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Mama

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Ina:
 
21. Februar 2021

Noch genau eine Woche, dann bist Du endlich frei. Frei in Deinem geliebten Meer – so, wie Du es Dir gewünscht hattest.
Ich war noch ganz klein, da sagtest Du hin und wieder, dass Du "ins Meer" willst, wenn Du "nicht mehr da" bist. Daran kann ich mich komischerweise noch gut erinnern.
Viel komischer finde ich allerdings, dass Du Deiner kleinen Tochter so etwas überhaupt erzählt hast. Warum?
Macht es einem Kind nicht Angst, wenn es so etwas zu hören bekommt? Doch, ich hatte Angst! Ich wusste schließlich gar nicht, was so eine Aussage wirklich zu bedeuten hat.
Ich hatte Angst, dass Du bald "weggehst" und mich alleine lässt. Diese Angst hatte ich ständig!


Sonntag also... Ich habe Angst vor diesem Tag.
Ich breche hier zu Hause immer noch häufig völlig unvermittelt in Tränen aus, ohne dass mir bewusst war, dass ich überhaupt an Dich gedacht habe.
Wie soll ich es dann Sonntag aushalten?
Ich habe Angst vor den Gefühlen, die mich erwarten. Ich habe Angst, zu dissoziieren. Ich habe Angst vor einem Nervenzusammenbruch.
 

Ina:
 
Ich habe abgenommen. Ich weiß, das hätte Dir nicht gefallen, aber das war mir schon immer egal. Der schöne, knielange, schwarze Rock, der mir im November eigentlich ein wenig zu eng war, weshalb ich ihn einfach als Taillenrock getragen habe, passt jetzt. Er sitzt ganz locker auf den Hüften. Ich bin froh, dass ich diesen Rock heute bei Deiner Bestattung "richtig" tragen kann, denn damit hast Du mich zuletzt gesehen. Mitte Dezember, als H. Dich im Pflegeheim besucht hat, zeigte er Dir auf meinen Wunsch hin zwei meiner Weihnachtsvideos von J. und meinem Videoprojekt. Zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass Du den Krebs nicht besiegen wirst. Es war zwar noch eine Immuntherapie angedacht, die Mitte Januar beginnen sollte, aber die hätte lediglich das Wachstum verlangsamt. Dazu ist es aber ja gar nicht mehr gekommen... Es lag mir jedenfalls sehr am Herzen, Dir eine Freude zu machen. Das war mir unglaublich wichtig. Ich hatte nicht die Kraft, Dich zu besuchen – das wäre emotional einfach zu viel für mich gewesen. Aber Du solltest unbedingt wissen, dass ich an Dich denke und dass es mir wichtig ist, Dir noch eine Freude zu machen. Also hat H. seinen Laptop mitgebracht, als er Dich besucht hat, und zeigte Dir darauf die beiden Videos. Du hast mich immer – okay, fast immer – so gerne singen gehört... Und ja: Die Überraschung ist gelungen – Du hast Dich gefreut. Ich schrieb Dir nachmittags eine SMS – die letzte – und fragte Dich, ob er sie Dir gezeigt hat. Du hast mir geantwortet, dass sie Dir gut gefallen hätten, auch wenn Dir zwischendrin die Tränen gekommen seien. Das waren die letzten Worte, die Du mir geschrieben hast. Ich habe die SMS noch. Es ist die einzige, alle anderen habe ich meistens nach wenigen Tagen gelöscht. Aber ich habe sie vorher immer abgetippt und in einer Datei auf dem PC gespeichert. Jede, die Du mir in den letzten Jahren geschrieben hast! Bei dieser SMS habe ich aber irgendwie gespürt, dass ich sie lieber "aufbewahren" sollte.

In den Videos trage ich jedenfalls den besagten Rock – und weil es das letzte "Bild" ist, das Du von mir hattest, möchte ich ihn auch heute tragen. Vielleicht werde ich mir zum ersten Mal seit Langem wieder die Haare hochstecken, denn das mochtest Du immer gerne sehen. H. wird mir noch einige Dinge von Dir mitbringen. Ich habe ihn gebeten, mir einen Ring, eine Kette oder ein anderes Schmuckstück von Dir mitzubringen, falls noch eines da ist. Ich würde es dann gerne heute tragen... Es ist alles nur Modeschmuck, aber das spielt für mich keine Rolle. Vielleicht habe ich dann das Gefühl, Dich nicht GANZ gehen lassen zu müssen, weil ich ja immer noch etwas von Dir bei mir habe.

Lars wird mich begleiten. Darüber bin ich so froh... Ihr kanntet Euch ja auch. Er und H. und seine Freundin kommen heute schon ganz früh zu mir und wir fahren gemeinsam an die Nordsee. Sobald das Schiff ablegt, werde ich nicht mehr vor Dir und meinem Schmerz fliehen können...

Lars meint, ich solle eine CD mit Musik von CPR für die Autofahrt brennen, weil sie mir so gut tut und eigentlich immer "hilft". Das werde ich jetzt machen.
 

Ina:
 
Ich denke gerade an Dich... Und ich muss auch wieder an die Bestattung denken. Dieser Tag war so schlimm für mich... Ich war nicht mehr weit vom Nervenzusammenbruch entfernt.

Diese Art von Schmerz war mir bis dahin nicht bekannt. Ich musste auch schon andere Menschen gehen lassen, zum Glück aber niemanden, der mir wirklich richtig nahestand. Es hat mich immer traurig und schwermütig gemacht und es sind auch Tränen geflossen. Aber das jetzt... Das hat sich völlig anders angefühlt. Natürlich hat es das! Du bist und warst schließlich schon immer mein schwerster (emotionaler) Kampf! Du, meine Mutter, die von einem Teil von mir verabscheut und von einem anderen Teil von mir abgöttisch geliebt wurde...

Diese "Abschiednahme" am 28.02. hat mich erneut in ein tiefes Loch fallen lassen, hat mich innerlich sehr aufgewühlt und ein Riesenchaos in mir hinterlassen.

Ich wünsche Dir jetzt nur noch Gutes.
 

Ina:
 
Letzte Woche habe ich wieder viel an Dich gedacht – ob ich wollte oder nicht... Kaum hatte ich mal für einen Moment die Augen geschlossen, habe ich Dich vor mir gesehen. Kurze, aussagekräftige Szenen waren es. Du hast mich angesehen – mit diesem typischen Blick, den ich noch von früher kenne und immer gehasst habe – und hast eindringlich auf mich eingeredet. Zwar konnte und kann ich diese Szenen keinen bestimmten Situationen zuordnen, doch weiß ich, dass es sie gegeben hat. Ich frage mich, warum ausgerechnet diese Bilder vor meinem geistigen Auge aufgetaucht sind; ob es wahllos irgendwelche Erinnerungen waren oder ob ich mich aus einem bestimmten Grund daran erinnert habe. Sie haben ein beklemmendes Gefühl in mir zurückgelassen.
 

Ina:
 
Als Lars heute bei mir war und wir am österlich hergerichteten Tisch gefärbte Eier aßen, musste ich an Dich denken. Ich habe mich daran erinnert, wie sehr Du das Geräusch gehasst hast, wenn man Eierschalen zerkleinert und zerdrückt hat. Und ich? Ich habe es geliebt, es auf die Spitze zu treiben und so lange auf den Eierschalen herumzudrücken, bis sie nicht mehr kleiner zu kriegen waren. Das hat mir damals große Freude bereitet – natürlich nur in Deiner Gegenwart.^^

Ich habe meine Kerze für Dich aus dem Schrank geholt, sie angezündet und mit auf den Ostertisch gestellt. Irgendwie habe ich das heute Nachmittag gebraucht.
 

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