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Autor Thema: Klinikbericht  (Gelesen 982 mal)

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RockingBuddha

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Klinikbericht
« am: 12 November 2020, 10:40:34 »

Mir ist gerade langweilig und bin beim Durchstöbern meines Laptop´s ist mir ein alter Klinikbericht aufgefallen, den ich gerne mit euch teilen würde. Der Bericht stammt von meinem ersten Klinikaufenthalt, dürfte April 2019 gewesen sein.
Vielleicht gibt es ja Betroffene, die sich mit der Entscheidung rumplagen, ob eine stationäre Therapie etwas für sie ist...Find solche Erfahrungsberichte für die eigene Entscheidungsfindung sehr hilfreich, daher das Teilen hier.

Ausgangssituation:
Also, meine (31) Depressionen waren vor ein paar Monaten in ihrer Höchstphase. Es ging bei mir gar nichts mehr, nix Arbeit, nix unternehmen. Nur noch am vegitieren, die einzig ertragbaren Momente hatte ich stoned. Komplett pleite, keine Perspektive, schwer Depressiv und meine Ex Partnerin gab mir mit dem Satz, dass ich nichts mehr zu bieten habe (in diesem Moment verschwand die Liebe, mein Herz und meine Seele verfielen ins Schwarz), den Rest. Weil ich alleine wirklich keinen Weg mehr da raus wusste entschied ich mich für eine stationäre Verhaltenstherapie im Klinikum Heines.

Die Anmeldung:
Überraschend einfach und angenehm. Der erste Anmeldeprozess erfolgte telefonisch. Man war sehr nett zu mir, ein offener und reflektierter Umgang mit seiner Situation ist in diesem Falle von Vorteil. Es war aber zu spüren, dass die Schwester genug Erfahrung hatte mit dem Gewirr in meinem Kopf (Betroffene wissen wovon ich spreche) umzugehen. Eine Einweisung von meinem Psychiater lag vor, nach dem ersten groben Abklären der eigenen Situation (ist wichtig, damit man auf die richtige Station kommt) hieß es: 4 Wochen Wartezeit, sie melden sich telefonisch.
Nach zwei Wochen kam der Anruf, ich hatte noch ne knappe Woche um mich mental darauf vorzubereiten. Denn das kann ich Euch sagen, ich war nervös.

Das Ankommen:
Der erste Tag war organisatorisch. Viel Wartezeit, viel bürokratisches und viele viele neue Eindrücke. Empfand ich als nicht schlecht, die Eindrücke von meinem alten Leben hingen mir zum Hals raus.
Morgens habe ich eingecheckt, mittags saß ich bereits mit der ganzen Gruppe beim Essen. Das mag manch einen verunsichern, meine Nervosität steigerte es natürlich auch, im Nachhinein war es aber gut so. Die ersten zwei Tage folgten dann viele Erklärungen zum Klinikalltag. Ich fühlte mich gut beraten. Die Therapeutin kennenlernen, die Ärzte kennenlernen, das Stationspersonal kennenlernen, die Mitpatienten kennenlernen, den Behandlungsplan kennenlernen und und und. Langweilig war der Start nicht.

Die Unterkunft:
Ich wurde auf ein Zwei-Bett Zimmer gebracht. Die ersten vier Tage hatte ich den Luxus dort alleine zu liegen, danach bekam ich einen Mitbewohner. Zweibettzimmer waren dort üblich.
Die Betten waren echt unbequem, ansonsten hatte das Zimmer alles nötige.
Das Essen dort war wirklich schlecht. Unglaublich, wenn man sich überlegt, wie wichtig Schlafen und Essen für das Wohnbefinden sein können. Die Klinikumgebung dagagen war klasse. Viel Grün, ne Schwimmhalle, eine tolle Umgebung mit Parks und vielen Einkaufsmöglichkeiten vom Supermarkt bishin zu einem super Pizzalieferdienst ließen wenig Grund zur Beanstandung.

Das Personal:
Nun, hier scheiden sich in meinem Falle die Geister. Ich bekam eine Therapeutin, die wirklich weltklasse war. Leider wurde sie ab Woche 2 Krank, ihre Stellvertreterin dagegen war die hinterletzte Luftpumpe. Im Pflegepersonal lief es ähnlich, Kompetenz und Ahnungslos gaben sich die Klinke in die Hand. Wie im richtigen Leben eben, mit manchen kann man besser, mit anderen schlechter. Abgesehen von der Luftpumpe waren zumindest alle nett. Diese Situation erfordert ein recht hohes Maß an Selbstständigkeit. Ich selbst habe schon ne ganze Weile Depressionen und sehe mich selbst als meinen besten Therapeuten an, daher fiel es mir recht leicht überall das beste rauszuziehen. Viele, gerade die frisch erkrankten, hingegen waren damit überfordert. In der Hinsicht wäre mehr Hilfestellungen seitens des Klinikpersonals schön gewesen. Aber, wer Pech beim Personal hatte konnte sich zumindest auf eines verlassen:

Die Mitpatienten:
Könnte sein, dass ich da nur Glück hatte. Der ein oder andere Drehtürpatient erzählte mir von ganz anderen Geschichten, doch was ich dort fand war ein klasse Haufen an Kranken und Verrückten, die ich für die Zeit wirklich lieb gewonnen habe :-). Dies meine ich übrigens nicht despektierlich, Selbstironie und Humor gab es eine Menge dort. Es herrschte eine tolle Stimmung dort. Abgesehen von einem (von insgesamt über 30 Menschen, die ich in der Zeit kennenlernen durfte) waren alle höflich, respektvoll, freundlich. Außerdem gingen dort alle sehr offen vor, wir haben uns sozusagen selbst therapiert. Man konnte über seine Probleme sprechen und gleichermaßen erfahren, dass es anderen ganz genauso geht...obwohl teilweise komplett unterschiedliche Ausgangssituationen vorlagen.
Wollte man seine Ruhe haben wurde dies dagegen genauso respektiert. Großartig, wenn sich die Gesellschaft nur ein bisschen so verhalten würde wie die Patienten in einer solchen Klinik, die Welt wäre ein viel besserer Ort.

Die Therapie:
Die angebotene Therapie war Pflichtprogramm, es gab drei Gruppen (unterteilt nach Angststörungen), die jeweils einen festen Stundenplan hatten. Selbst die Mahlzeiten waren ein Pflichtprogramm. Überfrachtet wurde man nicht, pro Tag kamen im Schnitt 2 Stunden (ohne Essen) Therapieprogramm auf uns zu. Dies ging von Qi-Gong, über Sportprogramme bishin zu theoretischen (Metakognitiven =Denken über das Denken) Kursen. Am Anfang super interessant, allerdings nach ein paar Wochen wiederholt sich dann doch sehr viel. Normal angesichts des hohen Patientenwechsels.
Zu dem Stundenplan gesellten sich dann natürlich Einzeltherapiegespräche mit den Therapeuten bzw. dem Pflegepersonal.
Diese kamen meiner Meinung nach viel zu kurz, wie oben bereits gesagt...dort muss man schon viel selbstständig mitarbeiten um das Maximum herauszuholen.

Der Alltag:
Welcome to Marlboro Country. Ich nahm mir, wie schon so oft, vor mit dem Rauchen aufzuhören, als ich dort eingecheckt habe. Ausgeschlossen, das einzige Ziel, welches ich verfehlt habe bei meinem Aufenthalt. Denn man hat dort massiv viel Freizeit. Ich empfand das durchaus manchmal als anstrengend. Bücher und eine Videospielkonsole halfen mir. Außerdem lernte ich so selbstständig endlich das Meditieren. Selbst aktiv werden ist gerade mit Depressionen extrem wichtig, so verstand ich diese Form der Therapie.
Zum Glück war die Klinik nicht aufgebaut wie eine Kaserne. Die Wochenenden konnte man nach Hause und auch wenn irgendetwas organisatorisches im eigenen Leben anlag konnte man sich immer darum kümmern.

Das Fazit:
Mein Fazit fällt absolut positiv aus. Klar, es ist wahrlich nicht perfekt, es gibt manchen Verbesserungsbedarf, und doch hat es mir extrem geholen. Seit vier Wochen bin ich psychisch stabi, ich kehre jetzt langsam in meinen Alltag im Leben zurück. Abgesehen vom Rauchen konnte ich dort alle meine Ziele erreichen. Zuerst aus dem depressiven Schock lösen, in dem alles dunkel ist und man zu nichts mehr in der Lage ist. Dann die Ursachen aufarbeiten und diese realistisch einschätzen (Nach dem Motto, was ich nicht ändern kann sollte ich vielleicht nicht mit extremen Emotionen versehen). Ich habe dort meine schlimmen Schlafprobleme bewältigen können. Naja, eher Zuhause, weil die Schafsituation dort sehr verbesserungswürdig ist, aber dort lernte ich z.B die Schlafhygiene ernst zu nehmen. 2 Stunden vor dem Schlafen nicht auf n Bildschirm gaffen, nicht mehr Essen und Rauchen, Rituale einführen etc. Ich schlafe wieder meine 7-8 Stunden, egal ob stoned oder nicht. Außerdem hat sich meine Einstellung zu meiner Lebenssituation, die sich während des Klinikaufenthaltes natürich nicht ändern konnte.
Ich kann nur jedem nahelegen, der sich in seiner Situation wie ein wehrloser Gefangener fühlt und dabei ist an seiner Krankheit zu zerbrechen in eine Klinik zu gehen, falls selbst keine Ideen mehr da sind, wie sich das Blatt sonst noch wenden lässt.
Im Vergleich z.B zu einer Therapieform in der man einmal in der Woche mit einem Psychologen verzählt, hat so eine Klinik weitaus mehr Durchschlagskraft. Außerdem hilft es sehr den eigenen Alltag und die Probleme mal zu verlassen und sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Aber, und das muss ich ganz klar nochmal hervorheben, geschenkt bekommt man auch dort nichts. Ist man selbst nicht bereit etwas dafür zu tun, dass es wieder besser wird, dann wird sich an der eigenen Situation auch nichts ändern. Dort bekommt man jedes Werkzeug dafür, was man benötigt, doch die Wände einreißen kann man nur selbst.


Nachtrag fürs Forum:
Der Sommer nach dem Klinikaufenthalt war erstmal super. Konnte wieder Vollzeit arbeiten und damit meine privaten Schulden tilgen. War auf nem guten Weg, bis im September dann meine Tante, die für mich wie eine Mutter war, schwer an Krebs erkrankte. Hab meinen Job hinschmeißen müssen um in ihren letzten Wochen (ging am Ende etwas über n Monat) für sie da sein zu können. In Sachen Depressionen (eigentlich in meiner ganzen Krise) hat es mich komplett zurückgeschmissen. Diesen starken und fantastischen Menschen so dreckig und unwürdig an einer Krankheit untergehen zu sehen hat mich ins tiefste Schwarz zurückgeworfen, weshalb Anfang diesen Jahres ein erneuter Klinikaufenthalt nötig war. Dieser war ebenfalls sehr positiv zu bewerten.
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Woran man viel denkt, dorthin neigt sich das Bewusstsein
(Siddhartha Gautama)

pepsi

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Re: Klinikbericht
« Antwort #1 am: 09 Dezember 2020, 21:50:30 »

Vielen Dank für deinen Klinikbericht RockingBuddha.
habe ihn gern gelesen. Er bestärkt mich auf meinem Weg.

lieben Gruß, pepsi
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RockingBuddha

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Re: Klinikbericht
« Antwort #2 am: 14 Dezember 2020, 14:30:03 »

Schön, dass freut mich zu hören
Sollten Fragen sein stehe ich gern für Beantwortung zur Verfügung.
Für deinen Weg, Pepsi, jedenfalls alles Gute :)
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