Was sind Elektrobehandlungen?
PsychiaterInnen verabreichen Elektroschocks vor allem Menschen, die als schwer depressiv, akut selbstmordgefährdet oder als "schizophren" (akute bedrohliche "Katatonien") diagnostiziert wurden dies weil Antidepressiva und Neuroleptika einerseits weniger wirksam seien und andererseits unangenehmere und gefährlichere Nebenwirkung haben. Diese Argumentation ist unhaltbar, da "depressiven" Menschen zusätzlich zu den Elektroschocks während Monaten Antidepressiva gegeben werden. Und auch bei der Behandlung der "Schizophrenie" wird kaum je auf die Verschreibung von Neuroleptika verzichtet, die Kombination von Elektroschock und Neuroleptika wird vielmehr als "sinnvoll" bezeichnet.
Was hier in einer medizinischen Terminologie vertreten wird ist in der Tat, wie Mariella Mehr richtig sagt, die Bankrotterklärung der Psychiatrie. Elektroschock als therapeutische Praxis lässt sich, nach allem, was darüber bekannt ist, nicht rechtfertigen. 1952 wurde das erste Neuroleptikum eingeführt, 1957 das erste Antidepressivum entdeckt. Die Einführung dieser Psychopharmaka wurde als Wende, als Beginn eines neuen Abschnittes der Psychiatriegeschichte gefeiert. Von nun an konnten PsychiaterInnen in beruhigten Spitälern Medikamente verordnen. Die Zeit der lauten Irren-Anstalten, die Zeit der grausamen Behandlungs-Methoden u.a. Lobotomie (psychochirurgischer Eingriff) und Elektroschocks die in den 30er Jahren eingeführt wurde, sei vorbei, glaubte man damals. Und heute wird erneut der Elektroschock propagiert, eine "Behandlung" die bereits vor der psychopharmakologischen Revolution des Jahres 1952 umstritten war.
Es wird nun zwar von den Befürwortern behauptet, dass die Elektroschock-"Behandlung" wesentlich verbessert sei.
Die modifizierte Methode (sie wird in Narkose durchgeführt, die Krämpfe werden durch muskellähmende Medikamente verhindert und beide Elektroden werden auf der nicht-dominanten Seite des Gehirns- unilateral angesetzt) sei neu besser, humaner, bewirke kaum mehr Gedächtnisstörungen. Doch bereits 1940 wurde das Pfeilgift Curare (das Muskellähmung bewirkt) verwendet, Anfang der 50er Jahre wurden Schocks am narkotisierten Betroffenen durchgeführt, und die unilaterale Plazierung der Elektroden wurde Ende der 50er Jahre eingeführt (Frank). Narkose und Muskellähmung verhindern, dass Krämpfe sichtbar werden; doch im Gehirn das Elektroencephalogramm zeigt es löst der elektrische Strom unverändert dieselben Krampfpotentiale aus. Und es gibt nun auch die Gefahr eines Narkosezwischenfalls. Die unilateralen Applikation bewirkt etwas geringfügigere sprachliche Gedächtnisstörungen. Doch geschädigt werden nun Strukturen der nicht-dominanten Hemisphäre (bei 80 bis 90% der Menschen ist es die rechte), ihr wird die Speicherung und Verarbeitung von visuellen, räumlichen, musikalischen und emotionalen Eindrücken zugeordnet, sie ist auf die Wahrnehmung ganzheitlicher Zusammenhänge ausgerichtet. Verschiedene Medikamente (Benzodiazepine und Barbiturate), die zur Beruhigung vor dem Schock und zur Narkoseeinleitung gegeben werden, erhöhen die Krampfschwelle. Es muss deshalb gesamthaft mehr elektrische Energie (grössere Stromstärke oder längedauernde Stromstösse) angewendet werden, um den aus psychiatrischer Sicht notwendige Grandmal-Anfall (grosser, resp. generalisierter epileptischer Krampfanfall) von mindestens 35 Sekunden Dauer auszulösen. Zudem kommt es bei der unilateralen Anwendung auf kleinerem Gebiet zu grösseren Stromkonzentrationen, was die Gefahr der Gehirnschädigung in diesem Bereich zusätzlich erhöht. Zudem muss betont werden, dass es auch unter Befürwortern des Elektroschocks namhafte Gegner der unilateralen Methode gibt. Der bekannte Lothar Kalinowsky gibt an, dass eine Mehrheit der "Elektroschocker" wiederum die bilaterale Methode anwenden würden, weil diese viel wirkungsvoller sei. Auch Sackheim sowie Hippius, Klein, Decina, Prohovnik, Malitz und Abrams betonen, dass die unilaterale Methode weniger wirkungsvoll sei (1). Die eben nur leicht modifizierte Methode ist demnach weder neu, besser noch grundsätzlich humaner. Mit dem Hochspielen dieser sogenannten Verbesserungen soll "wissenschaftlich" begründet von einem ausserordentlich wichtigen Sachverhalt abgelenkt werden. Weltweit wird die Kritik der Psychopharmaka lauter und lauter. Der Widerstand der Betroffenen gegenüber dieser Behandlung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die Abnahme der Zahl der Elektroschock-Behandlungen in den 70er Jahren (2) ging, wie verschiedene Schweizer-PsychiaterInnen angeben, auf die "unkundige und tendenziöse" Berichterstattung in den Massenmedien zurück. Das bis heute vorwiegend "lautlose Comeback" (Spiegel) des Elektroschocks hat meiner Ansicht nach viel mit der zunehmenden Ablehnung der Psychopharmaka zu tun.
Je nach Anzahl und Intensität der Elektroschock-Behandlungen (üblicherweise werden im Laufe von zwei bis drei Wochen 8 bis 12 Stromstösse appliziert) leidet der Betroffene beim Erwachen an einem akuten hirnorganischen Psychosyndrom. Charakteristisch dafür sind: eine zeitliche, räumliche und personenbezogene Verwirrung und Desorientiertheit, Gedächtnisstörungen, insbesondere bezogen auf unmittelbar vorangegangene Ereignisse, zudem eine allgemeine Störung aller intellektuellen Funktionen wie Verständnis, Lernen und abstraktes Denken sowie eine Beeinträchtigung der Urteils- und Kritikfähigkeit und "verflachte" beziehungsweise unangemessene emotionalen Reaktionen, wechselnd von Euphorie bis Apathie, häufig heftige Kopfschmerzen, Übelkeit körperliche Erschöpfung und Unwohlsein. Die Betroffenen fühlen sich sehr hilflos und ängstlich.
Peter Breggin vergleicht die Resultate der modifizierten und der ursprünglichen Methode genau: "Die neue Literatur zur modifizierten Methode enthält weniger Autopsieberichte. Damit kann man nicht die Ansicht verbinden, die Sterbeziffer habe abgenommen." Vielmehr gehe aus verschiedenen Publikationen hervor, dass vor allem die medikamentös erzeugte Muskellähmung und die Anästhesie die Sterblichkeitsrate erhöhe. (Peter Breggin 1980, 83) Die Ursache der Todesfälle sind unter anderem Hirnblutungen und Herzversagen.(3)
"Da sich der elektrische Strom als Hauptursache der Schädigungen erwiesen hat, sind gleichartige Auswirkungen der modifizierten und der unmodifizierten Methode nicht weiter erstaunlich." (Peter Breggin 1980, 85)
Tierexperimente belegen, dass Elektroschocks schwere und häufig bleibende Hirnschädigung verursachen. Auch Autopsien des menschlichen Gehirns weisen ähnliche Zerstörungsmuster nach. Die häufigsten Befunde sind diffuse Verletzungen kleiner Blutgefässe, Gefässwandveränderungen, petechiale (mr: punktförmige) Blutungen, Gliawucherungen (mr: die Glia ist das Stützgewebe des Zentralnervensystems), Degeneration und Tod von Neuronen. (Peter Breggin 1980, 58)
Verschiedene Autoren geben an, dass Frauen mindestens doppelt so oft geschockt werden wie Männer: U.a. wird dieser Befund von Thompson und Blaine erwähnt (Norman S. Enlder 19