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Autor Thema: Aus aktuellem Anlass  (Gelesen 5319 mal)

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Sintram

  • Gast
Aus aktuellem Anlass
« am: 02 Januar 2011, 18:55:35 »



Möcht es doch Frieden werden
auf dieser blutgetränkten Erden
wo Menschen Menschen morden
im Süden wie im Norden
im Osten wie im Westen
die Welt mit Tod verpesten
möcht es doch Frieden werden

Sie lästern Gottes Namen
die da aus seinem Worte kamen
verehren ihn im Hass
und freveln ohne Unterlass
sie leugnen sein Erbarmen
mit Waffen in den Armen
sie lästern Gottes Namen

Sie wolln in Rache sterben
und sähen das Verderben
was nutzen fromme Worte
durch Taten dieser Sorte
das Leben wird verneint
und siehe- Allah weint
sie wolln in Rache sterben

Wenn es doch hängen bliebe
dass Gott ist nichts als Liebe
ein Lächeln hier hienieden
ein leises Flehn um Frieden
in jedem nackten Kind
ein Wimmern nur im Wind
wenn es doch hängen bliebe

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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #1 am: 07 Januar 2011, 09:46:11 »

Die Weihnachtsgeschichte der Ostkirchen aus dem Protevangelium des Jakobus

Es erging aber ein Befehl vom König Augustus, es sollten alle Leute in Bethlehem in Judäa sich in eine Liste eintragen lassen.
Und Josef sagte bei sich: „Ich werde meine Söhne eintragen lassen. Wie aber soll ich es mit diesem Mägdlein machen? Wie soll ich sie eintragen lassen? Als meine Ehefrau? Ich habe eine gewisse Scheu davor. Oder als Tochter? Aber es wissen doch alle Kinder Israels, dass sie nicht meine Tochter ist.
Der Tag des Herrn selbst wird es machen, wie der Herr will.“

Und er sattelte den Esel und setzte sie darauf, und sein Sohn zog den Esel vorn, und Joseph ging hinterdrein. Und sie hatten sich bis auf drei Meilen Bethlehem genähert.
Da wandte sich Joseph um und sah sie traurig und sprach bei sich:
„Vielleicht macht ihr das zu schaffen, was in ihr ist.“
Und ein ander Mal wandte sich Joseph um und sah sie lachen.

Da sagte er zu ihr: „Maria, was ist dir, dass ich dein Gesicht das eine Mal lachen sehe, das andere Mal traurig?“
Und Maria sagte zu Joseph: „Weil ich zwei Völker mit meinen Augen sehe, eines, das weint und wehklagt, und eines, das sich freut und jubelt.“
...
Und er fand dort eine Höhle und geleitete sie hinein, und er ließ seine Söhne ihr zur Seite und zog aus, um eine hebräische Hebamme in der Gegend von Bethlehem zu suchen.
Ich aber Joseph ging umher...
Und siehe, eine Frau kam vom Gebirge herab, die sagte zu mir: „Mann, wohin bist du unterwegs?“ Und ich sagte zu ihr: „Ich suche eine hebräische Hebamme.“...
Und die Hebamme ging mit ihm hin.

Und sie standen an dem Platz, wo die Höhle war, und siehe, eine lichte Wolke hüllte die Höhle in Schatten.
Da sagte die Hebamme: „Erhoben ist heute meine Seele. Denn meine Augen haben Wunderbares gesehen; denn für Israel ist Heil geboren worden.“
Und sogleich verzog sich die Wolke aus der Höhle, und es erschien ein gewaltiges Licht in der Höhle, so dass unsere Augen es nicht ertragen konnten. Und nach kurzer Zeit verschwand jenes Licht, bis das Kind zu sehen war; und es kam und nahm die Brust von seiner Mutter Maria.
Und die Hebamme schrie auf und rief: „Groß ist der Tag heute für mich, dass ich dieses neue Schauspiel habe sehen dürfen!“
Und die Hebamme verließ die Höhle.


Aus dem Pseudo-Matthäusevangelium:

Am dritten Tag nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus trat die seligste Maria aus der Höhle, ging in einen Stall hinein und legte ihren Knaben in eine Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an.
Da erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja verkündet ist, der sagt:
„Der Ochse erkennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“
So beteten sogar die Tiere, Ochs und Esel, ihn ständig an, während sie ihn zwischen sich hatten.
Da erfüllte sich, was durch den Propheten Habakuk verkündet ist, der sagt: „Zwischen zwei Tieren wirst du erkannt.“
Joseph blieb am gleichen Ort mit Maria drei Tage.  

 
« Letzte Änderung: 07 Januar 2011, 09:48:47 von Sintram »
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #2 am: 07 Januar 2011, 12:04:25 »

Orthodoxen Christen, die ja gestern und heute ihr Weihnachtsfest feiern, und Kennern der Ikonenmalerei ist bekannt, wie die obige Erzählung aus dem Jakobusevangelium weitergeht.

Die Hebamme begegnet einer Kollegin namens Salome, die ihr das Wunder der jungräulichen Geburt absolut nicht glauben will und auf einer Untersuchung besteht, und wenn es denn wahr sei, möge ihr die Hand verdorren.
Gesagt getan, und siehe da, ihre Hand verdorrt, worauf sie in reumütiges Wehklagen ausbricht ob ihrer zukünftigen Arbeitsunfähigkeit. 
Ein Engel erscheint und weist sie an, das Jesuskind in den Arm zu nehmen, was die Arme tut und siehe da, ihre Hand ist wieder gesund.

Der Stern, die Weisen aus dem Morgenland, Herodes und der Kindermord folgen aus den ursprünglichen Evangelien übernommen, jedoch in eigener wortreicher Sprache wiedergegeben.

Im Jakobusevangelium wird außerdem Marias Geschichte erzählt, ihre Eltern Joachim und Anna, deren Figuren in katholischen Kirchen selbstverständlich zu finden sind, namentlich genannt und Marias Geburt ihrer kinderlosen Mutter durch einen Engel verkündet.
Die kleine Maria kann mit einem halben Jahr laufen, worauf Anna sie Gott und der Jungfräulichkeit weiht. Ab ihrem dritten Lebensjahr lebt Maria bei den Priestern im Tempel und wird hauptsächlich von Engeln ernährt.
Mit zwölf Jahren "unrein" und tempeluntauglich geworden wird sie mit Joseph, einem alten Mann vermählt, um ihre Jungfräulichkeit nicht zu gefährden.

Die Verkündigung, ihr Besuch bei der Base Elisabeth und Josephs Traum werden sehr ausführlich und dialogreich beschrieben, wobei auch zweifelnde Schriftgelehrte ins Spiel kommen, die Joseph erheblichen Ärger machen, weil sie nicht an Marias "unbefleckte" Schwangerschaft glauben wollen.

Es ist schon eigentümlich, dass die katholische Glaubenslehre das Dogma der jungfräulichen Geburt aus einer alten Schrift bezieht, die sie gleichzeitig als apokryphtisch sprich unecht aus dem Kanon der heiligen Schriften verbannt, wobei sie einige Gestalten daraus bis dato als Heilige verehrt, die nirgendwo sonst zu finden sind.
In den Ostkirchen hingegen erfreut sich das Jakobusevangelium bis heute großer Beliebtheit und findet sich detailgetreu und figurenreich in der Ikonographie dargestellt.

Wie dem auch sei.
"Ich glaube nicht an Gott, solange er nicht zu beweisen ist," sprach der moderne Mensch, "und wenn es ihn wirklich gibt, möge mir das Hirn verdorren."
Ups...



 

 
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Fee

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #3 am: 07 Januar 2011, 13:45:11 »

Lieber Sintram,

Dein Gedicht gefällt mir.
Nur was Dich nun letztlich beschäftigt,verstehe ich nicht (ganz).

Der "Unfriede" auf der Welt (auch von Gläubigen verursacht) ?
... oder oftmals auch gerade von Fundamentalisten verursacht ?

Blasphemie o.ä. ... hm,wohl eher nicht,glaubst ja nicht an Gott ?
... ich übrigens auch nicht (mehr).

Oder trotzdem Gottesläßterung,weil viele Gläubige,"genügend Dreck am Stecken" haben ?


... oder was auch immer (?)


L.G. eine interessierte Fee ;)

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samatha

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #4 am: 07 Januar 2011, 14:25:32 »

Hi Sintram,

eine sehr interessante Ausführung. Wann wurde denn das Evangelium des Jakobus aus dem Kanon der kath. Kirche entfernt? Gibt es irgendwelche Überlieferungen über die Gründe dafür? Es ist unendlich schade, daß durch das Vorgehen der kath. Kirche gegen Andersdenkende die Vielfalt des Glaubens so radikal beschnitten wurde. Letztendlich dienten solche Maßnahmen wohl kaum der "Reinerhaltung der Lehre", sondern ganz simpel dem Machterhalt der Institution Kirche.

Eine Überprüfung des Kanon um der "reinen Lehre" Willen kann ich durchaus nachvollziehen. Auch in der Geschichte des Buddhismus z.B. gab es Abspaltungen, die aus dem Verständnis der Überlieferungen entstanden. Um aber in der Verkündung der Lehre glaubwürdig zu bleiben, da ist Toleranz Andersdenkenden gegenüber das oberste Gebot. In dieser Hinsicht hat wohl keine andere der Weltreligionen ähnlich viel Dreck am Stecken wie der Katholizismus, so wie er von Rom verstanden wird.

Grüße
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #5 am: 07 Januar 2011, 15:42:18 »

Hallo Fee,

das Gedicht ist eigentlich fünf Jahre alt, der Bombenanschlag auf die koptischen Kirchgänger hat es mir ins Gedächtnis gerufen. Leider hat es nichts an Aktualität verloren.
Gretchenfrage, Glaubensfreiheit, Blasphemie, Bigotterie, religiöser Fanatismus- Themen, die plötzlich wieder in aller Munde sind und die Gemüter bewegen.
Ich selbst halte das alttestamentarische Gebot "Du sollst nicht töten" schon aus Gründen der Vernunft für bindend.

Hallo Samatha,

der Viererkanon entstand um die Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert.
Die vier Evangelien, dreizehn Paulusbriefe, der 1.Petrusbrief, der 1. Johannesbrief, die Apostelgeschichte des Lukas und die Johannesapokalypse wurde damals von den Kirchenvätern Irenäus, Tertullian und Clemens von Alexandrien quasi sanktioniert.

Es gab zu dieser Zeit auch Evangelien von Petrus, Nikodemus, Bartholomäus, Jakobus, Thomas und sogar Judas Iskariot (das den Verrat als mit Jesus abgesprochene Geheimmission darstellt), zudem verschiedene Kindheitsevangelien, eine Offenbarung des Petrus und viele andere Schriften mehr.
Einer der Hautgründe für die Kanonisierung war die Auseinandersetzung mit der Gnosis, einer mächtigen "esoterischen" Geheimlehre, deren Hauptschriften "Sophia Christi" und "Pistis Sophia" von den Kirchenlehrern als Häresie abgelehnt wurden.
Neben ihrer Entfernung vom historischen Jesus störte sie vor allem der darin enthaltene Gedanke der Selbsterlösung durch -göttlich- erweitertes Bewusstsein und geistige Wandlung in Licht im Gegensatz zu materieller Finsternis.
Der Einfluss von -ja Fusionsversuch mit- fernöstlicher Spiritualität ist offensichtlich.
Auch das Thomasevangelium ist Teil dieser Bewegung, und überaus lesenswert ganz nebenbei.

Das Protevangelium des Jakobus, um 150 entstanden und zum Teil auf mündliche Überlieferung zurückzuführen, das den in den Evangelien erwähnten leiblichen Bruder Jesu als Autoren beansprucht, hat -obwohl verurteilt und nicht in den Kanon aufgenommen (so stimmt es nämlich!)- die westliche Kirche nicht nur in ihrer Dogmenbildung nachhaltig beeinflusst.
Die mittelalterlichen Darstellungen des "Marienlebens" sind nur ein Beleg für viele.
 
So weit so kurz. Musste erst in meinen Büchern nachschlagen.

LG
Sintram

   
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #6 am: 07 Januar 2011, 18:42:24 »

Und da ich nun schon mal am lesen bin (schaff ich selten genug),
als Kostprobe noch eine Geschichte aus dem Pseudo-Matthäus, eines der Kindheitsevangelien, dem auch die vertrauten Ochs und Esel entnommen sind.
Ein Auszug aus Erzählungen der Flucht nach Ägypten mit einem sprechenden Jesuskind, nebst Eltern mit von der Partie drei Knaben und einige Mädchen.
Eben hat der kleine Jesus mit bloßen Worten einige Drachen „gezähmt“, die aus einer Höhle hervorkamen und Angst unter der Kinderschar verbreiteten, und spazierte fröhlich mit den Viechern herum...

Maria und Joseph aber hatten große Angst, das Kind möchte von den Drachen verletzt werden. Da sagte Jesus zu ihnen: „Habt keine Angst und achtet nicht darauf, dass ich ein Kind bin; alle wilden Tiere müssen vor mir zahm werden.“

Gleichermaßen beteten Löwen und Leoparden ihn an und begleiteten sie in der Wüste.
Wohin auch Joseph und die selige Maria gingen, schritten sie ihnen voran, indem sie ihnen den Weg zeigten und ihre Köpfe senkten; mit ihren Schwänzen wedelnd taten sie ihre Dienstfertigkeit kund und verehrten ihn mit großer Ehrfurcht.
Aber als Maria die Löwen und Leoparden und allerhand Arten von wilden Tieren um sie herumlaufen sah, wurde sie zuerst von heftigem Schrecken erfasst.
Da schaute ihr das Jesuskind mit fröhlicher Miene ins Gesicht und sprach:
„Fürchte dich nicht, Mutter; denn sie kommen nicht, um dir ein Leid zu tun, sondern in Eile kommen sie, dir und mir zu gehorchen.“
Mit diesen Worten nahm er die Furcht aus ihrem Herzen.

Die Löwen aber gingen zusammen mit ihnen einher mit den Ochsen und Eseln und mit den Packtieren, die ihnen das Notwendige trugen, und sie fügten keinem ein Leid zu, obwohl sie mit ihnen zusammenblieben. Vielmehr waren sie zahm unter Schafen und Böcken, die sie mit aus Judäa hergeführt und bei sich hatten.

Unter Wölfen wandelten sie einher, ohne etwas zu befürchten, und keines wurde vom andern verletzt.
Da erfüllte sich, was durch den Propheten gesagt ist:
„Die Wölfe weiden mit den Lämmern; Löwe und Ochse fressen Stroh zusammen.“
Den zwei Ochsen und dem Wagen, in dem sie zusammen das Notwendige zogen, wiesen die Löwen auf ihrer Fahrt den Weg.
...

Das muss man sich mal bildlich vorstellen, diese illustre Schar.
Was für ein Anblick!


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samatha

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #7 am: 07 Januar 2011, 19:29:28 »

Hi Sintram,

zu Beginn vielen Dank für die Erläuterung zur Bibel. Ich muß gestehen, daß ich schon einige Male versucht habe, die Geschichte und die grundlegende Philosophie der Gnosis zu verstehen, aber immer an der Vielfalt der vertretenen Richtungen scheiterte. Hätte ich die früher kennengelernt, dann hätte ich vielleicht auch etwas mehr Verständnis für das Christentum aufbringen können. Doch das Bild der Lehre, so wir es mir im evangelischen Religionsunterricht vermittelt wurde, ist so seltsam, daß ich einfach kapitulierte. Ich kann mit einer Lehre nichts anfangen, die bestimmte Tatsachen als feststehend lehrt, die man einfach zu glauben habe, weil sie so in der Offenbarung stehen. Aber darin sind sicher alle Menschen verschieden. Jedem das seine.

Die Geschichte aus der Jugend von Jesus ist interessant. Ähnliche Legenden gibt es auch von der Geburt des Buddha. Anscheinend brauchen viele Menschen ein wenig mystisches Rahmenwerk, damit sie etwas haben, zu dem sie aufschauen können.

Grüße
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Fee

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #8 am: 08 Januar 2011, 00:49:09 »


Hey Sintram,

auch ich danke Dir.Mehr geht gerade nicht,sorry.

L.G. Fee
« Letzte Änderung: 08 Januar 2011, 00:50:05 von Fee »
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #9 am: 08 Januar 2011, 08:55:01 »

Brauchst Dich nicht entschuldigen Fee, aber schon gleich überhaupt nicht.
Ich kenne dieses "Nichts geht mehr", reichlich zur Genüge und bis zum Überdruss.

Sicher, Samatha, die Gnosis ist eine vertrackte und zum Teil obskure Angelegenheit. In ihren Ausläufern, etwa dem Manichäismus, ist sie durchaus mit dem heutigen Sektenwesen zu vergleichen.
Mir stellt sich nur die Frage, wie die Dinge sich entwickelt hätten, wenn die Kirche ähnlich gelassen darauf reagiert hätte wie etwa das Judentum auf die Kabbala. Talmud und Sohar existieren in friedlicher Coexistenz.

Während aber die immer reicher und mächtiger gewordene Kirche entschlossen war, unter dem Vorwand der Verteidigung der reinen Lehre die "Irrgläubigen" mit Stumpf und Stiel auszurotten, Blutbad auf Gemetzel häufte und ihre Glaubwürdigkeit verlor, blieben die Apokryphen nichts desto trotz erhalten.
Einiges Gedankengut davon findet sich bis heute in diversen Sekten.

Auf der anderen Seite sträuben sich einem bei den Absurditäten der Kirchenlehrer -besonders ihrem Frauenbild- die Haare, und was in den Heiligenlegenden so an Gebrüder Grimm rumgeistert, sucht Seinesgleichen.
Allein daran kann man erkennen, dass es nicht um Glaubensfragen ging, sondern um Macht und Alleinanspruch, Besitzpfründe und absolutistisches Denken.

Und auf Grund dieses blutrünstigen Weges bleiben Zeugnisse (orientalischer) Fabulierkunst wie das obige, mit dem Geschichtenerzähler Kinderaugen zum Leuchten bringen konnten, bis heute mehr oder weniger im Verborgenen.
Was wäre wohl aus der griechischen Mythologie geworden, wenn die Amtskirche sie als Häresie mit dem Bann belegt hätte?

Gegen eine Kanonisierung an sich ist nichts einzuwenden.
Nur der "Umgang" mit Vertretern und Schriftenreichtum verschiedenster Strömungen war (ist?) durch nichts zu rechtfertigen.
Eines der vielen finsteren Kapitel der Kirchengeschichte.

LG
Sintram
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #10 am: 22 Mai 2011, 16:24:07 »

Kleine Hommage...

Bob Dylan in Woodstock 1994.

Klänge aus dem letzten Jahrtausend.
Ich erinnere mich gut, wie ich das ganze Spektakel vor nunmehr rund siebzehn Jahren erlebte.
Im Grunde war es mir suspekt und zuwider.

Ich hatte erleben müssen, wie die einstige Jugendbewegung, die fünfundzwanzig Jahre zuvor Geschichte geschrieben hatte, längst mit nostalgischer Verklärung verbrämt und zum Mythos stilisiert worden war. Musik- und Modeindustrie machten ihren Reibach damit, der Hippie wurde zur legendären Kultfigur grauer Vergangenheit karikiert und das Unverkäufliche gnadenlos vermarktet.

Immerhin lag ein Vierteljahrhundert dazwischen, und die Zeiten hatten sich geändert. Die Jugend war eine andere, die Generation von damals hatte das Großelternalter erreicht und sich zum überwiegenden Teil integriert wenn nicht gar etabliert, allzu viel war nicht mehr übrig geblieben von all den Visionen, Träumen und Idealen einer bewegten Ära.
Oft nur noch eine leere Hülse.

Die „Survivors“, also die wenigen, die sich auf irgendeine Weise treu geblieben waren, eigneten sich grade mal als Stoff für einen –wenn auch gelungenen- Kinoklamauk.
Der „Dude“ verkörpert recht anschaulich, was der Althippie in den Augen des amerikanischen Durchschnittbürgers für eine Figur abgibt: Eine verkrachte Existenz, einen schrulligen, abgedrehten Loser und Chaoten ohne Ziel und Richtung.
Und irgendwie waren ja all die Blumenkinder auch schrecklich naiv, in jedem Falle aber originell und unterhaltsam.

Woodstock 69... Dass die USA und wenigstens Europa ohne die Sprengkraft dieses Manifestes heute ein anderes Gesicht hätten, wird nur allzu gern unter den Tisch gekehrt.
Nicht zuletzt die damalige revolutionäre und schlicht neue Musik findet immerhin bis dato ihren Niederschlag und ihre Weiterentwicklung, und darum ging es ja auch in der Hauptsache.
Ich betrachtete die drei Tage „Of Peace And Music“ stets als einmaliges und nicht zu wiederholendes Ereignis von historischer Tragweite.

Trotzdem oder gerade deshalb empfand ich den „Event“ von 94 geradezu als Leichenfledderei.
Eine Party auf geheiligtem Boden sozusagen, eine Geburtstagsfete in der „Electric Church“ von Hendrix.
Und ich hatte erhebliche Probleme damit, Bobby dort anzutreffen, mehr noch als mit seinem Gig vor dem Papst. Warum in drei Teufels Namen sollte er nicht vor Katholiken samt deren Oberhaupt auftreten, es trafen ohnehin lediglich zwei Entertainer und Weltenbummler aufeinander.
Die „Hall Of Fame“ lassen wir mal außen vor, mittlerweile ist dieselbe nichts weiter als eitler Tummelplatz abgetakelter Billigflittchen.

Im Laufe der Jahre habe ich die Sache abgehakt. Die Kids hatten ihren Spaß und Schwamm oder besser Schlamm drüber. Und laut Kritikerecho soll Bobbys Gig brauchbar bis sehr gut gewesen sein. Wozu noch einen unnötigen Gedanken darüber verlieren?

Nun habe ich diese DVD entdeckt –billig dazu- und mir in aller Ruhe reingezogen. Und wurde wie so oft eines Besseren belehrt. Denn all mein Unbehagen und Vorbehalt konnte nicht besser zum Ausdruck gebracht und bestätigt werden als durch diese Bilder.

Auf der einen Seite eine unüberschaubare Masse Jugendlicher, die ausgelassen „abfeierten“, ihre einstudierten Wohlfühl-Verhaltensmuster zelebrierten und einen auf Woodstock machten, um anschließend heimzugehen und weiterzumachen wie bisher, auf der andern diese schrägen Vögel auf der Bühne, fürwahr eine Band Of Gypsys, authentisch bis an die Schmerzgrenze, die frisch fröhlich frei durchs Programm jamten, gewagt herumimprovisierten und längst vergangene Zeiten wiederauferstehen ließen.
Mittendrin ein abgeklärter Bob, gewohnt kakophonisch an der Gitarre, konzentriert im Gesang, offensichtlich bei der Sache und spielfreudig.

Ein fast andächtig vorgetragenes „Masters Of War“ erinnert peinlich daran, dass Woodstock unter anderem als die größte Kundgebung der amerikanischen Friedensbewegung und musikalischer Protest gegen den Vietnamkrieg ins Lexikon Einzug fand, und das blödsinnige „Louder“ aus dem Publikum bestätigt lediglich die Unfähigkeit einer Multimedia-Generation, mal einen Moment still zu sein und aufmerksam zuzuhören.

Zwischen schrillem Geschrei und brachialem Gedröhne aus mächtigen Boxentürmen aktueller Bands wirkt Dylans Gig streckenweise wie eine Dichterlesung. Hier prallen nicht nur zwei Welten aufeinander, sondern zwei Weltsichten und Zeitgeister.
Was Dylans Combo nicht daran hindert, zur rechten Zeit hemmungslos loszufetzen, um mit den schlichten Mitteln differenzierten Musizierens dem Kindergarten zu ihren Füßen zu zeigen, wo der Bartel den Most holt.

Die Diskrepanz könnte größer und schöner nicht sein, wenn ein grimmiger Dylan den banalen Technoschönheiten - die nichts besseres zu tun haben als ihre Oberweiten zur Schau zu stellen, um die natürliche Nacktheit seinerzeit mithilfe exhibitionistischer Selbstdarstellung zur Farce zu machen- ein nüchternes „God knows you ain´t pretty“ entgegennölt.
Das tut herzerfrischend gut!

Während also Arlo Guthrie und Gleichgesinnte irgendwo in der Nähe ein alternatives Memorialkonzert zum Besten geben, wagt sich Dylan –in Woodstock 69 kurioserweise abwesend- mit seiner Band in die Höhle des Löwen, um einen Auftritt abzuliefern, der so oder so ähnlich vor fünfundzwanzig Jahren stattfinden hätte können. Alle Hochachtung!

Einmal abgesehen davon, dass es sich um ein wirklich gutes Konzert der nicht unumstrittenen Formation um den Gitarristen Joe Jackson handelt (die mich ein Jahr zuvor in Fürth begeisterte), muss freilich festgehalten werden, dass Dylan und Co wie ein Relikt wirken unter all dem Smell Of Teen Spirit, allerdings um eines aus zumindest interessanteren Tagen...

„Es gibt keinen anderen Weg.“
Das sagte Dylan in einem Interview im Hinblick auf seine musikalische Rückbesinnung auf alte Folk- und Blueswurzeln. Endlich hatte er begriffen, dass sein Versuch, mit den Jungen mitzuhalten, von Vornherein zum Scheitern verurteilt sein musste.
Es geht vielmehr darum, sein Ding durchzuziehen. Das zu tun, was man am Besten kann. Ohne Rücksicht auf gängige zeitgemäße Musik. Darauf kommt es an.

Für die Einen mag es Anachronismus sein, für Leute wie mich ist es dauerndes Lebenszeichen. Auch ich bin ein Relikt aus wilden Tagen, mit der Zeit vergleichsweise zahm geworden.
Aber auch ich lebe noch.

Happy Birthday Bob!

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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #11 am: 22 Mai 2011, 18:12:13 »

Die sogenannten Great Events und Bob Dylan waren
-abgesehen von seinem legendären Auftritt mit George Harrison und Eric Clapton beim „Concert for Bangla Desh“ 1971-
immer eine gewagte Verbindung, etwa sein Auftritt auf dem „Isle Of Wight“ Festival zwei Jahr zuvor, wo er mit angezogener Handbremse spielte.

Irgendwie schienen ihm derartige Massenveranstaltungen und Aufläufe kein Behagen zu bereiten, was eine unbewusste(?) künstlerische Verweigerung mit sich bringen konnte.

So geschehen und gesehen 1985 bei Geldofs „Live-Aid“ Spektakel, weltweit per Satellit im Fernsehen übertragen. Nach zum Teil brillanten Gigs so gut wie aller Größen der Rockmusik sollte Dylan die Mammutveranstaltung ehrenhaft und würdevoll abschließen.
Wer sich freilich Backstage mit Keith Richards und Ron Wood von den Rolling Stones die lange Wartezeit vertreibt, braucht sich nicht allzu sehr zu wundern, wenn er den Bühneneingang nicht mehr findet.

Und so geisterten schließlich drei schräge, zerrupfte und sturzbesoffene Gestalten vor ein zighundert Millionen Publikum und schrammten ein paar chaotische Lieder runter ohne dabei besonders darauf zu achten, was der andere grade so tut.
Richards befand sich unüberhörbar in einem Stoneskonzert, Ronny suchte verzweifelt seine Saiten und Dylan krächzte und nölte, dass es einem die Ohren schraubte und mir die Schuhe ausgezogen hätte, wäre ich nicht barfuss und schlaftrunken in den frühen Morgenstunden vor der Glotze gehockt um ihn nicht zu verpassen.
Aber wie immer und üblich passte die unwirkliche Angelegenheit perfekt zu meiner damaligen etwas orientierungslosen Lebenssituation.

Auf den ersten Blick erschienen seine Schlussakkorde bei der denkwürdigen „30th Anniversary Celebration“ im Oktober 1992 zum Erscheinungsjubiläum seiner ersten Platte nicht recht viel hoffnungsvoller. Damals war der Mann grade mal einundfünfzig Jahre alt.

Was hatten sich alle bemüht, ihm zu Ehren ihr Bestes und seinen Songs Gestalt und Seele zu geben von Johnny Cash bis Neil Young, als in feierlichen Smoking gepackt ein mehr oder weniger abgewrackter alter Mann ins Rampenlicht des Medison Square Garden stolperte, um zum krönenden Abschluss der Geburtstagstorte das Sahnehäubchen aufzusetzen, wie natürlich von aller Welt sehnlichst erwartet.

Wer da aber gleichgültig seine Edelgitarre rupfte und unerbittlich schräg sang, war nicht der ehrenwert legendäre Mr.Bob Dylan, sondern ein heruntergekommener Wandermusiker, den sie grade eben mal von der Straße geholt, flüchtig gekämmt, zurechtgemacht und in teure Klamotten gehoben hatten.
Mit verkniffenen Augen musterte er die brodelnde Menge, als hätte er nie zuvor dergleichen gesehen und legte ungerührt los.

Damals habe ich etwas begriffen.
Gute perfekte Musik hatte man an diesem Tag wahrlich und zur Genüge zu Ohren bekommen, die Message aber war wie gehabt, ein wenig Nostalgie, ein bisschen frischer Wind, ab und zu ein dynamischer Highpoint, alle waren sie glücklich und zufrieden.

Alle bis auf die bemitleidenswerte Sinnead O Connor, die gnadenlos von der Bühne gebuht wurde, offenbar weil sie kurz zuvor im TV demonstrativ ein Papstbild zerrissen hatte, so ganz kam ich nie hinter die Ursache dieser harschen Publikumsreaktion-
und Herrn Robert Alan Zimmermann, dem das Ganze sichtlich zu schön und nichtssagend geraten war, der sich instinktiv auf seine Wurzeln besann, seine vergilbte Hommage an sein großes Vorbild Woody Guthrie aus der Mottenkiste hervorkramte und auf erbarmungslose Art und Weise präsentierte, als kratzig raue löchrige Ballade, die nach abgestandenem Whiskey, ausgelatschten Schuhen und dem Staub der Straße klang, nach bitterer Verzweiflung und ernüchterter Hoffnung, sprich authentisch und unmittelbar.

Ich erlebte ihn selten so schonungslos direkt wie in jener Nacht.

 
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voice of hope

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Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #12 am: 22 Mai 2011, 21:04:25 »

hier noch ein interessanter Artikel über Bob Dylan aus der letzwöchigen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen:

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/10371
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #13 am: 23 Mai 2011, 09:58:31 »

Hallo voice of hope,

hab ihn schon gelesen.
Aus jüdischer Sicht kann (wohl besser will) man das so sehen, lies zwei Artikel über ihn, und du hast zwei verschieden Betrachtungsweisen, das war schon immer so.
Robert Allen Zimmerman, wie sein ursprünglicher Name richtig geschrieben wird:-), hat nicht nur viele Gesichter, jeder sieht auch ein anderes.

Anfang der Achtziger mal im Interview gefragt, ob er denn nun Jude sei oder Christ, antwortete er, das sei eine lange Geschichte, und auf die Bitte, er möge sie doch erzählen, kam ein "too long to tell", das war´s.

"Oh Mercy" halte ich persönlich für eine seiner besten Platten.
Aber die Geschmäcker sind nunmal verschieden.

Lieben Gruß
Sintram
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Sintram

  • Gast
Re:Aus aktuellem Anlass
« Antwort #14 am: 23 Mai 2011, 14:02:17 »

Will ich jedoch den obigen Artikel beim Wort nehmen und mal ein bisschen zerpflücken,

könnte ich zum Beispiel fragen, weshalb Dylan 1989 in "Ring Them Bells" zwischen neutestamentarischen Bildern die Kirchenglocken läuten lässt
oder 1997 in "Cold Irons Bound" singt: "I went to church on sunday..."
und nicht, ich ging am Sabbat in die Synagoge?

Oder weshalb bis heute in seinen Konzerten immer wieder Lieder aus seiner evangelikalen Phase auftauchen, sehr abgeklärt überzeugend vorgetragen?

Nur bin ich einfach der Meinung, dass das seine ganz persönliche Angelegenheit ist und außerdem total aufgebauscht wird.

Genau drei LPs innerhalb von nicht einmal drei Jahren(!) beschäftigen sich mit christlichem Gedankengut, und nur eine davon ist eine reine Gospel-Spiritual Platte, auf den beiden andern fließt christlich Religiöses in ein paar Textzeilen ein nebst jeweils zwei Songs, die Spiritual-Charakter haben (könnten).
Dass die Songs aus dieser Phase musikalisch durchaus Substanz besitzen, beweist eine CD von 03, auf der vor allem afroamerikanische MusikerInnen seine Gospels zum Teil grandios interpretieren.

Ich habe die ganze Aufregung sowieso nie verstanden.

LG
Sintram
« Letzte Änderung: 23 Mai 2011, 14:10:07 von Sintram »
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