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Autor Thema: Stichwort "Depressiver Realismus"  (Gelesen 3763 mal)

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Leon

  • Gast
Stichwort "Depressiver Realismus"
« am: 30 März 2010, 17:48:05 »

Hallo,

bin neu hier. Seit Mitte letzten Jahres in neurologischer Behandlung. Diagnose: Schwere rezidivierende Depression. Anfangs Citalopram, letztendlich Venlafaxin (besser bekannt als Trevilor) 150 mg. Das hält mich ziemlich stabil, die "Stimmungsschwankungen" sind lange nicht mehr so heftig - allerdings sind die Nebenwirkungen echt unangenehm: Starkes Schwitzen schon bei leichter körperlicher Arbeit, ab und zu Schwindelanfälle, Konzentrationsstörungen. Immerhin kann ich arbeiten gehen. Manchmal kommt es aber noch vor, dass ich unter vielen Leuten sitze und plötzlich frage ich mich "Was mache ich eigentlich hier? - Wie gerne wäre ich jetzt zu Hause und könnte dann friedlich meine Wand anstarren..."

Momentan bin ich auf der Suche nach einer vernünftigen VT.

Was mich besonders interessiert ist momentan, was mich als depressiv erkrankten Menschen auszeichnet, d.h. habe ich eine Stärke, die andere nicht haben und die ich für andere und mich selbst positiv nutzen kann??

Irgendwann las ich einmal, dass Depressive einen besseren Realitätssinn haben, Stichwort "Depressiver Realismus". Wer hat davon schon mal etwas gehört? Gibt es dazu Literatur oder Links??

Danke und liebe Grüße

Leon
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Para(Guest)

  • Gast
Re: Stichwort "Depressiver Realismus"
« Antwort #1 am: 30 März 2010, 21:51:09 »

Es gibt Studien, die gezeigt haben, dass viele Menschen sich selber belügen. D. h. Vorstellungen über sich selbst werden kultiviert und optimiert und ergeben ein verzehrtes Bild.  Man selber schätzt sich also viel beliebter, einfühlsamer, humorvoller, attraktiver etc. ein, als man eigentlich ist. Oft sind die Menschen dabei auch überzeugt, dass sie selber ein besseres Leben führen als der Nachbar oder alles besser Wissen und ihre die einzige Wahrheit ist. Allerdings liegt zwischen dieser  Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung fast immer eine grosse Kluft.  Wenn jemand allerdings etwas gegen sie Selbsteinschätzung sagt, wird es oft nicht wahrgenommen und mit Skepsis abgetan.

Hingegen haben Personen, die an depressiven Störungen leiden, in solchen Studien  diese Selbstverschönerung nicht vollzogen. Sie haben somit einen sogenannten unbestechlichen Blick nach Innen und belügen sich nicht. Als den sogenannten depressiven Realismus.

Im Grossen und Ganzen kann man jetzt sagen, ja die Depressiven malen immer den Teufel an die Wand, aber vielleicht sind sie es die die Kultur vor dem Untergang bewahren könnten, weil sie nicht immer die Wahrheit verdrängen.  Nur leider hat die Natur uns so ausgerichtet, dass Selbstbeschönigung, viel mit Selbsterhaltung zu tun hat und Selbsterkenntnis somit eher zum Mangel wird.
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dejavu

  • Gast
Re: Stichwort "Depressiver Realismus"
« Antwort #2 am: 30 März 2010, 22:04:28 »

Ich habe an mir und meinem Umfeld festgestellt, das ich gar keinen Wert auf Statussymbole, bestimmte Marken oder Geld lege bzw daran, dieses nach außen zu tragen. Ich bin froh, wenn ich jeden Tag halbwegs gut über die Runden bekomme. Ich muß nicht protzen, mir ist auch schnurz, was Leute über mich denken. Mein Wunsch ist, in Ruhe zu leben, mich nicht nach andren richten zu müssen und Freunde zu haben, die mich verstehen und so akzeptieren, wie ich bin. Das sind wenige, aber echte Freunde. Man sagt auch depressiven Menschen nach, besonders sensibel und einfühlsam zu sein, was in manchen Bereichen des Lebens nicht das Schlechteste ist. Ich möchte nichts schön reden, es gibt viel zu viel, was sehr hinderlich ist, wenn man an Depressionen erkrankt ist. Das sind nur meine Erfahrungen und vllt der Teil einer Antwort, auf deine Frage, was es an positiven Ressourcen zu nutzen gilt.

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Leon

  • Gast
Re: Stichwort "Depressiver Realismus"
« Antwort #3 am: 31 März 2010, 00:22:06 »

Danke für Eure Postings,

ja - es stimmt, ich mache mir auch nichts aus Marken und Status-Dünkel; ich kenne meine eigenen Grenzen recht gut und renne deshalb nicht wie viele blindlings in Überforderungen (gerade was die sog. "Karriere" im beruflichen Bereich angeht). Sicherlich ist die Gefahr, dass man sich mehr an den eigenen Grenzen als an den Möglichkeiten orientiert. Ich will mehr von den Möglichkeiten wissen, die ich als Erkrankter habe (die Grenzen kenne ich ja schon  ;).

@Wohlstandspudel: Du hast natürlich recht und ich sag' es jedem, ders wissen will: Tausendmal lieber habe ich die Nebenwirkungen der Medikamente als jeden Morgen um halb fünf das Gefühl, dass mir ein Dinosaurier auf dem Brustkorb steht und sich Eisenbänder um mein zappelndes Herz klemmen...

Allen eine gute Nacht.
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