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Autor Thema: Kleine Geschichten...  (Gelesen 8893 mal)

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nubis

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Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #15 am: 06 Dezember 2011, 08:57:56 »

:-)


Zu den Belgiern muss man aber noch sagen: da ging es nicht um Religion.

Tatsächlich ist Belgien in dieser Hinsicht eins der tolerantesten Länder, die ich mir vorstellen kann (wenn nicht das Toleranteste) - ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in Bezug auf den Glauben jemals Unstimmigkeiten gab - außer eben innerhalb unserer Familie^^ - was aber weniger mit dem Land als vielmehr an meinem recht dominanten Vater und der speziellen Familienkonstellation lag.

Nein, die Belgier sind zwar mehrheitlich katholisch, aber sie erkennen sogar Kulte an, zu denen zum Beispiel auch eine atheistische 'Freigeistige Weltanschauungsgemeinschaft' gehört, was nichts anderes heißt, als dass da jeder glaubt, was er will^^

Die Barriere zwischen Flamen und Wallonen beruht nicht (wie zB der Nordirlandkonflikt) auf einer unterschiedlichen Religion, sondern auf Sprach- und Standesunterschiede...


Nicht, dass das besser wäre - aber irgendwie ist es doch anders, weil (wie ich es sehe) schlicht 'sachliche' Probleme - da gibt es logische Argumente, die auch nachvollziehbar sind - während Religion ...nun ja: eben Glaubenssache ist^^


In unserer Familie gab es deshalb eine 'Sonderposition', weil mein Großvater eben Jude war und so kurz nach dem Krieg die Glaubensfrage bzw die daraus entstehenden Kriege oft thematisiert wurden.
Mein Vater nahm daher eine extrem Anti-Religiöse Haltung ein, in der er eben nicht nur für sich selber entschied, dass Religion 'nichts taugt', sondern es uns Kindern auch verbot.
Das war auch nichts, was man mit ihm diskutieren konnte: Religionsunterricht, ein Gang in die Kirche, waren tabu.

Ich habe trotzdem irgendwann angefangen (heimlich) zu beten und mich, als ich älter war, auch selbst über die verschiedenen Religionen informiert.
Heute bin ich zwar auch gegen die starren Doktrinen der Kirchen und Religionsgemeinschaften, aber doch ein tiefgläubiger Mensch.



...wenn ich das jetzt so schreibe, sehe ich natürlich, dass es nicht wirklich in diesen Thread zu passen scheint, weil es keine Geschichte meiner Kindheit ist ...oder zu sein scheint ...aber für mich ist es ein Stück Erinnerung... ich kann hier nur nicht so viel dazu schreiben, wie mir dazu einfällt :-)

Mein Vater starb vor 22 Jahren - und er hat nie erfahren, dass ich jeden Tag gebetet habe... - und ich fürchte mich heute noch in eine Messe zu gehen, weil ich das Gefühl habe, als nicht-getaufte kein Recht dazu zu haben...



Ich hatte eine schöne Kindheit und liebe Eltern ...aber es hat eben auch in der besten Familie jeder seine Macken - und in meiner bedeutete das eben, dass man besser heimlich unter der Bettdecke ein Gebet geflüstert hat, als sich erwischen zu lassen...



« Letzte Änderung: 06 Dezember 2011, 09:00:34 von nubis »
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Gegen Schmerzen der Seele gibt es nur zwei Arzneimittel: Hoffnung und Geduld

(Pythagoras)

Hobo

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Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #16 am: 06 Dezember 2011, 11:46:59 »

Ach Nubis, die Religion ist nicht der einzige Zaun in unseren Köpfen. Da wären noch Rassismus, Ideologien, der ewige Streit zwischen Bier- und Weintrinkern oder die unendliche Schlacht zwischen den Geschlechtern. Könnte man fortsetzen, muss aber nicht sein. Unsere Feindbilder sind leider nicht mehr so einfach zu defininieren wie in der guten alten Zeit. Da wars einfacher, da gabs halt Juden, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Kommunisten, Arbeitslose und Langhaarige. Die Welt hatte eine definierte Ordnung und alles war klar überschaubar für die rechtschaffenen Menschen dieser Welt. So war das noch im Jahre des Herrn 1961.

Neben Familie und Schule gab es natürlich auch damals noch andere Probleme in der Welt. Für uns Kinder war das erst gar nicht so interessant, man hörte was und hats halt nicht verstanden. Man hat versucht es uns zu erklären, aber so richtig wichtig war es für keinen von uns. Raufen, im Schulhof spielen, Lehrer ärgern, das war unsere kleine Welt. Erst nach und nach mussten auch wir Kinder über den Rand unserer kleinen Welt hinaus schauen. Nicht, dass wir auch nur ansatzweise etwas verstanden hätten, aber wir hatten Gespür. Wir merkten und fühlten, dass da etwas war, viel zu abstrakt und weit weg, aber trotzdem mit einem großen Einfluss selbst auf uns Halblinge.

Es war die Angst vor der Bombe, die Angst vor dem 3. Weltkrieg, die sich zu dieser Zeit in der ganzen Gesellschaft breit machte, es war der kalte Krieg.

Cold War Kids...

Es kam irgendwie schleichend. Die Feueralarmübungen in der Schule wurden ausgeweitet. Es gab "Luftschutzübungen". Es wurden Filme gezeigt, tolle Aufnahmen in schwarz-weiß, ruckelig und mit Flimmern. Atombomben wurden da gezeigt. Wie der Atompilz in den Himmel stieg und auch Bilder von Hiroshima, die mit den schwarzen Schatten an den Wänden, von Menschen, die sich in Luft aufgelöst hatten. Und Panzer, die sich in Berlin gegenüberstanden, mit laufenden Motoren und die Kanonen aufeinander gerichtet. Und wie man schnell unter die Schulbank kriechen konnte und die Augen zu machte. Ja, ich habe das geübt 1961. Mindestens einmal jeden Monat. Wir kannten Bilder vom Krieg, selbst damals schon. Fast jede Familie hatte einen Fernseher und die Nachrichten, die ich nicht schauen durfte und sie deshalb natürlich angeschaut habe, die handelten alle meist vom Krieg. Und der Frage, die über allem Stand, "werden sie die Bombe werfen". Und langsam wurde es auch uns Knirpsen klar, dass da etwas schlimmes vor sich geht. Politik haben wir nicht verstanden. Wir wussten auch nicht was Demokratie oder Kommunismus ist. Auch nicht was "freie Welt" bedeutet oder das Gegenteil davon. Es war uns auch egal.

Irgendwann, wohl so kurz vor dem Mauerbau 1961 haben meine Eltern angefangen Vorräte anzulegen. In unserem Keller. Der war recht groß und da passte was rein. Auch die Matrazen, die mein Vater dort hinstellte. Alle zwei Wochen haben die Sirenen geheult, nur zur Übung, aber wir Kinder mussten dann in den Keller rennen. Anfangs war das lustig. Aber irgendwann kam die Angst. Auch zu uns Kindern. Was sollen denn Kinder machen, wenn sie sicher im Keller sitzen und die Welt über ihnen ausgelöscht wurde? Das waren Fragen, die uns beschäftigten. Das wir dann auch tot sein würden, das konnten wir uns altersbedingt natürlich nicht vorstellen. Die Erwachsenen führten mit leiser Stimme Erwachsenengespräche, wohl im Glauben wir Kinder würden nichts mitkriegen. Aber wir haben alles gehört. "Werden sie die Bombe werfen?", "Werden sie die Bombe in unserer Region abwerfen?", solches oder ähnliches hörten wir fast täglich.

In der Schule haben sie "Blendschutz" an die Fenster installiert, als Schutz vor dem Atomblitz. War nur ein dunkles Rollo, aber auch das machte Angst. Wir begannen zu begreifen, dass es kein Spiel mehr war. Wir haben darüber natürlich auch geredet. Jeder hatte was zu sagen, was er von seinen Eltern gehört hatte, was in den Nachrichten war und dass man 2 Matrazen braucht, eine um darauf zu liegen und eine um sich darunter zu verstecken. Wir haben diskutiert, ob es möglich wäre sich auf dem Spielplatz schnell genug einzugraben. Ja, heute lache ich, damals war das sehr ernst gemeint und wir haben es tatsächlich ausprobiert. Vieles veränderte sich in dieser Zeit und wir Kids, wir verloren etwas. Unsere Unbeschwertheit, der Ernst des Lebens hatte begonnen...

Kinder machen aus allem ein Spiel, das ist ihr Privileg. Wir spielten Atomkrieg, dachten uns Verstecke aus und übten mit den Händen vor den Augen Schutz zu suchen. Ja, so war das 1961 aus der Sicht des 8-jährigen Volksschülers...

Aber es kam noch schlimmer, etwas später, als weit weg von uns in Kuba die Welt am Abgrund stand. Aber das ist eine andere Geschichte...

lg
Hobo, mitten drin in Erinnerungen...
« Letzte Änderung: 06 Dezember 2011, 11:54:33 von Hobo »
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Sintram

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #17 am: 08 Dezember 2011, 10:54:41 »

Hi Hobo,

schön hast du das erzählt, genau so war das, das Damoklesschwert des Atomkriegs über unsern Köpfen, jeden Tag und jede Stunde.

Keine nachfolgende Generation wird sich mehr vorstellen können, was der Albtraum des kalten Krieges bedeutete und wie sehr seine stete Gegenwart Leben, Fühlen und Denken, Kindheit und Jugend beeinflusste (u.a. Kultur und Musik), das wird hoffentlich so bleiben und nie mehr wiederkommen.

Die Kubakrise, da hockten meine Eltern wie gelähmt vor der Schwarzweißschüssel, die Spannung knisterte förmlich und die Angst kroch aus allen Ecken, jetzt kommt der große Krieg, jetzt ist es soweit, murmelte meine Mutter in einer Art Schockzustand, Vater fluchte grässlich und verdammte Amis samt Iwans, ich erinnere mich genau, sehe die flimmernden Bilder der Flugzeugträger und Kriegsschiffe auf Abruf vor mir.

Bin schon gespannt auf Deine Eindrücke!

Herzlich
Sintram

« Letzte Änderung: 08 Dezember 2011, 11:08:09 von Sintram »
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Hobo

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #18 am: 08 Dezember 2011, 11:45:18 »

Ja, 1963, die Kubakrise. Wir hatten uns ja schon als alte Hasen des kalten Kriegs gesehen  und eigentlich kehrte nach dem Mauerbau wieder eine trügerische Ruhe ein. Der Blendschutz blieb zwar, aber die Übungen fanden nicht mehr so oft statt. Wir dachten es wäre überstanden und nahmen unseren Schulalltag mit den üblichen Raufereien und Späßen wieder auf.

Aber schon zwei Jahre später bemerkten wir Knirpse wieder eine schleichende Veränderung. Was heutzutage schon seit langem verboten ist, das war früher Gang und Gäbe. Ich meine Tiefflüge von Kampfjets über Städte und mit Schallgeschwindigkeit. Das hat jedesmal unglaublich gescheppert, alle sind furchtbar erschrocken und die Fensterscheiben haben gewackelt.

Cold War Kids II

Im Laufe des Jahres 1963 nahmen diese Flüge drastisch zu. Irgendwann bekamen alle Schulen und Haushalte ein Merkblatt der Regierung, auf dem alles Stand, was im Kriegsfall zu tun sei. Wieder legte mein Vater große unverderbliche Nahrungsvorräte im Keller an. Und in der Schule wurde wieder Klassenweise geübt wegzulaufen. Auf dem Schulhof wurden farblich gekennzeichete Sammelstellen für jede Klasse aufgemalt. Es kamen Polizisten in die Klassen und auch Katastrophenschutzspezialisten und hielten uns Kindern Vorträge. Wir mochten das, es war besser als der normale Unterricht und meist auch recht spannend. So wie Cowboy und Indianer spielen. Sie versuchten uns tatsächlich zu erzählen, dass es Möglichkeiten gäbe, sich vor atomaren Mittelstreckenraketen zu verstecken. Heute hört sich das rührend naiv an. Damals wurde da ein großes Rad gedreht.

Und dann war es in den Nachrichten. Die Amerikaner hatten den Sowjets ein Ultimation gestellt. Wir erfuhren von einem Cousin, der gerade seinen Wehrdienst ableistete, dass es "echten" Natoalarm gab und alle Kampftruppen an die Grenze verlegt wurden. Mein Cousin irgendwo im bayrischen Wald, direkt am "eisernen Vorhang". Die Amis stellten ihre Mittelstreckenraketen entlang der Grenze auf und etliche Schüler kamen nicht mehr in die Schule. Die Klassen wurden zusehends kleiner. Auf meine Frage hin, sagten mir meine Eltern, das seien die Kinder von reichen Leuten, die ihre Kinder in die Schweiz und nach Südamerika gebracht hätten. Viele Reservisten mussten sich umgehend bei ihren Standorten melden, es war gruselig. Nicht nur für uns Kinder.

Auch meine Mutter hat bei den Abendnachrichten oft geweint und vom Krieg gemurmelt und auch mein Vater hat "diese Kriegstreiber" wie er sie nannte lauthals verflucht. Und wir, wir hatten einfach angst und warteten darauf, dass die Bombe auf uns fällt und sich alles in Luft auflöst.

Fast lustig wiederum waren die Bemühungen der Lehrer, uns zum Mitarbeiten in der Schule zu bewegen. Wer soll denn noch rechnen lernen, wenn sowieso alles ausgelöscht wird, durch einen einzigen Knopfdruck in Moskau oder Washington? Letztendlich ist es noch mal gut gegangen...

Noch heute glaube ich, dass diese Ereignisse und Erlebnisse einen entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Bewegungen der 60er Jahre hatten. So wie der Vietnamkrieg. Und ich zweifle, ob es eine 68er Bewegung ohne diese Erfahrungen je gegeben hätte. Und es ist kein Zufall, das die Cold War Kids an der Spitze der Friedensbewegung standen...

Ja, es war prägend, für jeden, der es erleben musste...

lg
Hobo
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Nicki

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #19 am: 08 Dezember 2011, 13:08:56 »

@Hobo:
Wenn ich deine Erinnerungen an den kalten Krieg lese und wie es dich geprägt hat, denke ich an Tschernobyl. Das war mein Grundschultrauma.
Morgens wurden wir alle in die Aula gerufen und der Direktor erzählte etwas von einem Unfall. Er sagte, das wir bei Regen nicht mehr raus gehen dürfen, nicht mehr über nasse Wiesen laufen und vor allem nicht in Sandkästen spielen.
Letzteres hatte ich mittags schon wieder vergessen. Es viel mir ein, während ich im Sandkasten saß. Ich bekam Panik, rannte nach hause. Dort traute ich mich aber nicht, davon zu erzählen. Ich war mir sicher, das ich sterben müßte und dachte, meine Eltern würden wütend werden, wewil ich dumm gewesen bin.
Das Jahr 1986 hat mein Verhältnis zu Radioaktivität ( egal ob AKW oder Bombe) nachhaltig geprägt. Nur wegen diesem Themenbereich habe ich in der Schule Physik als Leistungskurs belegt und mich auch privat darüber informiert.
Ich würde bis heute gerne an den zerstörten Reaktor in die Ukraine reisen. Bilder davon lösen bei mir eine Mischung aus Horror und Faszination aus.
Als dieses Jahr das Unglück in Japan passierte begann etwas in mir zu schreien und wenn ich an die armen verstrahlten Menschen denke, die in den nächsten Jahren/Jahrzehnten siechend sterben werden könnte ich vor Mitleid und vor Wut über die japanische Atompolitik weinen.

Solarzellen für alle!

Nicki
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Epines

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #20 am: 08 Dezember 2011, 13:56:06 »

Hallo lieber Hobo und Mitlesende

@Nicki
Genau über das selbe Thema wollte ich hier eine Geschichte schreiben, auch ich dachte bei Hobos Erzählung vom kaltem Krieg sofort an Tschernobyl.

Bei uns war dies jedoch ganz anders. Meine Eltern, vor allem  meine Mutter war total hysterisch und befand sich in Weltuntergangstimmung, hatte also extreme Angst vor der atomaren Wolke, die sich unausweichlich  auf die Schweiz zu bewegte. Die Fensterläden wurden geschlossen, die Vorhänge zugezogen und das Radio lief die ganze Zeit und berichtete wo die Wolke nun sei.

Anders als du, durften wir nicht in die Schule und durften auch danach tagelang nicht mehr hinaus, wie lange weiss ich nicht mehr, aber es machte mir Angst.

Eine Gefahr die da war, die man nicht sehen, hören, oder riechen konnte und die uns alle umbringen würde schwebte über uns. Ich überlegte was ich machen würde wenn meine Mutter nun daran sterben müsse, ich spielte mit dem Gedanken, dass ich dann zu meiner Großmutter zurück könnte.

Im Garten riss  meine Mutter später den schönsten Salat und die Radieschen die ich gesät hatte aus und warf alles in den Müll. Alles ist verstrahlt, es gab nur noch Fleisch und Nudeln. Anstatt Milch mussten wir morgens Tee trinken und an Ostern wurden alle Osterhasen, die wir bekommen hatten sofort in den Müll geworfen, zu viel Cäsium in der Schokolade befand meine Ma.

Alles hatte plötzlich dieses Becquerel von dem wir nicht wussten was es genau war, aber es war sehr gefährlich und alle Leute die davon zu viel hatten mussten an Krebs sterben. Für meine Mutter war klar, dass sie dazu gehören würde (sie lebt immer noch) und sie weinte deshalb viel.

Die Ostschweiz war heftig betroffen und man machte deshalb aus der Milch Milchpulver für die Armen in der dritten Welt...

Im Herbst danach war der Wald voller Pilze, aber wir durften sie nicht nehmen, weil sie immer noch zu viel von diesem Becquerel und Cäsium hatten. Auch die Jahre danach war im Wild und in den Pilzen ein erhöhter Cäsiumwert messbar. Und auch mit den Forellen die mein Vater immer gefangen hatte war ab Sofort Schluss.

Mein Umweltbewusstsein  entstand früh vermutlich aus diesem Unglück damals und ich engagierte mich jahrelang in der Anti-atombewegung und darum ist auch auf meinem Dach seit 1998 eine Solaranlage.

Noch eine Nebenbemerkung; ich wundere mich darüber, dass genau wie alle Jahre zuvor die Weihnachtsbeleuchtung an den Fenstern und Häuser blinkt, obwohl man doch weiss, dass am Ende der Steckdose ein Atomkraftwerk steht...

LG
Epines
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Hobo

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #21 am: 08 Dezember 2011, 19:02:13 »

Da kann man sehen, dass solche Erfahrungen immer etwas mit dem Lebensalter zu tun haben. Als das AKW in Tschernobyl im April 1986 in die Luft flog, da war ich zarte 32 Jahre alt. An dem Abend saß ich in einer Kneipe, die den treffenden Namen "Einstein" trug. Eine Studentenkneipe mit gutem Essen und gutem Bier und guten Bekannten und Gesprächen. Als es durch neue Gäste klar wurde, was passiert war, sagte mein Kumpel, was wollt ihr, haben wir doch noch Glück gehabt. Passieren musste es ohnehin, besser in Sibirien als vor unserer Haustür. Ok, ein Mathematiker eben. Der andere am Tisch, ein früher IT-Nerd, der meinte nur trocken, bis das hier ist und die ersten Krebskrankheiten daraus entstehen, haben wir noch genug Zeit ein frisches Bier zu bestellen.

Also ganz allgemein haben wir es nicht sehr ernst genommen. Natürlich war klar, das Cäsium und jede Menge Becquerel auch uns treffen würden. Aber andererseits war auch klar, dass die Menge nicht ausreichen würde, jemanden direkt zu gefährden. Gut, keine Pilze mehr, schon gar nicht aus Polen und halt hoffen, dass es bei Ostwind nicht regnet. Aus heutiger Sicht würde ich sage, es war viel Panikmache im Spiel damals. Realistisch betrachtet waren die Gefahren aber für uns hier nicht sehr gravierend. Wobei es regionale Unterschiede gab. Bayern und die Ostschweiz waren aufgrund der vorherrschenden Winde viel stärker betroffen als andere Teile Westeuropas. Da wir sowieso alle Atomgegner waren, viele Cold War Kids waren das, haben wir natürlich ohnehin jede Petition gegen Atomkraft, jede Initiative dagegen aktiv unterstützt.

Ich sag mal so, meiner Erinnerung nach war der "Vorfall" ein Jahr später so gut wie vergessen. Die meisten wissen ohnehin nicht was Halbwertzeiten bedeuten und noch mehr Menschen war es schlicht egal. Und für uns Deutsche sowieso ein blöder Zeitpunkt, im Osten hatten sich die Menschen angefangen zu emanzipieren, das war viel spannender als ein paar Hundert Becquerel.

Ja, so sind Menschen halt, aus den Augen aus dem Sinn...

lg
Hobo

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Hobo

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #22 am: 10 Dezember 2011, 22:48:17 »

Viele wichtige Dinge sind einfach nicht mehr da. Ich kann sie nicht mehr in meinem Gedächtnis finden. Andere Dinge, die sind noch zu sehen, ich brauche nur die Augen zu schließen und sehe sie klar und deutlich. Wenn ich mich recht erinnere, dann war das 1961, aber da bin ich nicht ganz sicher. Was passiert ist, das weiß ich jedoch noch sehr genau.

Tod

Damals gab es noch keine Schülerlotsen. Obwohl jeder Schüler, der aus dem Schulgebäude kam über die Straße gehen musste. Gut, es gab einen Zebrastreifen. Und alle sind da auch meist in Gruppen drüber gelaufen und das war deutlich zu sehen. Und es ging immer gut. Bis es schief ging.

Es war Schulschluss. Sonst war ich immer einer der ersten und schnellsten, die raus waren aus dem Bau und mit Höchstgeschwindigkeit erst mal zu unserem Spielplatztreff gerannt bin. An diesem Tag hatte ich was vergessen. Ich war fast schon runter vom Schulhof und dann hab ichs gemerkt. Bin dann schnell zurück gerannt, hab mein was auch immer, das weiß ich nicht mehr, geholt und dann mit Volldampf Richtung Ausgang, der ja direkt auf den Zebrastreifen führte. Vielleich 25 Meter vor mir ging ein Mädchen aus unserem Jahrgang. Ich war gerade am Eisengitter und sie war mitten auf der Straße. Auch ich habe das Auto nicht kommen sehen. Es hat sie voll erwischt, ungebremst und recht schnell. Das Mädchen ist weit geflogen und im Straßengraben liegen geblieben. Ich bin hingerannt und wollte ihr helfen. Sie hatte Nasenbluten und hat mich nicht gehört. Ich hab versucht sie aufzurichten, aber gleich kamen Erwachsene und haben mich weggezogen. Ich saß dann auf den Treppen unsere Schule. Es kam ein Krankenwagen, die Polizei und dann ein Leichenwagen. Es war die Tochter der Schneiderin meiner Mutter, ich kannte sie sehr gut. Ein sehr blasses liebes Mädchen immer ganz toll angezogen. Klar, mit ner Schneiderin als Mutter. Sie war sofort tot.

Die Polizei hat mich gefragt und ich hab denen genau das gesagt, das Auto hat sie mitten auf dem Zebrastreifen umgefahren. Was daraus wurde weiß ich nicht mehr. Was ich noch sehr gut weiß, das war die erste Beerdigung meines Lebens. Ihre Mutter war Witwe und sie war ihr einziges Kind. Ich saß recht weit hinten und hab mich sehr unwohl gefühlt, weil die meisten Erwachsenen laut geweint haben. Klar haben wir Kinder dann auch geweint. Sie wurde nur 9 Jahre alt. Am Grab war es schlimm. Aber es ist immer schlimm am Grab. Ich durfte gar nicht hin. Habs nur aus der zweiten Reihe gesehen.

Als wir dann zu Hause waren haben meine Eltern mit mir darüber gesprochen. Aber ich war wohl auch schon mit 9 Jahren soweit, zu wissen was der Tod bedeutet. In ganz schlechten Nächten, da sehe ich sie heute noch durch die Luft fliegen in ihrem weißen Kleidchen. Und ihr blasses Gesicht, mit ein wenig Nasenbluten...

Wieso bleiben solche Erinnerungen für immer und andere, bessere, die gehen für immer verloren. Sie war der erste tote Mensch den ich gesehen habe. Leider nicht der Letzte...

lg
Hobo
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Epines

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #23 am: 11 Dezember 2011, 04:10:45 »

Hallo lieber Hobo

Eine traurige Geschichte! Ein vermutlich sehr  prägendes und verletzendes Ereignis für ein Kind.

Ich hatte in der ersten Klasse einen Schulkameraden  den ich jeden Tag von zu Hause abholte, damit wir die Zeit bis zur Schule gemeinsam schwatzend verbringen konnten. Er hieß René und war wohl wirklich mein erster und bester  Freund, wir verstanden uns super gut.
Eines Tages als ich bei ihm klingelte, öffnete seine Mutter weinend die Türe und erzählte mir, dass René von einem Lastwagen überfahren worden und gestorben sei. Ich war da ca. 7 Jahre alt und es war einfach unfassbar, dass ich ihn nie mehr wieder sehen würde, er verschwand einfach aus meinem Leben und es ging weiter, wie wenn er nie existiert hätte. Er war einfach weg...

Später mit ca. 8 Jahren starb eine Hausangestellte die ich nicht besonders gut gekannt hatte, aber wir Kinder wurden gezwungen sie ein letztes mal im Sarg liegend anzusehen. Ihr die letzte Ehre zu erweisen, was immer dies auch hieß, ich verstand es damals nicht.
Es hatte für mich allerdings verheerende Folgen. Ich hatte wochenlang danach Panik, sah sie immerzu in dunklen Ecken des Hauses stehen und hatte grosse Angst, dass sie mich packen würde.

Mit ca.10 starb dann auch noch eine meiner Lehrerinnen an Nierenversagen und da musste die ganze Klasse an ihr vorbei gehen und da kollabierte ich zum allerersten mal. Ich brach mitten in der Kirche zusammen und es war megapeinlich als ich wieder zu mir kam und alle um mich standen und mich anstarrten.
Lange Zeit danach sah ich immerzu dieses Bild der Leblosigkeit wenn ich an sie dachte.

Von da an beschloss ich nie mehr jemanden anzusehen nachdem er verstorben war. Ich wollte die Erinnerungen an diese Menschen bewahren, wie es war als sie noch lebten. Nur noch ihr Lachen, ihre Lebendigkeit und ihre Fröhlichkeit abspeichern, und nicht die traurige Blässe am Ende ihres irdischen Daseins.

LG
Epines
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Nicki

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #24 am: 11 Dezember 2011, 08:57:10 »

Makaberer Weise kann der Tod für ein Kind auch etwas Positives bedeuten

Zweite Klasse:

Anfang des Schuljahres kam ein Junge, Michael, aus der Parallelklasse in meine Klasse. Er war mit seinen Mitschülern nicht zurecht gekommen.
Leider lag das wohl an Michael, er prügelte sich gerne und machte nie das, was die Lehrer sagten. Ich bekam irgendwie mit, das die Rede von Sonderschule war.
Für mich bedeutete Michael die Hölle! Er hat sofort gemerkt, das ich zu lieb war, um mich zu wehren. Also demonstrierte er an mir den anderen Jungs Würgegriffe oder ging auf dem Schulhof auf mich los. Ich war nirgends mehr sicher.
Unsere Klassenlehrerin erklärte uns in dieser Zeit mehrfach, das wir, falls wir auf der anderen Seite der großen Straße wohnten für den Schulweg über die Fußgängerbrücke gehen oder die Ampel benutzen sollten. Der Einzige, der drüben wohnte war Michael.
Eines morgens kam Michael nicht zur Schule.
Unsere Klassenlehrerin erklärte, er würde wohl länger nicht mehr kommen... Und dann sagte sie wieder, wie wir sicher über die Straße gelangen könnten.
Michael kam nie wieder!
Ich war damals nicht sicher, ob es einen Gott gibt, hielt Michaels "Verschwinden" jedoch für ein Zeichen, das für Gottes Existenz sprach!

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Hobo

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #25 am: 12 Dezember 2011, 21:57:42 »

Während meiner 4 Volksschuljahre passierte noch eine ganze Menge auf der Welt, in der Schule und der Familie. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr allzuviel davon. Aber ein paar Ereignisse dieser Zeit, die haben sich eingebrannt. Gerade bei uns Halblingen.

1963, das war nach der großen Angst vor der Bombe, da kam der Meister "unserer" Bombe nach Deutschland. Das durften wir gucken. Kennt jeder, es war die Rede in Berlin von J.F.K. mit dem Satz "Ich bin ein Berliner". Das war sehr beruhigend, weil alle immer gemunkelt haben, die Amis lassen uns fallen und ziehen ab. Und wir werden russisch. Ja, kein Witz, so wurde damals tatsächlich gedacht. Und wie ich heute weiß, gab es durchaus Bestrebungen in den USA, die genau das wollten.

Und klar, kurz später diese Fernsehbilder von J.F.K, zusammen gesunken im Auto. Tot. Erschossen.

Aber für uns war natürlich viel spannender was da in Lengede passierte. Es waren Bergleute verschüttet und in meiner Erinnerung gab es vorher noch nie soviele Bilder und Berichte im TV zu einem Ereignis. Jeden Tag gab es neue Nachrichten. Irgendwann hörten sie Klopfzeichen und haben ein neues Loch in die Erde gebohrt, um an die Eingeschlossen zu gelangen. Das weiß ich noch genau. Mehrmals haben sie abgebrochen, weil sie Angst hatten, der ganze Gang stürzt ein. Heute würde man sagen, die erste Realityshow im deutschen Fernsehen.

Ja, und dann der große Tag, sie haben sie raus geholt. Ich kann mich an die Stimmung erinnern. Es war irgendwie, als hätte Deutschland gegen Brasilien die Weltmeisterschaft im Fußball gewonnen. Zumindest so ähnlich. Das war für mich Knirps eine erstaunlich Erfahrung. Alle freuten sich und selbst mein Vater, der alte Brummbär, hat sich lachend gefreut. Eine ganz seltene Sache.

Ja, da hab ich die Fernsehbilder noch deutlich vor Augen. Und in England veröffentlichte eine Musikcombo eine Schallplatte. Die hießen "The Beatles". Das kam in diesem Jahr noch nicht wirklich bei mir an. Aber kurze Zeit später um so mehr. Mit starken Folgen. Aber das ist eine andere Geschichte...

lg
Hobo
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Sintram

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #26 am: 14 Dezember 2011, 10:03:38 »

...aber was für eine! We can work it out.

Lengede war schon damals Legende, auch ich erinnere mich sehr gut an die dramatischen Fernsehbilder ihrer Rettung.
Manchmal frage ich mich, was Kennedy wohl in Paris gesagt hätte.
Erinnerungen werden wach, viele Bilder, inzwischen oft durchgekaut, damals aber taufrisch und bewegend.

LG
Sintram
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Epines

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #27 am: 14 Dezember 2011, 12:37:21 »

Hallo liebe Leute

Als Kind war ich wohl ziemlich schmuddelig, ich hasste es zu duschen, Haare waschen überhaupt und zum Frisör zu gehen war immer ein Drama, also schnitt meine Großmutter mir die Haare selber ab.
Dazu wurde mir eine Schüssel auf den Kopf gesetzt und die Haare die unten noch raus standen einfach gerade abgeschnitten.

Sie sagte dann, dass ich nun eine Pilzkopffrisur hätte und wie ein echter Beatle aussehen würde. Da ich nicht wusste was die Beatles sind, wurde mir erklärt, das dies eine Musikgruppe aus England war, die absolut scheußliche Musik machte und dass sie genau den gleichen Haarschnitt gehabt hätten wie ich nun :-).

LG
Epines

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Hobo

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #28 am: 14 Dezember 2011, 15:52:32 »

Musik

Es war wohl 1964 als diese neue Welle auch bei mir ankam. Wahrscheinlich so früh, weil mein großer Bruder 3 Jahre Vorsprung hatte und sich fast nur noch um Musik kümmerte. Irgendwann in diesem Jahr habe ich meine erste Schallplatte gekauft. Es waren "The Beatles", Vorderseite "Day Tripper", Rückseite "We can work it out". Noch heute wird wohl gestritten, welche die "bessere" Seite war.

Für meine Eltern begann eine schwere Zeit. Selbst im Radio begannen die ersten Sender "unsere" Musik zu spielen. Und in der "Bravo" gab es immer die Übersetzungen der neuesten Lieder. Englisch konnten wir ja noch nicht. Und natürlich Bilder der Bands. Im Fernsehen konnte man die ja noch nicht sehen zu der Zeit. Man musste natürlich die Namen der Bandmitglieder kennen, sonst war man sowas von out und natürlich die wöchentlich Neuausgabe der Hitparade. Und zwar alle Platzierungen. Damals die Englische.

Eine Innovative Zeit war das auch. Es wurde zum Beispiel die Luftgitarre erfunden. Oder Lieder mit englisch klingenden Wörtern singen, die natürlich nichts mit dem Original zu tun hatten. Das kam erst später, als wir anfingen Englisch in der Schule zu lernen. Damals gab es ja noch humanistische Gymnasien, die als erste Fremdsprache Latein hatten. Ich weiß noch genau, dass da kein Schwein mehr hinwollte, weil man mit Latein ja schlecht die Beatles übersetzen konnte.

Ich hatte Glück, kam an ein Naturwissenschaftlich-Mathematisches Gymnasium mit Englisch als erster Fremdsprache. Ich glaube ich habe für kein anderes Fach so eifrig gelernt. Und alles nur wegen der englischen Texte "unserer" Musik. Wirschaftlich ging es uns damals etwas besser, ja, das Wirtschaftwunder kam auch in unserer Familie an und es wurde ein Klavier angeschafft. Mit dazugehörigen Unterrichtsstunden, die ja nun auch nicht gerade billig waren. Ich habe alle Sonatinen und Sonaten über mich ergehen lassen, nur um dann nach der Klavierstunde Beatles nachspielen zu können. Und natürlich die Rolling Stones und dann immer mehr neue, die wie Pilze aus dem Boden schossen, es war eine Lawine.

Unser Musiklehrer hatte die Idee ein Konzert für die Unterstufe zu organisieren und bat um Anmeldungen junger, hoffnungsvoller Talente. Da wir Selbstzweifel in dem Alter noch nicht kannten haben wir uns gemeldet. 2 Gitarren, 1 Klavier und 1 Tambourine. Ich kann mich noch gut erinnern. Die ganze Unterstufe saß in der Aula und auf der Bühne gings los. Es gab klassische Violinkonzerte, ganz tolle klassische Klavierstücke, Flöten, Klarinetten und Trompeten. Und uns. Wir haben "House of the Rising Sun" von den Animals gespielt. Ohne Gesang, singen konnte keiner, die Melodie habe ich auf dem Klavier gespielt. Ich schwöre, es war die schlechteste Interpretation dieses schönen Stücks Musik, die je gespielt wurde. Aber der Saal tobte und wir waren Helden. Gut, sonst hat auch keiner was aus der Hitparade gespielt...

Der Musiklehrer war stinksauer und nie wieder wurde etwas dieser Art an dem ehrwürdigen Gymnasium gemacht. Die Gefahr einer musikalischen Revolution war einfach zu groß. Es war somit unser erster und letzter Auftritt. Zum Glück, die Gitarristen konnten nur drei Akkorde schrummen, ich war unglaublich schlecht am Klavier aber für dieses Stück brauchte man kein Virtuose zu sein.

Ja, die Musik zog sich von da an immer wie ein roter Faden durch mein Leben. Und wenn ich heute "House of the Rising Sun" höre, dann zieht sich immer noch ein breites Grinsen über mein Gesicht...

Keep on Rocking...

lg
Hobo
Gespeichert

Hobo

  • Gast
Re:Kleine Geschichten...
« Antwort #29 am: 16 Dezember 2011, 22:10:15 »

Mitte der 60er Jahre fing der erste Protest an. Ich war noch zu klein, so 11 oder 12, aber meine Eltern glaubten die Zeichen der Zeit zu erkennen. Und meine Mutter hat irgendwo gelesen, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist stecken soll. Also gabs neben Klavierstunden auch die Mitgliedschaft im Turnverein und im Schwimmverein unserer Kleinstadt. Im Turnverein hab ich Tischtennis gespielt, zuerst. Dann haben sie gesehen, dass ich sehr schnell wachse und recht groß für mein Alter war. So kam ich in die Handballabteilung. Beides hat mir großen Spass gemacht. Und es ging ja auch beides, war ja nur einmal die Woche jeweils.

Im Schwimmverein hat es mir nicht so gefallen. Immer rauf und runter schwimmen. Aber meine Eltern sagten, jeder Mensch muss schwimmen können. Gut, gab ja immer diese Nachrichten, dass wer ertrunken ist. Klar, bin ich geschwommen. Und auch da kam mir mein Körper entgegen. Überlange Arme und Körpergröße. Also waren schon drei Abende die Woche verplant. Für mich war das recht früh schon selbstverständlich, ich hab damals keine Sekunde drüber nachgedacht.

Zusammen mit den Klavierstunden war ich eigentlich recht ausgebucht. Am Wochenende war ohnehin die Familienausfahrt mit dem neuen Auto angesagt. Ich weiß noch, wie stolz sie waren auf das erste Auto. Ok, wir Kinder wohl auch. War ja was besonderes damals. Meine Mutter hat großen Wert auf Kultur gelegt. Also schauten wir uns so ziemlich alles an, was man in 3 Stunden Autofahrt erreichen konnte. Burgen, Museen, Felsformationen und Badeseen. Ich glaube ich war der Einzige in der Schule, der alles im Umkreis kannte.

An einem dieser Badeseen ist es dann passiert. Da gab es keine Bademeister oder sowas. Damals wohl noch nicht. Ich bin die ganze Zeit auf einen überhängenden Baum geklettert und von dort oben ins Wasser gesprungen. Als ich gerade wieder fast oben war gab es Geschrei am Ufer. Ein Mädchen war untergegangen. Wir waren glaube ich 6 oder 7 Baumspringer und sind sofort dahin. Einer, der gut tauchen konnte hat sie erwischt und wir haben sie zusammen rausgezogen. Ich weiß noch, dass sie schwer war im Wasser. Aber zusammen ging es. Sie hatte Glück. Wir haben jeder eine große Portion Eis gekriegt und ich habe glaube ich an diesem Tag zum ersten Mal verstanden, dass meine Eltern vieles richtig gemacht hatten. Vorher war ich da nicht so sicher. Und klar, stolz war ich auch und wie...

Von da an habe ich das was meine Eltern sagten nicht mehr nur immer bekrittelt. Und das Schwimmen wurde zu meinem Lieblingssport...

Aber saukalt war der See trotzdem...

lg
Hobo
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