Zugegeben, damals –ist ja nun auch schon wieder eine ganze Weile her- war das natürlich der Hammer. Oder besser, es wurde vom Großteil seiner Fangemeinde als solcher empfunden.
Als Europäer habe ich da vielleicht weniger Probleme mit, weil ich mich nicht tagtäglich mit militanten Fundamentalisten, Kreationisten oder Fernsehpredigern herumschlagen muss, unerklärlicherweise überschlugen sich aber grade die Kritiker diesseits des großen Wassers geradezu vor Häme und Aggression, in den USA selbst wurde die Sache sehr viel cooler gehändelt.
Für mich war das eben einfach wieder mal was Neues, Unerwartetes, das mit Sicherheit nicht für immer so bleiben würde, erfahrungsgemäß sozusagen, denn die Häutungen vom angry young man und brisant politischen Protestfolkie zum wilden und durchgeknallten Fantasie- Rock n Roller, der ganz nebenbei eine neue Musikrichtung erfand, den Folkrock oder nenn es wie du willst (und wohl auch seine drei besten um nicht zu sagen epochalen Platten und größten Hits machte zu dieser Zeit),
wieder zurück zum Folk und von da aus weiter zum Country, der in Amerika in etwa mit hiesiger Volksmusik gleichzusetzen ist, was auch einige gewagte Schnulzen mit sich brachte,
über kanadischen Landrock mit der „Band“ zum eigenwilligen und gereiften Songwriter und Komponisten, mit Ausflügen in Rock, Jazz, Blues, Reggae und was es sonst noch so alles gab querbeet durch die Gefilde, bis hin zum perfekten Orchestersound...
eine gewisse Flexibilität war einem da schon abverlangt, ohne Frage.
Auch seine Dichtkunst schwankte zwischen zwölfstrophigen Meisterwerken und schlichten Fünfzeilern, die Wahl seiner Themen von politischem Tagesgeschehen über fast schon verworrene wortkunstgetragene Surrealistik zu hörenswert tiefgründigen fast intimen Alltagsballaden, dazwischen immer wieder einfach nur Nonsens oder Banales, aber immer und jedes Mal war es bei näherem Hinhören eben doch Bob Dylan und niemand anderer, der Folk klang sowieso überall irgendwie durch.
Was nun in der bunten Sammlung noch fehlte war der Gospel.
Im Grunde nichts anderes als ein radikales back to the roots, da aus den Gesängen der ersten Sklaven durch die Berührung mit amerikanisch damals noch europäischer (Folk)musik die Spirituals entstanden, aus diesen der Blues, aus diesem Jazz und Rock n Roll und so weiter, sprich Amerikas Populärmusik schwarzafrikanische Wurzeln hat, was nur allzu gerne immer wieder mal vergessen und unter den Tisch gekehrt wird.
Dass nun ein Gospel-Spiritual Tournee Programm nur sehr schwierig in sein bisheriges Liedgut zu integrieren ist, weil es den spirituell angehauchten Songs Substanz und Flair raubt, ist auch nicht so ganz abwegig, wenigstens für ein besinnliches Weilchen, zumal nach nicht einmal zwei Jahren ohnehin seine alten Songs in neuem Gewand und mit erfrischtem Gesicht den Hauptteil seiner Konzerte bildeten und nur ein paar seiner Gospels dazwischengestreut im Set blieben.
Was aber Dylan mit seiner Band 1979 etwa in San Francisco im Fox Warfield ablieferte, war schlicht und einfach großartige, lebendige, beseelte und durchaus mitreißende Musik, wobei die Diskrepanz zwischen dem mehrstimmigen Gospelchor als Begleitung und seiner näselnd kratzigen Stimme im Vordergrund nie und zu keinem Zeitpunkt vergessen machte, dass es Bob Dylan ist, der da auf der Bühne Halleluja krächzt.
Was manchem schwer zu schlucken gab waren freilich die etwas seltsamen Predigten, die Dylan an diesen denkwürdigen Abenden dazwischenschob, vom anstehenden Weltuntergang, der Verdammnis der Welt und dem dritten Weltkrieg, allerhöchste Zeit also für eine radikale Umkehr, und was eine Predigt in afroamerikanischem Stil sonst noch so an Pfeffer braucht, und mal ehrlich, was wäre ein Gospelkonzert ohne Predigt, umso apokalyptischer und pessimistischer umso besser, sonst wäre Dylan eben nicht Dylan, sondern Seelentröster Pastor Robert.
So jedenfalls erlebte ich damals die Sache, als interessanten frischen Wind in der Bude, der die teilweise etwas festgefahren erstarrte Stimmung der Welttournee zuvor – die ihn unter anderem zu seinem ersten Konzert auf deutschem Boden noch dazu auf ehemaligem Nazigelände übermannte- gründlich von der Bühne fegte.
Der Rest der Welt indessen schien Kopf zu und sich selbst nicht mehr zu ver-stehen.
Jesus ist langweilig, schrieb zum Beispiel einer, der bis zu diesem Zeitpunkt mit fundierter Kenntnis der Materie Dylan bestach, und machte sich weiter nicht die Mühe, auch nur einen einzigen der zum Teil bemerkenswerten Gospelsongs wenigstens aus musikalischer Sicht zu rezensieren.
Bei Dylan selbst ging es anschließend übrigens mit abgeklärtem Rock weiter, ein (schamloser) Ausflug in den Pop folgte, von da weiter zu verhalten bluesigem Folkrock, zwischendurch mit den „Traveling Wilburys“ fröhlich locker durchs Land des Beat, zurück zur Interpretation prähistorischer Folk- und Bluessongs, nach längerer Schaffenspause schließlich fast vollständig zu schwermütigem Blues, von da aus wieder mit Rock, Swing, Hillbilly, Country, Folk und die ganze Palette durch bis zu Zigeunermusik weiter.
Außerdem tingelt Dylan seit Juni 1988 so gut wie pausenlos (krankheitsbedingte Unterbrechung) auf der sogenannten Never Ending Tour mit einer inzwischen kaum mehr überschaubaren Zahl wechselnder Mitmusiker um die Welt.
Seine Dichtkunst reifte mit ihm, er hatte inzwischen keine Mühe mehr, eine Aussage in drei Worte zu packen wofür er früher drei Strophen brauchte, wie er selbst sagt, und auch musikalisch lassen die CDs der letzten vierzehn Jahre nichts zu wünschen übrig, ebenso bestechen seine Never Ending Konzerte, die besonders anfangs durchaus umstrittene Phasen hinter sich gebracht hatten, in denen Dylan seine Songs gnadenlos zerriss.
(Was wiederum mir nicht weniger gefiel und Spaß machte, weil es dreckig und ungehörig war für sein Alter und alles in allem ziemlich punkig und fetzig rüberkam, zudem mit innovativen Soloparts in der Konzertmitte veredelt wurde.)
Langer Rede kurzer Sinn:
Ich konnte Dylans Gospelphase nie als großen Bruch, Verirrung oder gar Entgleisung empfinden, sondern als im Grunde logischen, folgerichtigen und durchaus bereichernden Bestandteil seines musikalisch poetischen Lebenswerks, der sich problemlos ins Gesamtbild fügt, so man ihn denn als solchen sehen und gelten lassen kann.
Genug Kultur, Schluss aus Äpfel Amen