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Autor Thema: Gefühlskälte durch Antidepressivum?  (Gelesen 1835 mal)

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Time To Wonder

  • Gast
Gefühlskälte durch Antidepressivum?
« am: 10 Juni 2017, 14:50:57 »

Ich wende mich an dieses Forum weil ich wirklich nicht mehr weiter weiss. 
Ich habe seit Anfang des Jahres eine Beziehung mit einem Mann, der unter Depressionen leidet. Nach einigen "Anfangsschwierigkeiten" in den ersten Wochen hatten wir eine sehr schöne Zeit miteinander, wir waren sehr verliebt, haben uns regelmässig getroffen und täglich SMS-Kontakt. Weil sich bei ihm jedoch wieder depressive Verstimmungen zeigten, hat der Arzt ihm Remeron verordnet - und von einem Tag auf den anderen war alles anders. Die ersten Tage war er unsagbar müde, danach haben wir uns  wieder getroffen und er wirkte irgendwie lieblos (und lustlos im Bett). Er beteuerte jedoch es ginge ihm besser, wir hatten auch zwischendurch immer wieder netten Sms-Kontakt. Nach einem zweiten Treffen, wo er sich ebenfalls komisch verhielt, meldete er sich plötzlich nicht mehr. Das war etwa 3 Wochen seit Beginn der Therapie. Auf mein Drängen hin ob wir uns mal sehen könnten bekam ich schliesslich als Antwort etwa folgendes: er bräuchte jetzt seine Ruhe, es läge nicht an mir, ich sei ihm auch nicht egal, er sei einfach nur müde und zur Zeit der falsche für Diskussionen und ich müsse einfach Geduld haben, im Moment wäre nicht "mehr" drin. Ich habe ihm daraufhin geschrieben dass ich glaube dass das Medikament ihn verändert hat, als Reaktion kann dann, wenn er so komisch sei müsse ich eben Distanz halten. Kann ein solches Verhalten, diese Gefühlskälte, wirklich eine Nebenwirkung vom Medikament sein? Wird das mit der Zeit wieder besser? Ich habe das Gefühl dass seine Gefühle für mich seit Beginn der Therapie einfach verschwunden sind und er sich entweder nicht sicher ist wie es weitergeht oder er einfach nicht weiss wie er es mir sagen soll dass es "vorbei" ist. Wie verhalte ich mich jetzt am besten?
Bin für alle Tips und Meinungen dankbar!
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Ina

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Re: Gefühlskälte durch Antidepressivum?
« Antwort #1 am: 10 Juni 2017, 15:47:37 »

Hallo Time To Wonder,

das ist wirklich eine blöde Situation und Deine Verunsicherung kann ich voll und ganz nachempfinden!

Remeron ist bekannter unter dem Namen Mirtazapin. Es ist ein tetrazyklisches Antidepressivum zur Behandlung von Depressionen und wird zudem häufig bei starker, innerer Unruhe / Anspannung und Schlafstörungen verschrieben. Ich habe es selbst eine Weile genommen (Höchstdosis), habe es aber aufgrund der Nebenwirkungen wieder abgesetzt (Heißhungerattacken, folglich Gewichtszunahme innerhalb kürzester Zeit, außerdem ständig extrem müde und benommen).

Dass es Dich irritiert, dass sich Dein Partner so schlagartig verändert hat, ist absolut verständlich – auch, dass Du zu zweifeln beginnst und Dich fragst, ob er das Medikament eventuell nur als Ausrede vorschiebt o.ä.! Ich denke aber, Du solltest versuchen, ihm die Zeit zu geben, die er braucht. Ich weiß, dass das sehr schwer ist! Bestimmt plagen Dich viele ungeklärte Fragen und Ängste... Es ist allerdings tatsächlich so, dass Mirtazapin bei manchen Patienten zu dieser Gefühlskälte sowie apathischen Zuständen und starker Müdigkeit / großem Schlafbedürfnis führt, vor allem in der Anfangszeit. Ob es sich bei Deinem Freund nach einer Weile wieder ändert / "normalisiert", wird Dir vermutlich niemand sagen können, denn Psychopharmaka haben nicht auf jeden Menschen genau die gleiche Wirkung. Manch einer merkt von Medikament X gar nichts, während es bei jemandem anders sehr gut anschlägt. Der eine leidet unter starken Nebenwirkungen, der andere verträgt es hingegen sehr gut und hat keine Probleme dieser Art. Die Zeit wird zeigen, wie es sich entwickelt... Vielleicht ist es auch nicht das richtige Medikament für ihn – dann wird er es langsam ausschleichen (die Dosis Schritt für Schritt reduzieren) müssen und vermutlich ein anderes Antidepressivum verschrieben bekommen.

Wie gesagt: Wenn Du es aushältst, lass ihm Zeit und Ruhe, so wie er es gerade für nötig hält – und warte ab, wie es sich entwickelt. Ein Dauerzustand wird es so natürlich nicht bleiben können – zum einen würde die Beziehung stark darunter leiden oder gar zerbrechen, zum anderen wird dieser Zustand wohl auch nicht das sein, was Dein Freund sich von dem Medikament erhofft hat. Sich nur noch zurückzuziehen, zu schlafen und sich von den Menschen zu distanzieren / isolieren, die einem doch eigentlich besonders am Herzen liegen, kann nicht Sinn der Sache sein... Ich hoffe, er hat regelmäßig Termine zur Kontrolle bei seinem behandelnden Arzt! Dieser wird einschätzen können, ob Mirtazapin für ihn geeignet ist oder er lieber ein anderes Antidepressivum ausprobieren sollte.

Es gibt hier übrigens sehr viele Beiträge zum Thema. Wenn Du im Board "Erfahrungen mit Kliniken, Therapien und Medikamenten" Mirtazapin in die Suche eingibst, werden Dir die verschiedenen Threads aufgelistet. Dort findest Du viele Erfahrungsberichte! Der aktuellste Thread ist, glaube ich, dieser hier:

www.nur-ruhe.de/smf/index.php?topic=9916.msg447842#msg447842

Dort wird ebenfalls von dieser Gefühlskälte gesprochen, wie Du sie beschrieben hast.


Ich wünsche Dir alles Gute, viel Durchhaltevermögen und Zuversicht!

Liebe Grüße

Ina
« Letzte Änderung: 10 Juni 2017, 15:48:48 von InaDiva »
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Time To Wonder

  • Gast
Re: Gefühlskälte durch Antidepressivum?
« Antwort #2 am: 12 Juni 2017, 10:07:44 »

Vielen Dank für die ausführliche Antwort, dem ist wohl kaum noch etwas hinzuzufügen. Ich werde jedenfalls versuchen mich mit Kontaktversuchen zurückzuhalten, aber es ist schwierig, ich vermisse ihn halt und mache mir auch Sorgen um ihn. Ich werde berichten ob sich alles doch noch zum Guten gewendet hat.
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Maria85

  • Gast
Re: Gefühlskälte durch Antidepressivum?
« Antwort #3 am: 11 Juli 2017, 20:25:12 »

Hallo...

Ich denke, eine Beziehung mit jmd einzugehen , der unter depressionen leidet, birgt immer ein restrisiko, das natürlich der "gesunde" trägt. Das weiß ich, weil es mir ja auch so geht wie ihm .

Wenn er eine Therapie begonnen hat, dann ist das für ihn und seine Genesung wichtig und er kann sich nur auf ein was konzentrieren... nämlich auf sich selbst!

Er meint es sicher nicht böse oder das es gegen dich als Person ist ..Oder er sich gegen dich entscheidet! Aber er kann nicht anders.. Ich kann nur von mir selbst ausgehen. Man tut Menschen weh und verletzt sie ,obwohl man es nicht will und sie einem am nächsten sind! Aber ich kann das ni steuern...Ich bin dann in so einem Ausmaß mit mir selbst beschäftigt das ich mich um niemand anderen kümmern kann ...

Gib ihm die zeit ... Und nutze du die zeit , etwas zur ruhe zu kommen...durchzuatmen..
Mit uns ist es sicher nicht einfach aber deswegen nicht weniger liebenswert. 
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