Ich bin der nutzloseste Mensch den es gibt.
An diesem Gefühl werde ich höchstwahrscheinlich nichts ändern können, ganz gleich, was ich schreibe. Dennoch möchte ich es mir nicht nehmen lassen, Dir zu sagen, dass das ganz großer Blödsinn ist. Du bist vieles, aber sicher nicht nutzlos. Dass Du Dich so fühlst, kann ich allerdings nachempfinden. All die negativen Erlebnisse und Enttäuschungen haben ihre Spuren hinterlassen und dass sich solche Gedanken und Gefühle im Laufe der Zeit verfestigen, ist wohl ziemlich normal.
Wir haben uns hier vor schätzungsweise 15 Jahren kennengelernt, hatten auch viele Jahre intensiven Kontakt und haben uns fast täglich geschrieben. Ich bin davon überzeugt, Dich gut genug zu kennen, um ehrlich und von Herzen sagen zu können, dass Du gewiss nicht nutzlos, unwichtig, wertlos oder irgendetwas anderes in dieser Richtung bist. Jetzt denkst Du vermutlich: „Warum behandeln mich dann alle so?“ – und darauf habe ich keine Antwort. Und ich weiß auch nicht, ob das wirklich „alle“ tun oder ob Dich Dein Gefühl da ein wenig täuscht. Was ich mir aber vorstellen könnte, ist, dass es sinnvoll wäre, es mal andersherum zu betrachten: Nicht DU bist nutzlos und findest deshalb keinen „Boden“ in Deiner Umgebung, sondern Deine Umgebung / Dein Umfeld ist unpassend für Dich und Deine Vorstellungen und Stärken. Möglicherweise werden sie da, wo Du bist, tatsächlich nicht gebraucht. Das ist durchaus denkbar. Warum Du so ein Pech hast, weiß ich auch nicht. Aber ein Mensch mit Humor und der Fähigkeit, andere zum Lachen zu bringen und zu erfreuen; ein Mensch, der viele kreative Ideen und viel Fantasie hat; der einfühlsam ist und im Grunde ein schönes Herz hat; der handwerklich begabt ist; der beruflich deutlich mehr kann, als von ihm gefordert wird und der auch in anderen Bereichen umfassende Kenntnisse hat, kann einfach nicht nutzlos sein. Und genau SO einen Menschen sehe ich in Dir.
Das Bild, das ich von Dir habe, ändert nichts – das ist mir klar.. Es lag mir aber am Herzen, es Dir zu schreiben.
Mir wird an der Stelle oft vorgeworfen ich würde mich nicht um Kontakte kümmern oder darum bemühen. Aber aus meiner Sicht is eher das Gegenteil richtig.
[...]
Es endet eigentlich immer damit, dass ich irgendwann keine Antwort mehr bekomm.
Dazu haben wir ja vor ein paar Monaten schon mal Gedanken ausgetauscht. Solche Verhaltensweisen (sich einfach nicht mehr melden u.ä.) empfinde ich als respektlos, verletzend und verunsichernd. Leider habe ich in den letzten Jahren aber den Eindruck gewonnen, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, dass so etwas immer häufiger vorkommt und mehr und mehr zur „Normalität“ wird – insbesondere wenn der Kontakt bis dahin nur oder überwiegend online stattgefunden hat. Dann ist es doch sehr viel einfacher, sich „mal eben“ aus dem Staub zu machen, anstatt zu reden. Es scheint, als hätten viele Menschen keine Lust mehr, sich wirklich mit ihrem Gegenüber auseinanderzusetzen, sobald ihnen irgendetwas nicht passt, zu kompliziert vorkommt oder nicht ihrem Ideal entspricht. Ich beziehe das vor allem auf ein Kennenlernen übers Internet und sowohl auf Freundschaften als auch auf Partnerschaften. Solche Geschichten habe ich nun schon so oft gehört und gelesen, dass sich bei mir mehr und mehr ein Bild von viel Feigheit und wenig Emotion und ebenso wenig Interesse an einem echten Kennenlernen auftut.
Dass die Gründe für Ghosting in erster Linie bei dem liegen, der allein gelassen wird, bezweifle ich doch stark. Ich wollte aber auf etwas anderes hinaus: Die Gründe, warum sich jemand zurückzieht – sei es nun auf diese unschöne Weise oder wenigstens mit Begründung – und sich ein anfangs netter Kontakt dann doch nicht intensiviert, können ganz unterschiedlicher Art sein. Manchmal merkt man nicht sofort, dass es einfach nicht passt. Manchmal kommt man aus ganz persönlichen Gründen, die weniger mit dem Gegenüber als mit der Vergangenheit zu tun haben, mit bestimmten Verhaltensweisen nicht zurecht. Manchmal stellt man nach einiger Zeit fest, dass das Bild, welches man von jemandem hatte, nicht mit der Realität übereinstimmt. Oder es stellt sich wider Erwarten heraus, dass man in grundlegenden Dingen völlig konträre Vorstellungen hat. Oder man hat unterschiedliche Erwartungen an den jeweils anderen. Oder die Bedürfnisse, wie der Kontakt gestaltet wird und wie häufig es diesen gibt, unterscheiden sich stark voneinander. Was auch nicht zu unterschätzen ist: Die eigene Stimmung und Ausstrahlung überträgt sich schnell aufs Gegenüber – und dementsprechend wird man auch angenommen oder eher abgelehnt.
Es kann also tausend Gründe haben. Und mindestens die Hälfte davon impliziert NICHT, dass die Person, von der man sich abwendet, nutzlos, schlecht, uninteressant oder minderwertig ist oder nicht auf diesen Planeten gehört. Und es bedeutet auch nicht, dass alle anderen „schlecht“ sind und man mit keinem Menschen dieser Erde je klarkommen wird. Zu dem Thema habe ich vorhin etwas im Gästebereich geschrieben, was hier zum Teil auch passend sein könnte: https://www.nur-ruhe.de/smf/index.php?topic=13107.msg734368#msg734368
Wenn Du Dich da, wo Du bist, schon seit so vielen Jahren nicht gebraucht fühlst, den Eindruck hast, dort keine Perspektiven zu haben und Dich offenbar ja nichts und niemand hält, könnte ein Ortswechsel sinnvoll sein. Aber nicht, um dort genauso weiterzumachen, sondern um mit anderen Voraussetzungen und Herangehensweisen neu zu beginnen. Zum Beispiel mit einer neuen Arbeitsstelle mit höheren Anforderungen, damit Du Dich nicht unterfordert fühlst. Kontakte im realen Leben knüpfen und nicht übers Internet. Ist nicht so einfach, bringt aber oft viel mehr, weil man sich direkt sieht und schneller feststellt, ob die Chemie stimmt, man sich versteht und es passt oder eben nicht. Eine Gegend, die Dir völlig unbekannt ist und Deiner jetzigen nicht zu sehr ähnelt, sodass Du gerne rausgehst und Dich automatisch irgendwie „anders“ fühlst, weil auch alles um Dich herum anders ist, Du eine neue Wahrnehmung bekommst oder sie erweiterst und alten, eventuell destruktiven oder auch nur langweilenden Gewohnheiten nicht mehr so einfach nachgehen kannst.
Das ist kein einfacher Schritt, aber er könnte sich lohnen und Dir helfen, Dich nicht weiter im Kreis zu drehen.
Alles Liebe für Dich!