Hallo liebe Christiane,
gestern konnte ich Dir leider nicht mehr schreiben, da ich bis spät abends unterwegs war.
Für mich ist im April, als es so schlimm wurde mit dem Kontrollverlust, meine ganze alltägliche Welt stehen geblieben. Meine Arbeit,, die Fürsorge für mein Kind, alles. Einfach ein großes Loch.
Das hast Du wirklich gut beschrieben. Bei mir hat sich die Depression eher über Jahre eingeschlichen, bis sie irgendwann so präsent war, dass man sie nicht mehr "übersehen" konnte. Es war also nicht "plötzlich alles weg"; vielmehr hatte bzw. habe ich das Gefühl, schon immer in einem solchen Loch zu sitzen und einfach nicht herauszukommen. Und es gab immer wieder Erlebnisse, die mich NOCH tiefer darin versinken ließen (obwohl ich dachte, schlimmer könne es nicht werden). Allerdings ist dieses Erleben kein Dauerzustand. Es gab und gibt immer wieder Phasen, in denen es mir deutlich besser geht, in denen mehr Antrieb da ist, in denen ich wieder lachen und mich an Dingen erfreuen kann.
Was für mich sehr wichtig war, war das Erkennen der Ursachen meiner Depression – und auch die Auslöser der jeweiligen depressiven Episoden benennen zu können. Als ich mir darüber noch nicht im Klaren war, habe ich mich völlig hilf- und machtlos gefühlt und hatte keine Hoffnung mehr, dass es jemals besser werden würde. Logisch, denn ich wusste einfach nicht, wo ich ansetzen könnte, um meine Situation zu verändern bzw. zu verbessern. Ich musste den Dingen auf den Grund gehen, um mich von dem, was mich quält, befreien zu können. Ambulante Gesprächstherapien und der Austausch im Forum sowie mit Freunden und anderen Betroffenen (Selbsthilfegruppe) war dabei sehr hilfreich; nicht zuletzt aber auch intensive Selbstreflexion.
Meiner Vergangenheit auf die Spur zu kommen und zu erörtern, inwiefern sie bis in die Gegenwart hineinwirkt und mein Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst, war ein langwieriger, aber sehr wichtiger Prozess, der auch noch nicht abgeschlossen ist. Aktuell spielt es für mich aber keine besonders große Rolle mehr. Das, was mir bislang so alles bewusst geworden ist, hat mir nämlich immerhin schon mal geholfen, meine eigenen Denk- und Verhaltensmuster besser zu verstehen und teilweise auch zu verändern.
In den letzten Jahren lag mein Augenmerk verstärkt darauf, meine eigenen Bedürfnisse besser kennenzulernen und herauszufinden, was mir eigentlich fehlt, wonach ich mich sehne, was mir wichtig ist und was ich brauche / mir wünsche. Was tut mir gut und was schadet mir? Was müsste in meinem Leben anders sein, damit ich zufrieden(er) bin – und wie kann ich das erreichen? Was stört mich? Wovon bzw. von wem sollte ich mich besser distanzieren? Gibt es bestimmte Umstände / Bedingungen in meinem Leben, unter denen ich leide und die sich theoretisch ändern ließen?
Wann immer ich mir Fragen dieser Art beantworten kann, bin ich ein kleines Stückchen weiter. Teilweise war und ist es schwierig, Antworten darauf zu finden. Es erfordert viel "Innenarbeit", Selbstreflexion und dass man sich selbst gegenüber sehr ehrlich ist... Ich denke, auch das ist eine Entwicklung, ein Weg, der seine Zeit braucht.
Welche Erfahrungen hast Du mit Medikamenten?
Zu viele... In den letzten 13 Jahren habe ich ca. 25 verschiedene Psychopharmaka (Antidepressiva, Neuroleptika und andere) ausprobiert und hatte damit leider wenig Erfolg. Von den meisten Medikamenten habe ich gar nichts gemerkt, weder die erwünschte Wirkung noch Nebenwirkungen. Zwei oder drei habe ich hingegen gar nicht vertragen und musste sie nach kurzer Zeit wieder absetzen. Das soll Dich nun keineswegs entmutigen – ich wollte nur ehrlich antworten. Bei vielen ist es so, dass sie mehrere Medikamente ausprobieren müssen, bis sie das "richtige" für sich finden. Von daher ist es gut, dass Du zurzeit in der Klinik bist, denn dort lässt sich in aller Regel viel schneller herausfinden, welche Medikamente sich eignen.
Hattest Du vom Schweregrad auch schon eine schwere Episode?
Ja, schwere depressive Episoden wurden mir schon mehrfach diagnostiziert. Aber wie ich weiter oben bereits schrieb: Es ist nie zum Dauerzustand geworden! Es hat mal länger, mal kürzer gedauert, aber mein Zustand hat sich jedes Mal irgendwann wieder verbessert, sodass ich mich und mein Leben wieder etwas besser im Griff hatte, endlich wieder aktiver und auch fröhlicher wurde. Bitte gib die Hoffnung nicht auf, dass auch Du wieder aus dem Tief herauskommst! Ich weiß, dass das ganz, ganz schwer ist – leider ist es ja meist ein typisches Symptom der Depression, dass man die Zuversicht verliert...
Die Psychologin sagte heute, dass die Gefühllosigkeit ein Symptom der Psyche bzw des Körpers als Schutzmechanismus ist, da jetzt Gefühle nicht verarbeitet werden können. Ich frage aber heute nochmal beim Arzt nach, was mit den Medikamenten ist. Nehme Duloxetin und abends ein Neuroleptikum. Aktivitäten gehen zurzeit leider wenig.
Interessant – das ist ja in etwa das gleiche, was ich Dir auch geschrieben hatte.
Ja, sprich den Arzt auf Deine Medikamente und die Dosierung an. Schildere ihm Deine Wahrnehmung. Das ist wichtig, damit er sich ein Bild machen kann und ggf. entscheiden kann, ob sich etwas anderes evtl. besser für Dich eignet.
Kannst Du trotz der Erkrankung Deinen Alltag und Beruf so gestalten, wie Du möchtest?
Ganz ehrlich: Nein. Ganz und gar nicht...
Ich wünsche Dir jetzt erstmal alles Gute und viel Kraft, liebe Christiane!
Liebe Grüße
Ina