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Autor Thema: Verliebtsein vs. Abstand - wie damit umgehen?  (Gelesen 1532 mal)

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Kate

  • Gast
Verliebtsein vs. Abstand - wie damit umgehen?
« am: 27 Mai 2016, 13:13:44 »

Hallo Leute,

diesen Schritt in einem Forum zu posten, wollte ich eigentlich vermeiden, da ich dachte, dass mein "logisches Denken" ausreicht, um damit umzugehen. Aber nun wünsche ich mir trotzdem einige Meinungen von außen, da ich das Gefühl habe, dass Unterhaltungen mit Familie und Freunden zu einseitig sind. Ich entschuldige mich vorab für die Länge, möchte jedoch die wichtigen Details fair wiedergeben.

Vor ca. einem dreiviertel Jahr habe ich einen jungen Mann kennengelernt. Der Abend war locker, unbefangen, entspannte Stimmung. Über eine Freundin hat er meine Handynummer kassiert, wir haben uns Wochen später wiedergesehen, danach auch immer mal wieder. Nach einer Weile hatten wir "locker etwas miteinander", die Zuneigung wurde schließlich immer größer und wir wollten es mal "offiziell versuchen". Von Anfang an hatte ich jedoch das Gefühl, dass irgendwas mit ihm "nicht stimmt".
In kleinen Brocken hat er Geschichten aus seinem ziemlich turlubenten Leben erzählt, gepaart mit der Aussage, dass die Bekanntschaft mit mir nach Jahren endlich mal wieder "anders und gehaltvoller" sei; Hinweis hier: er hatte unverbindliche Affären zu Hauf in seiner verkorksten Jugend überall auf der Welt. Schließlich lag er sogar weinend in meinem Bett, da er den gefühlvollen Zustand von "Haut an Haut" schon lange nicht mehr gespürt habe.

Wie auch immer... nach einigen Wochen des "offiziellen Versuchens" hat er mich wieder abgeschossen mit der Begründung, dass er "einfach nicht könne", obwohl er es sich ja "so sehr gewünscht" habe; die Verbindung sei nicht stark genug und weiteres Versuchen würde uns beide emotional "abf*cken" im Moment. Im gleichen Atemzug spuckte er aus, dass es vielleicht "später nochmal" etwas werden könne, wenn alles besser sei. Ob wir nun Freunde sein könnten, lautete seine Frage. Ich wollte mich bemühen, war meine Antwort.

Ich kürze hier nun etwas ab: inzwischen weiß ich, dass er in dieser Kennenlernphase am Rande einer ernsten Depression stand. Mittlerweile ist er mitten drin und möchte sich einige Wochen/Monate in eine Klinik einweisen lassen, um einen klaren Kopf zu bekommen.
An dieser Stelle wären noch folgende Infos relevant: er lebt seit ca. drei Jahren hier in Deutschland, findet jedoch keinen Job, keinen Studienplatz und keine ordentliche Wohnung. Er lebt in einer ziemlich verranzten WG, was ihn zusätzlich runterzieht. Inzwischen spielt er mit dem Gedanken Deutschland wieder zu verlassen, um woanders eine Perspektive zu finden. Wenn er jedoch mit seiner aktuellen "Strategie" im Ausland genauso verfährt, wird auch DAS schwierig, denn sein Wille die lokale Sprache zu lernen, hält sich sehr in Grenzen, um es mal nobel zu formulieren. Also hat er sich die letzten Jahre hier so einigermaßen "durchgewurschtelt".

Inzwischen kämpft er hart mit diesem Zustand, da er auch schon Anfang 30 ist und nicht mehr jünger wird. Er leidet zusätzlich unter den Spätfolgen seines jungen Lebensstils, kämpft mit chronischen Erkrankungen und vor allem eben mit seiner Depression und der aktuellen Perspektivlosigkeit. Er will Deutschland im Grunde nur ungern verlassen, da er hier (nach eigener Aussage) seine besten Freunde habe und ihm die "logische Denke" der Leute gefällt.

Die Situation zwischen uns ist nun folgende: zuletzt haben wir uns vor ca. 2 Monaten gesehen. Wir verbrachten den Abend zu fünft insgesamt, haben allerdings auch nur zu zweit recht viel gesprochen. Er meinte, er habe nun realisiert, dass sein Zustand mich sehr kümmert und ich kein Interesse daran habe, dass er Deutschland verlässt. Nachdem ich weg war, hat er sich wohl auch mit meiner Freundin unterhalten und gecheckt, dass da meinerseits wohl doch ernsthafte Gefühle im Spiel sind, was er vorher wohl nicht ganz auf dem Radar hatte oder nicht glauben konnte/wollte. Ich bin in der Tat verliebt, möchte ihn aber nicht damit "zumüllen", oder ihn in irgendeine Drucksituation versetzen. Alles was ich ihm zuletzt sagte war, dass ich ihn mehr mag als mir lieb ist. Ihm gehe es genauso, antwortete er, allerdings vor dem Hintergrund, dass er im Moment einfach zu verwirrt sei und das alles Zeit brauche. Er sei sich darüber hinaus nicht einmal sicher, ob er ÜBERHAUPT nochmal mit Jemandem zusammen sein könne.

Diese ganze Situation belastet inzwischen nun auch mich, und zwar nicht zu wenig. Was mir zu schaffen macht, ist zum einen natürlich das Risiko, dass er in einigen Monaten schlicht und ergreifend verschwinden könnte, um woanders sein Glück zu finden - was ich jedoch verstehen würde.

Was mir jedoch noch mehr zu schaffen macht, ist dieser extreme Kontrast: sobald ich ihn eine Weile für mich habe, redet er und kann Emotionen zeigen, ist zutraulicher, ehrlich und sehr reflektiert.
Sobald wir uns jedoch eine Weile nicht sehen, kommt immer weniger von ihm. Das einzige Kontaktmedium ist dann oft nur noch facebook, wobei ich nichts erfahre, wenn ich nicht explizit frage, oft mehrfach. Manche "Konversationen" verkümmern zu einem regelrechten Monolog und ich weiß oft nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich will nicht, dass er das Gefühl hat, es würde mich plötzlich NICHT mehr kümmern. Allerdings habe ich auch keine Ahnung, ab wann es ihn nervt. Hier und da erfahre ich, dass er nach mir fragt, aber ohne zu wissen, ob es wirkliches Interesse oder nur kurzfristige Höflichkeit ist. Inzwischen melde ich mich nur noch alle paar Wochen, einfach um zu sehen, dass er noch lebt. Er schläft aktuell sehr viel und wenn er vor die Haustür geht, betrinkt er sich oft. Ein weiterer Grund, unbedingt in die Klinik zu wollen. Seine Probleme kennt er ja. Kürzlich hatte er einen Vorgesprächstermin in der Klinik. Ich wollte mich erkundigen wie der Termin verlaufen ist, was er begrüßte, allerdings kam auf diese Frage keine Antwort. Mittlerweile weiß ich kaum noch weiter.

Ich sitze zwischen zwei innerlichen Stühlen.
Einerseits habe ich die rationale Sicht, dass meine Bemühungen keinen Zweck haben werden - ganz im Gegenteil - und die Befürchtung, dass ich bei seinen Überlegungen bezüglich seiner Zukunft sowieso keinerlei Variable bin.
Andererseits spüre ich die Zuneigung und den Wunsch ihm zu "beweisen", dass ich eben doch für ihn da bin und dass nicht alle Bekanntschaften nur auf Aufnutzerei und Oberflächlichkeit beruhen - eine negative Weltsicht, die er gerne mal teilt.

Was also soll ich tun? :(
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Freudestrahlend

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Re: Verliebtsein vs. Abstand - wie damit umgehen?
« Antwort #1 am: 27 Mai 2016, 21:51:08 »

Hallo Kate,
was also sollst du tun? Ich scheue mich, dir auf diese Frage eine Antwort zu geben - Ferndiagnose und Ratschläge sind nicht ratsam, denke ich. Trotzdem möchte ich einige spontane Gedanken "zu Papier bringen".

In deinen Schilderungen lese ich eine Vermischung von Zuneigung und dem Wunsch, ihm zu helfen. Und in seinem von dir geschilderten Verhalten sehe ich eine große Ambivalenz, die vielleicht auf großen Druck und Stress zurückzuführen ist. Offensichtlich hat er einen umfangreichen Problemkomplex und es scheint mir ganz plausibel, dass du auf der Prioritätenliste nicht (immer) oben stehst. Wenn er sich von dir zurückgezogen hat, weil er andere Dinge auf Reihe bekommen will, dann kann er vielleicht wirklich die Beziehung zu dir gerade nicht führen, selbst wenn er wollte. (Ich spreche ein bisschen aus Erfahrung, weil mein ehemaliger syrischer Mitbewohner exakt dieselben Symptome hatte und da war weder böser Wille noch Desinteresse der Grund, sondern schlicht Überforderung.)

Es ist schwer, jemandem den Raum zu lassen, den er braucht/möchte, wenn man ihm doch nahe sein will. Aber vielleicht geht es nicht anders. Ich weiß es nicht. Tut mir leid, dass ich dir keinen Tipp geben kann.

Ich wünsche dir viel Kraft, um die Sache so anzugehen, wie es für euch beide gut ist.
Freude
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Kate

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Re: Verliebtsein vs. Abstand - wie damit umgehen?
« Antwort #2 am: 28 Mai 2016, 14:54:20 »

Danke für eure Rückmeldungen. Ihr habt beide Recht.

Zum einen halte ich die Theorie zum Problemkomplex für nicht unwahrscheinlich. Zum anderen würde er sich sich sicher anders verhalten, sollte da wirkliche Zuneigung existieren.

Flüchtling ist er keiner, seine Heimat will er auf keinen Fall wieder aufsuchen. Er ist es einfach gewohnt, alle paar Jahre weiterzuziehen. Aus seiner Abneigung gegenüber der deutschen Sprache lese und höre ich beispielsweise heraus, dass er lieber weiterziehen würde, um einen unkomplizierteren Ort zu finden, anstatt aktiv dazulernen. Das ist sicher auch zwischenmenschlich alles andere als angenehm.

Wie auch immer... meine Entscheidung für den Moment lautet Rückzug und zwar komplett. Die rosa-rote Sicht verwischt langsam und ich habe das Gefühl, dass sich weder Mühe noch Zuneigung je auszahlen können.
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Kate

  • Gast
Re: Verliebtsein vs. Abstand - wie damit umgehen?
« Antwort #3 am: 29 Mai 2016, 14:33:30 »

Ja, inzwischen sehe ich das auch so, dass er da offensichtlich vollkommen anders tickt.

Bei aller Empathie, die ich für seine Situation aufbringen kann, muss ich doch einsehen, dass er sich vermutlich sooo schnell nicht ändern wird. Er "lottert" ja schließlich schon seit 3 Jahren so rum und selbst institutionelle Hilfestellungen lehnt oder bricht er gern mal ab. Nicht wirklich "gern", aber eben immer wieder aufgrund von Überforderung und emotionaler Instabilität.

Würde ich eine rationale Pro- und Contraliste zu seiner Person aufstellen, sähe das gar nicht mal so gut für ihn aus; das muss ich mir einfach immer wieder ins Gedächtnis rufen. Danke für eure Antworten!
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Kate

  • Gast
Re: Verliebtsein vs. Abstand - wie damit umgehen?
« Antwort #4 am: 01 Juli 2016, 14:39:49 »

Hallo nochmal liebes Forum,

mein Beitrag ist jetzt gut einen Monat her und ich wollte mich an dieser Stelle nochmal melden, der Vollständigkeit wegen und weil ich mich nochmals für eure Rückmeldungen bedanken wollte. Ich habe über dieses Thema kürzlich auch mit Freunden gesprochen, deren Meinungen teils sehr unterschiedlich ausgefallen sind, aber eure "unabhängigen" Meinungen waren ebenfalls hilfreich.

Aktuell sieht es nun so aus:

er baut weiterhin Mist, seine Bewerbungen wurden wohl alle abgelehnt. Inzwischen liegt er im Krankenhaus wegen Knochenbruch. Nachdem ich vor einigen Wochen mal wieder gefragt hatte wie es ihm geht und erneut kaum was zurrückkam, hab ich vor wenigen Tagen etwas vehementer nachgehakt und wurde nun recht plump und herablassend per Mail abgefertigt - und "abgefertigt" ist definitiv der richtige Ausdruck.
Das war dann klar genug, sogar für mich und im Grunde auch genau das, worauf ich schon seit Wochen/Monaten gewartet hatte. Das Interessante daran ist, dass er noch immer keine konkrete Aussage getroffen hat, wie das nun weitergehen solle. Ich solle doch wenigstens "erwachsen" damit umgehen, sobald wir uns irgendwann nochmal über den Weg laufen sollten, aber Entscheidungen könne und wolle er keine treffen und wenn ich Antworten brauche, dürfe ich IHN nicht fragen. Unglaublich. Jetzt reicht es!

Inzwischen sehe ich das so: er hatte mich zu Beginn ja gewarnt, dass er ein emotional verkrüppelter Typ sei. Ich hatte das zunächst als "Selbstschutz" ausgelegt und war durchaus motiviert, ihn "zu knacken". Aber nun gehe ich sogar soweit zu behaupten, dass er viel weniger unter wirklicher Depression leidet als vielmehr daran, einen grundauf schlechten Charakter zu haben, während er mittlerweile mit den (Spät)Folgen dessen zu kämpfen hat. Außerdem ist er zweifelsfrei Alkoholiker und tendiert dazu, anderen Menschen seine eigenen Fehler vorzuwerfen. Ein Psychologe erklärte mir mal, dass das in Verbindung mit Alkoholismus als "Projektion" bezeichnet wird. Ich riskiere also mal die Prognose, dass er auf absehbare Zeit seinen aktuellen Lebensstil so fortzuführen gedenkt, egal wo. Zwar "wünscht" er sich etwas anderes, aber die rechte Qualifikation scheint ihm offensichtlich zu fehlen. Ich weiß, jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen, aber ich glaube mehr und mehr, dass es auch einfach schlechte Charaktere gibt.

Was muss ich also daraus lernen? Was ich falsch gemacht habe, weiß ich im Grunde: ich habe Dinge schlicht und ergreifend falsch ausgelegt, habe gehofft, es mir schöngezeichnet, wollte das Positive sehen, hab mich teilweise in seine Gedankenwelt ziehen lassen, habe mich emotional abhängig gemacht und hätte mir fast selbst noch eine Depression eingehandelt. Die letzten Wochen bin ich kaum vor die Tür, habe kaum mit Jemandem darüber gesprochen, habe auf die "große Wende" im Zuge meiner Zuneigung gehofft, war unkonzentriert, zerstreut, extrem schlecht gelaunt. Dafür bin ich wütend auf mich selbst. Sehr sogar. Mit nun 31 Jahren hätte ich es besser wissen müssen, WUSSTE, oder AHNTE zumindest auch, dass es so kommen würde und dennoch habe ich mich darauf eingelassen. Das hat ohne jeden Zweifel mit meiner Selbstwahrnehmung zu tun und der Tatsache, dass ich schon immer dazu tendierte mit Typen anzubandeln, denen es an Respekt mangelt.
Ich muss das in den Griff bekommen und früher auf meine Antennen und mein Bauchgefühl hören! Denn diese "Messinstrumente" wissen schon Bescheid, bevor mein Kopf überhaupt erst registriert, was los ist. Aber wie lerne ich das? Ich denke über professionelle Unterstützung nach, denn ich bin mir unsicher, ob mir das nicht immer wieder passieren kann, auch wenn meine logisch denkende Hirnhälfte genau weiß, dass das nicht so sein sollte.

Andererseits glaube ich auch an den Leitspruch: what goes around comes around. Vielleicht habe ich diese "Beispiele" gebraucht, um zu erkennen, dass manche Menschen die Mühe einfach nicht wert sind und sich sowas "von selbst" erledigt, da am Ende jeder das bekommt, was ihm zusteht. Ich weiß es nicht... Erstmal verdauen und Selbstsortierung betreiben, aber es wird besser werden mit jedem Tag.
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