Wie soll ich beginnen von Karen zu erzählen, ohne dass mein Herz zu bluten beginnt und meine Tränen auf die Tastatur tropfen?
Wir begegneten uns im Februar 2005 in einem verwaisten Borderlineforum, dass ich irgendwie versuchte am Leben zu erhalten. Da ich nicht 24 Stunden anwesend sein konnte schrieb ich jeweils allen Interessiertem ein Mail, wann am ehesten was los ist. So auch Karen, die sich "Succubus" nannte. Wir verabredeten uns, aber sie erschien nicht und ich dachte, dass sie wohl keine Lust gehabt hätte. Am nächsten Tag war jedoch ein Mail von ihr da, wo sie mich um ein Treffen bat. Einmal versetzt antwortete ich unlustig, worauf sie mir schrieb, wie dringend sie jemanden zum Reden, oder Chaten brauchen und das sie mich bestimmt nicht noch einmal versetzen würde. In ihrem Profil gab sie an sich für Technik zu interessieren und dies war nun überhaupt nicht mein Ding und so willigte ich nur ein, weil sie mich so eindringlich gebeten hatte.
So begann eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen einem total verrückten Punk der in einer lärmigen Stadt wohnte und einem arbeitswütigen Landei, dass in einem 200 Seelendorf weit ab vom wirklichen Zeitgeschehen lebte.
Es war wie Liebe auf den ersten Blick, und wir fingen an uns mehrmals in der Woche seitenlange Mails zu schreiben. Wir erzählten uns einfach alles und uns wurde schnell klar, wie besonders diese Freundschaft war, niemals hatte ich mich jemandem so verbunden gefühlt und ihr ging es genauso. Zuvor hatte ich immer alle belächelt, die mir von einer besten Freundin erzählten und nun war ich so unglaublich überwältigt so etwas wirklich selber zu erleben.
Der Schatten schwebte jedoch von Anfang an über unseren Köpfen und uns Beiden war von vornherein klar, dass es nur eine Freundschaft auf Zeit werden würde, denn Karen hatte keine Kraft mehr zum Leben, obwohl sie entschlossen war alles zu versuchen.
Karen's Kleidung bestand aus einer schwarzen Jogginghose, einem schwarzen Ärmellosen T-Shirt mit der Aufschrift "suizidal" und einem schwarzen Kapuzenshirt, dazu Springerstiefel natürlich auch in schwarz. Sie war an mehreren Stellen am Arm und über die Schulten mit wunderschönen selbst entworfenen Bildern tätowiert und liebte es in dem Hochhaus in dem sie wohnte, im Dunkeln zum Lift zu schleichen, in der Hoffnung jemanden zu schockieren.
Sie war Alkoholikerin und litt am Borderline-Syndrom und Sozialphobie. Zu Beginn unserer Freundschaft trank sie noch jeden Tag 10 Flaschen Bier. Pünktlich begann sie damit täglich um 17.Uhr. Die körperlichen Beschwerden machten ihr immer mehr zu schaffen, zudem ass sie kaum mehr was und wog nur gerade 48 Kilogramm.
Sie wohnte 2 Autostunden von mir entfernt und so begannen wir uns ab und zu treffen und sie kam auch ein paar Tage aufs Land.
Eigentlich wollte sie weiterleben, aber nicht mit dem Zwang trinken zu müssen. Sie war bereits bei der Fachberatungsstelle für Alkohol in Therapie, des weiteren hatte sie auch noch Therapie in der Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen, bei einer Psychiaterin, die auf Trauma spezialisiert war und noch bei einer privaten Psychologin. Sie , die eigentlich an Sozialphobie litt und für die es nichts Schlimmeres gab, als raus zugehen, zwang sich praktisch jeden Tag in eine Therapiestunde, die zudem noch durch die belebte Fußgängerzone führten.
Also hörte sie auf zu trinken, ihr Fernseher ging zeitgleich kaputt und sie wollte keinen mehr, um nicht wieder in die gleichen Muster zu verfallen, also glotzen und saufen. Stattdessen versorgte ich sie mit Kisten voller Bücher, fast jeden zweiten Tag war eines beendet. Und sie schaffte es aufzuhören und war unglaublich stolz auf sich.
Die Zeit verging (1 Jahr) und sie hatte kaum Rückfälle, da passierte es, sie verliebte sich in ihre Alkoholtherapeutin und zwar so wie nur Borderliner lieben können, mit jeder Faser ihres Herzens und fanatisch ohnegleichen. Sie fand alles wissenswerte über sie heraus was es zu wissen gab.
Obwohl ihr klar war, dass sie keine Chance bei ihr haben würde verstrickte sie sich emotional immer tiefer. Die Situation spitzte sich dramatisch zu und eines Tages gestand sie der Therapeutin was sie für sie empfand. Karen war ihre erster Borderlinerin und sie war frisch ab Uni. Es mag an ihrer Unerfahrenheit gelegen haben, dass sie sich nicht sofort distanziert hatte, im Gegenteil, es schien ihr zu schmeicheln, dass Karen in sie verliebt war, was diese wiederum als eventuelle Zusage deutete, obwohl ihr rational völlig klar war, dass es da nie was geben würde.
In dieser Zeit drängten die Erinnerungen an längst vergangene Kinderzeiten ans Tageslicht und sie konnte nur noch mit Schlafmittel schlafen und brauchte am Tag immer öfter ein Demesta. Bei ihrer Traumatherapeutin war jedoch gerade was Karen am dringendsten besprechen, resp. loswerden wollte, ein absolutes Tabu, erst sollte sie stabilisiert werden, bevor man das Trauma angehen sollte. Also wurde Karin immer enttäuschter von ihrer Psychiaterin, sie schrieb ihr deshalb ab und zu ein sms und sparte auch nicht mit Mails. Dies gipfelte dann in Form einer Arztrechnung von 4'500 Euro, die sie zu bezahlen hatte. Um es richtig zu verstehen, es handelte sich um 4 mal 50 Minuten Therapie im Monat und einige Mails und sms. Auf der Rechnung war jedes sms von Karen an die Ärztin mit 35 Euro und ihre Antworten darauf mit dem selben Betrag verrechnet worden.
Karen kam sich zu Recht vor wie eine Weihnachtsgans und obwohl die Krankenkasse alles zu bezahlen hatte, war sie damit zu Recht nicht einverstanden.
Nach diesem Zwischenfall verlor sie das Vertrauen in die Ärztin gänzlich und ging nur noch widerwillig hin.
Sie war Rentenbezügerin, nachdem sie durch einen Überfall von zwei Männern retraumatisiert wurde und dadurch nicht mehr in der Lage war zu arbeiten. Durch diesen Zwischenfall brach sie öfters zusammen und wurde nach Alkohol abstürzen in die Psychiatrie verbracht, wo sie monatelang am Bett fixiert, erneut stark traumatisiert wurde, dies geschah jedoch 2 Jahre bevor wir uns begegneten.
Ich erwähne es jedoch, weil sie sich nie getraut hatte ihren dominanten Eltern zu sagen, dass sie nicht mehr im Theater als Beleuchtungstechnikerin arbeitet.
Sie litt folglich unter permanentem Geldmangel, weil Schwester und Eltern Geschenke oder Restaurants-besuche erwarteten.
Eine eigene Wohnung hatte sie nur, weil sie in Abwesenheit ihrer Eltern heimlich ausgezogen war, diese hätten ihr nämlich nie erlaubt auszuziehen!
Jedes Wochenende war Pflicht, dass Karen bei ihren Eltern zum Mittagessen erschien, was sehr schwierig für sie war, denn dies hieß auch ihrem Vater, der sie jahrelang missbraucht hatte, immer wieder in die Augen zu sehen...
Die Mutter manipulierte und erpresste sie in einem Ausmaß, dass Karen resignierte. Sie wurde immerzu über alles ausgefragt, wenn sie z.B. nicht zum Essen erschien, also krank war, kam die Mutter vorbei um nachzusehen ob es stimmte.