Schlangentanz
Pueblo kommt aus dem Spanischen und bedeutet schlicht Dorf.
Die Puebloleute haben gute Gründe, ihre Tradition so gut es geht vor den Blicken neugieriger Fremdlinge zu verbergen, die bitteren Erfahrungen, die sie mit den Spaniern und ihrer Terrorherrschaft machen mussten, haben sie völlig zu Recht sehr misstrauisch werden lassen. Nicht nur dass die in der Wüste lebensuntüchtigen spanischen Soldaten von ihnen Lebensmittel, Vieh, Kleidung und Proviant aller Art erpressten und einforderten, sie drangsalierten und tyrannisierten die Hopi und andere Pueblobewohner außerdem mit Vergewaltigung, Totschlag, Mord und Folter frei nach Willkür und Belieben. Neben anderen Konquistadoren regierte ein gewisser Juan de Onate seine Kolonie mit entsetzlicher Grausamkeit und Härte, als in Acoma zwölf spanische Soldaten einem Angriff der Indianer zum Opfer fielen, ließ er das Pueblo bis auf die Grundmauern niederbrennen und seine achthundert Einwohner niedermetzeln, etwa fünfhundert Männer und dreihundert Frauen und Kinder, die Überlebenden verurteilte er zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit und ließ sicherheitshalber jedem Mann über Zwanzig ein Bein abhacken.
Unter anderem die gnadenlose Verfolgung ihrer Religion durch die katholische Kirche verursachte anno Sechzehnhundertachtzig einen großen Pueblo Aufstand, gut vorbereitet, organisiert und angeführt von einem Pueblo Priester namens Popé, was soviel wie „Reife Pflanzung“ bedeutet. Über die Hälfte aller spanischen Kolonisten fiel diesem Gegenschlag zum Opfer, und als die Spanier zwölf Jahre später nach dem Zerfall der Liga die Kolonien zurückerobern konnten, hatten sie kein brennendes Interesse mehr daran, sich in die religiösen Angelegenheiten der Pueblostämme einzumischen geschweige denn deren Rituale gewaltsam abzuschaffen, auch an der völligen Auslöschung der Pueblodörfer schien ihnen nicht mehr besonders viel zu liegen. Sie errichteten ihre Kirchen mit Vorliebe auf den Mesas der höher gelegenen Pueblos, pflanzten sie mitten hinein in die Dörfer und gaben sich damit zufrieden, wenn deren Bewohner in der Sonntagsmesse die hinteren Bankreihen füllten. Kontrolle hieß das neue Zauberwort, die Hopi arrangierten sich damit, nicht nur der Glaube der Invasoren ist allumfassend. Andrerseits lassen sie und sämtliche Pueblovölker sich nicht mehr in ihre Kivas gucken, ihre unterirdisch geheimnisvollen Ritualräume, in deren Mitte ein tiefes Loch das Heraufsteigen der Ahnengeister in die Menschenwelt symbolisiert oder vielmehr ermöglicht. Während die fremd gewordene Welt um sie her in Trümmern liegt und die drei majestätisch altehrwürdigen Mesas der Hopi auf den Plateaus der Berge vor langem verlassen und dem Verfall durch Wind und Wetter preisgegeben vor sich hin verwittern, finden die Pueblogemeinschaften der Täler Halt und Sicherheit in ihrer uralten Tradition und der Bewahrung ihrer religiösen Feste und Zeremonien.
Sehr zur Freude von Hano Chukuwaiupkia, gosh, howgh and uff.
„Der Eine, der alles enthält“ nennt sich der Weltenschöpfer bei den Pueblo-Indianern. Unsichtbar war er im Ursprung, von Finsternis umhüllt und von Leere verschlungen, ein waschechter Desperado könnte man sagen. Irgendwann war er derart umwölkt und benebelt, dass Bäche an ihm hinunter rauschten und aus ihm heraus flossen, er verflüssigte sich auf gewisse Weise und war durch und durch feucht. Da Awonawilona mit der Zeit ziemlich klamm wurde in seiner Nebelwolke und der Durchnässte empfindlich zu frösteln anfing, formte er mit bloßen Händen einen feurigen Ball, die liebe Sonne, die die Nebelwand mit ihren Strahlen durchdrang, zu Wolken ballte und zu Wassertropfen zusammenzog. Es rauschte ein gewaltiger Regen nieder, der sich in noch gewaltigeren Pfützen sammelte, die zu Ozeanen und Weltmeeren wurden.
Der Anblick des wogenden unendlichen Wasserspiegels ist zwar überwältigend, auf Dauer aber doch ein wenig langweilig, und so beschließt Awonawilona einen Samen in seinen Fluten zu versenken. Das Pflänzchen wächst ziemlich ungehemmt aus dem Meeresgrund und verbreitet sich rasend zu einer grünen Schicht, die alsbald die Meere völlig bedeckt, was „dem Einen“ dann doch etwas zu viel des Guten und Grünen ist, so dass er die Fläche in zwei Hälften teilt. Aus der einen Hälfte bildet er die Kontinente sprich Mutter Erde, aus der anderen das Firmament sprich Vater Himmel. Mutter Erde aber leidet unter verschleimtem Hals und Speichelfluss, spuckt erst mal kräftig ins Meer und rührt so lange und gründlich um, bis das Wasser zu schäumen beginnt und sich eine mächtige Schaumkrone bildet. Nach derlei ausgiebiger Schaumschlägerei ist Mutter Erde in ihrem Schaumbad offenbar sehr vergnügt und pustet mit voller und gereinigter Lunge in die Flockengebilde, bis diese abheben und sich in weiße und schwarze Wolken verwandeln, die über den Ozean dahinzuziehen beginnen. Vater Himmel gefallen die wandernden Gebirge, er haucht sie an, und sie beginnen ihre Tropfen auf die Erde herab zu regnen. Damit ist Väterchen Himmels Beitrag zur Schöpfung erfüllt und er zieht sich zufrieden in unerreichbare Höhen zurück.
Mutter Erde indessen ist eifrig dabei, Leben hervorzubringen und gebiert im Laufe der Zeit allerhand Wesen, zuerst riesige Schlangen, dann schreckliche Monster, und als sie einsehen muss, dass diese ihre Geschöpfe nicht unbedingt bereit sind, die Erde mit anderen Wesen zu teilen und sich recht tyrannisch aufführen, schenkt sie den heldenhaften Riesenzwillingen das Leben, die mit Blitz und Donner dreinfahren, tiefe Löcher und Gräben in die Erde reißen und der Schreckensherrschaft der Schlangen und Ungeheuer ein gründliches Ende bereiten. Anschließend wird den zwei Heroen ziemlich öde, sie haben nichts Gescheites mehr zu tun und hängen träge rum, bis sie den großartigen Einfall haben, aus Bäumen, Rebstöcken und Grashalmen eine lange Strickleiter zu knüpfen und in die tiefen Löcher hinunterzulassen, die sie mit ihren herab geschleuderten Blitzen ins Erdreich geschlagen hatten, um zu sehen, was da möglicher Weise in den Schlünden der unterirdischen Eingeweide so an Lebendigem rumwuselt und unter Umständen ans Tageslicht hochkommen will.
Und siehe da, eins nach dem andern kommen winzige braune Männchen und Weiblein nach oben gekraxelt, die von den staunenden Donnersöhnen als menschliche Wesen eingeordnet werden. Da die beiden Riesen bei ihren Entladungen kräftig umgepflügt haben, ist die Krume bereit für die erste Aussaat, was von den fleißigen Menschlein hurtig erledigt wird, die lange Kletterei hat die Zwerge ganz schön hungrig gemacht und ihre kleinen Mägen knurren gewaltig. Zufrieden gesättigt denken sie darüber nach, dass sie wohl ein Dach überm Kopf ganz gut gebrauchen könnten, schon wegen der stechenden Sonne, da sie ja aus der Dunkelheit emporgestiegen sind als etwas lichtempfindliche Schattenwesen. Sie bauen emsig Häuser aus Lehm, Steinen und Balken, um sich heimelig und unterirdisch genug zu fühlen, ohne Türen mit so wenig Fensterritzen wie möglich, und nur per Leiter über Dachluken zu erreichen. Weil sie sich ihrem Naturell entsprechend eifrig vermehren, türmen sie aus Platzgründen ein Haus auf das andere, bis regelrechte Burgen entstehen mit unzähligen Räumen, Kellergewölben und Dachterrassen, die Pueblodörfer sind geboren und ihre Bewohner als eigenes Volk gleich dazu.
Heute werden die Ureinwohner Anasazi genannt, infolge einer Zuwanderung fremder Stämme nennen sich die jetzigen Pueblobewohner Hopi, Keres und Zuni. Ein besonders prachtvolles Exemplar der Hopi heißt Tiyo, der schon als kleiner Junge über schier übermenschliche Kräfte verfügte und deswegen zum Einzelgänger wurde. Auf einem seiner Streifzüge durch die Wüste begegnet Tiyo der Erdgöttin, der neugierige Bursche bekniet die alte Weise so lange, bis sie ihm einen Ausflug in die Unterwelt gewährt und ihn in die Abgründe der Erde hinunterführt. Auf seinem Abstieg begegnet der furchtlose Held allerlei mythischen Wesen, aber keines davon kann ihn aufhalten, locker wird er mit den unheimlichen Gestalten fertig und gelangt schließlich zum geheimnisumwitterten Schlangenvolk. Bei denen ist der Abenteurer offenbar herzlich willkommen, kommt nicht alle Tage vor, dass sich einer aus der oberen Welt zu ihnen herunter verirrt, jedenfalls führen sie den Wissbegierigen offenherzig in die Geheimnisse des Regenzaubers ein, der Schlangenhäuptling gibt ihm zum Abschied sogar zwei jungfräuliche Bräute mit, aber, wo die Liebe hinfällt, eine der Beiden genügt ihm vollends zu seinem Glück, er nimmt sie sogleich zur Frau und schenkt ans Tageslicht heimgekehrt die andere seinem Zwillingsbruder Lenyatiyo, dem großen Flötenspieler und Ahnherren der Flötenbruderschaft.
Offenbar hat sich der wagemutige Tiyo nur recht oberflächlich mit den Gesetzen natürlicher Vererbung beschäftigt, auf alle Fälle gebiert ihm sein Schlangenweib Tshüamana ein wurlend wimmelndes Schlangennest, was auch sonst. Die Hopi sind zuerst nicht besonders begeistert von ihrem doch etwas aus der Art geschlagenen Zuwachs, aber die Schlangenmutter lehrt sie den rechten Umgang mit ihren schlängelnden Bälgern, ja mehr noch, wie sie, die Hopi es anstellen können, ihre Brut und alle Schlangen im allgemeinen freundlich zu stimmen und mit ihrer Hilfe den lebenspendenden Regen herabzurufen. Trotz alledem muss es wohl zu einem heftigen Ehekrach gekommen sein, jedenfalls packt die Schlangenfrau eines Tages ihr Schlangenbündel und zieht mit ihren geschlängelten Kindern von dannen in ein anderes Land. Die unersetzlich wertvolle Regenzeremonie aber lässt sie als versöhnliches Andenken zurück.
Die merkwürdigen Gestalten, die durch die Canyonwüste der gelbrot gestreiften Steine geistern, kommen mir merkwürdig vor, der ich mit Infini den kühlen Schatten eines Felsüberhangs aufgesucht habe und träge das berauschend schöne Hopiland unter mir betrachte.
Ihre nackten Oberkörper sind mit braunroten Längsstreifen bemalt, was ausgesprochen gut ins Landschaftsbild passt, außer einem weißen Schurz, mit grünen und roten Mustern bestickt, tragen sie nichts am Leibe, mit einer Hacke graben und stochern sie im Boden herum, besonders unter Steinen und Sträuchern, dann zeichnen sie mit einem Holzschaft Spuren in den Sand und ziehen gleichzeitig einen Ledersack mit der Öffnung in Richtung des befiederten Stockes durchs Gestein. Ganz offensichtlich handelt es sich bei der wundersamen Truppe um Schlangenfänger.
Bald treibt mich die Neugier aus meinem Siesta Quartier, langsam reite ich auf die Hopi zu, sie kennen meine Erscheinung und lassen sich nicht von ihrer eifrigen Suche ablenken. Beim Näherkommen kann ich die Bewegungen sich windender Schlangen in ihren Ledersäcken erkennen und lass es mir nach freundlicher Begrüßung natürlich nicht nehmen, höflich aber bestimmt um einen Blick auf das Gezücht zu bitten. Kornnatter, Schlanknatter, Wüstenkönigsnatter und die wunderschön gezeichnete Strumpfbandnatter bilden ein wildes Knäuel im ersten Sack, was mir sofort auffällt ist die fehlende Klapperschlange. Tagelang hätten sie gefastet und sich bestmöglich vorbereitet, erzählt mir einer der Bemalten, um die Schlangen für das große Fest des heiligen Schlangentanzes einzusammeln, heute sei schon der zweite Tag ihrer mühseligen Suche, aber die Klapperschlange scheint in diesem Jahr keine rechte Freude daran zu haben, mit ihnen zu tanzen und sei wie vom Erdboden verschluckt. Obwohl ich die Sprache der Hopi gut verstehe, macht es mir immer noch große Mühe, mit ihrer seltsamen Sprechweise zurecht zu kommen, aber mit der nötigen Zeichensprache mache ich der Gruppe verständlich, dass das überhaupt kein Problem sei, gerade an den Richtigen seien sie geraten, sie sollen mir einfach nur folgen. Die erfolglosen Männer willigen erfreut und sichtlich erleichtert ein.
Spätnachmittags haben wir den Gebirgsstock im Gebiet der Riesenkakteen erreicht, in dessen Höhlen sich die Schlafplätze der Diamantklapperschlange befinden, in deren Schutz sie sich in den Wintermonaten in Scharen flüchten, nicht selten an die zweihundert Exemplare. Aber auch in der brüllenden Hitze des Tages und in den frischen Sommernächten bevorzugen sie diesen Ort ob seiner kaum vorhandenen Temperaturschwankungen. Ich schnapp’ mir also drei leere Säcke und zwänge mich durch den engen Zugangsschacht, bald kehre ich mit den prallgefüllten Beuteln zurück, es machte keine große Mühe, die trägen und fast bewegungslosen Vipern aufzulesen, die sich im kühlen Grund ineinander verknotet und zusammengeschlängelt haben. Jubel und Freude sind groß, ich werde kurzerhand eingeladen, an ihrer Zeremonie teilzunehmen, ein außergewöhnlicher Ehrbezeig für ein Bleichgesicht, ihre Einladung abzulehnen käme einer tödlichen Beleidigung gleich, also ziehe ich ergeben mit ihnen los in Richtung Pueblo.
Dort angekommen ist ihr misstrauischer Schlangenhäuptling zuerst verwundert, weshalb die ausgeschickten Fänger den Geistermann angeschleppt haben, der seine Nakvakvosis auf dem Hut mit sich herumträgt und aussieht, als wäre er zwischen Manos und Metates geraten, ist aber schnell von meiner Eignung und Erwählung überzeugt, als er einen Blick auf das fette Bündel der etwa zwei Meter langen Schlangenkörper wirft. Diese werden behutsam in Körbe gesteckt. Aus dem Abzugsschlot eines Picuri steigt eine weiße Rauchfahne, der Häuptling verschwindet gemeinsam mit einer Gruppe von Priestern mit je einem Korb in Händen über eine Leiter in der Dachluke des Hauses, in dessen Keller sich offenbar der Sakralraum der Kiva befindet. Bald dringen eintönige Gesänge und jammerndes Flötenspiel nach oben, die Zeremonie beginnt mit den monotonen Liedern der Schlangenbesinger und den seltsamen Melodien der Flötenspieler, deren Klänge die Schlangenhäupter ganz offenkundig beruhigen und in die rechte Stimmung bringen sollen.
Sehr zu meiner Überraschung wird mir sogar ein Blick ins verborgene Heiligtum gestattet. Was ich da auf der Leiter stehend zu sehen bekomme, ist ein rechteckiger, sehr geräumiger, angenehm kühler und erstaunlich gut durchlüfteter Raum, zwei dicke Balken tragen eine rustikale Holzdecke, von einer kleinen Mauer umrahmt flackert ein kleines Feuer einem Rauchabzug entgegen, Lehmbänke schmiegen sich an die Wände, die sparsam mit Wolkengebilden, gezackten Blitzen und Regensymbolen bemalt sind, in der Mitte gähnt ein kleines Loch im Boden. Ein hölzerner Altar ist im schmalen Winkel des Rechtecks auszumachen, auf dem ordentlich aneinandergereiht allerlei sakrale und nicht genau zu unterscheidende Gegenstände liegen, ich glaube Antilopengeweihe zu erkennen. Ein Schamanenpriester steht davor, nur mit einem farbigen Bänder-behangenen Lendenschurz bekleidet, den nackten Oberkörper und die Arme mit weißen Strichen bemalt, Armreifen um den Bizeps, Muschelketten und Perlenschnüre um den Hals, ein Mondsichel-förmiges Amulett über dem Brustbein, einen gefärbten wilden Federschopf auf dem Scheitel, weiße Striche auf den Wangen, eine ehrfurchtgebietende Gestalt und geisterhafte Erscheinung. Aus dem Innern eines Beutels lässt er feinen Sand rieseln und zeichnet geheimnisvolle Zeichen und Bilder auf den Boden, dazu fächelt er mit zwei großen Adlerfedern in der andern Hand. Eine Gruppe von Flötenspielern sitzt in großem Bogen um die kreisförmig inmitten des Raumes aufgestellten Schlangenkörbe, die von ein paar ähnlich dem Priester gekleideten und gezierten Tänzern umtanzt und umsprungen werden.
Was hier genau geschieht, weiß ich nicht zu sagen, der Raum ist voller Magie und Mystik, die Tänzer halten Federn in Händen und lassen diese über den geöffneten Körben kreisen, aus denen sich mehrere Schlangenhälse nach oben winden und den Bewegungen der Feder folgen, ob das nun eine Art Beschwörung ist oder schlichte Dressur, ich habe das Gefühl, hier am falschen Ort zu sein und zu stören, so klettere ich wieder nach oben ans Tageslicht. Draußen wird mir von einem der Schlangenfänger erläutert, dass dieser Tanz sowohl mit der großen Antilope zusammenhängt als mit der Flötenbitte um Regen, zugleich Vorbereitung auf den letzten Tag und Höhepunkt der Zeremonie, den geheimnisumwitterten großen Schlangentanz auf der Plaza des Pueblo. Auf den Plateaus der Dächer sammeln sich allmählich die Leute des Dorfes, Männer, Frauen und Kinder, die leuchtenden Augen voll gespannter Erwartung, und auch ich als geladener Zaungast bin redlich aufgeregt. Wie lange kenne ich die Hopi jetzt schon, dreißig Jahre oder mehr, aber nie durfte ich diesem geheim gehaltenen geheimnisvollen Tanz beiwohnen, den ich nur vom Hörensagen kenne, eine Schlangengrube öffnete mir die verborgene Pforte.
„Es ist schwer, dir zu folgen, lieber Freund“, meint Chaíwa, die Frau neben mir, in ein prächtiges blaues Manta gekleidet, die sie mir zur Seite gestellt haben, weil sie des Englischen mächtig ist und der ich die Hucke voll labere, „deine Sätze sind so ermüdend lang und verschlungen, dass man am Ende oft nicht mehr weiß, worum es am Anfang ging“.
„Tochter der Hüterin des Tiponi", sag ich zu ihr, "grade du müsstest das doch wissen, wie unendlich lange so eine Klapperschlange braucht, um aus ihrem Winterquartier zu kriechen, steif wie ein Stock, wenn da endlich die Rassel zum Vorschein kommt, weiß die längst nicht mehr, dass da aus dem selben Schlupfloch der Kopf rausgekommen ist lange vor ihr, wenn's denn einen solchen gibt, nun, eine Eidechse kann ihren Schwanz abwerfen, ohne Schaden zu nehmen, die Schlange aber würd's umbringen, weil ihr Schwanz gleich hinterm Hals beginnt sozusagen, und so ein lebloses Schlangenhaupt, das buchstäblich aus dem Zusammenhang gerissen ist und nichts nach sich zieht, weil der Rest im Dunkeln der Höhle verborgen bleibt, gibt ja nun bestenfalls einen Happen ab für den Rennkuckuck. Die Häuptlinge der Weißen machen es so, da gibt’s immer nur tote und sterbende Schlangenköpfe mit Giftzähnen, die stecken sie dann aneinander und behaupten, dass die zweite Schlange die erste verschlungen habe und so weiter, will meinen ihre erste Idee von einer nachfolgenden vernascht wurde bis zur letzten, die dann leider dran erstickt ist, kurzum, dass sich bedauerlicherweise keiner ihrer Vorschläge hat verwirklichen lassen, so griffig ein jeder davon auch gewesen sein mag. Was nun mein Ding nicht ist, bei mir ist das 'ne ganze Schlange und eine lebendige dazu, die sich nicht erst verwirklichen lassen muss, ganz einfach weil sie wirklich ist, da sieht sich der hungrige Rennkuckuck dann schon vor die Entscheidung gestellt, ob er sich auf einen gefährlichen Kampf einlassen will, um mit der fertig werden zu können, ein atemberaubend offenes Duell wie du sicher weißt, mit servierten Häppchen ist da jedenfalls nichts.“
Inzwischen sind die Schlangen in ihren Gefäßen auf der Plaza in einem Verschlag aus Strohwänden untergebracht, einem seltsamen Gebilde mit belaubten Pappelzweigen als Dach, dem sogenannten Kisi. Dieses wird von einer Gruppe von Antilopentänzern umstanden, die weiße Schlangenlinien auf den Rücken gemalt tragen und eben ihren grazilen Antilopentanz getanzt haben bis an die Tuch-verhangene Öffnung der Schlangenhütte. Und dann kommen sie endlich aus dem Kiva geklettert und hintereinander in Schlangenlinien angetanzt, die unheimlich wirkenden beeindruckenden Schlangentänzer mit den Federbüscheln auf dem Kopf, Ketten-behangen, bemalt und in befransten Mokassins. Viermal umrunden sie den Verschlag im Gleichschritt, wobei sich ihre Körper mit geschmeidiger Anmut faszinierend Schlangen-ähnlich winden und die Tänzer zudem beschwörende Gesänge singen, bis hierhin ist alles unwirklich genug, was aber nun folgt, verschlägt mir regelrecht den Atem.
Die Schlangentänzer haben sich zur Rechten in einer Reihe gegenüber den Antilopentänzern vor dem Verschlag aufgestellt, wo sie ein Spalier bildend mit diesen gemeinsam ein Lied singen, ihre Körper dabei wiegen und mit den Armen gemeinsame Bewegungen ausführen in vollkommenem Einklang. Majestätisch tritt der Schlangenpriester und Wächter der Schlangen aus dem Kisi, mit weit ausgebreiteten Armen, in Händen eine große Klapperschlange, mit der Rechten hat er sie hinterm Kopf gepackt, aber keineswegs klammernd, mit der linken hält er ihren muskulösen Leib, das gut zu erkennende Rassel-Ende windet sich schlängelnd. Einem Tänzer nach dem andern übergibt er eine Schlange, aber nicht wie man glauben möchte in die Hände, sondern er steckt das Reptil behutsam ein gutes Stück hinterm Kopfansatz in dessen geöffneten Mund, wo die Diamantklapperschlange sich nach unten baumelnd und offenbar entspannt zu winden beginnt.
Mit den Schlangen im Mund beginnen die Tänzer den eigentlichen Tanz, erst mit einer gewissen Zurückhaltung und verständlichem Respekt, aber es scheint, als würden sie durch die Berührung ihrer Lippen an der trockenen warmen Schlangenhaut etwas von deren Wesen in sich aufnehmen. Ihre Bewegungen werden runder, geschmeidiger und gelenkiger, fast möchte man meinen, sie haben keine Knochen mehr in Armen, Beinen und Hüften, es ist, als würden sich ihre Gliedmaßen ohne ihr Zutun bewegen und sie sich ohne deren Einsatz im Kreis herum wie eine Schlange, die auf dem Boden kriecht und sich vorwärts schlängelt. Ich kann dieses unglaubliche Schauspiel nicht anders beschreiben, die Tänzer werden zu Schlangen, dieselben hängen geradezu gelassen aus ihren Mündern herab, die sich windenden Menschenkörper wie eine Liane zierend, oft bis hinunter an den Boden reichend. Manchmal ringelt sich eins der Tiere zusammen und nach oben, ein andermal züngelt sein Kopf Richtung Ohr des Tänzers, aber dieselben sind vollkommen furchtlos und wie entrückt, sie wissen, dass ihnen keine der außergewöhnlichen Tanzpartnerinnen Leid und Schaden zufügen wird, und so ist es auch. Die hochgiftigen Wüstenvipern scheinen eine Beißhemmung zu haben oder keine Lust, ihr Gift zu verspritzen, fast möchte man glauben, sie würden sich im Rhythmus ihrer Tänzer mitbewegen, vielleicht tun sie es auch, mir sind die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum längst verschwommen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange das überirdische Spektakel gedauert hat, irgendwann betritt der Priester den inneren Kreis der Tänzer, die sich längst in Trance befinden, und verteilt die mitgebrachten Nattern auf dem Boden, ein Tänzer nach dem andern nähert sich dem schlängelnden Häufchen, beugt sich immer noch tanzend so tief wie möglich nach vorn und lässt seine Tänzerin sanft zu Boden gleiten, die sich keineswegs eilig in den Schutz der Gemeinschaft der verwandten Nattern begibt, bis alle Klapperschlangen den Mund der Tänzer verlassen und ihre Erdung wiedergefunden haben. Die Tänzer ziehen sich erschöpft und schweißgebadet zurück, der Priester sammelt die Schlangenbrut in aller Seelenruhe ein, bündelweise hält er ihre Lianen in Händen, trägt die immer noch sehr ruhigen Vipern samt Nattern zu ihren Körben zurück und verstaut sie darin, um ihnen mit ein paar eifrigen Helfern meist kindlicher Statur die verdiente Freiheit zurückzugeben.
Es wird noch lange gesungen, getanzt und ausgelassen gefeiert, die Zeremonie als solche jedoch hat ihren Höhepunkt und ihr Ende erreicht, mich zieht es erschöpft und von den Eindrücken wie betäubt der heimatlichen Blockhütte zu. Auf Infinis Rücken schwebe ich durch die hereinbrechende Nacht und werde zur Klapperschlange, schlängle mich über den steinigen Wüstenboden mit magischer Geschmeidigkeit, bewege mich fort mit reiner Muskelkraft ohne einen Finger zu rühren dabei, von einer übernatürlichen Macht geführt winde ich mich lautlos wie aus mir selbst heraus dahin und komme mühelos gleitend voran. Ich schmecke den leisesten Windstoß an meiner Zungenspitze, rieche die Wüstenmäuse im Nachthauch und ihren süßlichen Kot, ihr Rascheln knistert durch die verfeinerten Nerven meiner Schuppenhaut wie das nächtliche Blätterrauschen der Pyramidenpappeln, ich spüre die tödliche Gewalt meines Giftes in den spitzen Schneidezähnen.
Wird es mir jemals gelingen, meine Erdung wiederzufinden?
Doch wozu hab ich schließlich meinen unirdischen Freund Fanda? Der behauptet nämlich steif und fest, dass Schlangen nicht hören können. Weil sie keine Ohren haben, nehmen sie Geräusche mit anderen Sinnen auf, ähnlich wie das Frösteln der Haut bei einem kalten Windstoß, das Plätschern der Wellen am Ufer der Seen oder ein leichtes Beben der Erde in Kalifornien. Ich weiß nur, dass die Schlangenexperten diesbezüglich auch nichts wissen, vielleicht kommen sie irgendwann hinter das Geheimnis der tauben Hörenden, zum Schluss hat mein kleiner Naturforscher sogar recht mit seinen Fantastereien. Ansonsten ist der grüne Knirps völlig außer sich, seit er den Schlangentanz durchs Hutloch beobachten konnte. Wie nicht anders zu erwarten, hält er sich für einen großen Snake Charmer. Fast pausenlos windet und schlängelt er sich herum, wobei er Arme und Beine so eng wie möglich an das kugelrunde Bäuchlein presst und eifrig mit seinem Schwänzchen wedelt, um sich das Aussehen einer tanzenden Klapperschlange zu geben. Seine verblüffende Ähnlichkeit mit einer Kaulquappe hab ich ihm aus liebevoller Rücksichtnahme bisher verschwiegen.
Als die Schlange jedenfalls in meinem Kopf saß, hörte ich fein wie nie, freilich war es ein knisterndes und prickelndes Wahrnehmen, eher ein Erspüren als ein Lauschen, so gesehen kann ich als Ohrenträger nicht allzu viel dazu sagen, wer weiß schon, was in so einem kleinen Schlangenkopf vorgeht und ob die Klapperschlange nicht hörbar machen kann, was sie nur fühlt? Das klappernde Rasseln der Hornringe an ihrer Schwanzspitze ist jedenfalls für jeden Angreifer recht deutlich zu vernehmen, warum sollte sie mit einem warnenden Geräusch drohen und sich bemerkbar machen, das sie selbst nicht hören kann? Und warum, so frage ich, hört Schwester Klapperschlange unter meinem Sattelkopfkissen so lange nicht mit Rasseln auf, bis ich ihr die gewünschte Gute Nacht-Geschichte erzähle? Oder ein Gedicht aufsage.
Ich wand mich tastend aus der Tiefe
von Gruften meiner Winterhöhle
und reckte schwankend mich zum Licht,
erwacht aus kaltem Todesschlaf.
Und wusste nicht, ob ich noch schliefe,
ob noch am Leben meine Seele
oder mir träumte, wusst es nicht,
ob Wolf ich bin ob bin ich Schaf.
Wenn spitz der Zahn und voller Gift
mein Biss in deine Ferse trifft,
da du mir willst den Kopf zertreten,
werd züngeln ich: du sollst nicht töten.
Ich und die Rattle Snake, wir haben einiges gemeinsam.
Die arme Schlange genießt den schlechtesten Ruf unter den Gottesfürchtigen, den man sich denken kann: Den der biblischen Versucherin, die da auf dem Bauch durch den Staub zu kriechen verflucht ist seit dem Sündenfall, den die Menschen der List und Tücke ihrer Schläue verdanken. In Wahrheit sind sie es doch gewesen, die da noch schlauer sein wollten als die kluge Schlange, nämlich allwissend wie Gott, sie sind es doch, die immer schlauer sein wollen als der Desperado, der sich weder für besonders schlau hält noch allzu viel wissen will, weil ihm das, was er weiß, mehr als genügt, um in der zivilisierten Welt der Weißen überleben zu können. Sie sind es, die ihn dazu zwingen, sich züngelnd durch ihre Niederungen zu schlängeln, bei ihnen hat er gelernt, sich wenn nötig zu verkriechen und gegebenenfalls warnend zu rasseln, sie haben ihn gelehrt, sich regelmäßig aus seiner alten Haut zu schälen, damit sie ihn nicht zu fassen bekommen, und zuzubeißen, wenn er sich seines Lebens erwehren muss, all das haben sie ihm beigebracht, um ihm die Schuld geben zu können.