@Fee
Unglaublich, was man als Kind manchmal auf sich nehmen muss und dann nicht einmal gehört wird. Es war bestimmt nicht leicht beim Jugendamt vor zu sprechen, haben sie dir denn geglaubt?
Ich arbeitete ein paar Jahre nebenberuflich an einer Anlaufstelle für vergw*** Frauen. Eines Nachts rief ein 17 jähriges Mädchen an und war völlig verzweifelt, 2 Männer hatten sie vom Fahrrad gerissen und sich an ihr vergangen, dies war einige Wochen her und sie konnte nicht mehr, wollte sich umbringen. Sie hatte panische Angst es ihrer "schwer psychisch kranken Mutter" zu sagen, da diese selber viele Probleme hatte, außerdem hatte sie Angst, dass die Mutter es dann überall herum erzählen würde. Wir suchten nach Lösungen und nach mehreren Gesprächen willigte sie ein, dass ich sie in eine Krisenintervention bringen durfte, es war am 23 Dezember. Ich suchte mir zur Unterstützung einen Jugend-Psychiater an ihrem Wohnort und er erkannte sofort die dramatische Situation und schrieb eine Überweisung.
Da sie noch minderjährig war musste natürlich die Mutter informiert werden, auch wenn sie durch die Überweisung keine Einsprache Möglichkeit hatte. Weil die Kleine dies nicht konnte, habe ich es übernommen.
Als ich es der Mutter, die mir relativ gefasst vor kam erklärte, fragte sie mich allen Ernstes, ob das überhaupt stimmen würde, da R. sehr gerne und oft lüge...
Ich sagte ihr gerade heraus, dass ich an ihrer Stelle R. diese Frage niemals stellen würde!
Danach bat ich sie dann noch es niemandem zu erzählen, denn wenn es jemand erzählen dürfe dann nur R. selbst.
Als R. dann mit ihrem Gepäck kam, war sie so erleichtert, dass die Mutter alles wusste und hing sich ihr um den Hals. Die Mutter blieb stocksteif stehen, nahm das Mädchen weder in den Arm, noch gab es irgendeine mitfühlende Reaktion.
Auf dem Nachhauseweg musste ich stundenlang weinen, weil mich diese Mutter so an die Gefühlskälte von meiner erinnert hatte.
Später ist dann genau eingetroffen wovor R. am meisten Angst hatte, die Mutter hat es überall herum erzählt, um sich wichtig zu machen und um bedauert zu werden. R. ist leider in die Drogensucht abgerutscht, hat ihre Lehrstelle als Krankenschwester verloren. Inzwischen hat sie sich aber wieder gefangen, sie war ein Jahr in einer Einrichtung für Bordies und macht nun eine Ausbildung. Dies ist 4 Jahre her, wir sind immer noch in Kontakt und treffen uns einmal im Jahr.
Alle 4 Kinder dieser Mutter sind psychisch krank...
Am schlimmsten fand ich als Kind, dass ich immer alleine, auf mich gestellt war. Ich musste als Kind schon sein wie ein Erwachsener, kümmernd, verantwortlich, allwissend, stark, vorausschauend. Ich schmiss den Haushalt, kochte oft, arbeitete schon mit 10 außer Haus und wurde dennoch immer als faul beschimpft. Egal was ich tat, es war nie genug und ich war zweifelhaft bemüht den Ansprüchen die an mich gestellt wurden Folge zu leisten, natürlich erfolglos.
Als ich mit mit 5 zu meinen Eltern kam, war ich mit einem Schlag erwachsen, ich spielte auch nicht mehr, sondern vergrub mich mehr und mehr in meine Bücherwelt.
Meine Großmutter war die einzige Bezugsperson in meinem Leben, aber sie wohnte 2 Autostunden entfernt und meine Mutter wollte mit Absicht kein Telefon, so dass ich sie nie anrufen konnte, wenn ich in der Wohnung eingesperrt war. Ich war aber in allen Schulferien bei ihr, ich lebte nur in diesen Wochen, es war jedoch jedes mal wenn sie mich wieder abholten ein erneutes Sterben, ein zurück in die Hölle. Vermutlich habe ich genau dadurch die Kraft geschöpft nicht aufzugeben.
Ich erzählte ihr niemals wie schlecht es mir ging, ich wollte nicht, dass sie leiden musste deswegen, dass man mich ihr weggenommen hatte, war schon schwer genug für sie und für mich natürlich auch.
Um die Kinder von psychisch kranken Eltern zu erfassen, müssen diese erstens bekannt sein und zweitens auch mitmachen, denn nur das Beste für ein Kind zu wollen reicht da nicht, dies wollte meine Mutter ja auch... Handlungsbedarf ist auf jeden Fall gegeben.
LG Epines