Ach Nubis, die Religion ist nicht der einzige Zaun in unseren Köpfen. Da wären noch Rassismus, Ideologien, der ewige Streit zwischen Bier- und Weintrinkern oder die unendliche Schlacht zwischen den Geschlechtern. Könnte man fortsetzen, muss aber nicht sein. Unsere Feindbilder sind leider nicht mehr so einfach zu defininieren wie in der guten alten Zeit. Da wars einfacher, da gabs halt Juden, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Kommunisten, Arbeitslose und Langhaarige. Die Welt hatte eine definierte Ordnung und alles war klar überschaubar für die rechtschaffenen Menschen dieser Welt. So war das noch im Jahre des Herrn 1961.
Neben Familie und Schule gab es natürlich auch damals noch andere Probleme in der Welt. Für uns Kinder war das erst gar nicht so interessant, man hörte was und hats halt nicht verstanden. Man hat versucht es uns zu erklären, aber so richtig wichtig war es für keinen von uns. Raufen, im Schulhof spielen, Lehrer ärgern, das war unsere kleine Welt. Erst nach und nach mussten auch wir Kinder über den Rand unserer kleinen Welt hinaus schauen. Nicht, dass wir auch nur ansatzweise etwas verstanden hätten, aber wir hatten Gespür. Wir merkten und fühlten, dass da etwas war, viel zu abstrakt und weit weg, aber trotzdem mit einem großen Einfluss selbst auf uns Halblinge.
Es war die Angst vor der Bombe, die Angst vor dem 3. Weltkrieg, die sich zu dieser Zeit in der ganzen Gesellschaft breit machte, es war der kalte Krieg.
Cold War Kids...
Es kam irgendwie schleichend. Die Feueralarmübungen in der Schule wurden ausgeweitet. Es gab "Luftschutzübungen". Es wurden Filme gezeigt, tolle Aufnahmen in schwarz-weiß, ruckelig und mit Flimmern. Atombomben wurden da gezeigt. Wie der Atompilz in den Himmel stieg und auch Bilder von Hiroshima, die mit den schwarzen Schatten an den Wänden, von Menschen, die sich in Luft aufgelöst hatten. Und Panzer, die sich in Berlin gegenüberstanden, mit laufenden Motoren und die Kanonen aufeinander gerichtet. Und wie man schnell unter die Schulbank kriechen konnte und die Augen zu machte. Ja, ich habe das geübt 1961. Mindestens einmal jeden Monat. Wir kannten Bilder vom Krieg, selbst damals schon. Fast jede Familie hatte einen Fernseher und die Nachrichten, die ich nicht schauen durfte und sie deshalb natürlich angeschaut habe, die handelten alle meist vom Krieg. Und der Frage, die über allem Stand, "werden sie die Bombe werfen". Und langsam wurde es auch uns Knirpsen klar, dass da etwas schlimmes vor sich geht. Politik haben wir nicht verstanden. Wir wussten auch nicht was Demokratie oder Kommunismus ist. Auch nicht was "freie Welt" bedeutet oder das Gegenteil davon. Es war uns auch egal.
Irgendwann, wohl so kurz vor dem Mauerbau 1961 haben meine Eltern angefangen Vorräte anzulegen. In unserem Keller. Der war recht groß und da passte was rein. Auch die Matrazen, die mein Vater dort hinstellte. Alle zwei Wochen haben die Sirenen geheult, nur zur Übung, aber wir Kinder mussten dann in den Keller rennen. Anfangs war das lustig. Aber irgendwann kam die Angst. Auch zu uns Kindern. Was sollen denn Kinder machen, wenn sie sicher im Keller sitzen und die Welt über ihnen ausgelöscht wurde? Das waren Fragen, die uns beschäftigten. Das wir dann auch tot sein würden, das konnten wir uns altersbedingt natürlich nicht vorstellen. Die Erwachsenen führten mit leiser Stimme Erwachsenengespräche, wohl im Glauben wir Kinder würden nichts mitkriegen. Aber wir haben alles gehört. "Werden sie die Bombe werfen?", "Werden sie die Bombe in unserer Region abwerfen?", solches oder ähnliches hörten wir fast täglich.
In der Schule haben sie "Blendschutz" an die Fenster installiert, als Schutz vor dem Atomblitz. War nur ein dunkles Rollo, aber auch das machte Angst. Wir begannen zu begreifen, dass es kein Spiel mehr war. Wir haben darüber natürlich auch geredet. Jeder hatte was zu sagen, was er von seinen Eltern gehört hatte, was in den Nachrichten war und dass man 2 Matrazen braucht, eine um darauf zu liegen und eine um sich darunter zu verstecken. Wir haben diskutiert, ob es möglich wäre sich auf dem Spielplatz schnell genug einzugraben. Ja, heute lache ich, damals war das sehr ernst gemeint und wir haben es tatsächlich ausprobiert. Vieles veränderte sich in dieser Zeit und wir Kids, wir verloren etwas. Unsere Unbeschwertheit, der Ernst des Lebens hatte begonnen...
Kinder machen aus allem ein Spiel, das ist ihr Privileg. Wir spielten Atomkrieg, dachten uns Verstecke aus und übten mit den Händen vor den Augen Schutz zu suchen. Ja, so war das 1961 aus der Sicht des 8-jährigen Volksschülers...
Aber es kam noch schlimmer, etwas später, als weit weg von uns in Kuba die Welt am Abgrund stand. Aber das ist eine andere Geschichte...
lg
Hobo, mitten drin in Erinnerungen...