Für Fixu:
Gibt es den Weihnachtsmann
Da stand er in der Reihe von Kindern und schaute dem Weihnachtsmann zu, wie er den Kindern etwas ins Ohr flüsterte.
Gestern auf der Weihnachtsfeier im Kinderheim war ihm dieser Junge schon aufgefallen.
Klaus sah verstohlen auf seine Uhr. Es war eine Stunde vor Ladenschluss, doch die Schlange der wartenden Kinder, die auf den Schoß des Weihnachtsmannes wollten, schien kein Ende nehmen zu wollen. Seufzend nahm er den nächsten Kleinen auf den Schoß. Doch seine Konzentration ließ nach, weil ihm die Augen des Jungen nicht losließen.
“Was will ein Bursche in seinem Alter noch von dem Weihnachtsmann?” denkt er, während er dem Kleinen auf seinem Schoß scheinbar zuhörte. Er gab dem Kleinen einen Klaps auf den Hintern, als er ihn entließ. Ein kleines Mädchen kletterte auf seinen Schoß und plapperte auf ihn ein. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Klaus beobachten, wie der Bursche die Führung der Schlange übernahm. Er ließ die Kleinsten nach vorne, redete mit den Erwachsenen der älteren Kinder und diese waren wohl in der Annahme, dass der zum Personal gehöre, nahmen ihre Kinder an die Hand und gingen. Wieder schaute der Bursche ihn an und lächelte diesmal. Dankbar nickte er ihm zu. Der Feierabend schien für diesen Abend früher gesichert zu sein. Und tatsächlich, eine halbe Stunde vor Feierabend war das letzte quengelnde Kind abgefertigt.
“Gehen wir was trinken?” fragte ihn der Bursche. Verdattert schaute er dem Jungen ins Gesicht.
“Hey, ich trink Cola, wenn du mir einen ausgibst. Ich bin erst 13 und darf keinen Alkohol trinken. Übrigens, ich bin Thomas. Ich glaub wir haben uns gestern schon mal gesehen”, mit einem Grinsen im Gesicht hielt Thomas ihm die Hand entgegen.
Klaus war etwas verwirrt, gab ihm die Hand und schien keine andere Wahl zu haben, als dem Jungen eine Cola auszugeben.
“O.K., wo willst du hingehen?”
“Willst du nicht erst mal diese Klamotten loswerden?” fragte Thomas zurück.
“Mein Weihnachstmannkostüm?” stotterte Klaus, der mittlerweile vollkommen irritiert war.
“Ja, meinst du denn ich glaub noch an den Weihnachtsmann oder das Christkind? Ich warte vor der Ladentür auf dich, ich erkenn dich auch ohne dieses alberne rote Ding auf dem Kopf und dem weißen Bart in deinem Gesicht!” mit diesen Worten drehte sich Thomas um und ging.
“Merkwürdiger Junge!”, denkt Klaus. “Eigentlich wollte ich ja nach Hause und noch für meine Klausur lernen, aber andererseits kann ich dem Jungen diese Bitte nicht abschlagen. Scheint ein nettes Bürschchen zu sein. Ob seine Eltern tot sind, ob er vielleicht auch ein Kind des Personals ist? Hab sowieso keinen Schimmer von der Thematik, könnte ein bisschen was anderes auch vertragen”, sind Gedanken, die Klaus begleiten, als er sich umzog um sich dann mit dem Jungen vor dem Ladentor zu treffen.
Abwartend stand Thomas vor dem Ladenlokal und schaute dem “ umgekleideten Weihnachtsmann”entgegen, als er um die Ecke bog.
“So und nun?” fragte er Thomas, als er endlich neben ihm stand.
“Gehen wir in die Colaoase!” lächelte der Junge und lief quer über den Marktplatz auf die Colaoase zu, die weihnachtlich geschmückt war. Sie fanden ein kleines Lokal und eine stille Ecke, in der man den Lärm der Menschenmenge, die sich durch das Einkaufszentrum schlängelte, nur noch gedämpft wahrnahm.
Klaus hatte zwei Cola und zwei Portionen Pommes bestellt und nun saßen sie sich stumm gegenüber.
“Kannst du mir verraten, wieso ich dich hier her einlade und mit dir hier sitze? Wir kennen uns nicht, aber trotzdem tue ich grad das, was ich tue. Ich bin ganz schön verdattert!” erklärte Klaus.”Vielleicht ist es ja auch einfach eine Weihnachtsstimmung!”
“Ist es dir unangenehm?” fragte Thomas, der um einige Köpfe kleiner war, als sein Begleiter.
“Nöö, aber irgendwie ungewöhnlich, findest du nicht?”
“Du bist zu jung für einen Weihnachtsmann! Und deine Stimme ist nicht tief genug, und außerdem magst du den Weihnachtsmann nicht wirklich spielen. Zumindest heute, gestern im Kinderheim da warst du anders. Heute da war es dir lästig.”
“Wie .....?” Es hatte Klaus die Sprache verschlagen. Was fiel diesem kleinen Kerl eigentlich ein.
“Du hast ständig auf die Uhr gesehen, nicht erst nur, als du mich erkannt hattest! Ich stand bestimmt schon eine halbe Stunde in deiner Nähe. Du bist höchstens 22 Jahre alt, also könntest du mein Bruder sein. Und du hast nicht die richtige Stimme dazu!” grinste Thomas.
“Sag mal, musst du nicht langsam zurück ins Heim?” versuchte er vom Thema abzulenken.
“Du willst mich loswerden? O.K. Dann geh ich mal!” sagte Thomas und schaute mit seinen blaugrauen Augen traurig zur Tür, als er aufstand.
“Hey, so war das nicht gemeint!” Klaus zog ihn am Ärmel wieder auf seinen Stuhl.
“Ich frag mich nur, was ein Dreizehnjähriger von mir will, obwohl er ja wohl offensichtlich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt.
“Du warst nett zu den Kleinen im Heim. Anders als die “Weihnachtsmänner” die in den letzten drei Jahren zu uns kamen. Und dann hab ich dich halt grad im Laden an der Stimme erkannt und dachte ich bleib mal ne Weile da. Und dann sah ich, dass du gerne Schluss machen würdest und hab den Eltern von den größeren Kindern gesagt, es sei der Tag für die bis 4 Jährigen. Morgen wäre der Tag für die älteren Kinder! Und dann sind die tatsächlich abgezogen mit ihren Kindern!” bei diesen Worten lachte Thomas. Doch dann wurde sein Gesicht wieder betrübt und seine Augen glasig.
“Aber wieso?” fragte Klaus ein zweites Mal.
“Meine Freunde sind alle in die Ferien gefahren. In drei Tagen ist Weihnachten und ich hatte Langeweile. Ich hab mir immer einen großen Bruder gewünscht, aber ich bin Einzelkind, wie man so schön sagt, und da dachte ich mir, mich ein bisschen mit dem “Weihnachtsmann” unterhalten wäre doch auch nett. Und wenn dieser dann auch noch so jung ist, hab ich eher eine Chance das er mit mir redet. Die Alten haben meist selbst Familie und müssen schnell nach Hause ihre eigenen Kinder noch überraschen”, traurig sah Thomas ihn an.
“Tja, da hast du aber echt Schwein gehabt mit mir was! Ich bin Student und eigentlich wollte ich noch für meine Matheklausur lernen. Aber irgendwie finde ich es nett mit dir. Außerdem hab ich die letzten Stunden geschwänzt und keinen Schimmer, was da morgen auf mich zukommt. Sag mal, wann musst du ins Heim zurück?”
“Ich hab ein bisschen Narrenfreiheit. Wenn ich anruf und sag ich bin mit einem Freund zusammen, darf ich auch mal länger draußen bleiben! Ich hab nen guten Draht zum Heimleiter Krauss!” Hoffnungsvoll schaute Thomas in das Gesicht von Klaus.
“O.K. ich ruf mal da an!” Entschlossen nahm Klaus sein Handy zur Hand und rief im Kinderheim an. Als der Heimleiter erfuhr, dass er Klaus von der Nikolausvermittlung war, gestattete er Thomas eine Auswärtsnacht.
“Mann, das find ich ja geil!” Thomas Gesicht strahlte, nachdem er das Gespräch verfolgt hatte. “Du nimmst mich echt mit zu dir? Und die machen da so einfach mit?”
“Meine Arbeitsvermittlung arbeitet schon seit Jahren mit eurem Heim zusammen, und der Heimleiter ist davon überzeugt, dass “sein Thomas” schon weiß, was er tut. Seine eigenen Worte übrigens! Ach ja, und ich war auch mal ein paar Monate in diesem Heim. So mit 16, weil meine Eltern beruflich ins Ausland mussten, ich aber nicht mit konnte und auch nicht wollte. Den Krauss kenn ich auch ganz gut!” grinste Klaus.
Er zahlte und zog Thomas an seiner Kapuze mit sich. Seine Wohnung lag nur wenige Minuten abseits so das sie schnell wieder im Warmen saßen.
Sie unterhielten sich die ganze Nacht, bis Thomas vor Erschöpfung einfach einschlief. Lächelnd zog Klaus eine Wolldecke über den Jungen.
Er hatte in der Nacht erfahren, dass Thomas freiwillig ins Kinderheim marschiert war, als er grade 10 Jahre alt war. Seine Eltern hatten sich getrennt und buhlten um seine Liebe und vergaßen dabei, dass dieses Kind beide Eltern brauchte. Eines Tages hatte Thomas die Nase voll und haute einfach ab. Ein gnädiger Familienrichter gab ihm Recht und verfügte über die Rechte des Jungen. Seit dem verweigerte sich dieser Junge seinen Eltern, die inzwischen begonnen hatten sich wieder anzunähern. Thomas hatte erkannt, dass sich die Eltern noch liebten, aber sie keinen Weg fanden, sich zu vertragen. Seine ganze Hoffnung lag darin, dass die Zeit schon alles richten würde.
Klaus streichelte über die Wangen des schlafenden Kindes.
“Ich hoffe, es gibt für dich dieses Jahr doch noch so was wie einen Weihnachtsmann!.
“Mann oh Mann, dass ein Kind so hart sein kann, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Hoffentlich ist er heute Mittag noch da, wäre schön wenn wir noch ein paar Stunden zusammen verbringen könnten.” Klaus Gedanken wanderten ständig zu dem Burschen in seiner Wohnung. Auf seine Matheklausur konnte er sich kaum konzentrieren. Als er diese abgab, war er sich sicher, dass er diese vermasselt hatte.
Als er zuhause ankam, war Thomas noch da, aber in heller Aufregung.
Er lächelte Klaus an und sagte ihm, das er schnell ins Heim fahren müsste. Der Heimleiter hätte angerufen das seine beiden Eltern da wären und darauf bestehen würden, ihn dieses Jahr mit heimzunehmen, egal, was Thomas wollte oder nicht.
“Beide?” fragte Klaus ungläubig.
“Jau, stell dir vor, alle beide gleichzeitig. Kein Tauziehen, mehr wo ich zuerst hin soll oder nicht. Ich bin mal gespannt, was da los ist. Ich weiß noch nicht, ob ich mitgehe. Aber immerhin sind sie jetzt erst mal beide zusammen da.” Bei diesen Worten schnappte sich Thomas seine Jacke und rannte zur Tür hinaus.
Er verbrachte eine schöne Weihnacht bei seinen Eltern, die ihn endlich ernst nahmen.
Klaus schrieb in seiner Matheklausur eine Eins.
Thomas und Klaus wurden Freunde.
“Sag mal, du hattest nicht zufällig deine Hände im Spiel bei der Versöhnung meiner Eltern, Herr Weihnachtsmann?” fragte ihn Thomas auf einen seiner Besuche ganz unvorbereitet.
“Ich? Neeee. Ich hab doch ne Matheklausur geschrieben! Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, das da doch ein bisschen was dran ist an Weihnachtsmännern. Sieh mal, ich hatte keine Zeit zum Lernen und trotzdem hab ich eine Eins geschrieben. Und weißt du, was das Seltsame daran ist?“
“Nee” sagte Thomas etwas verwirrt, denn er hatte tatsächlich geglaubt das Klaus bei seinen Eltern gewesen war.
“Ich hatte null Ahnung von dem Thema. Und ständig hatte ich an einen unglücklichen Jungen in meiner Wohnung denken müssen! Für mich ist diese Note nicht erklärbar” erklärte ihm Klaus mit nachdenklicher Miene.
”Ich konnte mich überhaupt nicht auf die Arbeit konzentrieren”. Er sah ernst in Thomas Gesicht.
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Thomas Eltern hatten an dem Abend, als er mit zu Klaus gegangen war, einen sonderbaren Besuch erhalten. Ein Mann mit weißem Bart und etwas älteres Semester. Er ließ sich nicht abweisen.
Auf Thomas Frage, ob dieser als Nikolaus erschienen sei, verneinten die Eltern. Er sagte, er wäre ein guter Freund der Heimleitung und hatte sich lange und ausgiebig mit seinen Eltern über ihn unterhalten. Dabei hätten sie sehr schnell festgestellt, was ihr Sohn wirklich will, und endlich begriffen, dass sie alle zusammen gehören.
Thomas hatte Klaus seinen Eltern vorgestellt, aber diese behaupten bis heute das der jener Mann eine so dunkle Stimme gehabt hätte, die hätte man nicht vorspielen können.
Außerdem wäre dieser Mann viel größer und stabiler gewesen.
Und der Heimleiter hatte ebenfalls keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte.
Thomas und Klaus wurden ganz still. Bis Klaus laut dachte:
“Vielleicht gibt es den Weihnachtsmann ja doch irgendwie. Nur nicht so wie wir uns ihn vorstellen!”