ein auszug aus einem hochinteressanten teil des buches, das ich grad lese. D.D. "die heilige matrix", S. 228/229
"wohlgemerkt, ich spreche vom psychischen leiden derjenigen, die keinem realen leiden ausgesetzt sind.
ich spreche nicht vom physischen leiden derjenigen, die in den kriegen auseinandergerissen werden, ihre freunde und freundinnen verlieren, ihre kinder sterben sehen und die ohnmächtig zusehn müssen, wie die organisierte brutalität der internationalen konzerne und ihre handlanger ihre heimat vernichtet.
ich spreche von uns, den verschonten, von denen, die noch zeit haben, über sich und die welt nachzudenken und zum beispiel dieses buch zu lesen.
ich stelle die these auf, dass niemand mit psychischen leiden beschäftigt ist, wenn er oder sie ein hohes ziel vor augen hat und mit einer realen aufgabe verbunden ist.
ein friedensarbeiter wird sein psychisches leiden in dem maß ablegen, wie er eintritt in seine aufgabe und die verantwortung voll annimmt.
es gibt für einen friedensarbeiter nur zwei arten von echtem seelischen leiden: die eine kommt aus der anteilnahme am schmerz anderer, es ist das echte mitleiden; die andere ist die trauer beim verlust eines geliebten menschen (oder tieres).
mitleiden und trauer sind die beiden leidensformen, die ein gesunder mensch mit einem geöffneten herzen erfährt, wenn er sich vorm schmerz der welt nicht mehr drückt.
sie werden ihn beruflich begleiten, und es gehört zu den aufgaben seiner geistigen disziplin, ihnen nicht zu weit nachzugeben, denn sie könnten ihn beim derzeitigen zustand unserer welt verschlingen.
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vor 30 jahren hatten wir festgestellt, dass revolutionäre arbeit ohne die veränderung der eigenen person keinen sinn macht. und was wurde daraus?
ein allgemeines gejammer und gezeter um persönliche scheinprobleme, die nur dadurch entstehen, dass man in die falsch richtugn guckt. wir hatten die arbeit an der eigenen person gefordert und und neue methoden der persönlichen konfliktbearbeitung entwickelt. einige jahre lang war das ein produktives abenteuer für die ganze gruppe. dann aber sahen wir, dass sich die konflikte verselbständigt hatten.
die menschen, die früher nie über ihre persönlichen themen gesprochen hatten, wollten jetzt nichts anderes mehr tun.
sie wollten gar nicht mehr aufhören, sich in ihren persönlcihen schwierigkeiten zu ergehen.
eine welle von gewohnheitsmäßigen selbstbejammerungen war über uns wie über viele andere gruppen hereingeschwapptund prägte für viele jahre das geistige klima.
manche liefen herum wie ein trockener schwamm, der nur noch die funktion hatte, alles, was problematisch sein könnte, in sich aufzunehmen und keine gelegeneheit des leidens mehr auszulassen, denn AUS JEDEM NEUEN LEIDENSSTOFF ENTSTAND EIN NEUER STOFF FÜR GESPRÄCH UND KONTAKT (fett von mir).
[...]
wir hatten die persönlichen schwierigleiten in unser konzept aufgenommen, um die schwierigeiten aufzulösen, nicht, um sie zu verewigen.
wir hatten den unterhaltungswert und dieser maßnahme und die kommunikative bedeutung des leidensspiels unterschätzt.
krank sein, labil sein, sich nicht mehr auskennen, sich gegenseitig in der persönlichen unzulänglichkeit zu unterstützen, war zu einem kollektiven ritual geworden.
man gewinnt zuwendung in dem spiel, und man spielt es so intensiv und dauerhaft, dass man es bald selbst glaubt."