Hallo lieber Theaterarbeiter
10 Jahre sind echt eine lange Zeit und mit der Depression hat man sowieso das Gefühl als wäre eine Stunde eine Ewigkeit, die Zeit läuft irgendwie langsamer. Dein Wunsch nach Gesundheit ist verständlich, jede Krankheit ist eine schwere Last die man meist alleine tragen muss, keiner kann sie einem abnehmen.
Wie kann man eine Krankheit besiegen?
Schwere Frage. Hier ein link von Robert Betz der vielleicht einige dieser Fragen beantworten kann. http://www.youtube.com/watch?v=eZ-fav6AFn0
Ich selber habe lange gebraucht mir überhaupt einzugestehen dass ich krank bin und habe mich danach ständig gefragt was wohl dazu geführt hat, dass ich krank wurde und irgendwann war mir auch klar, dass mich die Lebensumstände, denen ich als Kind und als Teenager ausgesetzt war krank gemacht haben.
Du hast dies auch erkannt, hast Ärzte in deiner Seele bohren lassen, was wirklich sehr schmerzhaft ist. Du lässt dich vom Schicksal anderer Menschen herunterziehen, leidest mit.
Du musst ein sehr empathischer und einfühlsamer Mensch sein. Im Grunde eine wunderbare Gabe, die bei den meisten Leuten verkümmert ist. Aber sie kann auch ein Fluch sein, ich weiss dies aus eigener Erfahrung. Viel zu lange habe ich mich für den Schmerz der ganzen Welt verantwortlich gefühlt und den meinen beiseite geschoben, ihn bagatellisiert und verdrängt, da er im Grunde, gemessen am Leid anderer, gering und unbedeutend anmutete.
Wenn man eine Altlast aus der Kinderzeit mit sich trägt, wird die Wanderung auf den Berggipfel mühsam. Der Rucksack ist manchmal so schwer, dass man zusammenbricht, ihn abstützen und eine Pause einlegen muss. Natürlich wäre es wesentlich einfacher auf den Berg zu steigen ohne Ballast, aber sieht man mit diesen Pausen nicht wesentlich mehr vom der Umgebung als es andere Wanderer tun? Ist es nicht um das Hundertfache befriedigender, wenn man oben ankommt und es trotz der Last geschafft hat? Ich selber habe die Herausforderung angenommen zusammen mit Anderen, die ebenso schwere Rucksäcke trugen den Gipfel zu besteigen.
Ihre Schicksale ließen mich oftmals weinen, tun es auch heute noch manchmal, obwohl ich so Viele kenne. Wer empathisch ist, stumpft vermutlich nie ab. Aber durch die Auseinandersetzung mit den vielen schmerzhaften Verletzungen der Anderen, schaffte ich es irgendwann auch mich zu öffnen. Ich habe das Schweigen über meine Erfahrungen als Kind gebrochen und stehe offen dazu, egal wo und überall. Ich bin "Eine von denen", die man kennt und ob man es mir glaubt oder nicht, ist mir heute piepegal. Ich weiss ja wie es war, es gibt nichts wofür ich mich schämen müsste.
Manchmal, nachdem ich wieder nächtelang nicht schlafen konnte, weil ich etwas besonders schreckliches gehört hatte, fragte ich mich, warum ich mir dies immer wieder antue. Anfangs dachte ich, dass es eine verlagerte Selbstverletzung ist, aber dann erkannte ich, dass es ein Teil meines eigenen Verarbeitungsprozesses sein muss, denn zusammen mit anderen Menschen die ähnliches erlebte, konnte ich wesentlich offener reden, musste mich und meine Gefühle nicht verstecken, wurde angenommen wie ich bin. Ihr Schmerz hat mich meinen überhaupt erst so richtig erkennen lassen.
"Geteiltes Leid ist halbes Leid", ein Sprichwort, dass sich in meinem Fall wirklich bewahrheitet hat.
In der Selbsthilfegruppe fühlte ich mich sehr wohl und aufgehoben und es hat mir mehr gebracht als alle Therapiemöglichkeiten, die es sonst so gab. Bewusst hatte ich damals die Gruppe "Missbrauch" und nicht die Depressionsgruppe gewählt.
Wie du richtig erkannt hast, spricht man in der Therapie etwas Schmerzhaftes an, meist hat man eh erst den Mut in den allerletzten Minuten und dann geht man nach Hause, wo man mit dem Hochgekommenen ganz alleine ist und es schier nicht aushält. Bis zur nächsten Therapiestunde geht es dann meist eine Woche, oder länger und so lange frisst es und man fällt tiefer und tiefer...
In der Selbsthilfegruppe war alles anders. Ich hatte das Glück eine sehr liebevolle und harmonische Gruppe zu finden. Erst waren wir nur zu dritt, aber bald wurden wir 13 Leute. Wenn es einem von uns sehr schlecht ging wurde man in den Arm genommen und nach der Sitzung gingen wir immer in die Kneipe, so dass der Abend locker beendet wurde.
Wenn es dann zu Hause nachwirkte und man sich verloren im Schmerz wieder fand, konnte man sich immer mit den Anderen austauschen, via Skype, oder auch telefonisch, oder man traf sich irgendwo zu einem Spaziergang.
Genau diese guten zwischenmenschlichen Beziehungen, haben vieles in meinem Leben erleichtert und erstaunliche Veränderungen eingeleitet. Plötzlich war ich mit meiner Altlast nicht mehr alleine und zusammen mit Leuten zu wandern, die alle auch schwer beladen sind, hat wesentlich dazu beigetragen, dass auch ich mit der Zeit meinen Rucksack öffnen und all jene schwerwiegenden Dinge, nach und nach rausschmeissen konnte.
Die jahrelange schmerzhafte Konfrontation mit Schicksalen anderer Menschen hatte in mir anfangs Schuldgefühle ausgelöst. Oftmals habe ich mir gesagt, dass ich es im Vergleich zu ihnen ja noch wirklich gut hatte und ich schämte mich, dass ich um mich selber so ein Aufsehen machte, fühlte mich dadurch klein, wie du auch beschrieben hast. Aber irgendwann wurde mir klar, dass ich es auch nicht gut hatte und dass Leiden eben individuell ist.
Ich habe also nicht die Krankheit besiegt, nicht den Kampf gegen die Krankheit aufgenommen, sondern eher gegen meine Altlasten gekämpft und sie schlussendlich verheilen lassen. Sie tun abgesehen von einigen wenigen Belastungen, die durch meine toxische Mutter entstanden sind, nicht mehr weh und deshalb, so bin ich überzeugt, geht es mir heute relativ gut. Ich habe meine Vergangenheit akzeptiert, um mich und das Kind in mir lange geweint und dann die Opferrolle so schnell wie möglich verlassen.
Mit dem Verheilen verschwanden auch immer mehr meiner Beschwerden. Man kann ja nicht mehr ändern was war, sondern nur was künftig kommt. Es ist und bleibt allerdings ein Teil meines Lebens zu dem ich heute stehen kann. Ich habe es überlebt und dies ist ein Wunder, für das ich sehr dankbar und auch irgendwie stolz bin.
Bis man an diese Stelle kommt schleppt man allerdings den schweren Rucksack täglich herum und kann sich gar nicht vorstellen, mit ihm auf dem Buckel auch noch einen Berg zu besteigen. Er wird jedoch nur leichter wenn man ihn öffnet, auspackt und die Last nicht wieder mitnimmt.
Alles Liebe und viel Kraft wünsche ich dir
Epines