Kleine Hommage...
Bob Dylan in Woodstock 1994.
Klänge aus dem letzten Jahrtausend.
Ich erinnere mich gut, wie ich das ganze Spektakel vor nunmehr rund siebzehn Jahren erlebte.
Im Grunde war es mir suspekt und zuwider.
Ich hatte erleben müssen, wie die einstige Jugendbewegung, die fünfundzwanzig Jahre zuvor Geschichte geschrieben hatte, längst mit nostalgischer Verklärung verbrämt und zum Mythos stilisiert worden war. Musik- und Modeindustrie machten ihren Reibach damit, der Hippie wurde zur legendären Kultfigur grauer Vergangenheit karikiert und das Unverkäufliche gnadenlos vermarktet.
Immerhin lag ein Vierteljahrhundert dazwischen, und die Zeiten hatten sich geändert. Die Jugend war eine andere, die Generation von damals hatte das Großelternalter erreicht und sich zum überwiegenden Teil integriert wenn nicht gar etabliert, allzu viel war nicht mehr übrig geblieben von all den Visionen, Träumen und Idealen einer bewegten Ära.
Oft nur noch eine leere Hülse.
Die „Survivors“, also die wenigen, die sich auf irgendeine Weise treu geblieben waren, eigneten sich grade mal als Stoff für einen –wenn auch gelungenen- Kinoklamauk.
Der „Dude“ verkörpert recht anschaulich, was der Althippie in den Augen des amerikanischen Durchschnittbürgers für eine Figur abgibt: Eine verkrachte Existenz, einen schrulligen, abgedrehten Loser und Chaoten ohne Ziel und Richtung.
Und irgendwie waren ja all die Blumenkinder auch schrecklich naiv, in jedem Falle aber originell und unterhaltsam.
Woodstock 69... Dass die USA und wenigstens Europa ohne die Sprengkraft dieses Manifestes heute ein anderes Gesicht hätten, wird nur allzu gern unter den Tisch gekehrt.
Nicht zuletzt die damalige revolutionäre und schlicht neue Musik findet immerhin bis dato ihren Niederschlag und ihre Weiterentwicklung, und darum ging es ja auch in der Hauptsache.
Ich betrachtete die drei Tage „Of Peace And Music“ stets als einmaliges und nicht zu wiederholendes Ereignis von historischer Tragweite.
Trotzdem oder gerade deshalb empfand ich den „Event“ von 94 geradezu als Leichenfledderei.
Eine Party auf geheiligtem Boden sozusagen, eine Geburtstagsfete in der „Electric Church“ von Hendrix.
Und ich hatte erhebliche Probleme damit, Bobby dort anzutreffen, mehr noch als mit seinem Gig vor dem Papst. Warum in drei Teufels Namen sollte er nicht vor Katholiken samt deren Oberhaupt auftreten, es trafen ohnehin lediglich zwei Entertainer und Weltenbummler aufeinander.
Die „Hall Of Fame“ lassen wir mal außen vor, mittlerweile ist dieselbe nichts weiter als eitler Tummelplatz abgetakelter Billigflittchen.
Im Laufe der Jahre habe ich die Sache abgehakt. Die Kids hatten ihren Spaß und Schwamm oder besser Schlamm drüber. Und laut Kritikerecho soll Bobbys Gig brauchbar bis sehr gut gewesen sein. Wozu noch einen unnötigen Gedanken darüber verlieren?
Nun habe ich diese DVD entdeckt –billig dazu- und mir in aller Ruhe reingezogen. Und wurde wie so oft eines Besseren belehrt. Denn all mein Unbehagen und Vorbehalt konnte nicht besser zum Ausdruck gebracht und bestätigt werden als durch diese Bilder.
Auf der einen Seite eine unüberschaubare Masse Jugendlicher, die ausgelassen „abfeierten“, ihre einstudierten Wohlfühl-Verhaltensmuster zelebrierten und einen auf Woodstock machten, um anschließend heimzugehen und weiterzumachen wie bisher, auf der andern diese schrägen Vögel auf der Bühne, fürwahr eine Band Of Gypsys, authentisch bis an die Schmerzgrenze, die frisch fröhlich frei durchs Programm jamten, gewagt herumimprovisierten und längst vergangene Zeiten wiederauferstehen ließen.
Mittendrin ein abgeklärter Bob, gewohnt kakophonisch an der Gitarre, konzentriert im Gesang, offensichtlich bei der Sache und spielfreudig.
Ein fast andächtig vorgetragenes „Masters Of War“ erinnert peinlich daran, dass Woodstock unter anderem als die größte Kundgebung der amerikanischen Friedensbewegung und musikalischer Protest gegen den Vietnamkrieg ins Lexikon Einzug fand, und das blödsinnige „Louder“ aus dem Publikum bestätigt lediglich die Unfähigkeit einer Multimedia-Generation, mal einen Moment still zu sein und aufmerksam zuzuhören.
Zwischen schrillem Geschrei und brachialem Gedröhne aus mächtigen Boxentürmen aktueller Bands wirkt Dylans Gig streckenweise wie eine Dichterlesung. Hier prallen nicht nur zwei Welten aufeinander, sondern zwei Weltsichten und Zeitgeister.
Was Dylans Combo nicht daran hindert, zur rechten Zeit hemmungslos loszufetzen, um mit den schlichten Mitteln differenzierten Musizierens dem Kindergarten zu ihren Füßen zu zeigen, wo der Bartel den Most holt.
Die Diskrepanz könnte größer und schöner nicht sein, wenn ein grimmiger Dylan den banalen Technoschönheiten - die nichts besseres zu tun haben als ihre Oberweiten zur Schau zu stellen, um die natürliche Nacktheit seinerzeit mithilfe exhibitionistischer Selbstdarstellung zur Farce zu machen- ein nüchternes „God knows you ain´t pretty“ entgegennölt.
Das tut herzerfrischend gut!
Während also Arlo Guthrie und Gleichgesinnte irgendwo in der Nähe ein alternatives Memorialkonzert zum Besten geben, wagt sich Dylan –in Woodstock 69 kurioserweise abwesend- mit seiner Band in die Höhle des Löwen, um einen Auftritt abzuliefern, der so oder so ähnlich vor fünfundzwanzig Jahren stattfinden hätte können. Alle Hochachtung!
Einmal abgesehen davon, dass es sich um ein wirklich gutes Konzert der nicht unumstrittenen Formation um den Gitarristen Joe Jackson handelt (die mich ein Jahr zuvor in Fürth begeisterte), muss freilich festgehalten werden, dass Dylan und Co wie ein Relikt wirken unter all dem Smell Of Teen Spirit, allerdings um eines aus zumindest interessanteren Tagen...
„Es gibt keinen anderen Weg.“
Das sagte Dylan in einem Interview im Hinblick auf seine musikalische Rückbesinnung auf alte Folk- und Blueswurzeln. Endlich hatte er begriffen, dass sein Versuch, mit den Jungen mitzuhalten, von Vornherein zum Scheitern verurteilt sein musste.
Es geht vielmehr darum, sein Ding durchzuziehen. Das zu tun, was man am Besten kann. Ohne Rücksicht auf gängige zeitgemäße Musik. Darauf kommt es an.
Für die Einen mag es Anachronismus sein, für Leute wie mich ist es dauerndes Lebenszeichen. Auch ich bin ein Relikt aus wilden Tagen, mit der Zeit vergleichsweise zahm geworden.
Aber auch ich lebe noch.
Happy Birthday Bob!