"Ich will einfach nur Ruhe. Ich kann nicht mehr." Diese und ähnliche Worte habe ich oft von ihr gehört.
Ruhe hat sie jetzt, nachdem sie gesprungen ist.
Und was ist mit mir? Meine Ruhe ist vorbei. Innerlich schreit alles in mir. Dabei ist es schon ein Jahr her.
Wenn ich arbeite, ist der Platz neben mir leer. Alles erinnert mich an sie. Sehe ich ein Auto wie ihres, muss ich unweigerlich hinsehen. Kein Feiertag, den ich nicht mit einem Weg zum Friedhof beginne.
Es ist ein Jahr her und keiner fragt mehr nach ihr. Keiner fragt mich, wie es mir geht. Dabei wissen alle, dass ich sie dort gefunden hab. Dass ich vorher und nachher den engsten Kontakt zu ihr hatte, mich um die Messe, um die Todesanzeigen und ums Grab gekümmert habe und letzteres auch immer noch tue, dass ich allen Fragen beantworten und alle trösten musste.
Wer hat mich eigentlich getröstet?
Vielleicht denken alle, sie war ja nur eine Freundin und es ist ja auch schon ein Jahr her. Außerdem lache ich ja auch und sehe nach außen hin recht unbeschwert aus.
Und der Pfarrer, der für mich als Seelsorger geschickt wurde, klopfte mir auf die Schulter und sagte nur, wenn ich ihn bräuchte, wüsste ich ja, wo ich ihn finden könnte. Dann ging er.
Seitdem bin ich mit meinem Leben nur noch unzufrieden. Mit mir und meinem Job. Ich hab vergessen, wann ich in diesem Jahr glücklich war.
Ich versuche mich damit abzufinden, dass sie nicht mehr da ist. Aber ihre Telefonnummer ist immer noch in meinen Telefonen gespeichert, genau wie ihre letzte sms. Wie kann man sich eigentlich damit abfinden? Wie bekomme ich die schlimmen letzten Tage ihres Lebens, an denen ich nichts ändern konnte, aus meinem Kopf? Wie gehen eigentlich diese Bilder weg?
Die Bilder...als ich von meinem Job aus vormittags zu ihrer Wohnung gefahren bin, weil sie nicht erreichbar war. Wie ich an alle Fenster geklopft, geschellt und gerufen hab? Wie ich zu ihrem Pferd gerast bin und vor mir Feuerwehr und Notarzt mit Sirene und Blaulicht zum Steinbruch fuhr? Ausgerechnet zu dem Steinbruch, von dem sie doch schon einmal gesprochen hatte?
Wie bin ich eigentlich den ganzen steinigen Weg da runter gekommen? Durch die Absperrung durch, um unten angekommen abgefangen zu werden und zu wissen, dass alles zu spät ist.
Ich weiß es nicht. Vielleicht finde ich hier eine Antwort.