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Plötzlich alles psychosomatisch

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Violetta:
Ich hatte inzwischen ein Gespräch mit einer Orthopädin im Ruhestand: Ihrer Meinung nach ist die inflationäre Unterstellung psychosomatischer Beschwerden in Wirklichkeit ein Nichteingestehen der ärztlichen Grenzen. Wenn ein Arzt keine Ursache für Beschwerden und damit keinen Behandlungsansatz findet, kann er eingestehen: „Ich finde keine Ursache für ihre Beschwerden.“ Oder sagen. „Ich finde nichts, also sind ihre Beschwerden psychosomatisch.“ Letzteres ist unprofessionell, denn es stellt keine Diagnose dar. Eine Diagnose muss als Positivnachweis erbracht werden.

Die Ärztin hat Humor und brachte dann noch folgende Geschichte, um das Ganze zu verdeutlichen: Ein Arzt fährt jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit. Irgendwann bemerkt er jedes Mal beim Bremsen ein kratzendes Geräusch. Er fährt das Auto in die Werkstatt. Der Mechaniker öffnet die Motorhaube, schaut in den Motorraum und sagt dann zu dem Arzt: "Ich sehe nichts, also bilden sie sich das kratzende Geräusch nur ein."

Ponyhof:
👍🏻👍🏻👍🏻 ja. GENAU SO.

Mira:

--- Zitat von: Violetta am 24 März 2023, 09:05:16 --- ein Gespräch mit einer Orthopädin im Ruhestand: Ihrer Meinung nach ist die inflationäre Unterstellung psychosomatischer Beschwerden in Wirklichkeit ein Nichteingestehen der ärztlichen Grenzen.
--- Ende Zitat ---

Dem kann ich nur voll zustimmen! Zwar ist unsere Medizin weit fortgeschritten, dennoch kann für viele körperliche Erkrankungen die Ursache nicht gefunden werden. Solches habe ich in Fachzeitschriften allein für Apotheker gelesen mit desillusionierendem Resultat. Das alles einzig auf Psychosomatik abzuwälzen halte ich für verantwortungslos. Hatte in meiner Jugendzeit eine Ärztin, zu der ich volles Vertrauen hatte. Die hatte die Größe zu gestehen, dass sie sich in einer Erkrankung nicht auskennt, und verwies mich zu Spezialisten in die Uniklinik. Aber diese Ärztin hatte auch zu mir Vertrauen, meinte: "Sie untertreiben im Gegensatz zu vielen Patienten, die übertreiben." Insofern ist es besonders wichtig, dass die "Chemie" zwischen Arzt und Patient stimmt.

Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie sehr chronisch starke Schmerzen bedrücken, insofern ziehen sie die Psyche mächtig herunter. Wie soll da einer jubilieren, "juchu, was bin ich froh und glücklich, dass ich unter Schmerzen leide".

Zuletzt war ich aber auch enttäuscht von Ärzten. Ich wurde an der Wirbelsäule operiert, an fünf Wirbeln, sonst hätte mir Querschnittslähmung gedroht. Nach der OP schrieh ich vor Schmerzen wie am Spieß. Bisher schrieh ich noch nie aus welchem Anlaß auch immer. Man gab mir Oxycodon, ein sehr starkes Opioid, in der Wirkung stärker als Morphium. Was mir nicht gesagt wurde, dass es die Atemfunktion einschränkt. Deswegen bekam ich ein Gerät, das mir über eine "Nasenbrille", so nennt sich der Schlauch, Sauerstoff zuführte. Was bin ich froh, dass ich schon seit zwei Monaten ohne Oxycodon auskomme und ohne künstlich zugeführten Sauerstoff!

Man hätte mir seitens der Ärzte auch nur einen Ton sagen können, dass meine niedrige Sauerstoffsättigung einzig an diesem für mich vorübergehend nützlichen Schmerzmittel lag. Um so mehr verstehe ich den Frust, wenn Ärzte absolut alles auf die Psyche abschieben.  So geht das nicht! Sollen etwa alle Patienten des betreffenden Allgemeinarztes usw. sich ausschließlich von Psychiatern behandeln lassen? Welch ein Armutszeugnis!

Dann ist aus meiner Sicht ein Arztwechsel sinnvoll. Könnte ja sein, dass der bisherige zuviele Patienten hat. Dazu noch eine eigene Erfahrung. Meine frühere Orthopädin verkaufte ihre Praxis. Die neuen Orthopäden vergriffen sich mächtig im Ton, weshalb ich dort nicht mehr hinging. Einige Monate später fand ich in meinem Briefkasten eine eingeworfene Visitenkarte dieser Praxis. So sehr muss der Schuh wohl gedrückt haben, dass man ohne U-Bahn den weiten Weg zu meinem Briefkasten machte! Man kann manche Ärzte auch spüren lassen, dass man mit ihnen nicht zufrieden ist. Sie merken es spätestens nach einigen Abrechnungen mit den Krankenkassen.

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