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Autor Thema: Befreit  (Gelesen 293 mal)

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Mitleser

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Befreit
« am: 03 März 2024, 02:56:30 »

Was findet man, wenn man sich nie folgt?

Was ist man, wenn man nie ist?

Wie lange erträgt man ungelebtes Talent?

Ich schaue mir zu, wie einem Passagier in einem unbesetzten Nachtbus. Ich fahre durch menschenleere Gegenden. Um mich herum alles gedämpft und still. Ich fahre dahin wohin der Bus mich bringt. Fahre nie selber. So wie in meinem Leben. Irgendwer steuert irgendwo hin und ich warte das irgendein Halt mich aus meiner Bahn spült. Irgendein Stop der mich für einen unbedeutenden Moment meiner Aufmerksamkeit verpflichtet, um dann in der Dunkelheit hinter mir für immer zu verschwinden.
Ich bin wie ein Stück Treibgut, das von der Brandung spielend an den Strand geworfen und wieder hinausgerissen wird. Tag und Nacht. Stunde um Stunde.
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Ponyhof

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Re: Befreit
« Antwort #1 am: 03 März 2024, 13:36:29 »

#gefälltmir

 @Mitleser
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Ina

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Re: Befreit
« Antwort #2 am: 11 März 2024, 23:47:57 »

 
Was findet man, wenn man sich nie folgt?

Was ist man, wenn man nie ist?

Wie lange erträgt man ungelebtes Talent?

Je mehr Raum man seinen Talenten gibt und sich selbst erlaubt, sich zu entfalten und weiterzuentwickeln, desto mehr folgt man sich selbst und desto mehr wird man auch zu dem Menschen, der man wirklich ist bzw. desto mehr gibt man sich selbst die Möglichkeit, das aus sich herauszuholen, was bereits in einem steckt.

Als Kind und Jugendliche wurde es mir verwehrt, mich zu entfalten und meine Talente wurden nicht gesehen und nicht gefördert. Wäre es anders gewesen, hätte ich später wahrscheinlich viel mehr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gehabt. Ich habe es mir sogar noch viele Jahre später selber nicht erlaubt, weil ich dachte, es nicht wert zu sein oder nicht das Recht dazu zu haben. Das waren natürlich falsche Glaubenssätze aus der Kindheit. Es gelingt mir auch heute nicht immer, aber doch schon deutlich besser als früher. Wenn ich mich frei(er) und glücklich(er) fühlen möchte, muss ich meine eigenen Bedürfnisse erkennen und anerkennen und mir das Recht einräumen, sie umzusetzen und in mein Leben zu integrieren. Meistens ist es ein sehr gutes Gefühl, mir Zeit für meine persönlichen Interessen und Talente zu nehmen und etwas zu tun, was mir wirklich liegt und gefällt und mir nicht von irgendjemandem vorgeschrieben wurde oder womit ich nur einer Pflicht nachkomme.


Um mich herum alles gedämpft und still. Ich fahre dahin wohin der Bus mich bringt. Fahre nie selber. So wie in meinem Leben. Irgendwer steuert irgendwo hin und ich warte das irgendein Halt mich aus meiner Bahn spült. [...] Ich bin wie ein Stück Treibgut, das von der Brandung spielend an den Strand geworfen und wieder hinausgerissen wird. Tag und Nacht. Stunde um Stunde.

Das ist eine ausgesprochen gute Beschreibung dessen, wie ich eine langjährige, chronische Depression empfinde. Ich bin froh, dass Du es hier aufgeschrieben hast, denn es erinnert mich daran, wie viel schlechter (als heute) es mir noch vor wenigen Jahren ging. Es ist wohl sehr individuell, wie und wann man es schaffen kann, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen. Leider habe ich keinen Rat für Dich. Mir selbst hat etwas völlig Banales dabei geholfen, mich nicht mehr nur „von außen“ einfach so lenken oder treiben zu lassen, sondern endlich mehr in die Richtung zu gehen, die ich mir selbst wünsche. So albern es klingt, aber es war und ist (unter anderem) das Radfahren. Im Sommer 2022 habe ich mich aufs Fahrrad gesetzt und bin losgefahren, jeden Tag ein bisschen mehr und ein bisschen weiter. Ich habe mir keine Routen angesehen, sondern habe mich allein von meinem Gefühl (!) leiten lassen und bin dorthin gefahren, wo es mir gefiel und wo ich mich wohlgefühlt habe. Ich habe emotional unglaublich viel Freiheit und Unabhängigkeit dadurch gewonnen und die Verbundenheit mit der Natur hat mich immer wieder sehr geerdet. Ich habe mir Zeit für mich und dieses Bedürfnis genommen – so viel, wie ich eben brauchte. Und ich habe dabei die Schönheit der Natur auf ganz besondere Weise entdeckt und lieben gelernt und sehr viel Kraft darin gefunden. Im Moment ist mir das alles aufgrund von Long Covid nicht mehr möglich (bin körperlich sehr stark eingeschränkt und kaum belastbar) und ich merke, wie ich mich innerlich zunehmend eingeengt fühle und dass es sich auch auf mein seelisches Wohlbefinden auswirkt. Der Zusammenhang ist für mich offensichtlich. Manchmal sind es wohl tatsächlich solche Kleinigkeiten, die einem doch enorm weiterhelfen und innere Freiheit schenken können. Ich habe es eher durch Zufall entdeckt. Und ja, natürlich weiß ich, wie schwer es während / mit einer Depression ist, so etwas zu finden und dann auch noch den Antrieb dafür aufzubringen, es umzusetzen... Vielleicht muss man vorher erst einmal lernen, sich von falschen Glaubenssätzen zu verabschieden und sich und seine Bedürfnisse zu erkennen.

Ich weiß nicht, ob Dir mein Text in irgendeiner Weise weiterhilft, aber ich wollte Dir sagen, dass Du gelesen und wahrgenommen wirst und was meine Gedanken dazu sind.
 
« Letzte Änderung: 12 März 2024, 00:09:09 von Ina »
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Ina

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Re: Befreit
« Antwort #3 am: 11 März 2024, 23:55:55 »

 
Nachtrag:

Die Frage, ob man sich und sein Leben aktiv steuern kann, lässt sich auch noch anders betrachten. Wenn man an Schicksal oder an Gott glaubt, ist man es dann wirklich selbst, der aktiv und selbstbestimmt durch sein Leben geht? Oder wird man nicht ohnehin „von oben“ geführt? Und kann das nicht sogar ein guter Gedanke sein, der alles ein bisschen leichter macht? Ich glaube daran, dass nichts ohne Grund geschieht. Und durch meinen Glauben an Gott und mein damit verbundenes Vertrauen habe ich auch gelernt (zumindest teilweise), es anzunehmen, auch wenn sich mir der Sinn hinter all dem Erlebten (noch?) nicht erschließt. Ich kann dadurch ein bisschen mehr meinen Frieden mit allem machen.
 
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