sie missbrauchen möchtest, sondern weil sich durch die jahrelange Einnahme eine körperliche Abhängigkeit entwickelt hat und Du Dich aufgrund Deiner Erfahrung und des Wissens, wie furchtbar ein Benzo-Entzug ist, von einem solchen abhalten lässt. Und da Du sowieso meinst, Dein Leben sei nur mit Tavor zu ertragen (das ist dann die psychische Abhängigkeit), akzeptierst Du es so und hast auch gar keine Lust mehr, es ohne zu versuchen. Weil es doch schließlich schon jahrelang so läuft und da Du "nur Deine Ruhe willst", ist es inzwischen ja auch völlig "egal". So, als würdest Du es nehmen wie ein "ganz normales" Antidepressivum, welches man natürlich auch ungern absetzen würde, wenn es hilft und man sich dadurch besser fühlt. Also gehst Du einfach davon aus, dass Du ohne die Tabletten ganz sicher nicht "weitergehen" kannst, da DU SELBST schon mal GAR NICHTS dafür tun kannst, dass es Dir besser geht. Ich habe mich jetzt bewusst ein bisschen provokant und überspitzt ausgedrückt, denn ich glaube, so wird deutlich, worauf ich eigentlich hinaus will. Ich hoffe, Du fühlst Dich durch meine Worte nicht angegriffen – es ist nicht meine Absicht, Dich zu verletzen oder Dir etwas zu unterstellen und behaupte auch nicht, dass das alles richtig ist – und schon gar nicht will ich damit sagen: "Selbst Schuld"! Es sind nur Vermutungen, Interpretationen und Einschätzungen – mein erster Eindruck, meine ersten Gedanken zu Deinem Beitrag.
Es klingt, als würdest Du Dich aufgeben und Dir selbst nicht wichtig genug sein, um Kraft FÜR DICH aufzuwenden – Kraft, die Dir irgendwann aber wahrscheinlich die Möglichkeit geben würde, Dein Leben wieder mit "richtigem" Leben füllen zu können. Es ist einfach traurig, sich in einer solchen Situation zu befinden, aber gar nicht mehr daraus befreien zu wollen und so hoffnungslos ist, dass man lieber alles beim Alten lässt statt zu kämpfen.
Ich wünsche Dir, dass Du den entscheidenen Schritt irgendwann gehen kannst und neue Kraft findest – und zwar in Dir selbst!
Liebe Grüße
Ina