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Autor Thema: Orientierungslosigkeit  (Gelesen 773 mal)

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Alcide

  • Gast
Orientierungslosigkeit
« am: 05 Juli 2011, 08:26:27 »

hallo zusammen,

ich habe früher öfter mal hier geschrieben. Ist schon eine Weile her. Und ich erinnere mich jetzt daran, weil es mir damals gut tat mich mit den Problemen von anderen zu beschäftigen.... über meine eigenen Belange habe ich nie schreiben wollen.... mir ging es eigenartigerweise immer viel besser, wenn ich sehen konnte, dass auch andere leiden... dass ihr Leiden folgerichtig ist... aus einer tiefen Verletzung herrührt, die es ihnen unmöglich macht, Normalität zu spielen... ich habe mich dann selber besser begreifen können und hatte auch für kurze Zeit die wohlig-narzisstische Genugtuung anderen wirklich irgendwie geholfen zu haben, und sei es nur bei der Formulierung ihres Leidens...

Das vermisse ich jetzt... anderen etwas zu bedeuten... das tut weh... für niemanden mehr etwas zu sein... so sehr nach Freiheit und Unabhängigkeit gestrebt zu haben... und jetzt die kalte Fratze der Einsamkeit... sich nicht mehr begeistern können...

Dass ich im Außen, in der Berufs- und Arbeitswelt letztlich scheitern werde, war mir eigentlich schon immer klar. Und ich fühlte in den paar Jahren, in denen ich Erfolg und Achtung auch beruflich erleben durfte, dass dies nur eine seltsame biographische Verirrung sein musste. Vor einem halben Jahr habe ich die Arbeit dann bleiben lassen, weil meine Kräfte nicht mehr ausreichten. Hatte die letzten Jahre schon Leistungseinbrüche verzeichnen müssen und war die Atmosphäre von Niedertracht und Intragantentum schließlich leid.
Arbeite jetzt seit einem halben Jahr nicht mehr. Offiziell nach außen, vor Freunden und Bekannten, schiebe ich vor, dass ich mein Literatur-Studium fertig mache, aber dazu kann ich mich auch nicht mehr motivieren. Ich habe völlig die Lust verloren zu arbeiten oder zu studieren oder für diese Gesellschaft auch nur auf irgendeine Weise nützlich zu sein. Ich lebe jetzt das Scheitern, das mir immer als der aufrichtigere Weg erschienen ist, und ich leide fürchterlich darunter. Es ist diese Perspektivlosigkeit - mit Mitte 30 zu wissen... es kommt nichts besseres mehr... älter werden... antriebsschwächer... nicht mehr identisch zu sein... alles Tun, ein Irgendetwas-tun.... ein Eigentliches, vielleicht war es immer nur eine Illusion... vielleicht ist Depression ja immer nur die Unfähigkeit zu Illusionierung... eine tragfähige Selbstlüge, das ist es, was mir fehlt.
Ich möchte doch einfach nur glücklich, in Einstimmung mit mir leben und scheitern dürfen. Aber da ist nichts Heroisches in meinem Niedergang... ich bin einfach aus der Welt, nehme nicht mehr teil an den Widerwärtigkeiten des Tages. Bin einfach nur traurig und unglücklich!
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dejavu

  • Gast
Re:Orientierungslosigkeit
« Antwort #1 am: 05 Juli 2011, 13:06:08 »

Willkommen im Club! Ich muß zwar paradoxa zustimmen, daß ich es nicht gut heiße, andere leiden zu sehen aber für den Rest kann ich dir getrost die Hand schütteln!
Fratze der Einsamkeit ist ein gutes Bild für alles. Bei mir dadurch begründet, daß ich nie wirklich jemanden in mein Leben gelassen hab und mich jetzt bestraft fühle dafür, in dem Sinn, daß ich es empfinde, als ob ich jetzt alles zurückgeschossen bekomme, wie ich Menschen früher weggestoßen habe. Ich hab noch nie zu jemandem gesagt, daß ich ihn liebe oder brauche, noch nie zugegeben, wenn ich schwach oder traurig war und mir noch nie helfen lassen aus Angst, meine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu verlieren.
Tja, und heute, wo ich soweit bin, kommt das alles wie ein Bumerang zu mir zurück.
Die Strafe meines Lebens für mein Verhalten bisher. Früher wollte ich niemanden, jetzt will mich niemand.
Ein hoher Preis!
Ergo-> mach was!

lg deja
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Ina

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Re:Orientierungslosigkeit
« Antwort #2 am: 05 Juli 2011, 13:13:51 »

Hallo Alcide,

anderen zu helfen, tut einem selbst auch gut, klar. Darauf sollte man sein Tun
aber nicht beschränken: Du hilfst DIR damit ja nicht wirklich! Daran musst Du
arbeiten, dass Du Dinge unternimmst, die DIR gut tun und helfen.

Warum gibst Du vor, Dein Studium weiterzumachen? Warum sagst Du Deiner
Familie und Deinen Freunden nicht die Wahrheit? Wie sollen sie Dich dann ver-
stehen und ja, wie sollst Du dann schwach sein dürfen, wenn Du es nicht mal
wagst, es einfach zu probieren und ehrlich zu sein? Wer sich nicht öffnet, kann
auch keine Hilfe bekommen, kann nicht auf Verständnis und Unterstützung hoffen!
Es ist kein Wunder, dass Du Dich einsam fühlst, wenn Du Dich nicht mitteilst! Mag
hart klingen, ist aber Tatsache.

Mein Rat an Dich ist also, dass Du Dich nicht selbst belügst - und die Menschen
in Deinem näheren Umfeld auch nicht. Öffne Dich, sei ehrlich, versuche über die
Dinge zu sprechen, die Dich beschäftigen, verletzen, runterziehen.

Ich muss auch Paradoxa recht geben: Du solltest Dir etwas suchen, woran Du
wirklich Freude hast, worin Du aufgehst und alles andere um Dich herum vergisst.
Sowas braucht jeder! Das Leben kann nicht nur aus Arbeit und Unwahrheiten be-
stehen - Spaß, Freunde und Ablenkung braucht jeder!


Viel Erfolg... und liebe Grüße!
Ina
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Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Alcide

  • Gast
Re:Orientierungslosigkeit
« Antwort #3 am: 06 Juli 2011, 03:21:53 »

Habt Dank für eure Kommentare und das Reindenken in mein Gesudere. Wollte nur irgendwie einen Anschubser bekommen, um diese Stunden tiefer Mutlosigkeit zu bestehen.

@ paradoxa
Etwas suchen was mir Freude bereitet? Ach, da gäbe es tausend Sachen und wenn ich Kraft habe, dann kommt auch der Wille wieder diese zu forcieren. Nur im Moment schreibe ich aus einer Situation, in der mir der Geschmack am Leben und seinen Freuden abhanden gekommen ist.

@ dejavu
Ja, deine Beschreibung der Einsamkeitsspirale hätte von mir kommen können. Natürlich gäbe es Leute bei denen ich mich melden könnte. Aber ich will mit anderen Menschen eigentlich immer nur dann zusammen sein, wenn ich mich psychisch gefestigt glaube. Ich will niemanden runterziehen. Ich kann mich selber auch nur gut annehmen, wenn ich für irgendwas begeistert bin, ein Ziel habe... hat man das verloren oder als Selbstillusion erkannt, dann werde ich manchmal unfreiwillig zynisch und das ertragen Menschen schlecht. Sie sehen dann ihre eigenen Selbstverwirklichungsillusionen in Frage gestellt. Nachdenken beunruhigt die Menschen. Ich sollte es besser auch lassen...

@ InaDiva
Nun ja: Ich sage Menschen durchaus, dass ich momentan keine Motivation fürs Studieren empfinde. Das wird nicht gerne gehört, wenn man nicht einen gesunden Egoismus und Selbstbehauptungswillen an den Tag legt. Auch ein Grund für meinen Rückzug. Ich will ja in Wahrheit leben, aber das Zusammensein mit anderen macht Verstellung bis zu einem gewissen Grad absolut notwendig. Habe da auch schlechte Erfahrungen gemacht und Dinge bereut, die ich ausgeplaudert habe. Bin fälschlich davon ausgegangen, dass Menschen zwischen Charakter und Gesinnung unterscheiden. Aber das tun sie nicht, wahrscheinlich aus Furcht. Das ist es ja, die Menschen müssen nicht einmal böse sein. Es reicht schon Ängstlichkeit und das Sein verkommt zu einem Zerrbild.

lg,
Alcide
Gespeichert
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