Immer wieder denke ich, dass ich es geschafft habe.
Dass ich "gesund" bin, normal, so wie jeder andere.
Dass ich mein Leben im Griff habe.
Und dann breche ich immer wieder ein.
Immer wieder die gleichen Erinnerungen, die gleichen Gedanken, Gefühle, Schmerzen... auf einmal ist alles wieder da.
Durch die kleinsten Auslöser.
Selbst positive Dinge können sich so schnell wandeln.
Da lernt man einen Typen kennen, und alles läuft gut.
Man fühlt sich wohl, man fühlt sich gemocht, man fühlt sich attraktiv.
Beim letzten Treffen wollte er mit mir schlafen, und ich wollte es auch.
Ich konnte es nicht, wieder einmal konnte ich es nicht.
Weil alles auf einmal wieder da war.
Ich erinnere mich wieder genau.
Nein, ich will nicht, lass mich.
Wie er mich festgehalten hat, und ich mich einfach nicht lösen konnte.
Komm schon, stell dich nicht so an, sagte er immer wieder.
Irgendwann konnte ich nichts mehr sagen. Er küsste mich, er hielt mir den Mund zu.
Ich konnte nicht weg.
Wie er mir wehgetan hat.
Ich habe mich kaum gewehrt. Ich war ja selbst schuld, ich hatte ihm erlaubt, bei mir zu übernachten.
Damit hätte ich rechnen müssen.
Stell dich nicht so an, dachte ich.
Als er fertig war, fragte er noch, ob er mir wehgetan hätte.
Und ich sagte Nein.
Warum habe ich nein gesagt?
Ich weiß es immer noch nicht.
Erst Tage später wurde mir klar, wie diese Nacht mein ganzes Leben verändert hat.
Immer wieder habe ich gedacht, warum stellst du dich so an? Es war doch gar nichts.
Ich war doch selbst schuld.
Aber die Gedanken ließen mich nicht los.
Immer wieder hatte ich Angst, dass er in der Nähe wäre.
Ich kam vom Einkaufen, und hatte Angst, dass er vor meiner Tür warten würde.
Obwohl mir selbst klar war, wie absurd das war.
Natürlich war er nicht da.
Ich stand vor dem Spiegel und sah mich an.
So ein hässliches Wesen.
Ich habe es doch verdient, dass man so mit mir umgeht.
Wie kann man so dumm sein.
Hätte ich mich anders verhalten, wäre das alles nicht passiert.
Schon seit Jahren hatte ich Depressionen, die ich gut in den Griff bekommen habe.
Ich hatte mich unter Kontrolle, doch nach dieser Nacht kam wieder alles ins Schwanken.
Ich hatte mich sehr lange nicht mehr selbst verletzt und war stolz darauf.
Einmal kam ich nach hause von der Arbeit, ein ganz normaler Tag.
Zuhause angekommen, ließ ich mich noch im Flur einfach auf den Boden sinken und brach in Tränen aus.
Tausende Gedanken drehten sich in meinem Kopf.
Ich bin nichts wert.
Keiner liebt mich, aber an mir gibt es auch nichts, was man lieben könnte.
Ich komme doch sowieso nicht klar.
Ich werde nie das alles vergessen können, was passiert ist.
Die ganzen Probleme werden immer bleiben.
Die Familie ist kaputt und es wird immer Streit geben.
Ich werde nie damit zurecht kommen, es wird mich immer wieder alles zerfressen.
Ich werde niemals glücklich sein.
Die Gedanken vertieften sich immer mehr und ich fühlte mich wie in einem Abwärtsstrudel, aus dem ich nicht mehr entkommen konnte.
Die Tränen liefen in Strömen und ich konnte mich einfach nicht bremsen, ich umklammerte meinen Körper, als könnte ich mich selbst davor schützen, zu zerbrechen.
Ich wusste, es gibt jetzt nur eins, was hilft.
Ich nahm die Klinge.
Als das Blut lief, spürte ich langsam wieder innere Ruhe.
Mittlerweile habe ich komplett damit aufgehört.
Seitdem habe ich kein Ventil mehr.
Außer alles zu verdrängen.
Insgesamt gesehen geht es mir wirklich besser.
Die Phasen in denen ich solche Tiefpunkte habe werden weniger.
Ich versuche die Gedanken zuzulassen, ich gebe mir die Zeit, einfach traurig zu sein, und zu weinen.
Ich weiß, in ein paar Tagen ist es wieder vorbei.
Aber wenn es soweit ist, ist es jedes mal gleich schlimm.
Immer wieder frage ich mich, ob mich das mein ganzes Leben lang verfolgen wird.
Ob ich immer wieder solche Phasen haben werde, oder ob es möglich ist, dass es irgendwann ganz aufhört.
Und dann frage ich mich, ob ich genug Kraft habe, regelmäßig solche Phasen durchzustehen.
Ob ich ein solches Leben will.
Immer wieder Höhen und Tiefen, immer wieder der völlige Kontrollverlust, immer wieder die gleichen Ängste und Gedanken, die mich nicht loslassen wollen.
Völlige Verzweiflung bei den kleinsten Problemen.
Ist das das Leben, auf das man sich so freuen sollte?