Mama

Begonnen von Ina, 22 Januar 2021, 23:37:47

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Ina

 
Mama  † 22.01.2021

Bestimmt möchte ich Dir irgendwann etwas schreiben.
Nicht heute, aber einen Platz sollst Du hier schon einmal bekommen. "Trotz allem"...

Meine Kerze für Dich brennt jetzt – und das wird sie bestimmt die ganze Nacht über.
Ein Foto von "Deinem" Himmel – dem heutigen Abendhimmel – steht daneben.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Einschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man sehr lange getragen hat, das ist eine tröstliche, eine wunderbare Sache.

(Hermann Hesse)
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Für Mama

Ringsherum liegt kaltes Weiß
Das flöckchenweise niederfiel
Bei Nacht kam's unerwartet-leis'
Das klirrend-winterliche Spiel

Trotz Kuscheldecken friere ich
Vielmehr jedoch tief innerlich
Es ist die Trauer, die mich quält
Weil's Schicksal Dich hat auserwählt

In den Himmel Dich zu senden
Zu Deinen Engeln, die Du liebst
Erdendasein musste enden
Weil zu viel Krankheit in Dir blieb

Welten haben sich verschoben
Schaust Du wohl auf uns von oben?
Bist Du es, die die Flocken streut
Als Zeichen Deiner Landung heut'?

So wie das Weiß stammt aus der Ferne
Kullern Tränen durch die Seele
Gedenk ich Dir mit Blick zum Sterne
Schnürt's dem Kind auch zu die Kehle


01.02.2021
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Dienstag findet die Kremation statt, die Einäscherung. Ständig muss ich daran denken – und finde diesen Gedanken fürchterlich. Aber es geht ja nicht anders.

Samstag fahren wir an die Küste, an die Nordsee. Wir werden Dir Deinen Wunsch erfüllen und Dich dem ewigen Meer übergeben. Dem Meer, das Du so liebtest...
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Genau vier Wochen ist es jetzt her, dass Du gegangen bist...


Du hast mir nie gefehlt, ich habe Dich nie vermisst. Höchstens die "kleine Ina" hat sich nach ihrer Mama gesehnt, wenn sie durch irgendetwas getriggert wurde. Aber nicht ich.
Es war gut für mich, auf Distanz zu gehen, mich von Dir zu lösen und ohne Dich zu sein. Es war besser so – es war nötig, um den Schmerz nach und nach loslassen zu können.
Wahrscheinlich war es der schwierigste, aber wichtigste Schritt in meinem bisherigen Leben. Für mich. Für mich und meine Seele, für mich und mein Leben.
Endlich raus aus der Abhängigkeit. Nur die "kleine Ina", die war und ist nach wie vor abhängig von Dir.
Aber MIR hast Du NICHT gefehlt, das kann ich ganz ehrlich so sagen.

Und jetzt sieht das plötzlich anders aus...
Jetzt bist Du gegangen – für immer – und ich wünsche mir so sehr, Dich noch einmal zu sehen und mit Dir zu sprechen...
Es war immer mein Plan, den ich im Hinterkopf hatte, Dich irgendwann wiederzusehen und in Ruhe und sachlich mit Dir zu reden.
Reden... Über früher. Über das, was mich gekränkt, verletzt und traumatisiert hat.
Reden... Über das, was ich erleben musste – mit Dir oder wegen Dir.
Am meisten habe ich mir Einsicht von Dir gewünscht. Vielleicht auch eine Entschuldigung.
Und selbst wenn Du Dich uneinsichtig gezeigt hättest: Dass Du wenigstens verstanden hättest, dass mich das alles krank gemacht hat.

So ein Gespräch mit Dir hätte ich nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt führen können, sondern erst dann, wenn ich wirklich bereit dafür gewesen wäre.
Und auch erst dann, wenn DU bereit gewesen wärst, Dich mit klarem Verstand darauf hättest einlassen können. Mit dem Willen, dass wir irgendwie auf einen Nenner kommen.

Es wird kein Gespräch mehr geben können. Ich hätte es gebraucht...
Gebraucht, um mich zu ordnen, um zu verarbeiten und vielleicht auch um zu lernen, die Dinge anders zu betrachten und zu bewerten.
Es wird nun alles in mir bleiben müssen. Du bist nicht mehr da – wir können nicht mehr reden. Wahrscheinlich nicht...



Man erzählte mir etwas von Vergebung und dass vergeben nicht mit verzeihen gleichzusetzen ist.
Vergebung – dieses Wort, mit allem was dahintersteckt, ist mir zu groß. Es passt nicht in mein Weltbild, meine Gedanken und meine Sicht auf das Leben.

Man sprach mit mir über Gott und über die Liebe. Ein guter Austausch, der mich gedanklich vielleicht sogar ein bisschen weitergebracht hat.

Man riet mir, mit Dir zu sprechen. "Sprich doch einfach zu Deiner Mutter.", hieß es.
Ich würde es gerne versuchen – es war ein einfacher und doch so guter Rat.
Aber ich kann nicht. Noch nicht. Die Angst davor ist zu groß.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
21. Februar 2021

Noch genau eine Woche, dann bist Du endlich frei. Frei in Deinem geliebten Meer – so, wie Du es Dir gewünscht hattest.
Ich war noch ganz klein, da sagtest Du hin und wieder, dass Du "ins Meer" willst, wenn Du "nicht mehr da" bist. Daran kann ich mich komischerweise noch gut erinnern.
Viel komischer finde ich allerdings, dass Du Deiner kleinen Tochter so etwas überhaupt erzählt hast. Warum?
Macht es einem Kind nicht Angst, wenn es so etwas zu hören bekommt? Doch, ich hatte Angst! Ich wusste schließlich gar nicht, was so eine Aussage wirklich zu bedeuten hat.
Ich hatte Angst, dass Du bald "weggehst" und mich alleine lässt. Diese Angst hatte ich ständig!


Sonntag also... Ich habe Angst vor diesem Tag.
Ich breche hier zu Hause immer noch häufig völlig unvermittelt in Tränen aus, ohne dass mir bewusst war, dass ich überhaupt an Dich gedacht habe.
Wie soll ich es dann Sonntag aushalten?
Ich habe Angst vor den Gefühlen, die mich erwarten. Ich habe Angst, zu dissoziieren. Ich habe Angst vor einem Nervenzusammenbruch.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Ich habe abgenommen. Ich weiß, das hätte Dir nicht gefallen, aber das war mir schon immer egal. Der schöne, knielange, schwarze Rock, der mir im November eigentlich ein wenig zu eng war, weshalb ich ihn einfach als Taillenrock getragen habe, passt jetzt. Er sitzt ganz locker auf den Hüften. Ich bin froh, dass ich diesen Rock heute bei Deiner Bestattung "richtig" tragen kann, denn damit hast Du mich zuletzt gesehen. Mitte Dezember, als H. Dich im Pflegeheim besucht hat, zeigte er Dir auf meinen Wunsch hin zwei meiner Weihnachtsvideos von J. und meinem Videoprojekt. Zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass Du den Krebs nicht besiegen wirst. Es war zwar noch eine Immuntherapie angedacht, die Mitte Januar beginnen sollte, aber die hätte lediglich das Wachstum verlangsamt. Dazu ist es aber ja gar nicht mehr gekommen... Es lag mir jedenfalls sehr am Herzen, Dir eine Freude zu machen. Das war mir unglaublich wichtig. Ich hatte nicht die Kraft, Dich zu besuchen – das wäre emotional einfach zu viel für mich gewesen. Aber Du solltest unbedingt wissen, dass ich an Dich denke und dass es mir wichtig ist, Dir noch eine Freude zu machen. Also hat H. seinen Laptop mitgebracht, als er Dich besucht hat, und zeigte Dir darauf die beiden Videos. Du hast mich immer – okay, fast immer – so gerne singen gehört... Und ja: Die Überraschung ist gelungen – Du hast Dich gefreut. Ich schrieb Dir nachmittags eine SMS – die letzte – und fragte Dich, ob er sie Dir gezeigt hat. Du hast mir geantwortet, dass sie Dir gut gefallen hätten, auch wenn Dir zwischendrin die Tränen gekommen seien. Das waren die letzten Worte, die Du mir geschrieben hast. Ich habe die SMS noch. Es ist die einzige, alle anderen habe ich meistens nach wenigen Tagen gelöscht. Aber ich habe sie vorher immer abgetippt und in einer Datei auf dem PC gespeichert. Jede, die Du mir in den letzten Jahren geschrieben hast! Bei dieser SMS habe ich aber irgendwie gespürt, dass ich sie lieber "aufbewahren" sollte.

In den Videos trage ich jedenfalls den besagten Rock – und weil es das letzte "Bild" ist, das Du von mir hattest, möchte ich ihn auch heute tragen. Vielleicht werde ich mir zum ersten Mal seit Langem wieder die Haare hochstecken, denn das mochtest Du immer gerne sehen. H. wird mir noch einige Dinge von Dir mitbringen. Ich habe ihn gebeten, mir einen Ring, eine Kette oder ein anderes Schmuckstück von Dir mitzubringen, falls noch eines da ist. Ich würde es dann gerne heute tragen... Es ist alles nur Modeschmuck, aber das spielt für mich keine Rolle. Vielleicht habe ich dann das Gefühl, Dich nicht GANZ gehen lassen zu müssen, weil ich ja immer noch etwas von Dir bei mir habe.

Lars wird mich begleiten. Darüber bin ich so froh... Ihr kanntet Euch ja auch. Er und H. und seine Freundin kommen heute schon ganz früh zu mir und wir fahren gemeinsam an die Nordsee. Sobald das Schiff ablegt, werde ich nicht mehr vor Dir und meinem Schmerz fliehen können...

Lars meint, ich solle eine CD mit Musik von CPR für die Autofahrt brennen, weil sie mir so gut tut und eigentlich immer "hilft". Das werde ich jetzt machen.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Ich denke gerade an Dich... Und ich muss auch wieder an die Bestattung denken. Dieser Tag war so schlimm für mich... Ich war nicht mehr weit vom Nervenzusammenbruch entfernt.

Diese Art von Schmerz war mir bis dahin nicht bekannt. Ich musste auch schon andere Menschen gehen lassen, zum Glück aber niemanden, der mir wirklich richtig nahestand. Es hat mich immer traurig und schwermütig gemacht und es sind auch Tränen geflossen. Aber das jetzt... Das hat sich völlig anders angefühlt. Natürlich hat es das! Du bist und warst schließlich schon immer mein schwerster (emotionaler) Kampf! Du, meine Mutter, die von einem Teil von mir verabscheut und von einem anderen Teil von mir abgöttisch geliebt wurde...

Diese "Abschiednahme" am 28.02. hat mich erneut in ein tiefes Loch fallen lassen, hat mich innerlich sehr aufgewühlt und ein Riesenchaos in mir hinterlassen.

Ich wünsche Dir jetzt nur noch Gutes.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

#8
 
Letzte Woche habe ich wieder viel an Dich gedacht – ob ich wollte oder nicht... Kaum hatte ich mal für einen Moment die Augen geschlossen, habe ich Dich vor mir gesehen. Kurze, aussagekräftige Szenen waren es. Du hast mich angesehen – mit diesem typischen Blick, den ich noch von früher kenne und immer gehasst habe – und hast eindringlich auf mich eingeredet. Zwar konnte und kann ich diese Szenen keinen bestimmten Situationen zuordnen, doch weiß ich, dass es sie gegeben hat. Ich frage mich, warum ausgerechnet diese Bilder vor meinem geistigen Auge aufgetaucht sind; ob es wahllos irgendwelche Erinnerungen waren oder ob ich mich aus einem bestimmten Grund daran erinnert habe. Sie haben ein beklemmendes Gefühl in mir zurückgelassen.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Als Lars heute bei mir war und wir am österlich hergerichteten Tisch gefärbte Eier aßen, musste ich an Dich denken. Ich habe mich daran erinnert, wie sehr Du das Geräusch gehasst hast, wenn man Eierschalen zerkleinert und zerdrückt hat. Und ich? Ich habe es geliebt, es auf die Spitze zu treiben und so lange auf den Eierschalen herumzudrücken, bis sie nicht mehr kleiner zu kriegen waren. Das hat mir damals große Freude bereitet – natürlich nur in Deiner Gegenwart.^^

Ich habe meine Kerze für Dich aus dem Schrank geholt, sie angezündet und mit auf den Ostertisch gestellt. Irgendwie habe ich das heute Nachmittag gebraucht.
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Wann hört das denn endlich auf mit den ständigen Tränen?

Jahrelang konnte ich mich wunderbar abgrenzen. Jetzt bist Du weg und bist mir dennoch näher als all die Jahre, in denen wir nichts voneinander gehört haben!

Es tut so weh, nicht mit Dir sprechen zu können. Keine Chance mehr zu haben. Mit der ganzen Traumascheiße, die so eng mit Dir zusammenhängt, allein zurückzubleiben. :'(
In meinen Gedanken, meiner Erinnerung ist so vieles, was ich Dir am liebsten an den Kopf werfen würde, Dir vorwerfen würde, Dir entgegenschreien würde...
Das geht nicht mehr und hätte wohl auch nichts gebracht. Geändert hätte es jedenfalls nichts. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als zu versuchen, mit alldem alleine klarzukommen.



Ich will und werde nicht mehr böse auf Dich sein. Ich bin verletzt, gekränkt, traumatisiert, aber es lässt sich nicht ändern.
Es gibt vielleicht nur noch einen Weg, der mich aus diesem Tal hinausführen wird – und den werde ich gehen:
Ich werde mich Dir in Liebe zuwenden – mich Dir liebevoll zuwenden – und vielleicht irgendwann Frieden mit Dir schließen.
Ja, das werde ich tun. Ich werde Dir meine Liebe schenken, die trotz allem immer in mir zurückgeblieben ist.

Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Hast Du uns hier einfach allein gelassen... Ohne die Liebe...
Ohne die Liebe, die die "kleine Ina" so sehr gebraucht hat und immer noch braucht. :'(
Und jetzt? Wie soll sie denn heilen?

Ich bin so traurig. :'(
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Chance vertan

Jahrelang getrennt
Warst Du
Von mir
Meine Wahl!

Keine Blicke
Keine Worte
Keine Nähe
Meine Grenzen!

Ohne Dich
Zu sein
War friedvoll
Für mich!

Zeit vergeht
Jahr für Jahr
Chance vertan
Wir zwei!

Mama fehlt
Kein Wiedersehen
Möglich mehr
Für uns!

Ohne sie
Zu sein
Tut weh
Im Herzen.


26.04.2021
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Du bist nicht weniger da als vorher, also als Du noch lebtest. Warum denke ich dann so viel öfter an Dich? Weil es vorher immerhin möglich gewesen wäre, mehr ,,von Dir zu haben", wenn ich es gewollt hätte – und jetzt eben nicht mehr? Oder vielleicht einfach nur, weil ich mich aufgrund Deiner Krankheit und Deines Todes zwangsläufig gedanklich wieder mehr mit Dir beschäftigen musste? Was weiß ich! Es ist Trauer, verdammt, es ist einfach nur Trauer, mit der ich SO nicht gerechnet hätte! Nicht in dieser Intensität. Ich bin traurig, dass Du so früh gehen musstest, obwohl Du gerne 100 Jahre alt geworden wärst. Ich bin traurig, dass es zum Teil wohl Dein eigenes Verschulden war, dass Du diese Welt so früh verlassen musstest. Und auch der Grund dafür macht mich traurig und sogar ein bisschen wütend. Und ich bin traurig, weil mir die Chance genommen wurde, auf Dich zugehen zu können, wenn ich mich dafür bereit gefühlt hätte. Traurig, weil UNS die Chance genommen wurde, miteinander zu reden, wenn WIR so weit gewesen wären. Traurig wegen all der Erinnerungen an die Vergangenheit, die nun fast täglich hochkommen. Traurig wegen der vielen liebevollen Briefe, die ich Dir als Kind schrieb und wegen der Bilder, die ich damals für Dich malte – und die jetzt zu mir zurückgekehrt sind und die ich mir nicht ansehen kann, ohne in Tränen auszubrechen und das Gefühl zu haben, dass sie mir das Herz brechen. Traurig weil / wegen [...]
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)

Ina

 
Was ist nur los? Ständig sehe ich Dich!

Ich brauche nur ein paar Minuten die Augen zu schließen und schon bist Du da. Ganz egal, woran ich währenddessen denke, ja, selbst wenn ich an etwas Schönes denke, ist es so: Die Augen sind geschlossen und DU bist DA. Irgendwelche Szenen, meistens kurze, oder auch nur einzelne ,,Standbilder" – von Dir, so echt, so wirklich, so nah. Und so schmerzhaft. Erst kommen die Bilder, dann kommt die Angst, dann kommen die Tränen. Seit Wochen geht das nun schon so und in den letzten Tagen habe ich es noch intensiver wahrgenommen als davor. Jedes verdammte Mal, wenn ich die Augen schließe. Jedes Mal. Ich will das nicht. Ich möchte Dich nicht sehen ,,müssen", möchte mich nicht mit Dir und dem Schmerz und den Erinnerungen und schon gar nicht mit Deinem Tod auseinandersetzen ,,müssen". Nein, ich möchte an Dich denken, wenn ich es WILL. Ganz bewusst. Aber ich kann es mir offenbar nicht aussuchen. Du kommst und gehst ja, wann Du willst...

66... Meine Güte... Ich bin so traurig und es tut mir so leid für Dich. :'(
Love is God's favorite daughter. (David Crosby)