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Der "Oheim"

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Ina:
22.09.2017

Freitag Mittag, 13:35 Uhr:

   R.: "Hallo Ina. W. ist heute ins Hospiz verlegt worden."


Freitag Abend, 18:20 Uhr:

   L.: "W. ist heute gestorben. Ein paar Stunden nachdem er ins Hospiz gekommen ist. Er hatte sehr starke Schmerzen und ihm wurde ein Schmerzmittel gegeben. Die Schmerzen haben dann irgendwann auch aufgehört. Seine Atmung aber auch..."



Es sah aus, als ginge es ihm langsam besser. Damals. Doch sein Zustand hat sich wieder immens verschlechtert. Am 27. August habe ich erfahren, dass die Ärzte ihm geraten haben, sich nun um einen Platz in einem Hospiz zu kümmern. Der Krebs habe gestreut, die Leber sei "zerfressen" und würde bald versagen, hieß es. Sein Immunsystem sei bereits so sehr geschwächt, dass die Chemotherapie nicht fortgesetzt werden könnte. Die Chancen, dass es sich wieder so weit stabilisiert, dass die Behandlung wiederaufgenommen werden könnte, stünden schlecht. Es sei sehr unwahrscheinlich.


Ich hatte so sehr auf ein Wunder gehofft. Ich konnte und wollte nicht glauben, dass das alles wirklich passiert. Mir kamen umgehend die Tränen, als Lars es mir am Telefon sagte, aber real hat es sich dennoch nicht angefühlt. Und nun ging alles so schnell. Viel schneller als erwartet. Vor ein paar Tagen kam W. wegen Blutungen ins Krankenhaus. Darüber hat mich leider niemand in Kenntnis gesetzt, aber das spielt nun keine Rolle mehr. Vorgestern wurde er ins Hospiz verlegt und ist wenige Stunden später verstorben. Der Krebs hat ihn besiegt.


Die Abende in Nordholz, Cuxhaven und Hamburg sind im Moment so präsent... Wie wir alle zusammengesessen haben, immer in netter, geselliger Runde. Wie wir im Garten gegrillt und bis spät in die Nacht mit Gin Tonic und Bier dort oder im Wohnzimmer verweilt haben. Wie wir – Du und Lars und sein Vater und ich – in voller Lautstärke dieses blöde Lied aus "Zwei wie Pech und Schwefel" gesungen und uns darüber kaputtgelacht haben. Ich habe es ständig im Ohr und auch wenn die Erinnerung daran eine schöne ist und mich amüsiert, weint ein Auge mit.

Ich hoffe, das Leid hat jetzt ein Ende, lieber "Oheim".

Bella:
Liebe Ina, das tut mir so leid. Ich bin in Gedanken bei dir und zünde hier still eine Kerze für ihn an.

Ina:
Das war er nun also, der "offizielle" Abschied.

Gestern Vormittag um 11:00 Uhr war die Trauerfeier in der Kapelle eines Friedhofs in Hamburg. Sehr viele Verwandte, einige Arbeitskollegen und zwei enge Freundinnen waren da. Manche hatten eine richtig weite Fahrt – eine Freundin kam sogar ganz aus Luxemburg angereist.

Der Anlass war natürlich ein trauriger, aber es war schön, die ganzen Verwandten von Lars nach so vielen Jahren mal wiederzusehen. Einige haben mich zur Begrüßung ganz lieb umarmt und gesagt, dass sie sich freuen, dass ich auch dabei bin. Das hat mir gut getan und das Gefühl gegeben, dass es richtig ist, dort zu sein.

Und ja, es war tatsächlich gut und richtig.

Traurig und schmerzhaft natürlich auch... Sehr.


Vorne in der Kapelle stand der Sarg. Viele Blumen lagen bereits dort, drumherum wurden vorher lauter Blüten verstreut und dazwischen befanden sich überall Kerzen. Neben dem Sarg stand ein großes, total schönes Foto von W... Daneben und dahinter wurden zwei "Wände" aus Draht aufgestellt, in welchen viele brennende Teelichter in orangefarbenen Kerzenhaltern hingen. Es wurde wirklich sehr schön vorbereitet.

W.s Vater hat für die engen, besonders vertrauten Verwandten vorher noch rote Rosen besorgt. Mir hat er auch eine gegeben... Als ich nach vorne gegangen bin, um die Blume dort abzulegen, habe ich schon mit den Tränen gekämpft... Nachdem alle Platz genommen hatten, ging es los. Die Trauerfeier begann mit einem Lied – Musik hatte einen hohen Stellenwert in W.s Leben. Seine beiden Brüder haben die Stücke ausgesucht, die dort gespielt wurden. Die ersten Töne erklangen und mir kamen sofort die Tränen – und die liefen mir noch über mein Gesicht, als wir die Kapelle bereits verlassen hatten. Lars, der neben mir saß, ging es genauso.

Ungefähr 40 Minuten hat es gedauert. Gesprochen hat dort ein freier Trauerredner (W. war nicht in der Kirche) – und er hat es gut gemacht. Ganz zu Beginn, bevor er gesprochen hat, und ebenso zum Abschluss, bevor er die Kapelle verlassen hat, stand er vorne, hat ganz viel Ruhe "im Raum verteilt", sich dem Sarg und dem Foto zugewendet und sich vor diesem verneigt. Diese Geste fand ich sehr, sehr schön von ihm.

Es kristallisierte sich schnell heraus, dass er sich im Vorfeld intensiv mit verschiedenen Verwandten und anderen Menschen, die W. nahestanden, unterhalten hat. Viele kleine Anekdoten und Details hat er in seine Rede eingebaut. Sehr emotional das Ganze... Mir kamen währenddessen total viele Erinnerungen wieder in den Sinn, die gar nicht mehr so präsent waren... Zwischendurch musste ich aber auch schmunzeln, weil es schöne, witzige Erinnerungen waren, die der Redner auf ganz charmante Weise vorgetragen hat. Er hat sogar tatsächlich das Lied erwähnt, auf welches ich hier in meinem ersten Beitrag Bezug nahm! Das fand ich so toll! :) Und es hat mir nochmals gezeigt, dass es richtig war, dort zu sein. Ich kann nicht behaupten, dass ich W. wirklich nahestand – deshalb hatte ich vorher zwischendurch so ein bisschen meine Zweifel. Aber die waren unnötig. Schließlich kannte ich ihn, habe ihn in der Zeit, als Lars und ich noch ein Paar waren, häufig gesehen, unzählige Stunden mit ihm und den anderen verbracht und wir haben geredet, zusammen gelacht und gesungen, mit Musik oder in angenehmem Schweigen die Abende ausklingen lassen usw... Und das Wichtigste: Ich mochte ihn. So ein angenehmer Mensch war er... Hat ganz viel Ruhe und Wärme ausgestrahlt. Und für die Traurigkeit, die manchmal in seinen Augen zu sehen war, brauchte es keine Worte, damit ich sie verstand. Er hatte ebenfalls Depressionen.

Zwischendurch hat der Redner Zitate von Philosophen verlesen, die ich sehr passend und zudem einfach schön fand. Mir – und ich glaube, auch allen anderen – ging das sehr nah.

Auf jedem Platz lagen übrigens ein Zettel und ein Stift. Während das zweite Lied gespielt wurde, konnte jeder, der wollte, etwas auf den Zettel schreiben, was er mit W. verbindet, ihn an ihn erinnert oder ähnliches. Das konnte ein Wort, ein Begriff oder auch mehr sein. Das war jedem selbst überlassen. Die Zettel wurden anschließend eingesammelt. Am Ende der Trauerfeier hat der Trauerredner alles vorgelesen und jeden Zettel in eine kleine Schatzkiste aus Holz gesteckt. Die Zettel waren aus festem Papier und absichtlich etwas größer, als dass man die Schatztruhe noch hätte schließen können. Dies sollte symbolisieren, dass alle Menschen, die mit W. zu tun hatten, ihn kannten, mochten und liebten, ihre eigenen, ganz unterschiedlichen, persönlichen Erinnerungen an und Wahrnehmungen von ihm haben bzw. hatten, die alle wertvoll sind, niemals in "eine Kiste" passen würden und vor allen Dingen nicht verschlossen und beiseite gestellt gehören. Sie dürfen und sollen weiterleben – in unseren Gesprächen und ganz besonders in unseren Herzen.

Mein Zettel war der letzte, der verlesen wurde. Ich habe etwas aufgeschrieben, was nicht nur *eine* Erinnerung für sich ist, sondern hinter der noch viele, viele weitere Erinnerungen stehen. Schöne Erinnerungen und Gedanken. Irgendwie war es genau richtig, dass dieser Zettel ganz zum Schluss vorgelesen wurde, denn er hat bei manch einem in der Kapelle für ein Schmunzeln oder sogar für ein kurzes Kichern gesorgt. :)

"Zwei wie Pech und Schwefel"

claudi:
<3! liest sich gut. traurig schön eben!<3

Bella:
Dein Bericht hat mich sehr berührt, Ina. Ja, traurig und schön zugleich. Möge er nun in Frieden ruhen.

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