So wie der Mensch und alles im Leben zwei Seiten hat, so hat es auch der Freitod.
Fangen wir mal mit der dunklen an. Der Schuld. Dem Schaden, den er anrichten kann.
Ein Schulfreund von mir, den ich als gutmütigen und friedfertigen Menschen in Erinnerung habe, hat sich als junger Erwachsener erst die Pulsadern geöffnet und, nachdem er gerettet werden konnte, im Krankenhaus aus dem Fenster gestürzt.
Er war Bauer, hatte Landwirtschaft studiert und war frisch verheiratet. Die Ehe funktionierte jedoch von Anfang an nicht, wie das so vorkommt, und seine Frau traf die Entscheidung, ihn zu verlassen, bevor Kinder ins Spiel kommen und weil immer einer den ersten Schritt tun muss.
An sich keine große Geschichte. Nur leider sah er das etwas anders, weil er ohne seine Frau keinen Sinn mehr in seinem Leben erkennen konnte und daraus den offensichtlich unabwendbaren Schluss gezogen hat, dasselbe zu beenden.
Und die Frau, ich kannte sie flüchtig, oder vielmehr Witwe wird zeitlebens mit dem Vorwurf zu tun haben, ihn auf den Gewissen zu haben. Erst mal von seiten der Umwelt, vor allem aber vor sich selbst. Irgendwo in einer verborgenen Kammer ihrer Seele dürfte sie sich bis heute als Mörderin fühlen.
Und das ist tatsächlich ein Problem.
Jeder Freitod geschieht in einem sozialen Umfeld. Und immer und überall lässt er Leute zurück, die sich schuldig fühlen, und sei es das Pflegepersonal im Krankenhaus, das sich vorwirft, nicht genug auf den Verzweifelten aufgepasst zu haben.
Irgendjemand fühlt sich immer schuldig am Tod des "Selbstmörders", meist Partner, Freunde, Verwandte oder Eltern. Und auf deren Leben lastet fortan ein Schatten, oft bis ans eigene Lebensende.
Wenn also im Zusammenhang von Freitod überhaupt von Schuld gesprochen werden kann, dann hier.
Freilich kann man sich tausendmal einreden, dass ja keiner ahnen konnte, dass der gleich so "überreagiert". Dass man deshalb sein eigenes Leben auch nicht wegwerfen kann. Dass man sicher war, das für alle Beteiligten Beste zu tun.
Aber das passiert im Kopf, in der Seele bleibt eine Wunde.
Freunde fragen sich, warum sie ihn nicht besucht haben, ihm gut zugeredet, dass das Leben ja noch nicht vorbei sei, er ja noch diesen wunderschönen Bauernhof habe und eine Fernsehkarriere bei "Bauer sucht Frau" vor sich.
Und die Eltern fragen sich, warum sie das nicht gesehen, gespürt, vorhergesehen haben, sie wussten doch schließlich am besten, wie empfindsam er war, und warum sie nichts unternommen haben.
Jeder Freitod gibt Hinterbliebenen das Gefühl, in irgeneiner Form Schuld zu tragen an der Sache, und das ist einfach nur übel.
So weit die dunkle Seite.