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Autor Thema: interessanter zeitungsartikel  (Gelesen 3457 mal)

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gast(Guest)

  • Gast
interessanter zeitungsartikel
« am: 26 September 2010, 14:58:48 »

Hallo,

die letzten tage stand ein Artikel in der Zeitung, der mich sehr zum Überlegen gebracht hat.

http://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-zeig-mir-deine-wunde-1.1004092

Ich muss diesem Artikel recht geben.

Wie seht ihr das alle so?

Sind solche Foren nun hilfreich oder eher nicht??

Ich finde, sobald man professionelle hilfe angenommen hat (also arzt, psychotherapeut, Psychiater) sollte man das Hilfsangebot im Internet weglassen. Man sollte sich besser auf sich selber konzentrieren.

Und wenn es einem schlecht geht´, dann kann man sich ja an seinen jeweiligen azrt/therapeuten wenden.

Würde mich über eine Diskussion freuen.

Lieben Gruß
gast
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Sintram

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #1 am: 26 September 2010, 18:00:47 »

Hallo Gast,

nichts gegen Deinen Diskussions-Vorschlag, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich finde ihn gut.

Aber eine derart oberflächliche Ansammlung skurriler und fadenscheiniger Hypothesen, aus dem Zusammenhang gerissener Pseudo-Beweise und fragwürdiger "wissenschaftlicher Studien" in der SZ lesen zu müssen, die ich eigentlich für eine seriöse Tageszeitung halte, ist schon sehr traurig.
Und auch erschreckend. Das hat Blöd Zeitungs Niveau.

Hier wird das Prinzip von Ursache und Wirkung verantwortungslos und willkürlich auf den Kopf gestellt.
Die Selbstmordraten steigen in Zeiten der Krise- die Berichterstattungen darüber nehmen folglich zu. Ebenso der notwendige und lebenserhaltende Austausch darüber.
In Pestzeiten stieg der Lebensimpuls und die Lebenslust angesichts des potentiellen baldigen Todes, was zu Tanzwut führte.
Rückenschmerzen sind unter anderem Folge chronischer Sorgen und enormer Stresssituationen. Eine der Früchte der Wiedervereinigung, besonders in den neuen Bundesländern.
Und dass Lachen ansteckend ist, wusste ich echt schon vorher.
Usw usf...

Mehr will ich dazu auch gar nicht sagen. Was für ein Humbug!

LG
Sintram


« Letzte Änderung: 26 September 2010, 18:01:51 von Sintram »
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dejavu

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #2 am: 26 September 2010, 19:29:44 »

ich hab vorgestern in einer psychologischen Fachzeitschrift gelesen, daß, entgegen aller Behauptungen und Thesen früherer Jahre, die Forschung auf dem heutigen Stand ist, daß zb besonders bei Jugendlichen die sozialen Netzwerke enorm an Wichtigkeit und Bedeutung gewonnen haben

daß gerade für Menschen, die Problem haben, rauszugehen oder soziale Kontakte zu knüpfen, diese Netzwerke ein Superdraht nach draußen darstellen und Menschen aus ihrer Isolation reißen können in einer Art und Weise, die oft sonst nicht möglich wäre

ich seh mich da wirklich als exemplarisches Beispiel.....ich hab hier jemanden gefunden, den ich einfach gar nie wieder verlieren möchte.....


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Sintram

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #3 am: 27 September 2010, 11:10:47 »

Also gut.

Senf von Sintram- mit Schnupfen und Kopfweh, also bitte relativieren.

Jemand stellt seine Selbstverletzungen rein, die Beweggründe mal außen vorgelassen.
SVV Gefährdete sehen das und finden "endlich" den Mut es auch zu tun. Also ein Ventil zu benutzen, das schon lange in ihnen pulst und pfeift.
Es ist so gut wie sicher, dass sie früher oder später auch ohne dieses Foto damit angefangen hätten.

Oder- was noch viel wahrscheinlicher ist- sie tun es längst heimlich still und leise und schämen und verachten sich dafür. Durch die "Selbstoffenbarung" eines Einzelnen finden sie die Courage, es ihrerseits anderen mitzuteilen und dazu zu stehen.
Folglich werden sie "erfasst" und sofort in eine Statistik eingebaut. Die eine angebliche Steigerung beweist.

Dass so ein Foto durchaus auch abschreckende Wirkung haben kann und ebenso viele dazu "inspirieren", erst garnicht damit anzufangen, wird hingegen nicht berücksichtigt.

Dasselbe gilt für Suizid.
Wer fest entschlossen ist es zu tun wird es früher oder später durchziehen. Viele warten lediglich auf den richtigen Zeitpunkt oder den letzten Anstoß.
Bekennt sich nun Jemand "öffentlich" und mithilfe plausibler Gründe zu seinem Vorsatz, kann es deshalb unter Umständen zu einer vorübergehenden Ballung an Selbstmorden kommen.
Was jedoch unberücksichtigt bleibt ist die Tatsache, dass die "Nachahmungstäter" ihr Vorhaben ohne diesen "Impuls" ebenso durchgeführt hätten- nur später und über einen größeren Zeitraum verteilt.  
Was bedeutet, dass sie auf lange Sicht in den Statistiken fehlen und die Zahlen auf das "gewohnte" Maß zurückschrauben. (Die zur Zeit nach oben tendieren, ein andermal wieder nach unten, im Großen und Ganzen aber nicht hochdramatisch pendeln.)

Außer Acht gelassen wird außerdem, dass mindestens ebensoviele Leser mit Suizidvorsatz durch eine derart schonungslose Ankündigung abgeschreckt werden und ihr Vorhaben noch einmal gründlich überdenken, ja unter Umständen davon Abstand nehmen.

Will sagen, es gab zehn erfasste Suizide, die mit der Ankündigung in Bezug gebracht werden und als Erhöhung registriert, die morgen schon durch das Nichtmehrvorhandensein zu einer Verminderung führen.
Und es gab zehn nicht erfasste und registrierte Nicht-Suizide.

Also ist von derlei "Statistiken" so gut wie nichts zu halten.

Und ein derartiger Artikel führt lediglich dazu, dass Leute, die am Überlegen sind ob sie in ein Depressionsforum gehen wollen, davon abgehalten werden.
Und dadurch verhindert wird, dass sie -trotz Therapie- mit Ihresgleichen kommunizieren können, was ihnen durchaus und wirklich helfen kann.
Also ist so ein Machwerk schlicht schädlich und zielt Richtung Entmündigung und Entmutigung von psychisch Kranken.

Wer da wohl dahintersteckt?

LG
Sintram

 

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dejavu

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #4 am: 27 September 2010, 12:33:03 »

Danke Sintram, mir gingen dieselben Gedanken durch den Kopf.

Und Sucht? Sucht ist ein Riesenthema, nicht erst seitdem es Internet gibt
ich muß wohl jetzt nicht alle Suchtformen aufzählen, die lange lange vor dem Netz existiert haben

und früher gab es nicht mehr oder weniger von allem- egal ob SSV, Suizid etc
es gibt allerdings einen Unterschied
im Rahmen der Forschung und Aufklärung wird über psychische Erkrankungen viel mehr bekannt
und das paßt wohl dem ein oder anderen nicht so ins Gemüt

wenn ich bedenke, wie mich dieses Forum 2Jahre über Waser gehalten hat und man möge mir verzeihen, wenn ich das einfach so behaupte, eine Menge anderer Menschen ebenfalls, wie Kontakte geknüpft wurden und werden, wie wir uns austauschen und sogar gegenseitig konkret helfen
vllt sogar einige von irreversiblen Katastrophen abgehalten haben, weil sie vorher noch die Kraft gefunden haben, etwas auszuprobieren, was sie hier als erfolgreich lesen konnten--  alles Dinge, die hier drin alltäglich sind, normal, selbstverständlich--
und das psych Erkrankungen anstecken sollen, hat mich fast abgehalten, den Artikel zu Ende zu lesen...l

es gibt soviel dermaßen widerliches Zeug auf dem Riesenmedienmarkt
und das gabs , wie oben erwähnt, schon lange lange vorher...

und die Kids kann man schützen, indem man sich mit ihnen hinsetzt und redet, warum man als Eltern wissen muß! und kontrollieren muß!, auf welchen Seiten im Netz sie surfen.....und wenn man ein gutes Verhältnis hat, klappt das und die Kids kommen freiwillig, wenn sie etwas verdächtiges finden.....
es ist alles eine Frage der funktionierenden zwischenmenschlichen Interaktionen

alles eine Frage von "Ich hab dich im Blick!".....

ÜBERALL!






« Letzte Änderung: 27 September 2010, 12:34:32 von dejavu »
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Sintram

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #5 am: 27 September 2010, 14:55:09 »

Ein gutes Beispiel, Deja.
Alles ist eine Frage der Verantwortung für sich selbst und füreinander.

Das deckt sich auch gut mit Deinen Bedenken @Wohlstandspudel.
Die Frage, ob und inwieweit ein Mensch zum Suizid zu verführen oder verleiten ist, der es nicht selbst will, lässt sich nicht generell bejahen oder verneinen.
Ein Restrisiko besteht immer, und nicht nur in diesem Bereich ist Vorsicht geboten und Feingefühl verlangt.
Oder auch Wachsamkeit.

Was ein Posting in einem Leser auslösen kann, der sich in einer labilen Phase befindet, ist vorher nicht abzuschätzen. In "Krisen"gebieten gibt es Minenfelder, das sollte immer bedacht werden.

Was mich persönlich an Zeitungsartikeln wie dem obigen ärgert, ist die Diffamierung, die sich dahinter verbirgt.

Suizidgefährdete -zu denen ich mich grundsätzlich zähle- werden dargestellt wie eine dämliche Horde von Lemmingen, die aphatisch am Abgrund hocken und nur darauf warten, bis der erste springt (obwohl Lemminge das erwiesenermaßen gar nicht machen), um es ihm artig gleich zu tun.
Gerade so als hätten sie keinen eigenen Willen und wären völlig unfähig zu eigener Entscheidung, und das angesichts der Wahl zwischen Sein oder Nichtsein, Leben und Tod.
Gerade so als ginge es um einen Mode-Trend, eine Musikrichtung oder um Starkult.

Da frage ich mich, woher sich diese "Wissenschaftler" das Recht und die Anmaßung nehmen, die Leute für derart blöd zu erklären.
Und ob sich dahinter nicht in Wahrheit eine tiefe Menschenverachtung verbirgt, insbesondere psychisch kranken Menschen gegenüber.
Und darauf reagiere ich allergisch.

Das fiel mir beim Spaziergang mit meinem Hündchen noch dazu ein. :-)





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Fee

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #6 am: 27 September 2010, 18:22:56 »


Nur kurz:

Da hat ein „schrumpfendes Penis“ (koro) wohl jemandem sein
Hirn infiziert   ;)

Gruß Fee
« Letzte Änderung: 27 September 2010, 18:23:36 von Fee »
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Sintram

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #7 am: 28 September 2010, 10:55:02 »

Und wenn ich dem Verfasser des Artikels Absicht unterstelle, weil er offenbar die Interessen der Pharmaindustrie vertritt, bin ich zwar paranoid, aber das ist mir egal. :-)
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Sergio(Guest)

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #8 am: 28 September 2010, 14:31:02 »

Zum Thema Sucht was der Pudel angeschnitten hat, möchte ich was sagen.

Denn ich war selbst süchtig, bzw hab ich das geglaubt. Damals war das so, das ich sehr viel Stress an meiner Arbeit hatte so bin ich da hineingeraten, ich hab die Arbeit nichtmehr geschafft, hatte warscheinlich soetwas wie eine Art Burnout, war psychisch am Ende, ja sogar Erektionsprobleme hatte ich durch diesen Stress. Meine Arbeit damals hat mich psychisch fertig gemacht.
So hat meine Flucht in Spielwelten begonnen. Man hatte dort eine soziale Comunity und wurde aufgenommen und beachtet, und man konnte prima seine Probleme in der realen Welt vergessen und abschalten. Hinter mir ist dann alles zusammengebrochen, Beziehung kaputtgegangen (aber ist wohl besser so gewesen, ich konnte mit ihr über meine Probleme nicht reden, für sie hab ich mich einfach nicht zusammengerissen, für sie galten nur materielle Werte, gut das ich die Frau nie geheiratet hab) Arbeit verloren (auch gut so) usw.
Sozusagen hat meine Psyche mir Grenzen aufgezeigt, ne Junge so gehts nicht weiter, du machst dich kaputt, ich nehm dich jetzt aus dem "Spiel" sozusagen um dich selbst zu schützen.
Also was ich damit sagen will, die Internetsucht ist keine Sucht im herkömmlichen Sinne, man hat dabei keinen Suchtdruck oder ähnliches, die meisten versuchen nur ihr reales Leben zu vergessen und auszublenden, achja bevor ich diese Mediale Traumreise veranstaltet habe und mich quasi selber ins Aus geschossen habe, habe ich öfter mal zur Flasche gegriffen, zumindest eine zeitlang war das so, ok ein richtiger Alkoholiker war ich nie.

Es ist auch unterschiedlich, wieso Menschen sich lange im Internet aufhalten und nicht in der realen Welt, einmal diese Szene ist der Grund die ich gerade von mir selber gezeigt habe. Nun kommt die andere Seite.
Viele Arbeitslose sind natürlich sehr oft im Internet und lange, dies hat mehrere Gründe, erstensmal das surfen an sich kostet kein Geld, unsere ganze reale Welt kostet allerdings Geld und zwar nicht zu knapp, schon das Bier an der Eckkneipe kostet Kohle, also welche Aktivitäten soll man machen wenn man keine Knete hat, außer spazieren gehen bleibt da wohl nix.
Zum Zweiten die große langeweile, was will man als arbeitsloser den ganzen Tag machen, 10mal am Tag die Bude putzen vielleicht oder was, oder Fernseh schauen. Ich glaube fast alle Arbeitslose fühlen sich nutzlos, und wissen nichts mit sich anzufangen, ich rede jetzt von denen die nicht unbedingt Familie usw haben.
Dann die große Einsamkeit, reale Kontakte nehmen mit zunehmendem Alter ab, das betrifft jetzt nichtnur arbeitslose sondern alle, die Leute haben ihr eigenes Leben, haben ihre eigenen Probleme, Kontakte verfallen, verebben, haben andere Priotitäten wie Familie zb.
Aber es gibt gerade in dieser Welt viele die das nicht haben, die allein zuhause sitzen und keinen haben mit dem sie reden könnten.
Das sind auch berufstätige zb der Banker der nach einem stressigen Arbeitstag von der Arbeit kommt und niemand dort auf ihn wartet, außer seiner Katze vielleicht die er füttern muss. Familiäre Kontakte nehmen immer mehr ab, soziale Isolation immer mehr zu, woran das wohl liegt, scheint ein neues Problem unserer Gesellschaft zu sein.
Hat vielleicht auch letztendlich mit der heutigen Arbeitswelt zu tun, die dir eintrichtert sei flexibel, sei immer verfügbar, binde dich nicht, du musst immer einsetzbar sein, sowas ist natürlich "Familien- und Freundschaftsunfreundlich". Den Preis musst du meistens "persönlich" dafür bezahlen, meistens psychischer Natur, hast du keinen der dich auffängt, bist du verloren und wirst kolabieren, irgendwann nicht heute aber vielleicht morgen wer weiss...
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Sergio(Guest)

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #9 am: 28 September 2010, 14:41:01 »

Ich habe mich vor ein paar Tagen mit meinem besten Freund unterhalten, bei dem es auch schon so anfängt.
Er arbeitet bei einer Abteilung in der ein sehr hoher % Satz mittlerweile psychisch krank gemacht wurde durch die Arbeit. Grund ist der Stress und die Zahlen die erreicht werden sollen, und der immer höher werdende Druck auf dem einzelnen, er hat gesagt 30% seiner früheren Belegschaft sind mittlerweile nicht mehr da, Grund "Burnout" auf unbesimmte Zeit "krank geschrieben".
Und auch bei ihm fängt es schon an, er erzählte mir das er teilweise die Arbeit in seinem Kopf mit nach Hause nimmt, träumt davon Nachts, kann nicht mehr richtig schlafen.
Ich hab ihm dringend geraten, wenn Feierabend hast ist Feierabend, deine Arbeit musst du strikt von deinem Privatleben trennen, sonst zerfrisst es dich innerlich, psychisch gehst du daran kaputt, ich hoffe er schafft das.
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Sergio(Guest)

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #10 am: 28 September 2010, 14:46:12 »

Ein anderer guter Freund von mir hat übrigens die Diagnose Multiple Sklerose bekommen vor circa 1 Jahr.

Nun ist Multiple Sklerose eine körperliche Erkrankung, aber man kann schon Ursachen auch im Stress finden, zb wird die Krankheit durch übermäßigen Stress häufig frühzeitig ausgelöst oder nachhaltig verschlimmert, so erklärte er mir das.

Er hat daraufhin sein Leben total geändert, seine Arbeit interessiert ihn nicht mehr, er sagt ich bin wichtig, meine Gesundheit ist mir wichtiger wie beruflicher Erfolg, das hätte er aus seiner Krankheit gelernt. Er macht nun mehr für sich geht radfahren, geht ins Fitnessstudio, seine Arbeit ist ihm nicht mehr so wichtig, und ihm gehts besser seit er so lebt.
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Sintram

  • Gast
Re: interessanter zeitungsartikel
« Antwort #11 am: 29 September 2010, 06:05:49 »

Im Lauf meiner Klinikaufenthalte habe ich sehr viele Menschen aus allen Schichten und Bereichen kennengelernt, die unter der Last ihrer Arbeit oder Arbeitsbedingungen zusammengebrochen sind, ja die regelrecht verheizt wurden. Und ihre Zahl wuchs von mal zu mal.

Auch viele Computersüchtige waren da, sogar Handy-Süchtige, die ihre Kommunikation ausschließlich auf SMS reduziert hatten und kaum mehr fähig waren zu reden. Vor allem junge Leute.
Neben allen anderen Arten und Formen von Sucht. Es gibt unzählige davon.

Ob allerdings ein Forum wie dieses süchtig machen kann ist eine schwierige Frage.
Was war vorher, die Henne oder das Ei?
In der realen Welt wird viel geredet ohne dabei etwas zu sagen, schon gar nicht etwas von sich zu erzählen. Es wird viel gelabert. Das war auch vor dem Internet nicht anders.

Damals aber hatten Leute mit Problemen kaum die Möglichkeit, vor Gleichgesinnten aus sich heraus zu gehen. Sicher konnte man sich zusammensuchen und finden, aber ganz so einfach war das nicht.
Ich glaube dass einige meiner Bekannten noch leben könnten, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, sich in einem Forum wie diesem mitzuteilen und offen von ihren Problemen zu erzählen.

Die Isolation und verschwindende Geselligkeit begann ja schon lange vor dem Internet mit dem Fernsehen. Ich glaube, dass 90 % der Bevölkerung fernsehsüchtig sind. Vor allem einsame Menschen.

Die Computersucht bezieht sich vor allem auf Spiele und dergleichen. Also auf Möglichkeiten der Ablenkung, ohne dabei mit anderen in Kontakt zu treten, oder nur sehr oberflächlig und unverbindlich.
In Kommunikationsforen ist das nicht der Fall. Hier kommt auch das "Eingemachte" zur Sprache.

Es stellt sich nun die Frage, was dahintersteckt, wenn Bekanntschaften und Freundschaften mit Menschen, die mitunter so weit entfernt sind, dass sie einander nie leibhaftig treffen werden, den Begegnungen mit Leuten aus der nächsten Umgebung vorgezogen werden.
Wie viel Wert hat eine sogenannte Freundschaft, wenn ich sie einschlafen lasse um mit Menschen zu kommunizieren, die ich nur vom Schreiben kenne?
Wie viel Halt und Heimat gibt mir eine Partnerschaft, wenn ich das Gespräch mit dem Gegenüber vernachlässige, um stattdessen mit "wildfremden" Menschen zu reden?

Eben über Dinge reden kann, die ich ansonsten nicht loswerde, weil ich nur auf Unverständnis stoße, ja auf Ablehnung. Und über die zu reden ich nun endlich eine Möglichkeit gefunden habe.
Was Wunder also, wenn ein Mensch, der in seiner Familie, seinem Freundes- und Bekanntenkreis nur auf Unverständnis stößt und sich ständig einsam und verlassen fühlt mitten unter Leuten, die meiste Zeit hinterm Bildschirm verbringt, weil er hier verstanden wird und sich angenommen fühlt?
Weil er feststellt, dass es vielen anderen genau so geht wie ihm und er mit seiner Wahrnehmung, seinen Gefühlen und seinem Anderssein und nicht Dazugehörenkönnen -oder auch wollen- nicht allein ist auf der Welt?

Und es darf gefragt werden, was wäre wenn es die Möglichkeit der Netzkommunikation nicht gäbe.
Ob dieser Mensch nicht gezwungen wäre, sich tief in sich zu vergraben und hinter Masken zu verstecken, ohne jemals aus sich herausgehen zu können. Und dabei heimlich still und leise aber dafür sehr langsam und grausam zu Grunde gehen würde.

Und wenn ich mir das so überlege und vergegenwärtige komme ich zu dem Schluss, dass der Vorteil und die Möglichkeiten, die so ein Forum wie dieses bietet, die Nachteile und möglichen Gefahren bei weitem übertreffen.
Freilich kann man in eine "Schein"welt flüchten.

Wer sagt mir andererseits, ob nicht die sogenannte Welt da draußen eine Scheinwelt ist.
Eine Welt der Täuschungen, der Lügen und Verstellungen, der Schauspielerei und Unaufrichtigkeit. Der Ablenkungen, Zerstreuungen und Nichtigkeiten.
Ob nicht die sogenannte reale Kommunikation zum großen Teil aus Platitüden und Oberflächlichkeit besteht und in Wirklichkeit nur eine Scheinkommunikation ist ohne tieferen Inhalt und Sinn.

Während ich in Foren im Schutz der Anonymität den Mut finde, über wesentliche Dinge zu sprechen, über Themen, die mich wirklich beschäftigen, ohne dafür schief angesehen oder gar verspottet zu werden.
Und den Raum und die Zeit, tief in eine Materie einzudringen.

Bei allen Bedenken darf man nicht vergessen, dass der weltweite Austausch per Netz eine relativ neue und unerforschte Möglichkeit und Erfahrung ist. Und ich habe aufgrund meines Alters die Vergleichsmöglichkeit, den bei weitem größten Teil meines Lebens verbrachte ich ohne Internet.
Und könnte das immer und jederzeit wieder tun.

Aber unter dem Strich kann ich unumwunden sagen, dass mir der Austausch per Netz viel gebracht hat, ja eine Bereicherung meines Lebens darstellt, eine Stütze und Hilfe zu Selbstfindung und die Möglichkeit zu regen und interessanten Gesprächen zu fast jeder Tages- und Nachtzeit, also auch von zuhause aus.
Und diese Option gab es früher einfach nicht. Höchstens per Telefon, was auch immer so eine Sache ist. Ich beispielsweise vermeide Telefonate wenn irgend möglich, weil ich sie schlicht nicht besonders mag. Ausnahmen ausgenommen...

Sicher gibt es die Möglichkeit von "realen" Gesprächsgruppen, aber auch nicht immer und überall.
Und das eine muss ja das andere nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil, es kann sich gegenseitig ergänzen und bereichern.
Es kommt immer einzig und allein auf uns selbst an, was wir aus einem Medium machen und wie wie wir damit umgehen. Und Suchtgefahr sprich Abhängigkeit besteht immer und überall. Auch im wirklichen Leben.

Und- ist denn das hier drin unwirklich? Ich würde mal sagen keineswegs.
Es ist eine der vielen Formen von Wirklichkeit.

Die Welt wird sich durch das Internet und seine im Grunde zeitgemäße Form von Kommunikation nicht allzu wesentlich verändern. Schon gar nicht verbessern.
Wir Menschen werden die gleichen bleiben.
Und deshalb wird in Foren mitunter auch furchtbar gestritten und dergleichen. Aber auch einander geholfen, aufgefangen, unterstützt, zugehört, getröstet, ermutigt und beraten.
Und das ist grundsätzlich mal eine gute Sache.

Sintram, der nicht nur nikotinsüchtig ist, sondern möglicherweise auch forumssüchtig, was ihn allerdings nicht allzu sehr beschäftigt.
Schreibe ich in das Forum, weil ich ansonsten kommunikationsunfähig bin, oder...
weil ich der allgemeinen Kommunikationsunfähigkeit entfliehen will?



















« Letzte Änderung: 29 September 2010, 18:48:30 von Sintram »
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