Navajo
Der ganze Südwesten war ein einziges Haus, gebaut aus der Morgendämmerung.
Er war gemacht aus Blütenstaub und Regen.
Das Land war alt und ewig.
Auf den Hügeln und in der Ebene leuchteten viele Farben, und hinter den Bergen wuchs eine dunkle Wildnis.
Das Land war bestellt und voller Kraft, es war schön, soweit das Auge reicht.
So beschreibt ein uraltes Indianerlied das gewaltige Gebiet, in dem sich überwiegend Wüste und Halbwüste abwechseln. Die Bevölkerung seiner Großfamilie besteht in allumfassend weitestgehend unterschiedenem Sinne aus den Stämmen der Mohave im Nordwesten, den Halchid-homa, Quechan, Cocopa, Pima und Papago, Maricopa, Yavapai, Walapai, Havasupai, Hopi, Navajo, Jemez, Tewa, Jicarilla, Tiwa Pecos, Trano, Keres Tiwa, Laguna Acoma, Zuni, Piro, Western Apache, Chiricahua, Mescalero, Jocome, Suma, Jumano, Eudeve, Opata, Seri, Jova, Concho, Bajo, Yaqui, Tarahumara, Tobosco, Tubar, Mayo, Guasave, Acaxee, Tepehuam, Xixime, Tahue und Zacateca im Südosten. Das sind wenn ich mich nicht irre sage und schreibe fünfundvierzig Stämme oder besser gesagt Stammesverbände.
Die Walapai zum Beispiel sind ein kleines gut tausendköpfiges Völkchen, mit den benachbarten Yavapai und Havasupai verwandt und sprechen Yuma, ganz im Gegensatz zu der athapaskischen Sprache der Apache und Navajo, wobei sich einem Bleichgesicht der Unterschied nicht auf den ersten Blick erschließt. Die Apache wörtlich „Feinde“ kamen erst spät, nämlich kurze Zeit vor den Spaniern, aus dem hohen Norden ins Land der Sandhausleute, wie sie die ansässigen Pueblostämme der Wüste nennen. Diese leben hier schon seit der Steinzeit, sind sesshaft, betreiben Maisanbau und Viehzucht, ihre Vorfahren legten verzweigte Kanalsysteme an, deren Spuren bis heute zu sehen sind, und bauten legendäre Puebloburgen an die Hänge der Berge, wobei nebenbei bemerkt bis heute kein Pueblo der Bauweise des anderen gleicht.
Lange Zeit vertrugen sich die Alteingesessenen und die Neuankömmlinge nicht unbedingt so besonders gut miteinander, es gab bereits fünf verschiedene Kulturen im Südwesten und etwa ebenso viele Sprachen, und nun sollte noch eine weitere etwas fremdartige weil nomadisierende hinzukommen, die noch dazu die überaus unangenehme Angewohnheit mit sich brachte, den sakralen Raubzug als festen Bestandteil ihrer Daseinsbewältigung zu pflegen, was wie in solchen Fällen üblich eine Zwangsenteignung der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung folgen ließ. Doch weder Räuber noch Beraubte sind lebensmüde, also gab es bessere Lösungen zu finden, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, der Besitzerwechsel musste reibungsloser gestaltet werden, inzwischen geht er in den überwiegend allermeisten Fällen unblutig vonstatten. Es genügt, wenn die Schar der Apache, die sich auf einem sogenannten Raubzug befindet, gut sichtbar und in voller Zahl auf einer Anhöhe über dem Dorf oder vor einem Pueblo mit Schüssen und Geschrei auf sich aufmerksam macht und wieder verschwindet. Da es sich für gewöhnlich um eine überschaubare Gruppe von Kriegern handelt, wissen die Bewohner erstaunlich genau, wieviel an transportbereit verpacktem Proviant und verschnürten Waren sie an einem geeigneten Platz in ausreichendem Abstand von ihrer Siedlung hinterlassen müssen, Mais, Bohnen und Trockenfleisch für den Verzehr, Saatgut, Keramiktöpfe und Schalen, handliche Werkzeuge, schöne Kleider und Schmuck für den Weiterverkauf, um den Ansprüchen der Apache zu genügen. Mit Einbruch der Dunkelheit und manchmal schon davor kommen diese bedächtig angeritten, beladen in aller Ruhe ihre Pferde damit und machen sich aus dem Staub.
Im Laufe der kriegsermüdenden Zeit kommt es außerdem zu Verheiratungen, Vermischung und reger Tauschhandelsbeziehung zwischen Zugewanderten und Ureinwohnern, der Großteil der früher eingewanderten Navajo hatte längst die Lebensweise der Ureinwohner übernommen und bildet die kulturelle Brücke, und weil die Apache das prägnanteste und nicht zuletzt wehrfähigste Volk unter den Völkern der Wüste sind, nennt man die ganze riesige Region heute der Einfachheit halber Apachenland, obwohl nur etwa ein Viertel davon zu ihren eigentlichen Stammesgründen gezählt werden kann, das zudem, in verschiedene Gruppierungen aufgeteilt, von seinen Bewohnern keineswegs als der Lebensraum ein und desselben großen Stammes verstanden und betrachtet wird. Eine ihrer Abzweigungen zum Beispiel, die der Kiowa-Apache, zieht die Prärie der Wüste als Jagdgrund vor.
Das Herz des Südwestens ist die Apacheria, das Herz der Apacheria aber sind die Chiricahua. Dieses wilde Land, das die Alteingesessenen meiden, weil es ihnen zu schroff ist, zu rau und gefährlich, haben sie sich zur Heimat gemacht und sind mit ihm verschmolzen. Es ist, als hätte die Wüste selbst sich mit ihnen beseelt und ihnen ihre Seele eingehaucht, um ein menschliches Antlitz zu tragen. Kein Volk der Sierra zog mich mehr in seinen Bann, und von keinem weiß ich weniger.
Als ich in jungen Jahren, dem Ruf meiner Bestimmung folgend, meiner Heimat den Rücken kehrte, um gemeinsam mit Gleichgesinnten Wirklichkeit werden zu lassen, was ich schon immer fühlte, wusste ich so gut wie nichts über sie und die Apache im Allgemeinen. Gehört hatte ich von einem schrecklichen Massaker bei Santa Rita del Cobre, das in den späten Dreißigern an ihrem Volk verbrochen worden war, ein Halbblut hatte mir mal erzählt, dass es irgendwo in ihren Bergen eine Höhle gibt, in der Sonne, Mond und Sterne an den Wänden prangen, umringt von den Gestalten ihrer Berggeister, die die Apache aufsuchen um dort zu beten, das war so ziemlich alles. Dem, was die Leute meiner Hautfarbe über ihre Stämme, ihre Gotahs zu sagen hatten, schenkte ich auch damals schon kein Gehör mehr, was weniger an Unwissenheit bedeutete, als ich dachte, denn nichts davon entsprach auch nur annähernd der Wirklichkeit.
Für die Apache ist die Wüste beseelt, die Erde spricht zu ihnen, der Wind ist lebendig, die Berge, die Felsen, die Bäume, die Flüsse, ja alles und jedes, was da ist. „Der Berg da spricht zu mir“ bemerken sie mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten sie sich angeregt mit einem Menschen unterhalten. In vielen Felsenklippen leben die Berggeister, und damit die Apache deren Stimmen und ihre Botschaften hören können, öffnen die Geister den Felsen und teilen ihnen mit, was da von Bedeutung ist. Man kann die Apache ohne Umschweife als tiefgläubige Menschen bezeichnen mit ausgeprägter spiritueller Begabung, doch auch diese ihre Eigenart unterscheidet sie von den anderen Völkern des Südwestens durch den sehr persönlichen Umgang damit und die Freiheit, die sie innehat.
Die Apache sind das freieste Volk auf Erden, das ich kenne.
Wilde Pferde.
Bläulich schimmernde Rappen mit weißen Fesseln und strahlendem Stern auf der kühnen Stirn, leuchtende Schimmel in blendendem Weiß, Apfelschimmel mit grauen Talern, nussbraune, kastanienbraune, erdbraune, mandelbraune, graubraune, rotbraune, gelbbraune, schwarzbraune Braune, feuerrote und purpurne Füchse, ockerfarbene und zitronenblasse Gelbe mit weißer Mähne und mit schwarzem Kamm, Schecken aller Farben, Formen und Musterung, fliegende Mähnen, wehende Schweife, jagende Hufe, Wiehern und Schnauben, Scharren und Stampfen.
Frei sind sie seit Generationen, alles Zahme ist längst von ihnen abgefallen und Wildem gewichen, seit den fernen Tagen der Spanier bewohnen sie den Südwesten, die hüpfenden, springenden und tollenden Fohlen wissen nichts mehr vom Frondienst ihrer Vorfahren, nichts mehr von einem behüteten Leben unter Menschen. Ihre Mütter lehren sie die Pfade von Wasserloch zu Wasserloch, von Weideplatz zu Weidefläche, lehren sie die Fluchtwege und Schlupfwinkel vor den Lassos der Cowboys, die Gefahr des lauernden Berglöwen und schleichenden Kojoten, der schlafenden Klapperschlange und des hungrigen Bären, lehren sie das wilde ungebundene Leben der Wildnis. Fluchttiere durch und durch ziehen sie dicke Staubfahnen hinter sich her, wenn ihre Herde die Witterung von Menschen aufgenommen hat, schneller als der Wind ist ihr kraftvoll athletischer Lauf, das Spiel ihrer Muskeln glänzt im Schweiß, ein wogender Keil pulsierender Leiber, kühn voran der kraftvolle Leithengst oder die erfahrene wuchtige Stute, unaufhaltsam und unbezwingbar, ein atemberaubender erregender überwältigender Anblick, so ziehen sie ihre ungezügelten Bahnen durch das raue Land, ihr weites Land, selbstbewusst, von unbeschreiblicher Schönheit und stolz, als würden sie die Wüstensteppen seit Jahrhunderttausenden beherrschen.
Kämpfende Hengste in dichten Staubwolken, ein Bündel aus Feuer und entfesselter Wildheit, wirbelnder Hufe, geschürzter Lippen und bis zum Zahnfleisch entblößter Gebisse, flammender Mähnen und peitschender Schweife, auf stämmigen Hinterläufen tanzend drücken sie gegeneinander an, ihre Vorderläufe ineinander verkeilt, die Zähne in die Mähne des Rivalen gegraben, bebend wie eine brodelnde Urgewalt, wie eine Windhose, ein Wirbelwind drehen sie sich im Kreise, schneller als das menschliche Auge folgen kann, entfesselt wie ekstatische Derwische, wie züngelnde Flammen in Rauch gehüllt, ein mystischer Anblick voll schaudernden Schreckens animalischer Natur.
Vergnügt und heiter das ausgelassene Spiel der Fohlen, staksend auf langen noch etwas unbeholfenen Beinen, hochspringend mit allen Vieren in der Luft, wild ausschlagend, Haken schlagend, sich wie ein Kreisel um sich selbst drehend, mit der Anmut einer Gazelle und der Wucht einer Bergziege rennen sie blindlings drauflos, den Hals hoch erhoben, zwischen die Vorderläufe geschoben, nach vorn gestreckt, mit wippenden wackelnden schüttelnden Köpfen, das unkontrollierte Spiel der Ohren unbeschwert, das Schwänzchen vorwitzig erhoben, ihr übermütiges Treiben ohne Absicht und erkennbaren Sinn.
Wachsam und klug die schwarzen Augen der Stuten, scheu und ängstlich, todesmutig zu allem entschlossen, tief wissend ihr Blick, die Seele in ihren Pupillen tragend, auf kräftigen Beinen die zum Teil rundlichen Leiber, wie ein Fels in der Brandung stehen sie, ihr ebenmäßiger Lauf pulst im Rhythmus des Herzens, wogt in den Gezeiten wie die Brandung der Meere. Fluchtburg und Insel, Hafen und Hort, geduldige Lehrmeisterin und gestrenge Erzieherin, brennende Beschützerin und kosende Trösterin, voll leidenschaftlicher Ruhe, feuriger Gelassenheit, schwelender Tollheit und launischer Klarheit, feinsinnig und verwundbar wie eine Schnecke ohne Häuschen, zäh und unverwüstlich wie eine blühende Kaktee, als wären alle Wesensarten vom Tarpan bis zum Araber in ihrem Gemüt und Geblüt zu unbesiegbarer Geschlossenheit, zur Einheit erhabener edler Anmut und lodernd flackernder Unberechenbarkeit verschmolzen.
König und Königin der Wüstensteppe und Karstgebirge, das ist der Mustang.
Auf den Felsnadeln des Spider Rock lauert die Spinnenfrau, die den Navajos das Weben beigebracht hat und ihre bösen Kinder frisst, ich fürchte ihre Netze nicht. Den besten Ruf genießt sie nun wirklich nicht gerade, die Spinnenfrau. Ein richtiges Scheusal soll sie gewesen sein, das arglose Menschen in ihr Haus lockte, nur um sie zu vergiften. Dann schnitt sie ihren Opfern den Kopf ab und hängte ihn in ihrer Stube auf, den aufgeschlitzten Leib aber warf sie in den Bach als Futter für die Fische. Aus den Schädeln entfernte sie das Hirn und hängte es vor der Hütte zum Trocknen auf, die abgeschnittenen Ohren fädelte sie auf eine Schnur und ließ sie in der Sonne verdorren, bis sie wie kleine Kürbisscheiben aussahen. Niemand konnte sagen, warum sie derlei Abscheulichkeiten pflegte, doch als die Menschen sich nicht mehr in die Nähe ihrer Behausung wagten, schlich sie nachts in die Dörfer und verschleppte immer wieder ahnungslos Schlafende.
Eines Tages hat der Schöpfer genug von ihrem widerwärtigen Treiben und befiehlt der Sonne und dem Mond, ihre Söhne auf die Erde zu schicken, um ihm ein Ende zu bereiten. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet ziehen die beiden strahlenden Jünglinge gegen die Spinnenfrau, der ihr Kommen zugetragen wurde, sie schickt ihnen eine Heerschar von Schlangen entgegen, so dass die Helden Furcht überkommt. Doch dann erspäht der Ältere der Beiden eine große Klapperschlange in dem Gezücht, das schlängelnd den Wüstenboden bedeckt, mit einem gut gezielten Schuss jagt er ihr einen Pfeil in den Kopf, woraufhin sämtliche Schlangen in ihre Höhlen zurückkriechen. Die Spinnenfrau aber ist noch lange nicht am Ende mit ihren Gemeinheiten, tags darauf sind es unzählige Pumas, die sich den Burschen fauchend entgegenstellen, der jüngere will schon Fersengeld geben, der ältere aber macht ihm Mut und erlegt mit seinem Pfeil den größten Berglöwen, den er in der Menge ausmachen kann, worauf die andern in ihren Schlupfwinkeln verschwinden. So kommen sie der Behausung der Spinnenfrau immer näher, und als diese in einem letzten Versuch mit einer Horde wütender Bären aufwartet, nimmt sich auch der Jüngere ein Herz, sie töten die zwei größten Exemplare und der Rest flüchtet in die Berge zurück.
Derart geschlagen sieht die Böse sich veranlasst, auf die List der Heuchelei umzuschwenken, sie geht den Beiden entgegen und lädt sie überaus freundlich zum Essen ein, ob sie denn wilde Tiere gesehen hätten, will sie wissen, ja doch, antworten die Gefragten, aber wir waren zu schnell für sie und sind ihnen ausgewichen. Das sagen sie, um die Alte zu ärgern, weil sie wissen, dass die Tiere in Wahrheit böse Geister sind, die ihr dienen. Was die Grässliche ihren Gästen vorsetzt, sind Menschenhirne, doch die Zwei, die zuvor auf einer besonderen Wurzel gekaut hatten, überwinden ihre Abscheu und würgen sie hinunter, und während die Alte sich ausmalt, was für schöne Maissäcke sie aus den Häuten der hübschen Kerle machen kann und sich wundert, weshalb die Vergifteten noch nicht tot umgefallen sind, gehen diese hinaus ins Gebüsch und stopfen und ziehen sich die zu Brei zerkaute Wurzel in die Nasen, durch deren Wirkung sie alles Geschluckte auf der Stelle erbrechen. Langsam bekommt die widerliche Hexe es mit der Angst zu tun, also überredet sie die Beiden, in ihrem grausigen Heim zu nächtigen, um sich derweil eine weitere Scheußlichkeit überlegen zu können. Damit sie ihr nicht entwischen, legt sie sich quer vor den Eingang ihrer Hütte und schläft miserabel.
Mit den ersten Sonnenstrahlen bittet sie die Jünglinge zum heiligen Tanz. Sie werde die Lieder dazu singen, auf einem kleinen Plateau am Rande eines Abgrunds hat sie den Tanzplatz bereits hergerichtet, die Beiden aber reiben sich den ganzen Körper mit einer zaubermächtigen Salbe ein, bevor sie aus dem Haus treten. Die Spinnenfrau will sie so lange im Kreis tanzen lassen, bis ihnen schwindelig wird und sie die Schlucht hinunterstürzen, und um der Sache den nötigen Nachdruck zu verleihen, ruft sie mit ihrem Gesang schlimmes Wetter herbei.
"Wolken mögen sich ballen!
Schwarze Wolken, kommt herbei!
Schneesturm soll rasen,
froststarr werden die Welt!"
Und tatsächlich tobt ein heftiger Blizzard über die kleine Tanzfläche, um die Söhne von Sonne und Mond in die Tiefe zu reißen, doch diese verwandeln sich in Schneegänse und tanzen in deren Gestalt, ohne dass ihnen schwindelig wird dabei oder sie weg geweht werden. Auch die klirrende Kälte vermag ihnen nichts anzuhaben. Als die Spinnenfrau einsehen muss, dass sie gegen die Zwei nichts ausrichten kann, will sie den Tanz beenden und sie zum Frühstück überreden, doch die Beiden denken nicht dran, "Jetzt wirst du nach unserer Pfeife tanzen!", rufen sie und stimmen nunmehr ihren Gesang an.
"Sturm, geh vorüber!
Wolken, zieht fort!
Sonne, unser Vater, scheine auf uns!"
Und sogleich bricht die Sonne durch die zerreißenden und schwindenden Schneewolken, die Spinnenfrau aber muss das Tanzbein schwingen in ihrem strahlenden Schein.
"Vater! Komm näher zu uns herab!
Dein Haupt komme auf uns!"
Da wird es unerträglich heiß für die frühe Morgenstunde, die Spinnenfrau beginnt zu ächzen und schwitzen und fleht die Beiden an, innezuhalten, doch ihr Tanz ist noch lange nicht zu Ende.
"Unser Vater, die Sonne, möge die Heuschrecken zu sich rufen und sie senden!
Zu unserer Mutter, dem Mond, bei der die Alte da in Zukunft wohnt!"
Ein riesiger Heuschreckenschwarm lässt sich auf dem Plateau nieder und sammelt sich zu Füßen der tanzenden Spinnenfrau, ballt sich unter ihren Sohlen, bis sie von ihm emporgehoben wird, sie reißt sich die Kleider vom Leib, um ihn zu verscheuchen, springt wild herum nach allen Seiten, doch die Schar der Schrecken ist so groß, dass sie ihr nicht entkommen kann, und während die Brüder unaufhörlich ihre Lieder singen, wird sie in den Himmel hinaufgetragen, erst an der Sonne vorbei, von deren Glut die Spinnenfrau ordentlich angesengt wird, und von dort zum Mond, auf dem der Schwarm die still Gewordene absetzt, bevor sich die Heuschrecken in unzählige Sterne verwandeln.
Bei Vollmond sieht man die dergestalt Bestrafte bis heute gekrümmt herumirren, ihre Kleider hinter sich her ziehend.
Die Geschichte der Spinnenfrau gibt es in vielerlei Ausführungen, meines Wissens hat sie ihren Ursprung östlich im Herzen der Prärie, mal ist der Schöpfer männlich, mal weiblich, die Namen der Brüder sind unterschiedlich und den jeweiligen Heroen angepasst, allein die böse Spinnenfrau ist überall und immer die selbe, bei den Navajo nun wird sie von den Söhnen der sich verändernden Frau auf die Spitze des Spiderrock verbannt.
Mein Haar, mein Mund, mein Hut, mein Rock, die Hose und die Stiefel sind so voller knirschendem Sandstaub, dass ich den Eindruck habe, in tausend feine Körner zu zerrieseln, mein Pferd ist fahl wie der Klepper des Sensemanns, durch den Sandsturm bin ich geritten, sein stechendes Peitschen erschien mir wie das Streicheln zärtlicher Liebkosung.
„Hey, Geisterreiter, kommst du aus der Tiefe der Erde gekrochen, wie die Hopi sagen?“
Die junge Stimme mit dem unverwechselbaren Slang gehört einem Navajo, der aus dem Schatten eines Felsens taucht und mir auf scheckigem Mustang entgegen getrabt kommt.
„Seh ich so aus, und wenn, dann wär ich dort geblieben“, erwidere ich mürrisch.
Mit gesenkten Augenbrauen nehme ich das vorwitzige Bürschchen in Augenschein, über der dunklen Stirn windet sich der Faltenwurf eines farbigen Tuches um den schwarz behaarten Kopf, dessen Enden übers linke Ohr bis an die Schulter herab flattern, eine doppelte Muschelkette hängt ihm um den Nacken bis ans Brustbein, er ist in einen luftigen längsgestreiften Überwurf gekleidet, eine dicke Schärpe schlingt sich über die rechte Schulter hinunter um die linke Hüfte, die Füße stecken in kniehohen bestickten Ledermokassins. Ein Dine wie er leibt und lebt, aufrecht auf dem Rücken seines Pferdes sitzend, mustert mich neugierig mit wachen, aufmerksamen Augen.
„Viele Monde lang war dein Hufschlag nicht zu hören, zweimal schon wanderte der Mond an selber Stelle, dort, von wo aus er jetzt auf uns herunter schaut.“
Mit der Rechten weist er nach oben, die Silberplättchen an seinem Ketoh glänzen türkis im Sonnenlicht, ein fahler Halbmond blinzelt verschlafen im blauen Himmelbett. Ich kann mich nicht erinnern, den Burschen jemals gesehen zu haben, der sich mir als Hastobíga vorstellt, dass er mich zu kennen scheint, wundert mich indes überhaupt nicht, die Navajo sehen einfach alles und wissen immer über alles und jeden Bescheid.
„Aus der Erde des großen Graslands bin ich gekrochen“, antworte ich ihm schließlich, von seiner offenen Freundlichkeit besänftigt, „sie hat sich in ein Meer von Blut verwandelt, die Präriehunde ertrinken in ihren Gängen und Höhlen, die Wüste erschrak bei meinem Anblick, der Wind füllte seine Hände mit Sand und warf sie auf mich, bis ich davon reingewaschen war.“
Ein Schatten der Betroffenheit huscht über sein Gesicht. Schmerz, Angst und Kummer haben tiefe Spuren hinterlassen in den Zügen des jungen Mannes, Bitterkeit und Zorn Furchen in seine Mundwinkel gekerbt, die Augenbrauen unter von Falten durchzogener Stirn gesenkt. Auf dem „Long Walk“, dem langen Marsch der Dine war er wohl fast noch ein Kind, das mitansehen musste, wie die Soldaten Gebärende im Wehenschrei erschossen, alten Frauen und Männern, Kranken und Verwundeten, die nicht mehr weiterkonnten, auch Kindern den Gnadenschuss gaben wie verendendem Vieh und ihre Leichname den Geiern, Krähen und Wölfen zum Fraß überließen. In der Hölle der berüchtigten Bosque Redondo Reservation ist Hastobíga zum Mann gereift, die Bilder des Grauens werden ihn sein Leben lang begleiten, einsam wird er unter seinen Kindern sitzen, noch einsamer unter seinen Kindeskindern. Schlagartig wird mir bewusst, dass auch ich ein einsamer Mann geworden bin, zur Einsamkeit verdammt.
Die Navajo haben einen langen Marsch hinter sich.
Im Grunde sind sie Schafbauern, aber alles andere als lammfromm. Als die Armeen der Weißen gegen sie vorgingen, wehrten sie sich mit entschlossener Verbissenheit und Wildheit und kämpften selbstbewusst und mit erhobenem Haupt gegen die Invasoren, so dass diese zu dem Schluss kamen, ihren Widerstand nur durch das Auswechseln ihrer Köpfe brechen zu können. Zu diesem Zweck sollten sie in der Nähe von Santa Fe in ein Umerziehungslager gesteckt werden. Man kann nur hoffen, dass diese Einrichtung keine Nachahmer findet. Eigens und ursprünglich für die Internierung von fünfhundert Mescalero errichtet, drängten sich zuletzt mehr als neuntausend Navajo in den Palisaden von Fort Sumner zusammen. Ihre Familiengruppen und Sippen waren der Armee förmlich in die Arme gelaufen auf der Flucht vor marodierenden meist mexikanischen Banden, die ihre Lager überfielen und Frauen und Kinder als Haussklaven verschleppten.
Die Armee trieb die etwa zehntausend Leute zusammen und schickte sie auf den berüchtigten langen Marsch, fünfhundert Kilometer den Rio Grande hinauf, ein Todesmarsch unvorstellbarer Strapazen und Qualen, und viele von ihnen erreichten ihren Zielort nie. Es war Winter, die Soldaten gaben den Hungernden kaum oder nichts zu essen, prügelten stattdessen wahllos auf sie ein und rissen den Frierenden die wärmenden Decken vom Leib, um sie unterwegs zu verschachern. Die mit teuflischer Präzision und erbarmungsloser Grausamkeit unter dem Kommando eines irrsinnigen Generals namens Carlton durchexerzierte Aktion indessen wurde ein gewaltiger Schuss in den Ofen, der große Geist schickte Dürre und Heuschrecken, die dem schlechten Boden den Rest gaben, verwirrte zudem die Planung des Unternehmens und aus der Umerziehung der Navajo zu Farmern wurde nichts. Die wollten davon auch nie mehr etwas hören oder wissen und wurden schließlich wieder in ihre Stammesgebiete zurück geschickt, die mittlerweile zu einem Reservat zusammengeschrumpft waren und zum Teil auf Hopi-Land angesiedelt. Sarkastischer Weise bewahrte sie diese abartige Umerziehungsmaßnahme vor ihrer Ausrottung, der kleinere Stämme ohne großes Aufhebens zum Opfer fielen.
„Hat man dir erzählt“, versuche ich das Thema zu wechseln, „warum die Soldaten in Fort Wingate die Navajo des großen Häuptlings Manuelito zusammengeschossen haben? Nein? Weil sie ihnen beim Pferderennen unterlegen sind, nur darum. Erst wollten sie Manuelitos Männer mit irgendeiner unhaltbaren Behauptung um ihren Sieg betrügen, und als die es gewagt haben zu protestieren, eröffneten sie ohne Vorwarnung das Feuer, zuerst mit Gewehren und dann mit Haubitzen.“
Ich habe seine volle Aufmerksamkeit gewonnen.
“Ich war zufällig vor Ort, um die Blauröcke verlieren zu sehen, ihre Niederlage war von vornherein klar, aber die Bleichgesichter können nicht verlieren, niemals, es gibt keinen schlechteren Verlierer als einen weißen Amerikaner. Etliche wehrlose Frauen und Kinder, die als fröhliche Zuschauer anwesend waren, haben sie ermordet, mitten hinein gefeuert in die Menge, einfach so, die Fliehenden brutal zu Boden geworfen und der Reihe nach abgeknallt, mit ihren Bajonetten aufgespießt, in aller Ruhe, ohne Unterschied. Ein Captain, wie hieß er noch gleich... Hodt, Nicholas Hodt, wollte noch dazwischengehen, er trommelte auf die Schnelle einen Haufen Soldaten zusammen, die nicht an dem Gemetzel beteiligt waren, der einzige Gerechte ließ sogar ein paar der Mörder entwaffnen und festnehmen, aber ohne durchschlagenden Erfolg.“
Das Pferd des Navajo macht ein paar nervöse Ausfallschritte.
„Als der durchgeknallte Colonel den diensthabenden Offizieren schließlich den Befehl erteilte, mit dem rollenden Donner auf die durcheinander laufenden unbewaffneten Dine - ganze Sippen darunter, Familien, verstehst du - zu schießen, wollte der Sergeant, der für die Berghaubitzen verantwortlich war, das erst gar nicht glauben und tat so, als hätte er den Befehl überhört, aber sein Vorgesetzter hat ihm so lange wutschnaubend mit Kriegsgericht, Entlassung und Arrest gedroht, bis der Befehlsempfänger schließlich doch eingebrochen ist und bebend gehorcht hat. Den traurigen Rest kannst du dir denken, ich will’s mal dabei belassen, nur damit du weißt, wer den Krieg angefangen hat damals.“
Der junge Dine hat den Blick gesenkt und starrt auf den Boden.
„Tja, so war das. Weil sie im Pferderennen verloren haben, einfach nur deshalb. Und um sich an Manuelito für die zugefügte Schmach zu rächen, als es dem Häuptling ein paar Jahre vorher um ein Haar gelungen wäre, mit tausend Kriegern Fort Defiance zu überrennen, nachdem Rope Thrower, der Bluthund des Majors, Manuelitos Viehherden abschlachten hat lassen, sein Dorf niederbrennen und alle seine Felder gleich dazu. Zur Erstürmung fehlte kein Skalp mehr, die Blauröcke saßen rettungslos in der Falle, doch dann hat Manuelito im letzten Augenblick eingelenkt und bereitwillig Frieden geschlossen mit Major Brooks, diesen Fehler hätte er nicht machen dürfen, glaube mir, das war sein Verhängnis, seins und das seiner Dine.“
Hastobíga nickt still und traurig, ich bin zwar noch lange nicht fertig, behalte die Gedanken, die in mir hochkochen, aber lieber mal für mich, der Bursche ist bedient. Seine Cousine ist beim Long Walk „umgekommen“, so oft hat er mir die Schilderung seiner Tante inzwischen erzählt, dass ich sie im Wortlaut wiedergeben kann.
„Es war furchtbar, wie sie unser Volk behandelten. Ein paar behinderte und alte Menschen, welche die Reise nicht machen konnten, wurden an Ort und Stelle erschossen, und ihre Leichen überließ man den Krähen und Kojoten. Meine Tochter wurde müde und schwach und konnte wegen ihrer Schwangerschaft nicht mit den anderen Schritt halten und weiterlaufen. Deshalb baten wir die Armee, eine Weile zu halten, damit die Frau ihr Kind gebären konnte. Aber die Soldaten taten es nicht. Sie zwangen uns weiterzugehen, wir waren noch nicht lange weitergezogen, da hörten wir einen Schuss.“
Was wird ein Kind nach diesem Verbrechen von der Welt der Weißen erwarten?
Hörst du mich Dinetah, gelobtes Land der Navajo, hört ihr mich ihr Heiligen Vier Berge, was habt ihr dazu zu sagen, warum seid ihr so still, so redet doch mit mir, oder hat es euch die Sprache verschlagen?
Der Hesberus im Nordwesten bewegt keinen Stein, sein Gegenüber im Nordosten, der Blanca, verharrt ebenso ungerührt, dem schweigenden Taylor im Südosten reite ich entgegen, er leuchtet friedlich in der Abendsonne, der Kamm der San Francisco Peaks in meinem Rücken ruht im Schatten.
Ach, macht doch was ihr wollt, vergreiste Schläfer die ihr seid, was braucht es euch zu scheren, schlaft weiter und träumt eure ewigen Träume. Four Corners wird euer Flecken Erde neuerdings genannt, als einziges Vierländereck der Vereinigten Staaten, aber auch das muss euch nicht kümmern.
Der gelbe Hund des Navajo Nèsjája Hatáli hat graue Lefzen, mühsam schleppt er seine Hinterbeine nach. Als ich die beiden heranschlendern sehe, weiß ich nicht, wer nun bedrückter seufzt, der alte Hund oder sein bekümmerter Herr. Er hat seinen Köter tief ins Herz geschlossen, „der ist mir lieb geworden wie ein Kind“, bekennt er traurig, „so lange er schnüffelt und mit der Rute wedelt“, meint er hoffend, „hat er wohl noch Freude am Leben“.
„Aber ja“, sag ich, „klar hat er das, schau ihn dir doch an, das kann noch dauern, das hat noch Zeit“, ohne mir selbst ein Wort davon abzukaufen.
„Sag mal, Desperado“, fragt mich die Wäsche waschende Navajofrau Yébìchai am Bachlauf neugierig, „wie viele Jahre trägst du wirklich auf dem Buckel?“
„Ach Koshé, zwei mal die tausend und noch ein paar zerquetschte“, antworte ich so ehrlich wie möglich, „hab irgendwann aufgehört zu zählen“.
Sie lächelt hintersinnig, schüttelt wissend das graue Haupt und fragt nicht weiter nach.
„In Wahrheit zehn und die Sieben“, schick ich höflich hinterher, „ich wurde als Greenhorn geboren und werde als Greenhorn sterben“.
„Willst wohl ein ewiger Jungspund sein?“ Schelmisch grinst sie mich an mit funkelnden Augen.
„Hahaha, schau mich doch an“, geb ich ihr lachend raus, „nein, ein ewiger Kindskopf, das bin ich.“
„Wird schon so sein“, erwidert sie mit vertieften Lachfältchen, „es gibt auch schlimme Kinder.“
Ob die Alte weiß, wie recht sie damit hat? Als ich geboren wurde, schlugen die Berge ihre Wolken über den Gipfeln zusammen, der Fluss seine Nebelschwaden über den Wassern und die Bäume ihre Zweige über den Wipfeln. Auch das noch, riefen sie vereint im Chor, haben wir nicht genug ertragen in all den ungezählten Zeitenwenden, womit haben wir das verdient? Woher soll ich das wissen, sag ich zu ihnen, jeder bekommt, was er verdient und keiner hat verdient, was er bekommt.
Die Dörfer der Navajo sind keinen halben Tagesritt entfernt, ihre Zivilisation überragt die ihrer Mörder himmelweit. Anders als die Pueblostämme wohnen sie in sogenannten Hogans, achteckigen, aus aufeinander geschichteten Baumstämmen gezimmerten Häusern mit Erde auf dem Dach. Ihr Alltag dreht sich im Großen und Ganzen um die von ihren Kindern gehüteten Schafherden, für deren Fortbestand und Gesundheit sie heilige Gesänge singen. Auch sonst sind sie große Sänger vor allem alter Geschichten.
Gott ist eine Frau, jedenfalls bei den Navajo.
Asdzáá Nádleehé heißt die „sich verändernde Frau“, und mitgebracht haben sie die vermutlich ums elfte Jahrhundert im Südwesten eingewanderten Navaho, die sich selbst Diné sprich Menschen nennen, aus dem hohen Norden Kanadas. Von den ansässigen Pueblo Stämmen der Hopi, Zuni, Keres und Tano übernehmen die nomadisierenden Immigranten den Ackerbau, überwiegend Maisanbau, Bohnenpflanzungen und Kürbisfelder, das Anlegen von Obstplantagen, Tierhaltung in Form von Schafen und Ziegen, Rinder- und Pferdezucht, also eine überwiegend ansässige unabhängige Lebensweise und sogar Teile deren spiritueller Gedankenwelt. In ihrer Vorstellung mussten ihre Ahnen, die wissenden Leute, ganze vier Welten durchwandern, um schließlich in der ihren und fünften anzukommen. Die war bedauerlicherweise grade von einer großen Flut bedeckt, weil der Kojote sich erdreistet hatte, eins der Kinder der urzeitlichen Wassermonster zu entführen. Der Kojote macht manchmal so Sachen, jedenfalls gab er das Kindlein zähnefletschend zurück, und siehe da, dem Chaos entstiegen Sonne, Mond und Sterne, nebst Pflanzen und Tierwelt, es kam zur Scheidung von Tag und Nacht.
Aber die Wassermonster hatten sich inzwischen vorzüglich an die Weltherrschaft gewöhnt und sich zum Zwecke ihrer Aufrechterhaltung mit den Ungeheuern verbündet, einer weiteren Sippschaft urweltlicher Scheusale. Dieser finsteren Übermacht nun stellten sich die zwei Söhne der „sich verändernden Frau“ entgegen, die Mutter Erde und ihren Jahreslauf verkörpert, und gaben ihnen derart eins auf die grässlichen Rüben, dass die Ausgeburten klein bei gaben und sich ins Innere der Erde davonmachten, wo sie wohl auch hingehören und jedenfalls bestens aufgehoben sind. Worauf die Navajo-Männlein und Weiblein emsig ihren ersten Hogan bauten, ein noch recht archaisches Gebilde aus Zweigen und Matten zwar, aber immerhin. Nach den Bauplänen der wissenden Leute versteht sich, die ihnen auch sonst alles beibrachten, was sie so zum Leben brauchten. Zuallererst selbstverständlich mal das nötige Werkzeug zur Erringung und Erhaltung ihres Seelenheils, dem unermüdlichen Streben nach dem Gleichgewicht allseitiger Harmonie, Schönheit und Güte sprich Hózhó. Und wer diese aus welchen Gründen auch immer, denen der Welt der Weißen nicht bemerkenswert unähnlich, einbüßt, der wird ausgiebig von ihrem rasselschüttelnden Hataali besungen, im Rahmen eines ausufernden Rituals versteht sich, das sich über mehrere Tage hinzieht, über hundert Gesänge beinhaltet und die Zeremonie des „heiligen Weges“ genannt wird.
Bestehend aus über fünfzig Klans verteilt sich das Volk der Navajo vom Grand Canyon im Norden, dem Little Colorado im Westen bis zum Rio Grande im Osten, angrenzend an New Mexiko im Süden übers weite Land Arizonas in alle vier Himmelsrichtungen wie es sich für ein ordentliches Indianervolk gehört. Bemerkenswert ist die hochrangige Stellung der Frau unter den Navajo, die für die wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Belange der Klans zuständig ist, diese mit kluger Hand verwaltet und regelt und auch in der traditionellen Organisation sprich Politik der jeweiligen Gruppe ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat. Die Männer ziehen weiterhin nach der Hochzeit zur Familie ihrer Frauen, die Verwandtschaft wird vom Stammbaum der Mütter abgeleitet und über die weibliche Linie bestimmt, ein höflicher Navajo stellt sich mit seinem persönlichen Namen und dem des Klans seiner Mutter vor. Zwei Häuptlinge stehen einem Klan vor, ein Friedenshäuptling und ein Kriegshäuptling, wobei die Position des ersten nicht selten von einer Frau übernommen wird, das blutige Kriegshandwerk überlassen die Frauen mal besser den Männern, die Raufbolde, Wichtigtuer und Angeber sind wenigstens dafür ganz gut zu gebrauchen und sollten ihre Befähigung alsbald unter Beweis stellen müssen.
Ihre Kinderlein schlummern nicht nur in den kalten Monaten in Fellwindeln gewickelt an der knackenden Feuerstelle unter dem kuppelförmigen Dach der wohnlichen Hogans und lassen die Sturmwinde über ihre heimeligen Behausungen hinwegbrausen. Die Schäfer haben ihre gescheckten Herbstlämmchen, die noch etwas wacklig auf den dünnen Beinen sind, zu sich in den geschützten Erdbau geholt, in dessen Grube die Schäfchen nun die Menschen umlagern und das Wigwam mit ihren dampfenden Leibern zusätzlich erwärmen.
Als die Spanier kommen, bringen sie das Christentum mit und den Teufel im Tross. Der Glaube der Navajo an das „Heilige Volk“, das mit dem Wind übers Land eilt, auf einem Sonnenstrahl einhergeht oder im Donnerschlag erscheint, wird wie gewohnt als finsteres Heidentum abgetan, als Götzendienst gebrandmarkt, entsprechend unerbittlich verfolgt und als Feind der mitgebrachten einzig heilmachenden Wahrheit unterdrückt, auch die veränderungsfähige Frau passt nicht ins imperialistische Konzept der Konquistadoren. Gegen die militärische Übermacht der eindringenden Spanier hilft den Kriegern ihr ganzer Kampfeswille nichts, sie werden geschlagen, unterworfen und zum Freiwild für Sklavenjäger erklärt. Diese barbarischen Menschenschinder lassen nicht lange auf sich warten, in Gestalt staatlich sanktionierter Truppenverbände sowohl spanischer als auch mexikanischer Herkunft fallen sie über die Ansiedlungen der Navajo her und verschleppen alles was ihnen arbeitsfähig erscheint, der unbrauchbare Rest wird erbarmungslos niedergemetzelt. Dummerweise erweisen sich die gefangenen Navajo als untauglich für den Frondienst in den Silberminen und sterben den Kannibalen weg wie die Fliegen, ohne dass man genau sagen könnte wieso und woran, worauf die Unersättlichen nach Afrika überschiffen, um im schwarzen Kontinent robusteres Menschenmaterial zusammenzufangen.
Als Mitte unseres neunzehnten Jahrhunderts im Rahmen der mexikanischen Kriegswirren endlich die Amerikaner den Südwesten annektieren, brechen keineswegs bessere Tage an für die gebeutelten Diné. Den uneinsichtigen Navajoklans scheint es doch tatsächlich nicht zu gefallen, dass ihnen Stück für Stück ihres Landes gewaltsam abgezwickt wird, weshalb die glorreichen vereinigten Staaten kurzerhand ihre Zwangsumsiedlung beschließen. Um die kulturlosen Wilden von ihrer Scholle zu vertreiben, reicht es vollständig, sie ihrer Lebensgrundlagen zu berauben, diese ehrenhafte Aufgabe übernimmt ein Colonel namens Kit Carson, bei den Navaho berüchtigt und als grausamer Menschenschlächter gefürchtet. Mit einer siebenhundert Mann starken Armee überfällt dieser große Streiter der amerikanischen Freiheit das Gebiet der Navajo, macht sämtliche Obstgärten, Getreide- und Maisfelder dem Erdboden gleich und schlachtet, um die Sache abzurunden, ihre Schaf-, Ziegen-, und Rinderherden ab, sowie aus Gründen der Gründlichkeit sogar noch die Pferde, veranstaltet ein grässliches Schlachtfest mit Strömen von Blut wehrloser Tiere und kehrt als siegreicher Bezwinger zu seinem Auftraggeber zurück.
Colonel Christopher „Kit“ Carson, der Seilwerfer, wie die Indianer ihn nennen, ist der übelste Verräter, den der Westen je gesehen hat.
Einst warf er Seile und knüpfte Bande, als Scout und Pelzhändler kannte er die Stämme, ihr Leben und Denken, monatelang lebte er mitten unter ihnen, hat ein Kind gezeugt mit einer Arapaho und teilte viele Jahre seines Lebens mit einer Cheyenne. Auch als die Militärs seine Fähigkeiten erkannt haben und ihn verdingt, blieb er eine gute Zeit lang Freund des roten Mannes, hat des Öfteren grausame Befehle missachtet und war gut zu den Gefangenen, kümmerte sich um die Verwundeten, versorgte Frauen und Kinder. Mit der Zeit aber ist der Sack steinreich geworden, erfreut sich allseitiger Beliebtheit und beginnt die Karriereleiter hochzuklettern, ist in die bessere Gesellschaft aufgestiegen und schließlich zum Speichellecker der hohen Offiziere geworden. Erst wollte er nicht gegen die Navajo in den Kampf ziehen, aber die Regierung hat ihn rumgekriegt frag nicht wie, zuletzt völlig der Ruhmsucht verfallen, wurde Kit im Krieg gegen die Dine zum eifrigen Handlanger von General Carleton, diesem geradezu besessenen Indianerhasser.
Wie tönte der US General seinerzeit mit dem Brustton der Überzeugung bis auf die Titelblätter der großen Zeitungen?
„Die Navajos sind Wölfe, die durch die Berge streifen und gezähmt werden müssen.“ Deshalb seien sie unverzüglich nach New Mexiko umzusiedeln, auf ein Land, welches von der Sonne verbrannt und „zu wüstenähnlich ist, um je einer weißen Gesellschaft dienlich zu sein“. Sprich in die Hölle von Bosque Redondo, wohin er die Mescalero bereits verfrachten hat lassen. Der Irre sprach das Ungeheuerliche aus, als ginge es um das Schlagen einer Brücke, und der Seilwerfer hat artig die Balken zusammengeknüpft.
„Wir entdeckten und vernichteten dreißig Hektar Mais. Drei Stunden später lagerten wir in großen Weizen- und Maisfeldern. Etwa sechs Hektar Weizen wurden an die Tiere verfüttert und zwanzig Hektar Mais wurden vernichtet.“
Das waren die großen und legendären Heldentaten Kit Carsons, und der gewissenlos Gewordene rühmte sich auch noch schamlos damit, die Navajofamilien dem Hungertod auszuliefern und die „Aufsässigen“ auf diesem tapferen Wege zur Aufgabe zu zwingen und ins endgültige Elend. „Politik der verbrannten Erde“ nannte Carleton diesen seinen genialen Kriegsplan. Wer nun erwägen will, das General Carletons rechte Hand Colonel Christopher Carson diesen Weg der Vernichtung aller Lebensgrundlagen nur beschritten hat, um die Navajo wenigstens vorläufig am Leben zu erhalten und ihre militärische Ausrottung durch die Truppen zu verhindern, der lasse sich nicht täuschen. Der ehrgeizige Streber hat gleichzeitig jeden Angriffsbefehl auf Komma und Jota befolgt, die Kämpfer der Dine erbarmungslos und mit aller Brutalität niedergemacht wo und wie immer er konnte, die letzten davon tief in den Chelly Canyon hinein getrieben, in das uralte Pueblo der White House Ruins, wo die Todgeweihten bei den Geistern ihrer Vorfahren Zuflucht suchten und ihre letzte Ruhestatt fanden bei den Ahnen. Nur eins der Gemetzel, das ihm bei den Navajo den hochverdienten Namen Bluthund eingebrockt hat.
Pfui Teufel kann ich da bloß sagen.
General Carleton, seines Zeichens Militärkommandant für die Navajo-Gebiete New Mexikos und nach eigenen Worten „begeisterter Ausrotter von Indianern“ ist jedenfalls überaus zufrieden mit seinem Zeremonienmeister und befiehlt die Internierung der ungefähr achttausend Navajo, die keinen anderen Ausweg zum Überleben mehr sehen als ihre bedingungslose Kapitulation, in einem einzigen viel zu kleinen Fort namens Canby, wo die Hungernden und wie Vieh Zusammengepferchten unter menschenunwürdigen Bedingungen auf ihren Abmarsch warten.
Der Todesmarsch folgt auf dem geschundenen Fuß.
Die zugewiesene und angepeilte Reservation am Pecos River ist vierhundertachtzig Meilen entfernt, die völlig entkräfteten Männer, Frauen, Kinder und Greise haben nicht einmal die nötigen Kleider am Leib für die kalte Frühjahrstemperatur, geschweige denn ausreichend Verpflegung und Versorgung sowohl leiblicher als auch medizinischer Natur. Wer aus Erschöpfung keinen Schritt mehr weitergehen kann, wird um Kugeln zu sparen mit Bajonetten zu Tode gespießt, dieselbe Sonderbehandlung erfahren schwangere Frauen, selbst wenn sie in den Wehen danieder liegen. Die verrohten Soldaten vergewaltigen wahllos und morden nach Belieben, junge Frauen werden aus dem Menschenzug gepflückt und kostengünstig in nahegelegene Bordelle verschleppt, junge Männer unter der Hand an Sklavenhändler verkauft, die den Todesmarsch wie stinkende Aasgeier begleiten.
Etwa zweitausendfünfhundert Navajo bleiben auf diese Weise auf der endlosen Strecke, werden entweder am Wegesrand umgebracht oder sterben vorher an Erschöpfung und Entbehrung, mehr tot als lebendig endlich angekommen in der Reservation erliegen noch mal tausend Menschen dem schrecklichen Zusammenspiel von Hunger und ausbrechenden Krankheiten. Das ist der amerikanischen Öffentlichkeit im aufgeklärten Osten dann doch ein klein wenig zu viel an nicht mehr zu übersehender und tot zu schweigender Unmenschlichkeit, Mr. Präsident Grant und seine Regierung geben schließlich dem Druck der empörten weißen –man höre und staune - Bevölkerung nach und ordnen vier Jahre später die Rückführung der überlebenden Diné in ihre angestammte Heimat an. Womit ihr Leidensweg noch lange nicht zu Ende ist, denn heute leben sie umzingelt als Rechtlose und Enteignete im drastisch verkleinerten Rest ihres eigenen Landes.
Ob und wie die Frau, die sich verändert, sich und das Los ihrer Kinder noch einmal zum Guten hin verändern kann, wird sich herausstellen.