Betrachtungen eines Kirschbaumes
Wer je einen Kirschbaum pflanzte, weiß, dass man beim setzen, in erster Linie daran denkt wie es einmal sein wird, so viele Kirschen essen zu können, bis man fast platzt und wirklich genug hat.
Umso wichtiger ist die Wahl des Baumes, denn man möchte natürlich süße, große Kirschen die außerdem knackig sind.
Als Kind lag ich oft in der Wiese unter einem Kirschbaum und sah zwischen den Ästen und reifen Kirschen den Wolken zu, die träge dahin zogen. Damals schon wusste ich, dass wenn ich einmal groß bin, ich mir irgendwo einen eigenen Kirschbaum pflanzen würde und ich dann keine Kirschen mehr klauen müsste, denn der Baum gehört mir dann ganz alleine.
Wie sehr ich mich täuschte, wusste ich damals noch nicht, aber davon später.
Der große Tag kam, ich pflegte ein eigenes Stückchen Land, eine Wiese nur, aber die allererste Handlung war einen Kirschbaum zu pflanzen. Eine Herzkirsche musste es sein, denn die mochte ich damals am liebsten.
Seltsamerweise fühlte ich mich dabei beobachtet, hatte jedoch keine Ahnung von wem und wo und konnte niemanden entdecken..
Nach fünf Jahren war es endlich soweit, ich sah einer glücklichen Ernte von genau fünf Kirschen entgegen.
Wie ich mich freute, kann ich hier gar nicht beschreiben. MEINE ersten eigenen Kirschen!
Sie reiften wunderbar und ich fragte mich, wann ich sie pflücken kann, wann sie wohl genau reif und süß sind.
In der Hecke in der Nähe bewegte sich etwas, aber ich konnte wieder niemanden ausmachen.
Jeden Tag sah ich nach und fieberte dem Genuss entgegen.
Doch dann passierte ein unglaubliches Drama, eines Morgens hingen nur noch die Kerne an den Stielen in den Ästen.
Ein bösartiger Räuber (oder gar zwei?) hatten sich über MEINE Kirschen hergemacht und alle geschlemmt. Es war schwer die herbe Enttäuschung weg zu stecken, aber ich tröstete mich damit, dass der Baum ja nun beginnen würde, jedes Jahr Kirschen zu tragen.
Nun so war es nicht ganz, entweder schlug der Frost zur Blütezeit zu, oder Dauerregen, so das die befruchtenden Insekten nicht fliegen konnten, oder er trug Früchte und ein einziger heftiger Regenschauer, kurz bevor sie reif waren, brachte sie zum Platzen und sie faulten innert kürzester Zeit.
Der Baum wurde größer und mächtiger und seine Äste ausladender und oftmals war es genau so, wie ich es mir als Kind erträumt hatte, nur die Muse fehlte meist, mich unter dem Baum auszustrecken und zu träumen.
Meine Naivität die ich beim pflanzen hatte, nämlich das ich einen eigenen Baum besitzen werde, verlor ich mit dem Wachsen und Gedeihen des Prachtstücks gründlich.
Dieser Kirschbaum gehört in Wirklichkeit, den Spatzen, Staren, Wendehälsen, Raben, Elstern, Meisen und auch noch allen anderen heimlichen Mitfressern, aber keinesfalls mir. Ja sogar die Hunde denken, einen Anspruch auf die Kirschen zu haben.
Nur die Katze verzichtet gönnerhaft und schmeichelt sich dadurch bei mir ein, streicht mir um die Beine und mauzt: „Du darfst alle alleine essen, ich will nur die Vögel.“
Dabei war ich mit diesen diebischen Räubern noch solidarisch, habe der Katze eine Glocke umgehängt, um sie zu schützen, ist dies nun der Dank dafür? Anstatt nur zwei Elternvögel, machen sich nun auch noch ihre Jungen an MEINE Kirschen.
Ok, ok, da stehe ich heute Morgen auf der Leiter und ernte meine zuckersüßen Herzkirschen und futtere, beobachtet von den Hunden, die immer hoffen, dass was runter fällt, sicherlich ein ganzes Kilo dieser leckeren Früchte.
In der Hecke nebenan, regen sich zwischenzeitlich welche so tierisch und laut auf, dass ich beinahe ein schlechtes Gewissen habe, meinen eigenen Baum zu plündern.
Im Grunde verhält es sich nämlich wirklich so, dass der Baum ihnen gehört, sie waren ja auch schon beim Pflanzen dabei. Hatten ihren Kinder und Kindeskindern erzählt, was da einmal Wunderbares auf sie zukommt und freuen sich ebenso lange auf die Früchte wie ich.
So ein Kirschbaum nährt demnach nicht nur mich und meinesgleichen, sondern auch viele andere Lebewesen.
Angefangen von den Blüten, die Insekten Pollen liefern, den Frostspannern (kleine grüne Räupchen), die sich an den Blättern gütlich tun, den Meisen und viele andere Vögel, welche die saftigen Frostspanner danach ihren Jungen füttern. An manchen Jahren naschen auch Maikäfer an den neuen saftigen Blättern. Die Kirschen sind außerdem wertvolle Wasserlieferanten. Wenn es kaum regnet, können die Tiere ihren Flüssigkeitsbedarf durch Kirschen abdecken, vermutlich ist dies auch der Grund warum sie bei trockenem Wetter, wie gerade in diesem Jahr, mehr Kirschen als sonst naschen.
Dann am Schluss, nachdem man ein langes Jahr auf die Früchte gewartet und sich gefreut hat, kommen die Menschen daher, klauen die Kirschen und machen daraus so etwas Grässliches wie Alkohol! Also das versteht kein einziger Vogel! Und die Hunde erst recht nicht.
Nun denn, die Herzkirschen eignen sich weder für Kirsch, noch für den Verkauf, da sie sehr schnell braune Flecken bekommen und die Konsumentin von heute, will nur tadellose Ware, die schön aussieht, wie sie schmeckt ist leider zweitrangig, denn man nimmt zwar wahr, dass die Kirschen nicht mehr so gut schmecken wie früher, hat es jedoch im nächsten Jahr schon wieder vergessen und kauft sie erneut.
Immer mehr Kirschen reifen unter Abdeckungen (na ja ist auch kein Wunder bei den vielen Räubern!), zudem platzen die hochempfindlichen Sorten wesentlich weniger, weil sie vor Regen geschützt sind. Dadurch ist natürlich die Sonneneinstrahlung verringert, was sich schlussendlich auf den Geschmack auswirkt. Manche Produzenten wässern vor der Ernte ihre Bäume (auch Obst), damit die Früchte schwerer sind. Kein Wunder schmecken diese danach fad.
Auch Bio-Kirschproduzenten sind auf einen regelmäßigen Ertrag angewiesen und immer mehr überdachen deshalb ebenso.
Wusstet ihr, dass Tafel-Kirschen stark dem Modetrend unterworfen sind? Die Konsumentin möchte zurzeit vor allem große und knackige Kirschen, also muss wer Kirschen produziert flexibel sein. Doch wie kann man dies bei Bäumen, die eine gewisse Zeit brauchen bis sie Ertrag liefern?
Ein heutiger Kirschbaum wird nur gerade 15 Jahre alt, dann wird er schon ersetzt. Somit wird er nicht allzu hoch und kann unter erwähnter Abdeckung wachsen.
Also meiner Meinung nach ist dies Baumquälerei!
Wo ist der Baumschutzverein, an den sich die gequälten Bäume wenden können?
Was gibt es schöneres als einen riesigen alten Kirschbaum, der Nahrung und Schatten für viele Lebewesen bietet? Wie krass ist doch der Gegensatz einer Streuobstwiese mit altem Baumbestand, zu einer abgedeckten Kirschplantage.
Na ja, manche Besitzer von Freilandkirschen sehen es auch als Jahreshöhepunkt, wenn sie ihre Kirschen erfolgreich gegen allerlei Mitesser verteidigen können.
Meine Tante hatte früher einen automatischen Schuss-Apparat, der von Zeit zu Zeit einen Knall abgab, also dies hat tatsächlich genützt. Die Stare flogen auf, drehten eine Runde und ließen sich dann beim Nachbarn nieder.
Meine Nachbarn hingegen haben bereits verschiedenste Methoden ausprobiert. Angefangen mit CDs die sie im ganzen Baum auf hängten. Im Jahr darauf waren es Petflaschen, dann oh Schreck (!) kam der schlimmste Versuch. Da hatten sie in jeden ihrer vier Bäume einen Radio aufgehängt, der rund um die Uhr lief, also auch nachts. Weder der klassische Kanal, noch die Dauersportnachrichten, der Rock, oder gar die Schweizer Volksmusik, haben die Vögel davon abgehalten genussvoll zu schlemmen.
Vielleicht hat sie die Musik sogar angeregt länger zu verweilen, also bei klassischer Musik könnte ich mir dies gut vorstellen und die männlichen Vögel, waren wohl eher auf den Bäumen mit dem Sportkanal anzutreffen. Die Einheimischen natürlich bei Folklore und die älteren bei Rock. Zum Glück haben sie nur vier Bäume! Die Vorstellung einen mit Techno, Goa, oder gar Trance zu beschallen ist fürchterlich, aber wer weiß, da hätten sie vielleicht die bunten und schrillen Vögel wie Eisvogel und Bienenfresser auch noch angezogen und ganz bestimmt sogar den Hänfling.
Mich hat es jedoch fast zum Wahnsinn getrieben! Dauergedudel rund um die Uhr, ich sage euch, das hält keiner aus! Ich war froh, als die Kirschen dann endlich verputzt waren.
In diesem Jahr nun, haben sie zuoberst eine Vogelscheuche platziert, dann überall Fahnen aufgehängt -kann sein, dass auch welche von der WM dabei waren – und Leintücher von Baum zu Baum gespannt. Natürlich hat dies die Vögel geärgert, denn es war wesentlich schwieriger zu landen, aber es war trotzdem möglich. Stare kamen eines Abends mit einer ganzen Kompanie und dann ging wie immer alles ganz schnell.
Och ne…ich kann es vom Fenster aus sehen, während ich hier tippe.
Kaum von der Leiter runter, erscheinen die wahren Besitzer des Baumes und ernten in rasender Eile, was noch rein mag, bevor dieser gemeine Dieb von Mensch (sie meinen mich!), sich auch noch an den obersten Ästen vergreift…
Na ja, wer einen Kirschbaum pflanzt und groß werden lässt, muss wohl schmerzlich akzeptieren, dass der Kirschbaum allen gemeinsam gehört, jeder nimmt was er braucht und jeder bekommt im Grunde genug. Denn ganz ehrlich, wer kann schon die Kirschen eines ganzen Baumes aufessen?
Wünsche euch einen schönen Tag und kauft Kirschen ;-)
Epines