Hallo Ina,
Deine Frage ist schwer zu beantworten. Zu den Psychopharmaka gehören auch Benzodiazepine, also Valium usw. Diese sollte man auf keinen Fall langfristig einnehmen, weil man leicht in die Abhängigkeit gerät. Das bedeutet, dass deren Wirkung in relativ kurzer Zeit nachlässt, die Dosis erhöht wird und somit sich auch die Nebenwirkungen erhöhen bis hin zum Atemstillstand und derartigem. Kurzfristig werden diese Psychopharmaka auch heute noch eingesetzt in sehr schweren Krisen, darunter einem Herzinfarkt. Kenne auch jemanden, der sogar von Tegretal (Carbamazepin gegen Epilepsie) süchtig wurde.
Was Neuroleptika und Antidepressiva betrifft, besteht bei ihnen keine Gefahr einer Abhängigkeit in diesem Sinne. Dennoch gilt die Regel: "keine Wirkung ohne Nebenwirkung". Insofern verstehe ich Deine Frage sehr wohl. Es ist sicher nicht ausgeschlossen, dass sich Nebenwirkungen erst nach längerer Zeit der Anwendung bemerkbar machen. Ich selber nahm das Antidepressivum Sertralin viele Jahre ein, bis ich allmählich massive Magen-Darm-Probleme bekam. Nach Ausschleichen verschwanden diese. Sertralin wird im allgemeinen gut vertragen.
Auch ich, beruflich ein kleines Schräubchen aus dem Pharmabereich, bin dafür, möglichst gar keine Medikamente einzunehmen. Dennoch sollte ich dabei bedenken, dass Medikamente in vielen Fällen hilfreich und lebensrettend sind. Aus der Weidenrinde wurde ihr Wirkstoff extrahiert und danach chemisch hergestellt unter dem Namen Aspirin. Der Vorteil des Aspirins gegenüber dem Naturprodukt liegt darin, dass der Wirkstoff exakt festgelegt ist. Bei Naturprodukten, aus denen viele Medikamente entwickelt wurden, ist die Wirkstoffmenge nicht bekannt.
Diese Überleitung benötigte ich, um auf das "Naturprodukt" Mensch zu schalten. Denn jeder Mensch ist nicht nur vor dem Gesetz ein Individuum sondern auch von seinem gesamten "Aufbau" gleichsam ein hochkomplexes Chemie- und Physiklabor. Insofern kann die Medikation sich nur auf sehr langwierige Studien bis zur Zulassung stützen und danach eben auch auf Erfahrungswerte, die in vielem übereinstimmen, allerdings mit eher seltenen Abweichungen von der statistisch errechneten Regel.
Oberhalb der Apotheke, in der ich überwiegend arbeitete waren mehrere Arztpraxen, darunter auch eine psychiatrisch-neurologische. An deren Tür befand sich ein Aushang: "Nebenwirkungen von Schokolade" mit einer langen Liste. Dickmacher, Zahnrasur und vielen anderen. Anscheinend waren die Ärzte dieser Praxis gewohnt, dass ihre Patienten keine Medikamente mehr einnehmen wollten, denn sie fühlten sich wohl.
Genau darauf will ich heraus. Meiner Meinung nach halte ich den behandelnden Arzt für die richtige Fachkraft, um Fragen der Medikation zu besprechen. Vermutlich kennt er die persönliche Leidensgeschichte gut und kann sie einordnen. In München gibt es sehr viele Psychiater. Dennoch muss man auch hier oft sehr lange auf einen Termin warten. An Patientenmangel leiden sie hier alle nicht.
Man mag geteilter Meinung sein bezüglich der Pharmaindustrie. Zweifellos für mich ist, dass sie unser aller Leben deutlich verlängert hat. Ohne Antibiotika wäre ich schon längst nicht mehr am Leben, um nur ein Beispiel zu nennen. Die werden mir nicht laufend verordnet sondern nur nach Bedarf.
Du schreibst, dass Du Risperidon reduzierst. Es spricht nichts dagegen, solches auszuprobieren. Du schreibst: "Ich frage mich, ob Antidepressiva und andere Psychopharmaka auch ein Hindernis beim Gesundwerden darstellen können, wenn man sie über einen so langen Zeitraum einnimmt." Genau das kann ich nach bestem Wissen und Gewissen nicht beantworten. Du wirst Dich noch erinnern können, wie es Dir ging, bevor Du in ärztliche Behandlung kamst. Vermutlich war das kein Honiglecken.
Für mich nehme ich zum Maß, dass eigentlich alle Leute völlig gesund sind. Das ist jedoch ein Trugschluß. Es gibt auch kleine Kinder, die von Geburt an krank sind aus den verschiedensten Gründen. Nur bekommt man sie meist nicht zu Gesicht. In meinem Wohnviertel gibt es ein kleines Mädchen im Kinderwagen, das ohne jeden Anlaß wie am Spieß durchdringend schreit. Denke nicht, dass das ein Erziehungsfehler seitens der Eltern ist. In der Glamourwelt wird uns vorgegaukelt und wir fallen darauf herein, wir müssten in allem, was geschauspielert wird das Wasser reichen.
Es ist auch normal, nicht völlig gesund, auf Medikamente angewiesen zu sein.
Liebe Grüße
Mira