Der Psychoanalytiker Fritz Riemann ( 1902-1979) befasst sich in dieser tiefenpsychologischen Studie mit den Grundformen der Angst.
Es handelt sich hierbei um:
1) Die Angst vor Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt;
2) Die Angst vor Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt;
3) Die Angst vor Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt;
4) Die Angst der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt.
Riemann hält gleich zu Anfang seiner Studie fest, dass Erwachsen-Werden und Reifen einhergehen mit Angstüberwindung. Jedes Alter hat seine entsprechenden Reifungsschritte mit den dazugehörenden Ängsten, die gemeistert werden müssen, wenn der Schritt gelingen soll. Der Autor verdeutlicht, dass diese Ängste gleichsam organisch zu unserem Leben gehören, weil sie mit körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklungsschritten zusammenhängen.
In der Folge stellt Riemann Persönlichkeiten vor, die Angst überwertig erleben und zeigt jeweils auf, wodurch diese überzogenen Ängste in der Kindheit entstehen. Ich erlaube mir die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensmuster an dieser Stelle festzuhalten, damit die potentiellen Leser einen Überblick bekommen, worum es hier eigentlich geht.
Die schizoide Persönlichkeit
Schizoide Personen haben ein übersteigertes Empfinden hinsichtlich der Selbstbewahrung und Ich- Abgrenzung. Kennzeichnend für diesen Personenkreis ist eine übersteigerte Angst vor Nähe. Sie möchten auf niemand angewiesen und niemanden verpflichtet sein. Der Schizoide strebt überhöhte Distanz an, weil er sich dauernd in seinem Lebensraum bedroht fühlt.
Auf die Umwelt wirkt ein solcher Mensch fern, kühl, unpersönlich und kalt. Auch wenn man diese Leute schon lange kennt, kennt man sie nicht wirklich. Selbst, wenn man heute einen guten Kontakt zu ihnen haben mag, verhalten sie sich morgen so als hätten sie uns nie gesehen.
Mangels des Nahkontaktes entsteht eine krankhafte Eigenbezüglichkeit, wahnhafte Einbildungen und Wahrnehmungstäuschungen. Das Gefühlshafte bleibt bei solchen Menschen oft unterentwickelt. In der Liebe wird der Partner nur als " Sexualobjekt" gesehen, das der Befriedigung der Sinne dient, darüber hinaus allerdings nicht interessiert. Wenn die Gefühlskälte weiter fortgeschritten ist, kann es geschehen, dass auf den Partner unverarbeitet Hassgefühle und Rachehaltungen unbewusst projeziert werden, die einer ursprünglichen Person in der Kindheit gegolten haben. Schizoide Personen reagieren beim Überschreiten ihres Schutzkreises- ihrer imaginären Grenze - durch andere mit Panik, die in wilden Angriff umschlägt. Der Angst folgt die Aggression. Schroffheit, plötzliche verletzende Schärfe, eisige Kälte, Unerreichbarkeit und sekundenschnelles Umschlagen von Zuwendung in feindselige Ablehnung sind die häufigsten Ausdrucksmöglichkeiten der Aggression.
Riemann zeigt an Beispielen schizoide Erlebnisweisen auf, wobei er darauf hinweist, das schizoides Verhalten ein geisteskrankes Verhalten ist. Gefühlsabläufe und Verstandeserfahrungen laufen gleichsam getrennt, verschmelzen nicht zu einheitlichem Leben. Mit wachsendem Autismus verliert der schizoide Mensch immer mehr das Interesse an der Welt und den Menschen. Die Schwerstgestörten machen sich selbst zum Maßstab aller Dinge. Dies Kann zu größenwahnsinniger Überheblichkeit und Selbstvergottung führen. Ethik und Moral sind für Schizoide fragwürdig.
Nicht selten entwickeln diese Menschen eine "Herrenmoral", für deren Angehörige andere Regeln gelten als für in ihren Augen "Schwache". Menschen mit stark schizoider Struktur leiden nicht an ihrem Wesen, sondern sie fühlen sich gesund.
Oft ist es ihr Umfeld , das lernen muss sich abzugrenzen, um psychisch nicht auf der Strecke zu bleiben.
Die depressive Persönlichkeit
Dieser Personenkreis hat Angst ein eigenständiges Ich zu werden. Den Depressiven quält die trennende Kluft zwischen Ich und Du. Alleingelassenwerden und Verlassenwerden kann ihn in tiefe Depression und Verzweiflung stürzen. Um sich vor Verlustängsten zu schützen, müssen diese Personen lernen viel Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu entwickeln. Distanz bedeutet für den Depressiven Bedrohung. Um anderen uneingeschränkt nahe sein zu können unterdrücken diese Menschen gerne Kritik und Zweifel am Nächsten. Ihr Persönlichkeitsbild weist überwertig Tugenden, wie etwa Bescheidenheit, Überangepasstheit, Unterordnung bis zur Selbstaufgabe, im Extremen masochistisches Hörigkeitsverhalten auf.
Für sich selbst fordern diese Personen nichts. Riemann lässt den Leser wissen, dass es kennzeichnend für Depressive ist, dass sie schwer etwas merken können, schnell vergessen, oft Lernschwierigkeiten haben und nicht selten teilnahmslos und müde erscheinen. Aggression bei Depressiven äußert sich in Jammern, Klagen und Lamentieren. Aggression und Angst vor Liebesverlust führen oft zu Selbsthass und zur bewussten und unbewussten Selbstbestrafung und Selbstzerstörung.
Auch hier macht Riemann das Krankheitsbild an Beispielen deutlich.
Depressive versetzen sich in die Situation des anderen. Sie identifizieren sich mit ihm soweit, dass sie den eigenen Standpunkt und die eigenen Interessen darüber weitgehend vergessen. Da sie zu wenig Eigenimpulse und Eigenwünsche haben, die sie den Wünschen anderer entgegensetzen können, unterliegen sie den Impulsen und Wünschen anderer. Immer sind sie gewohnt die Erwartungen anderer zu erfüllen. Wenn ein solcher Mensch sich für alles verantwortlich fühlt, geschieht dies nicht aus Größenwahn, sondern aus fehlender Ich-Stärke, die ihn mehr den anderen leben lässt als sich selbst. Dies kann bis zur völligen mentalen Selbstaufgabe führen. Auch hier erhält man wieder lebensgeschichtlich Hintergrundinformationen.
Perfektionismus, Unduldsamkeit gegenüber anderen, die sich zu diktatorischen und dogmatischem Verhalten vertiefen sind bezeichnend.